Zerschlägt die Bundesregierung den Sozialstaat, macht sie das
auch im Namen der »Nachhaltigkeit«. Anmerkungen zu einem
ökologischen Dauerlutscher
Wörter steigen auf und Wörter steigen ab. Manche werden
erfunden, andere sterben ab. Wie jede Zeit ihre Moden kennt, so
auch eine ihr typische Sprache. Schaut man genauer hin, verraten
manche Vokabel aber oft mehr von sich als ihre Kommunikatoren
erkennen wollen. Insbesondere gilt das auch für die Kategorie der
Nachhaltigkeit. Aus der Forstwirtschaft übernommen, wurde der
Begriff 1987 einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht, und
zwar als eine gezielte Inauguration durch die
Brundtland-Kommision (offiziell: »Weltkommission für Umwelt
und Entwicklung«).
Ein Juhu-Wort ward geboren. Es ist auch seine Verwaschenheit,
die seine Karriere so offensichtlich förderte. Da jubelt
beispielsweise auch eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung aus
dem Jahr 2000: »Nachhaltigkeit ist zu einem neuen
Politik-Paradigma geworden - zu einer ›Leitidee für eine
zukunftsfähige Gesellschaft‹, die eine bisher nicht gekannte
Konsensbreite erreicht hat.« (Hans Böckler Stiftung [Hg.], Wege
in eine nachhaltige Zukunft. Ergebnisse aus dem Verbundprojekt
Arbeit und Ökologie, Düsseldorf 2000)
Nachhaltigkeit ist heute ein Begriff, der von fast allen als positive
Kategorie anerkannt wird. Nachhaltigkeit, dafür lohnt es sich zu
kämpfen. Nur wessen Kampf wird da geführt und wohin führt er?
Manchmal wird vorgebracht, daß »Nachhaltigkeit« eine schlechte
oder unzureichende Übersetzung von »sustainability« darstellt.
Doch verrät »sustainability« sich nicht noch eindeutiger als die
Übersetzung? »Der englische Originalterminus sustainability meint
im Kern: ›die Funktionsfähigkeit eines Systems aufrecht erhalten‹«.
Um welches System handelt es sich? Da mögen sich die einen
dieses und die anderen jenes einbilden, das gesellschaftliche
Betriebssystem von Kapital und Demokratie bleibt auf jeden Fall
aus der Debatte ausgeklammert. Auf was es ankommt, kommt
nicht vor.
Nachhaltigkeit stellt keinen einzigen ökonomischen Imperativ in
Frage: Markt, Geld, Verwertung, Wettbewerbsfähigkeit, alles
bleibt letztlich unbeschadet, sieht man von obligaten Kritteleien ab.
»Wachstum, Vollbeschäftigung und Nachhaltigkeit sind
vereinbar.« Das Konzept der sustainable development setzt
Kapitalakkumulation als natürliche Bestimmung, als Kreislauf des
Lebens, voraus. Es geht sogar darum, diese Strukturen und
Mechanismen langfristig und andauernd zu sichern, eben ihre
Nachhaltigkeit zu prolongieren. Das Nachhaltigkeitsgerede
inszeniert sich ja auch geradezu als Revival der uralten Werte: da
ist die nervtötende Rede von Demokratie, Gerechtigkeit,
Chancengleichheit, und immer wieder: Arbeit.
Primär fragen sich die Vertreter der Nachhaltigkeit wie das
Abgelaufene weiter laufen kann ohne aus dem Ruder zu laufen.
Zum Ablauf selbst hält man sich bedeckt, man wendet sich dafür
umso entschiedener gegen gewisse Auswüchse,
Fehlentwicklungen etc. - Nachhaltigkeit meint, daß halten soll,
was bisher gehalten hat. Nachhaltigkeit möchte Mißstände
ausschalten, aber Zustände erhalten. Sie tut gerade so, als hätte
das eine mit dem anderen nichts oder wenig zu tun. Nachhaltigkeit
ist also kein kritischer Begriff sondern ein affirmativer, der jedoch
versteht, sich als emanzipatorische Kategorie zu verkaufen. Nicht
die Welt zu erhalten, ist das Ziel, sondern die Welt, wie sie ist, zu
erhalten. Das ist freilich ein Unterschied ums Ganze.
Selbstverständlich findet die von uns zitierte Studie zu ihrem
gewünschten wie erwarteten Resultat: »Die Ergebnisse der
Querschnittanalysen und die Szenarien zeigen: Eine Politik der
Nachhaltigkeit bei der ökologische, ökonomische und soziale Ziele
gleichzeitig berücksichtigt werden, ist machbar.« Nur, warum
gehorchen die Regierungen und Arbeitsmärkte nicht dieser
Konzepthuberei?
Vielleicht sollte man doch gelegentlich über den Stellenwert
solcher Studien und vor allem auch über den ihrer Terminologie
nachdenken. Möglicherweise liegt deren Aufgabe gerade nicht
darin, Vorschläge zu liefern, sondern Publikum zu beruhigen. Ihre
Funktion wäre demnach eine ideologische und keine praktische.
Man wird den Verdacht nicht los, daß bestimmte reizende
Vokabeln, prototypisch etwa der Evergreen der »Demokratie«,
aber auch die neuen Hits wie »Zivilgesellschaft« und
»Nachhaltigkeit« in erster Linie zur weltanschaulichen Therapie der
gesellschaftlichen Mitglieder dienen, vor allem für die nicht ganz
unkritischen. Eben dazu sind diese Kosewörter des allgemein oder
speziell respektierten Unsinns da. Es jargonisieren sich
Gleichgerichtete.
Das Geschwafel kennt wahrlich kein Ende: Arbeiter werden von
Arbeitnehmern zu »Arbeitsunternehmern« aufgepäppelt. Das
erhabene Kapital der Zukunft verhält sich dementsprechend nicht
mehr tollwütig, sondern ganz toll: »Die Unternehmen verbessern
ihre Wettbewerbsfähigkeit primär durch Produkt- und
Prozeßinnovationen, statt auf Kostensenkung durch
Lohnzurückhaltung und einen schlankeren Staat zu setzen. An der
Zielvorgabe ›Gewinnmaximierung‹ ändert sich nichts, aber diese
wird mit einer langfristigen Perspektive verfolgt.« Daß die
Unternehmen möglicherweise die langfristigen Gewinne gar nicht
mehr erleben, weil sie keine kurzfristigen zum Investieren haben,
was schert das die Nachhaltigkeit. Aber seien wir sicher, das
Kapital wird, will es am Markt existieren, sich schon darum
kümmern.
Doch vergessen wir nicht, Nachhaltigkeitskonzeptiker treten für
eine »verläßlich soziale Absicherung oberhalb der
Armutsschwelle« ein. »Nachhaltige Arbeit« meint dann auch »eine
Arbeitsgestaltung, die die langfristige Erhaltung der Gesundheit
gewährleistet und ein aktives Gesundheitsverhalten ermöglicht
(Arbeits- und Gesundheitsschutz, Begrenzungen von
Arbeitsextensität, Arbeitsintensität und von Zeit- und
Koordinationsstreß).« Man fragt und ärgert sich: Wovon reden
die? Oder ist das überhaupt ein ignorantes Sinnspiel für
viertelkritische Nörgler, nach dem Motto: Wie hätten wir's denn
gerne? Es ist, wie wenn der Weihnachtsmann und das
Milchmädchen frisch und unbedarft aufeinander losplaudern,
Wünsche aufstellen und Rechnungen aufmachen, ohne auch nur
eine Sekunde an Marktwirt und Marktwert zu denken.
Franz Schandl
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»Nachhaltigkeit« und zukunftsfähiges Wirtschaftssystem