Enthüllungen eines Insiders
Scharpings Propaganda im Kosovo-Krieg
Anmoderation PATRICIA SCHLESINGER:
Guten Abend und willkommen zu einer neuen Ausgabe von PANORAMA.
Wer eine Wahl gewinnen will, muß Stärke beweisen. Ein amerikanischer Präsident erfindet einen Krieg, einen Angriff auf ein kleines Balkanland. Medienwirksam und rührend emotional wird die fingierte Attacke von seinen Soldaten niedergeschlagen. Dafür rennt in einem Filmstudio eine Schauspielerin als Flüchtling verkleidet durch die Kulisse eines zerstörten Dorfes. Das ist Hollywood, Szenen aus einem Kinofilm, "Wag the Dog" heißt er. In der Realität, erst recht bei uns, ist das natürlich undenkbar. Wenn sich Deutschland an einem Krieg beteiligt, muß das moralisch gerechtfertigt, die Notwendigkeit politisch begründet werden. Daß der Verteidigungsminister bei der Legitimation für den Kosovo-Krieg übertrieben hat, daß moralischer Eifer und erhöhter Legitimationsdruck der rot-grünen Regierung dabei eine Rolle spielten, das haben wir alle gewußt. Aber nun redet erstmals ein General vor der Kamera und spricht von einer größeren Manipulationskampagne. Demnach hat Rudolf Scharping Fakten bewußt falsch wiedergegeben und Drohkulissen entworfen, die nicht der realen Gefahr entsprachen, nur um die mediale Heimatfront ruhigzustellen. Bis vor kurzem hätte ich das auch noch für Hollywood- Klamauk gehalten.
Mathis Feldhoff und Volker Steinhoff über den ganz bewußten Umgang mit der Wahrheit.
KOMMENTAR:
Früher galt er als langweilig. Im Kosovo-Krieg bewies er Statur: Verteidigungsminister Rudolf Scharping. Sein immer wieder beschworenes Kriegsargument für die pazifistische Basis: die Abwendung einer humanitären Katastrophe. Inzwischen hat Scharping sein Tagebuch aus den Kriegstagen veröffentlicht.
Originaltext Rudolf Scharping:
"7. April. Es ist abscheulich. Diese Lumpen und Verbrecher bringen wahllos Menschen um, rauben ihre Opfer aus, vertreiben sie oder vergewaltigen die Frauen. Um so unverantwortlicher, daß einige öffentlich immer wieder einen Stopp oder eine Pause der Luftangriffe fordern."
KOMMENTAR:
Für Scharping ist von Anfang an alles klar: im Kosovo droht die humanitäre Katastrophe. Und Scharping hat dafür Beweise, angeblich jedenfalls.
Seine Behauptung vor Kriegsbeginn: Das "Massaker" von Rugovo.
Ende Januar 1999, knapp zwei Monate vor Kriegsbeginn, gehen diese Leichenbilder um die Welt. Allgemeines Entsetzen. 23 Tote Albaner, nebeneinander. Für Scharping ist damit klar: ein Massaker der Serben. Im Tagebuch notiert er:
Originaltext Rudolf Scharping:
"Auf dem Flug zum NATO-Gipfel in Washington hatten mir Mitarbeiter die Bilder von getöteten Kosovo-Albanern gezeigt. Beim Anschauen der Fotos Übelkeit. Ist Entsetzen steigerbar?
Später bitte ich meine Mitarbeiter, die Bilder für eine der Pressekonferenzen vorzubereiten."
KOMMENTAR:
Dort präsentiert der Minister dann seine Beweise. Und tatsächlich: Viele Leichen nebeneinander, wie nach einem Massaker. Scharping ist sich anhand seiner Bilder ganz sicher, was am 29. Januar in dem kleinen Örtchen Rugovo passiert ist.
0-Ton
RUDOLF SCHARPING:
(Verteidigungsminister)
"Wir haben sehr gut recherchiert und uns Bildmaterial besorgt, das OSZE-Mitarbeiter am Morgen gemacht haben zwischen sieben und acht Uhr."
KOMMENTAR:
Fernsehbilder von genau diesem Morgen. Tatsächlich: ein OSZE-Mann, mit grüner Jacke, Henning Hensch, ein deutscher Polizeibeamter, erster internationaler Ermittler vor Ort.
0-Ton
HENNING HENSCH:
(OSZE-Ermittler)
"Es war nicht so. Die Leichen haben da zwar gelegen, aber sie sind dort hingebracht worden von den serbischen Sicherheitsbehörden, nachdem die eigentliche Tatortaufnahme – und das hängt wieder zusammen mit diesem Ermittlungs- richter – abgeschlossen war, nachdem beschlossen war: wir bringen die Leichen jetzt weg."
KOMMENTAR:
Der Beweis durch Fernsehbilder: Zuerst liegen die Leichen verteilt im Ort, wie nach einem Gefecht. Keine Zivilisten, sondern UCK-Kämpfer.
Nach diesen Aufnahmen dann werden die Leichen zusammengetragen und fotografiert. Und genau diese Fotos hält Minister Scharping für Beweise eines Massakers. Tatsachen, die dem Experten für Sicherheitspolitik, Professor Lutz, genau bekannt sind. Und er kennt die Bedeutung der Massaker für die damalige Diskussion.
0-Ton
PROF. DIETER LUTZ:
(Inst. f. Friedensforschung und Sicherheitspolitik)
"Die Massaker waren, wenn Sie so wollen, der berühmte Tropfen, die Wende zum Krieg, der berühmte Tropfen, der das Faß zum Überlaufen gebracht hat. In der damals moralisierenden Argumentation sehr verständlich. In der Folgezeit sind dann auch nicht zufälligerweise die Massaker immer gleichgesetzt worden mit Auschwitz."
KOMMENTAR:
Die Behauptung zum Kriegsbeginn: Die humanitäre Katastrophe.
Am 24. März beginnt die NATO DEN Krieg gegen die Serben. Scharping liefert die Begründung.
0-Ton RUDOLF SCHARPING:
(25.3.1999)
"Meine Damen und Herren, ich will zunächst einmal zwei Punkte unterstreichen: 1. Die militärischen Aktivitäten der NATO dienen einem politischen Ziel, nämlich die Abwendung einer humanitären Katastrophe bzw. die Verhinderung ihres weiteren Anwachsens."
KOMMENTAR:
Eine humanitäre Katastrophe? Jetzt kommt heraus, wie die Lage wirklich war kurz vor Kriegsbeginn.
0-Ton
PROF. DIETER LUTZ:
"Also es gibt insbesondere zwei Lageanalysen, die in diesem Zusammenhang erwähnt werden müssen. Das eine ist der Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19. März, also fünf Tage vor Kriegsbeginn. Und das Zweite ist die Lageanalyse des Bundesverteidigungsministeriums vom 23. März, also unmittelbar ein Tag vor Kriegsbeginn. Und beide Lageanalysen gehen davon aus, daß keine humanitäre Katastrophe unmittelbar bevorsteht."
KOMMENTAR:
PANORAMA liegen diese Dokumente vor. In dem Lagebericht des Verteidigungsministeriums heißt es am Tag vor dem Kriegsbeginn: Die Serben seien zwar in einer großangelegten Operation noch gar nicht fähig. Bisher gebe es nur örtlich und zeitlich begrenzte Operationen gegen die UCK. Und nach dem internen Bericht des Auswärtigen Amtes hätten die Serben die Zivilbevölkerung vor ihren Angriffen gewarnt. Nach Abzug der serbischen Sicherheitskräfte kehre die Bevölkerung dann meist in die Ortschaften zurück. Es gebe keine Massenflucht in die Wälder, auch keine Vorsorgungskatastrophe.
0-Ton
PROF. DIETER LUTZ:
"Äußerst bestürzt ist man sogar, wenn man liest, daß einzelne UCK-Kommandeure sogar die eigene Bevölkerung am Verlassen der Dörfer hindert, damit es Opfer gibt, damit die NATO mit Luftschlägen eingreift. Dieses alles finden Sie in den Lageanalysen."
KOMMENTAR:
Die "humanitäre Katastrophe", der Grund für die deutsche Beteiligung am Krieg, findet sich also in den internen Berichten der deutschen Regierung nicht wieder. Dennoch: das Bombardement beginnt.
Nach Kriegsbeginn: Der Hufeisenplan als Rechtfertigung.
Kurz nach Kriegsbeginn ist sie dann wirklich da, die Katastrophe: Riesige Flüchtlingsströme, Folter und Mord. Und zu allem Überfluß: Milosevic gibt nicht auf. Langsam wächst die öffentliche Kritik: Wären Verhandlungen nicht doch besser als Krieg?
Scharping steht politisch mit dem Rücken an der Wand. Da scheint die Rettung zu kommen:
Originaltext Rudolf Scharping:
"31. März. Mich elektrisiert ein Hinweis, daß offenbar Beweise dafür vorliegen, daß das jugoslawische Vorgehen einem seit langem feststehenden Operationsplan folgt."
KOMMENTAR:
Ein Hinweis, wenn auch aus dubiosen Quellen. Keine zwei Wochen später präsentiert Scharping stolz einen kompletten Plan: den Hufeisenplan. Milosevic wollte demnach die Albaner von Anfang an vertreiben. Das offene Ende des Hufeisens ist links unten, nach Albanien gerichtet: einziger Fluchtweg für die Bevölkerung. Für Scharping der Beweis: Die Serben planten schon immer die ethnische Säuberung, die deutsche Kriegsbeteiligung also gerechtfertigt. Stolz notiert er in seinem Tagebuch:
Originaltext Rudolf Scharping:
"7. April. Die Auswertung des Operationsplanes ‚Hufeisen‘ liegt vor. Endlich haben wir den Beweis dafür, daß schon im Dezember 1998 eine systematische Säuberung des Kosovo und die Vertreibung der Kosovo-Albaner geplant worden war, mit allen Einzelheiten und unter Nennung aller dafür einzusetzenden jugoslawischen Einheiten."
KOMMENTAR:
Gab es diesen Hufeisenplan tatsächlich?
Wien, Sitz der OSZE. Von hier wurde die Beobachtung des Kosovo geleitet. Zuständig für die militärische Beratung damals: General a.D. Heinz Loquai aus Deutschland. Heute sein erstes Fernsehinterview:
0-Ton
HEINZ LOQUAI: (General a.D.)
"Man hat mir im Verteidigungsministerium bei einem ausführlichen Gespräch über den Hufeisenplan gesagt, es lag kein Plan vor, sondern was vorlag, war eine Beschreibung der Operationen der serbischen Polizei und des serbischen Militärs in einem Bürgerkrieg."
INTERVIEWER:
"Wo ist diese Grafik entstanden?"
HEINZ LOQUAI:
"Diese Grafiken sind entstanden im deutschen Verteidigungsministerium, das hat man mir jedenfalls gesagt."
KOMMENTAR:
Der schlimme Verdacht: Der Hufeisenplan wurde gar nicht in Belgrad, sondern in Bonn geschrieben. Und für diesen Verdacht spricht ein weiteres Dokument, das PANORAMA vorliegt. Es stammt aus dem Verteidigungsministerium: das Ausgangspapier des angeblich genau bekannten Hufeisenplans. Doch dort heißt es ausdrücklich, der Plan sei "in seinen Details nicht bekannt". Das Fazit des Generals ist vernichtend.
0-Ton
HEINZ LOQUAI:
"Ich kann nur sagen, daß der Verteidigungsminister bei dem, was er über den Hufeisenplan sagt, nicht die Wahrheit sagt."
KOMMENTAR:
Doch Scharping bleibt dabei, behauptet immer wieder, daß es diesen Hufeisenplan tatsächlich gebe.
0-Ton
RUDOLF SCHARPING: (5.4.2000)
"Ich habe gesagt, es gibt diesen Plan, und es gibt eine Fülle von Kenntnissen darüber, daß dieser Plan existiert. Und diese Kenntnisse sind alle durch die Realität bewiesen."
KOMMENTAR:
Aber vorlegen kann er ihn bis heute nicht. Dennoch: die Kritiker seien "böswillig und ahnungslos".
0-Ton
HEINZ LOQUAI:
"Ahnungslos war ich nicht. Ich habe sehr viele Berichte des Verteidigungsministeriums eingesehen. Ich habe alle OSZE-Berichte gehabt, und ich habe dieses sehr, sehr ausführliche und offene Gespräch im Verteidigungsministerium über den Hufeisenplan gehabt. Also ahnungslos war ich nicht."
KOMMENTAR:
Der General hat inzwischen eine Studie verfaßt. Gern hätte er aus all diesen internen Berichten zitiert, etwa denen der deutschen Botschaft in Belgrad.
0-Ton
HEINZ LOQUAI:
"Ich hatte gebeten, für meine Studie die Berichte der Botschaft in Belgrad verwenden zu können, sie zitieren zu dürfen. Dieser Bitte wurde nicht entsprochen, weil, wie man sagte, diese Berichte politisch zur Zeit zu sensitiv sind. Wenn man die Berichte der Experten zum Beispiel dem Bundestag präsentiert hätte, hätte der Bundestag ein anderes Bild gehabt, als er es tatsächlich hatte zur Zeit des Kriegsbeginns. Und ich weiß nicht, ob dann die Abstimmungen so eindeutig verlaufen wären."
KOMMENTAR:
Trotz allem: sicher ist eines: Die Serben haben zahllose Verbrechen im Kosovo begangen. Um so drängender die Frage: Warum reichten Scharping die Fakten nicht aus? Die Antwort nicht nur auf diese Frage wollte er PANORAMA nicht geben.
0-Ton
PROF. DIETER LUTZ:
(Inst. f. Friedensforschung und Sicherheitspolitik)
"Sieht man das Geschehen und auch die Aussagen von Scharping in der Gesamtschau, so muß man festhalten, daß er immer übertrieben hat, immer auch am Rande dessen war, was die Wahrheit ist, bis hin zu Falschaussagen, wenn wir den Hufeisenplan nehmen. Und ich glaube, es lässt sich damit erklären, daß er versucht hat, durch diese Übertreibungen und Überhöhungen sich selber unantastbar zu machen."
Abmoderation
PATRICIA SCHLESINGER:
Die Pressestelle des Verteidigungsministers war heute schwer beschäftigt. Mit einem Pauschal-Dementi versuchte sie, die Vorwürfe, die in unserem Film erhoben werden, zu entkräften. Sie seien schlichtweg falsch und widersprächen den Tatsachen, hieß es in einer Presseerklärung. Wer so tönt, muß sich die Frage gefallen lassen: Warum wollten Sie unsere Fragen nicht vor der Kamera beantworten, Herr Scharping?