2.06.2003

Noch'n Modell:
Die »Reform des Sozialstaats«
in Schweden

Vorbemerkung

Wie in so viele Publikationen ist beispielsweise im 'spiegel'
(20 / 2003, S. 40/41) unter der Überschrift: "Klare Verhältnisse: Schweden" folgendes Loblied zu lesen:

Briten, Niederländer und Schweden konnten ihre Sozialsysteme auch deshalb leichter renovieren, weil die Verfassungen politische Blockaden nicht zulassen. Konsens, Verhandlung und Integration kennzeichnen auch die schwedische Gesellschaft. Als normal gilt im Stockholmer Reichstag, dass eine Minderheitsregierung - die es in der Vergangenheit oft gegeben hat - von der Mehrzahl der Oppositionsparteien unterstützt wird.

Als der Sozialdemokrat Göran Persson 1994 das Finanzministerium übernahm und eineinhalb Jahre später Premierminister wurde, setzte er einen Sanierungskurs fort, den das konservative Vorgänger- Kabinett unter Carl Bildt eingeschlagen hatte - einträchtig schnürten Regierung und Opposition ein Sparpaket, in dem viele soziale Errungenschaften des Wohlfahrtsstaates geopfert wurden.

Die Regierung ist bei Abstimmungen im Vorteil: Um ein Gesetz zu verhindern, muss eine absolute Mehrheit gegen das von ihr vorgelegte Gesetz votieren. Und: Eine zweite Parlamentskammer kann der Regierung ohnehin nicht in die Quere kommen - so etwas gibt es in Schweden nicht.


Bundesfinanzminister Hans Eichel wird nicht müde, immer wieder im Fernsehen die Sanierung der schwedischen Staatsfinanzen durch die schwedische Regierung als Vorbild hinzustellen. Dabei verschweigt er entweder, wie diese Sanierung betrieben wird, oder er fällt selbst aus Mangel an hinreichenden Kenntnissen den üblichen sozialdemokratischen Illusionen zum Opfer.

Der Sozialabbau des 'Schwedischen Modells' begann als eine sich steigernde Salamitaktik bereits in den 70-iger Jahren, als zunächst die Bürgerrechte eingeschränkt wurden.

In Schweden gibt es nur eine allumfassende Krankenkasse, die der AOK in Deutschland vergleichbar ist. Die Beiträge - ca. 8,5 % des Bruttolohnes - werden mit der Lohnsteuer abgeführt und auf der Lohnsteuerkarte vermerkt, so daß jedermann/-frau seine gezahlten Beiträge kontrollieren kann. Die Kostenbeteiligung der Patienten für den Arztbesuch und die Medikamente waren früher unbedeutend; heute muß der Patient für jeden einzelnen Arztbesuch ca. 20 Euro bezahlen, obwohl er jahrzehntelang seinen Beitrag für die Versicherung gezahlt hatte. Zahnbehandlungen werden schon seit Jahren nicht mehr von der Krankenversichung gedeckt und die Patienten müssen fast die gesamten Kosten selbst tragen.

In den 80er Jahren platzten riesige Grundstücksspekulationen und mehreren der großen Banken drohte der Konkurs. Da sprang die Regierung ein und rettete die privaten Banken mit mehreren Milliarden Kronen auf Kosten des Staatshaushaltes und damit des arbeitenden Volkes. Diese "Vergesellschaftung" der Pleite und eine umfangreiche Währungsspekulation hatten drastische Abwertungungen der Krone zur Folge; zeitweilig erhöhte die Reichsbank den Diskontsatz auf 500 Prozent. Auch führte diese monetäre Finanzpolitik zu einer riesigen Staatsverschuldung, die im Juni 2000 1.315 Milliarden Kronen (ca. 150 Milliarden Euro) betrug. Die zehnfachen Bevölkerung Deutschlands gegenüber Schweden in Rechnung gestellt entspräche dies einer dreimal so hohen Pro-Kopf-Staatsverschuldung wie in Deutschland.

Seit dem Anschluß Schwedens an das System der EU 1990/91 versucht die Regierung, die Staatsverschuldung durch Ausverkauf des Volksvermögens an allerlei private Spekulanten zu verringern. Öffentliche Gebäude wie Schulen, Universitäten, Krankenhäuser, Gefängnisse, Polizeiwachen usw. wurden Aktiengesellschaften übereignet ; die öffentliche Hand muß hohe, "marktgerechte" Mieten zahlen - eine kurzfristige Lösung, die auf lange Sicht sehr kostspielig wird. Beispielsweise ist "Vasakronan AB" ihrem Geschäftsbericht für 1999 zufolge Eigentümer von öffentlichen Gebäuden im Wert von 27,2 Milliarden Kronen (ca. 3 Milliarden Euro) mit einem Mietaufkommen von 2,4 Milliarden Kronen.

Auch soll eine Rentenreform helfen, die Staatsverschuldung zu sanieren. Seit 1957 war in Schweden gegen die Stimmen der bürgerlichen Parteien eine ähnliche Angestellten- und Arbeiter-Rentenversicherung wie in Deutschland eingeführt worden, die 'Allmänna Tjänstepension, ATP'. Die Beiträge der Berufstätigen wurden von der staatlichen Behörde in Wertpapieren angelegt. Aus dieser Versicherung wurden - wie garantiert - auch die Renten für Witwen bis zu ihrem 65. Lebensjahr gezahlt. Im Jahre 1996 hob jedoch die sozialdemokratische Regierung mit Hilfe einer der bürgerlichen Parteien diese Garantie auf und entzog damit rund 52.000 Witwen die Rente, für die ihre Ehepartner Beiträge gezahlt hatten. Selbst in Fällen, wo bereits der rechtsgültige Bewilligungsbescheid gegeben worden war, wurde die Rente rückwirkend gestrichen. Gegenwärtig schwebt deshalb eine mehrfache Klage gegen diese Enteignung vor den Menschenrechtsinstanzen in Straßburg.

Mit der Überschriften "Geheime Beschlüsse senken Deine Rente" und "Das Pensionserbe wird veruntreut" enthüllen der bekannte Publizist Dr..Sven Lindqvist ('SDS', 14.05.2000) und der frühere Chef des Reichsversicherungsamtes KG.Scherman ('Moderna Tider', Mai 2000) einen extremen Rentenabbau, dessen Planung höchst diskret von der Regierung und ausgewählten Reichstagsabgeordneten unter Ausschluß der Öffentlichkeit betrieben worden war. Diese Rentenreform führt eine ganze Reihe von Verschlechterungen für sozial Schwache und für Frauen mit sich. Man spricht von mehreren "Fallen", in die Betroffene geraten werden: Eine längere Berufsausbildung (Studium), eine längere Zeit ohne regelmäßige Entlohnung (Künstler, Wissenschaftler), Pflegezeit für kranke Angehörige, Kindererziehung führen zu einer gesenkten Rente. Wenn bisher die 15 besten von 30 Einkommensjahren für die Höhe der Rente ausschlaggebend waren, sollen im neuen System alle Berufsjahre zwischen dem Alter von 16 bis 70 Jahren berechnet werden. Dies setzt aber die volle Berufstätigkeit zwischen dem 20. und 67. Lebensjahr voraus.

Der wirkliche Hammer ist jedoch folgendes: Noch 1991 waren sowohl das 'Reichsversicherungsamt' als auch die damalige sozialdemokratische Opposition der Meinung, daß eine notwendige Rentenreform im Rahmen des bisherigen 'ATP'-Systems möglich wäre. Heute hat die politische Klasse im Halbdunkel beschlossen, nicht nur das 'ATP'-System abzuschaffen, sondern auch den Allgemeinen Pensionsfond aufzulösen, in welchem das schwedische Volk seine zukünftigen Renten angespart hat. Zugunsten der maroden Staatskasse werden 258 Milliarden Kronen (ca. 26 Milliarden Euro) enteignet. Einige sprechen von staatlichem Diebstahl. Umgerechnet auf deutsche Verhältnisse entspräche dies in etwa, wenn Bundesfinanzminister Eichel 300 Milliarden Euro aus der Rentenversicherung zur Abdeckung der Staatsverschuldung der Staatskasse zuführen würde.

Ob Bundesfinanzminister Eichel dieses "Schwedische Modell" als Vorbild hat ?

Um einen Teil der verminderten Altersrente auszugleichen, sollen die Werktätigen, ähnlich wie in Deutschland geplant, mit privaten Fondverwaltern Aktiensparverträge abschließen. Die Arbeitgeber werden von diesen Lohnnebenkosten befreit und 4,5 Millionen Werktätige so von der Regierung gezwungen, Börsenspekulanten zu werden.

 

Reinhard Helmers

 

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