Sellafield soll 2010 stillgelegt werden
Ankündigungen kosten nichts, wissen professionelle PolitikerInnen. Und Ankündigungen sind zumal dann, wenn sie für
den Zeitraum nach dem Ende der laufenden Legislaturperiode gelten sollen, mit Vorsicht zu genießen. Das gilt für den
"rot-grünen" deutschen, ebenso wie für den vor noch längerer Zeit versprochenen schwedischen "Atom-Ausstieg" und
nicht minder für das aktuell in Großbritannien bekannt gewordene "Ende" der sogenannten Wiederaufarbeitungs- anlage
(WAA) in Sellafield. Bis 2010 soll die britische Plutonium- Schleuder weiterhin das Land in weitem Umkreis und die Irische
See radioaktiv verseuchen dürfen. Selbst in der Zeit des Abrisses wird die radioaktive Abgabe nicht unbedingt geringer, je
nach Kostenaufwand vielleicht sogar höher als heute sein.
Gebaut wurde die WAA Sellafield (damals noch unter dem Namen Windscale, der später aus Image-Gründen gewechselt
wurde) mit dem Versprechen von Milliardenprofiten. Doch schon damals war die eigentliche Triebfeder - wie in jedem
anderen Land auch, erinnert sei an Wackersdorf - der militärische "Neben"-Effekt, der Griff nach der Atombombe. Allein
von daher sind die Milliardenbeträge, die in die Entwicklung der Atomenergie flossen und die Frankreich in La Hague und
Großbritannien in Windscale steckte, zu erklären. Werden diese Summen in den Preis für die Kilowattstunde Atom-Strom
eingerechnet, stellt sich heraus, daß er um ein Vielfaches über dem aus Solarzellen gewonnenen Strom liegt. Dabei sind
die Kosten, die Tausende von Generationen durch eine ungelöste und niemals befriedigend zu lösende Verwahrung der
radioaktiven Abfälle, die euphemistisch "Entsorgung" genannt wird, noch gar nicht eingerechnet.
Wie mit den Kosten umgegangen werden soll, ist schon heute am Beispiel Sellafield zu erkennen. Es geht nach dem
Motto "Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren". Sellafields Betreiber BNFL hat mehr als 40 Milliarden Pfund
Schulden. Deshalb wird die Firma in Kürze auf Kosten der britischen SteuerzahlerInnen von einem "Amt für nukleare
Ausmusterung" übernommen.
Daß Sellafield derart gigantische Schulden einfuhr, liegt zum Teil an der mit rund 50 Prozent recht geringen
Kapazitätsauslastung der Anlage, die BNFL durch einen Betrugs-Skandal selbst verschuldete. Japanische
AKW-Betreiber hatten in Folge von 1999 aufgedeckten Fälschungen ihre Verträge gekündigt. Dies im Gegensatz
zur deutschen "rot-grünen" Bundesregierung. Atom-Minister Trittin hatte seinerzeit behauptet, Deutschland sei
durch "völkerrechtliche" Verträge gebunden, ohne diese jemals offen zu legen.
Die massiven Fälschungen der Atomfabrik Sellafield waren im Laufe des Jahres 1999 nur durch einen Zufall entdeckt
wurden. Statt vorgeschriebene Tests an wiederaufgearbeiteten Brenn-Elementen durchzuführen, wurden über lange Zeit
Meßprotokolle früherer Messungen kopiert und Computer mit erfundenen Zahlen gefüttert. Die kriminellen Machenschaften
wurden nicht etwa durch das Aufsichtspersonal aufgedeckt. Auch das Management stellte angeblich keine Fragen nach
der Korrektheit der an Kunden versandten "Qualitäts-Garantien". Irgendwann hatten japanische Atomtechniker die
auffälligen Zahlenübereinstimmungen bei Meßprotokollen verschiedener Lieferchargen bemerkt.
Als die Londoner Zeitung 'Independant' im September 1999 den Skandal publik machte, versuchte BNFL das Ganze
noch als harmlos herunterzuspielen. Und als ein japanischer Kunde bei Plutonium- Lieferungen im Dezember 1999
auf klaren Auskünften bestand, stritt der britische Atomkonzern BNFL zuerst noch ab, daß die fraglichen Lieferungen
von der "Panne" mit den Meßprotokollen betroffen seien. Erst als staatliche Inspektoren der Sache auf den Grund
gingen, mußte BNFL klein bei geben.
Kurze Zeit später bestätigte der staatliche Chef-Inspektor, daß seit 1996 "systematisch gefälscht" worden war. Die
Blair-Regierung sah sich genötigt, zumindest mit der Schließung der Atomfabrik Sellafield zu drohen. Doch bis heute
blieb es bei der Drohung. Vor diesem Hintergrund ist es die Frage, ob von einem "Ende" von Sellafield oder von einer
siebenjährigen Bestandsgarantie geredet werden kann.
Sellafield war von Anfang an eine Skandal-Atomfabrik, die - einzige bisherige Konsequenz- deshalb auch einmal
umgetauft wurde. Seit 1950, zunächst unter dem Namen Windscale betrieben, geriet sie des öfteren in die Schlagzeilen.
1957 geriet ein Plutoniumreaktor auf dem Gelände in Brand und außer Kontrolle. Die Löscharbeiten setzten erst nach drei
Tagen ein und dauerten 24 Stunden. Es wurden erhebliche Mengen an Radioaktivität frei. Ein Gebiet im Umkreis von drei
Kilometern wurde zum Sperrbezirk erklärt, der bald darauf auf das gesamte Küstengebiet ausgedehnt wurde. Eine
radioaktive Wolke verteilte sich über ganz England bis zum europäischen Festland. Tausende Arbeiter und Angestellte
waren radioaktivem Staub ausgesetzt.
Im September 1973 ereignete sich ein Unfall, bei dem es zu einer Explosion kam und 35 Arbeiter verseucht wurden. Im
Oktober 1976 wurde bekannt, daß ein Atomtank mehr als elf Jahre geleckt hatte und Abertausende Liter flüssigen
radioaktiven Mülls versickert waren - mit dem Wissen der Verantwortlichen. Mal fand sich das Schwermetall Tritium
am Strand, mal verschwanden 80 Kilogramm Plutonium spurlos.
Doch schon der "Normalbetrieb" der - weil es sich so schön nach Recycling anhört - als Wiederaufarbeitungsanlagen
bezeichneten Atomfabriken in La Hague (Frankreich) und Sellafield ist grauenerregend: Nach Angaben des 'World
Information Service on Energy' (WISE) in Paris gibt La Hague 40mal mehr Radioaktivität in die Umwelt ab als alle
439 weltweit betriebenen Atomreaktoren zusammen. So werden von La Hague jährlich 230 Millionen Liter radioaktiver
Flüssigmüll in den Ärmelkanal gepumpt und von Sellafield fließen jährlich 3.300 Millionen Liter radioaktiver Flüssigmüll
in die Irische See. Nach Berichten der EU wurden bislang rund 250 Kilogramm Plutonium in die Irische See abgeleitet.
Noch bei Kanada und in antarktischen Gewässern, bis in 200 Meter Tiefe, läßt sich Sellafields Radioaktivität nachweisen.
Die Leukämie-Rate bei Kindern ist in der unmittelbaren Umgebung der Anlagen signifikant erhöht.
Kein Grund zur Freude also, daß dies "nur" weitere sieben Jahre fortgesetzt werden soll. Auf unser aller Kosten. Mein
Kommentar: Blair und Schröder sollten besser heute als morgen zum Teufel (oder zum Filbinger) gejagt werden.
Adriana Ascoli