28.08.2003

Noch sieben Jahre
radioaktive Verseuchung?

Sellafield soll 2010 stillgelegt werden

Ankündigungen kosten nichts, wissen professionelle PolitikerInnen. Und Ankündigungen sind zumal dann, wenn sie für den Zeitraum nach dem Ende der laufenden Legislaturperiode gelten sollen, mit Vorsicht zu genießen. Das gilt für den "rot-grünen" deutschen, ebenso wie für den vor noch längerer Zeit versprochenen schwedischen "Atom-Ausstieg" und nicht minder für das aktuell in Großbritannien bekannt gewordene "Ende" der sogenannten Wiederaufarbeitungs- anlage (WAA) in Sellafield. Bis 2010 soll die britische Plutonium- Schleuder weiterhin das Land in weitem Umkreis und die Irische See radioaktiv verseuchen dürfen. Selbst in der Zeit des Abrisses wird die radioaktive Abgabe nicht unbedingt geringer, je nach Kostenaufwand vielleicht sogar höher als heute sein.

Gebaut wurde die WAA Sellafield (damals noch unter dem Namen Windscale, der später aus Image-Gründen gewechselt wurde) mit dem Versprechen von Milliardenprofiten. Doch schon damals war die eigentliche Triebfeder - wie in jedem anderen Land auch, erinnert sei an Wackersdorf - der militärische "Neben"-Effekt, der Griff nach der Atombombe. Allein von daher sind die Milliardenbeträge, die in die Entwicklung der Atomenergie flossen und die Frankreich in La Hague und Großbritannien in Windscale steckte, zu erklären. Werden diese Summen in den Preis für die Kilowattstunde Atom-Strom eingerechnet, stellt sich heraus, daß er um ein Vielfaches über dem aus Solarzellen gewonnenen Strom liegt. Dabei sind die Kosten, die Tausende von Generationen durch eine ungelöste und niemals befriedigend zu lösende Verwahrung der radioaktiven Abfälle, die euphemistisch "Entsorgung" genannt wird, noch gar nicht eingerechnet.

Wie mit den Kosten umgegangen werden soll, ist schon heute am Beispiel Sellafield zu erkennen. Es geht nach dem Motto "Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren". Sellafields Betreiber BNFL hat mehr als 40 Milliarden Pfund Schulden. Deshalb wird die Firma in Kürze auf Kosten der britischen SteuerzahlerInnen von einem "Amt für nukleare Ausmusterung" übernommen.

Daß Sellafield derart gigantische Schulden einfuhr, liegt zum Teil an der mit rund 50 Prozent recht geringen Kapazitätsauslastung der Anlage, die BNFL durch einen Betrugs-Skandal selbst verschuldete. Japanische AKW-Betreiber hatten in Folge von 1999 aufgedeckten Fälschungen ihre Verträge gekündigt. Dies im Gegensatz zur deutschen "rot-grünen" Bundesregierung. Atom-Minister Trittin hatte seinerzeit behauptet, Deutschland sei durch "völkerrechtliche" Verträge gebunden, ohne diese jemals offen zu legen.

Die massiven Fälschungen der Atomfabrik Sellafield waren im Laufe des Jahres 1999 nur durch einen Zufall entdeckt wurden. Statt vorgeschriebene Tests an wiederaufgearbeiteten Brenn-Elementen durchzuführen, wurden über lange Zeit Meßprotokolle früherer Messungen kopiert und Computer mit erfundenen Zahlen gefüttert. Die kriminellen Machenschaften wurden nicht etwa durch das Aufsichtspersonal aufgedeckt. Auch das Management stellte angeblich keine Fragen nach der Korrektheit der an Kunden versandten "Qualitäts-Garantien". Irgendwann hatten japanische Atomtechniker die auffälligen Zahlenübereinstimmungen bei Meßprotokollen verschiedener Lieferchargen bemerkt.

Als die Londoner Zeitung 'Independant' im September 1999 den Skandal publik machte, versuchte BNFL das Ganze noch als harmlos herunterzuspielen. Und als ein japanischer Kunde bei Plutonium- Lieferungen im Dezember 1999 auf klaren Auskünften bestand, stritt der britische Atomkonzern BNFL zuerst noch ab, daß die fraglichen Lieferungen von der "Panne" mit den Meßprotokollen betroffen seien. Erst als staatliche Inspektoren der Sache auf den Grund gingen, mußte BNFL klein bei geben.

Kurze Zeit später bestätigte der staatliche Chef-Inspektor, daß seit 1996 "systematisch gefälscht" worden war. Die Blair-Regierung sah sich genötigt, zumindest mit der Schließung der Atomfabrik Sellafield zu drohen. Doch bis heute blieb es bei der Drohung. Vor diesem Hintergrund ist es die Frage, ob von einem "Ende" von Sellafield oder von einer siebenjährigen Bestandsgarantie geredet werden kann.

Sellafield war von Anfang an eine Skandal-Atomfabrik, die - einzige bisherige Konsequenz- deshalb auch einmal umgetauft wurde. Seit 1950, zunächst unter dem Namen Windscale betrieben, geriet sie des öfteren in die Schlagzeilen. 1957 geriet ein Plutoniumreaktor auf dem Gelände in Brand und außer Kontrolle. Die Löscharbeiten setzten erst nach drei Tagen ein und dauerten 24 Stunden. Es wurden erhebliche Mengen an Radioaktivität frei. Ein Gebiet im Umkreis von drei Kilometern wurde zum Sperrbezirk erklärt, der bald darauf auf das gesamte Küstengebiet ausgedehnt wurde. Eine radioaktive Wolke verteilte sich über ganz England bis zum europäischen Festland. Tausende Arbeiter und Angestellte waren radioaktivem Staub ausgesetzt.

Im September 1973 ereignete sich ein Unfall, bei dem es zu einer Explosion kam und 35 Arbeiter verseucht wurden. Im Oktober 1976 wurde bekannt, daß ein Atomtank mehr als elf Jahre geleckt hatte und Abertausende Liter flüssigen radioaktiven Mülls versickert waren - mit dem Wissen der Verantwortlichen. Mal fand sich das Schwermetall Tritium am Strand, mal verschwanden 80 Kilogramm Plutonium spurlos.

Doch schon der "Normalbetrieb" der - weil es sich so schön nach Recycling anhört - als Wiederaufarbeitungsanlagen bezeichneten Atomfabriken in La Hague (Frankreich) und Sellafield ist grauenerregend: Nach Angaben des 'World Information Service on Energy' (WISE) in Paris gibt La Hague 40mal mehr Radioaktivität in die Umwelt ab als alle 439 weltweit betriebenen Atomreaktoren zusammen. So werden von La Hague jährlich 230 Millionen Liter radioaktiver Flüssigmüll in den Ärmelkanal gepumpt und von Sellafield fließen jährlich 3.300 Millionen Liter radioaktiver Flüssigmüll in die Irische See. Nach Berichten der EU wurden bislang rund 250 Kilogramm Plutonium in die Irische See abgeleitet. Noch bei Kanada und in antarktischen Gewässern, bis in 200 Meter Tiefe, läßt sich Sellafields Radioaktivität nachweisen. Die Leukämie-Rate bei Kindern ist in der unmittelbaren Umgebung der Anlagen signifikant erhöht.

Kein Grund zur Freude also, daß dies "nur" weitere sieben Jahre fortgesetzt werden soll. Auf unser aller Kosten. Mein Kommentar: Blair und Schröder sollten besser heute als morgen zum Teufel (oder zum Filbinger) gejagt werden.

 

Adriana Ascoli

 

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