Alstom-Konzern steht auf der Speisenkarte
Während die französische Regierung noch eine echt konservative nationalistische Wirtschaftspolitik verfolgt, liegt die "rot-grüne" deutsche Bundesregierung mit ihrer neo-liberalen Witschaftspolitik voll im Globaliesierungs-Trend. Insgeheim hatte sie darauf gehofft, daß die französische Regierung sich für das deutsche Entgegenkommen bei der Übernahme von Aventis durch Sanofi erkenntlich zeigen und Siemens im Gegenzug frei Bahn bei der Fusion mit Alstom geben würde. Vorgeblich geht es der französischen Regierung um den Erhalt von Arbeitsplätzen, doch ganz offensichtlich dient sie eher national ausgerichteten Konzernen, während Siemens, DaimlerChrysler oder VW längst echte global player sind, für die "Rot-Grün" nur ein Domestik unter vielen darstellt.
Kurzer Rückblick auf den Sanofi-Aventis-Deal:
Sanofi ist ein Newcomer unter den europäischen Pharma-Konzernen. In seiner erst 30-jährigen Firmengeschichte stieg Sanofi-Synthélabo (unter diesem Namen seit einer Fusion 1998) von Null in die Top Ten der Pharma-Weltrangliste auf. Nach der "feindlichen Übernahme" des Branchenriesen Aventis wird der neue Konzern auf Platz 3 verortet und ist Europas größter Pharma-Konzern. Auf dem Weg nach oben hat der Sanofi-Konzern bereits rund 300 kleinere Firmen verschluckt, bevor er zur Übernahme des bei weitem größeren Aventis-Konzerns ansetzte. An Geld mangelte es dem kleineren der beiden, der in 2003 bereits ebenso viel Gewinn gemacht hatte wie Aventis, keinesfalls.
Im Januar dieses Jahres wurde in den Wirtschaftsredaktionen noch über dieses freche Ansinnen gelächelt. Drei Monate lang versuchten die Aventis-Manager den kleinen Angreifer Angreifer mit Anwälten und Alternativangeboten abzuschrecken. Jean-François Dehecq, der Chef von Sanofi, hatte allerdings die Politik auf seiner Seite. Der Mann, der zu offiziellen Anlässen den Orden der französischen Ehrenlegion trägt, ließ ungeniert seine Freundschaft zum französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac spielen. "Frankreich benötigt starke Unternehmen, die auf dem Weltmarkt konkurrieren können", erklärte bereits im Januar der französische Wirtschaftsminister Francis Mer. Und Premierminister Jean-Pierre Raffarin sagt rundheraus: "Wir wollen rund um große Einheiten eine europäische Industriepolitik schaffen, in der Frankreich eine starke Rolle spielen kann"
Zwischenzeitlich schien es, als wolle der Schweizer Pharma-Riese Novartis sich über Aventis hermachen - das verstärkte die nationalistischen Aufwallungen und die völlig irrationale Befürchtung wurde aufgebauscht, Sanofi könne "von den Schweizern" gleich mitverschluckt werden. Wie auch immer dies möglich war, wird vermutlich nie zu klären sein; zwei Tage nachdem die französische Regierung mit den Chef-Managern von Aventis und Daniel Vasella, dem Chef von Novartis (mit zuletzt 12,4 Millionen Dollar Jahres-Salär der bestverdienende Manager der Welt) konferiert hatte, konnte Sanofi den Aventis-Aufsichtsräten am 2. Mai ein aufgebessertes Angebot vorlegen, das diese umgehend annahmen.
In Frankreich gab es von Regierungsseite und von den entsprechend eingestellten Massenmedien Applaus. Und Sanofi-Chef Jean-François Dehecq meinte dazu treuherzig: "Wenn die Politik dabei hilft, das größte europäische, Pharmaunternehmen zu schaffen, dann ist diese Politik nicht schlecht."
In Deutschland regte sich prompt nationalistische Kritik: Hessens Ministerpräsident Roland Koch machte mal wieder auf Populismus, obwohl er sich ansonsten wirtschaftspolitisch eher als Widersacher der Merkel-Stoiber-Bande und Befürworter von Privatisierung und Globalisierung in der Union zu profilieren sucht. Allerdings sollen sich rund um Frankfurt 8.000 bis 9.000 Aventis-Mitarbeiter um ihre Zukunft besorgt gezeigt haben und ihnen wurde eine Kritik an "Rot-Grün" in den Mund geschoben, nach der sie ein Engagement der Bundesregierung vermißt hätten. Und die 'Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz' jammerte: "Diese Einmischung der französischen Regierung ist wirklich nicht das, was wir uns unter freier Marktwirtschaft vorstellen." Doch bisher hatte auch Koch wohlwollend zu den europäischen Elefanten-Hochzeiten geschwiegen; beispielsweise als vor fünf Jahren die bis dahin in Frankfurt ansässige Höchst AG mit dem französischen Wettbewerber Rhône-Poulenc fusionierte. Seither liegt der Firmensitz in Frankreich.
Inzwischen ist auch Wirtschaftsminister Clement auf den national-populistischen Zug des hessischen Ministerpräsidenten aufgesprungen: Er wirft der französischen Regierung "Staatsinterventionismus" vor. Dies nun allerdings im aktuellen Falle des Fusionskampfes zwischen Siemens und Alstom, den die französische Regierung durch Staatsbeihilfen für Alstom zu beeinflussen sucht. "Rot-Grün" kämpft hier im Dienste eines der größten Atom-Giganten, der sich den ins Straucheln gekommenen französischen Konzern zu einem Schnäppchen-Preis einverleiben will. Gelänge Siemens dieser Deal, entstünde ein neues Monopol in Europa
Die EU-Kommission entscheidet voraussichtlich diese Woche, ob die geplante milliardenschwere Staatshilfe für den französischen Bahn-, Werft- und Elektrotechnik-Konzern Alstom zulässig ist. Allein 2003 hatte die staatliche Finanzspritze für Alstom ein Volumen von 3,2 Milliarden Euro. Dies widerspricht zwar offensichtlich den europäischen Richtlinien liberaler Wirtschaftspolitik; doch die französische Regierung kann sich im Europa-Wahlkampf keine Schlappe erlauben und so wird damit gerechnet, daß Brüssel in diesem Falle nachgeben muß. Alstom ist ein zentrales Wahlkampfthema in Frankreich, und die Europawahlen werden als entscheidend für die Regierung angesehen. Gibt es erneut eine Schlappe wie bei den Regionalwahlen im März, dann sind die Tage von Premierminister Jean-Pierre Raffarin gezählt. Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Auch nach einer solchen Entscheidung Brüssels für die Stützung von Alstom kann - wie die Geschichte mit Sanofi-Aventis zeigt - schon in einigen Monaten auch Alstom für die Fusion reif sein.
Für Siemens ist Alstom nicht nur im Bereich Bahntechnik interessant - ICE und TGV könnten in Zukunft verschmolzen werden - zentral ist das Interesse am Kernbereich Turbinen-Bau. So könnte Siemens nach der Fusion mit Alstom als global player mit dem US-Konzern General Electric konkurrieren. Und um diese Pläne durchzusetzen, wird Siemens auch nicht vor einer Klage gegen eine pro-französische Entscheidung der EU-Kommission zurückschrecken. Kenner geben einer solchen Klage schon heute große Erfolgschancen.
Harry Weber