31.03.2005

Offener Brief

Gedenkfeier Buchenwald:
Sinti und Roma
nicht vertreten

Offener Brief des Vorsitzenden des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, an Bundeskanzler Gerhard Schröder und den Ministerpräsidenten des Landes Thüringen, Herrn Dieter Althaus

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident,

ich bitte um Verständnis, dass ich mich wegen der zentralen Gedenkfeier zum 60. Jahrestag der Befreiung der nationalsozialistischen Konzentrationslager im Nationaltheater Weimar am 10. April 2005 auf diesem Weg an Sie wende.

Wie nun bekannt wurde, wird unserem Wunsch, einen Repräsentanten aus unserer Minderheit als Redner für diesen Gedenkakt einzuladen, nicht entsprochen. Die Entscheidung, für diesen wohl letzten bedeutenden historischen Jahrestag, an dem Überlebende teilnehmen können, lediglich Vertreter der jüdischen Opfer sowie der politisch Verfolgten als Redner zu laden, jedoch unseren Opfern die Stimme zu verweigern, hat vor allem bei unseren alten Menschen Unverständnis und Empörung ausgelöst. Damit wird eine unrühmliche Tradition bundesdeutscher Erinnerungspolitik fortgesetzt, nämlich Sinti und Roma aus dem offiziellen Gedenken auszuschließen oder sie allenfalls als Fußnote zum Völkermord an den Juden zu erwähnen. Eine würdige und wahrhaftige Erinnerung an die Opfer der nationalsozialistischen Menschheitsverbrechen ist jedoch unteilbar.

Sie, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, haben in Ihrer damaligen Eigenschaft als Bundesratspräsident anlässlich der Gedenkstunde für unsere Holocaust-Opfer am 19. Dezember 2003 gesagt: "Die Erinnerung an das Schicksal der Sinti und Roma im Nationalsozialismus hat ihre eigene Berechtigung, und das Gedenken an ihre Toten und Geschundenen besitzt seine eigene Würde. Es ist von keiner anderen Verfolgtengruppe geborgt und abgeleitet. Der Völkermord an den Sinti und Roma stellt ein historisches Faktum von unabhängiger Relevanz dar, der nicht übersehen oder verleugnet werden darf, und mit dessen Ursachen und Folgen wir uns auch künftig auseinandersetzen müssen."

Die polnische Regierung hat es als selbstverständlich erachtet, mich als einen der Hauptredner zur zentralen Gedenkfeier im Staatlichen Museum Auschwitz am 27. Januar einzuladen. Während die ehemalige Präsidentin des EU-Parlaments Simone Veil und der israelische Staatspräsidenten Katzav der 6 Millionen ermordeten Juden gedachten, habe ich in meiner Ansprache stellvertretend für die nationalen Roma-Minderheiten an die 500.000 Angehörigen unserer Minderheit erinnert, die im nationalsozialistisch besetzten Europa dem Völkermord zum Opfer fielen.

Sechzig Jahre nach der Befreiung der nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslager wäre es auch international ein fatales Signal, wenn in dem Land, von dem aus der Völkermord seinen Ausgang nahm, Sinti und Roma von dem offiziellen Gedenkakt der Bundesrepublik im Nationaltheater Weimar ausgeschlossen blieben. Allein im KZ Buchenwald und seinen Außenlagern wurden mehrere Tausend Angehörige unserer Minderheit gequält und ermordet. Es gibt kaum ein Konzentrationslager, an dem nicht auch Sinti und Roma Opfer tiefster Menschenverachtung wurden.

Die historische Dimension dieser Verbrechen brachte der damalige Bundespräsident Roman Herzog unmissverständlich zum Ausdruck, als er anlässlich der Eröffnung unseres Heidelberger Dokumentationszentrums am 16. März 1997 sagte: "Der Völkermord an den Sinti und Roma ist aus dem gleichen Motiv des Rassenwahns, mit dem gleichen Vorsatz und dem gleichen Willen zur planmäßigen und endgültigen Vernichtung durchgeführt worden wie der an den Juden. Sie wurden im gesamten Einflussbereich der Nationalsozialisten systematisch und familienweise vom Kleinkind bis zum Greis ermordet."

Wir begrüßen es, dass der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland und ein jüdischer Überlebender an die Leiden der jüdischen Opfer erinnern. Unsere alten Menschen, die bis heute seelisch und körperlich von der erlittenen Verfolgung gezeichnet sind, werden diese Gedenkfeier im Fernsehen mitverfolgen. Sie werden es der deutschen Politik nicht verzeihen, wenn unserer Minderheit eben dieses Recht verweigert wird.

Sie, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, haben eine Verpflichtung gegenüber allen Opfern der nationalsozialistischen Völkermordverbrechen. Ich richte deshalb noch einmal den eindringlichen Appell an Sie und an Herrn Ministerpräsidenten Althaus, die getroffenen Entscheidungen zu revidieren und dafür Sorge zu tragen, dass die Sinti und Roma an diesem bedeutenden historischen Jahrestag nach Jahrzehnten des Verdrängens der an ihnen begangenen Verbrechen endlich eine eigene Stimme erhalten.

Mit freundlichen Grüßen

 

Romani Rose

 

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