26.02.2007

Sozialabbau
und Globalisierung

Wird der Sozialabbau fortgesetzt, bis wir auf dem sozialen Niveau von China angekommen sind?

Es ist nur eine kleine Minderheit, die von der Globalisierung profitiert. Global betrachtet: Eine verschwindende Minderheit. Diese Minderheit macht allerdings keine Anstalten zu verschwinden.

Mit Ausnahme kurzer Perioden wie zuletzt der 50er- und 60er-Jahre des letzten Jahrhunderts hat vom Kapitalismus seit dessen Beginn im 19. Jahrhundert nur eine kleine Minderheit profitiert. Und wenn zeitweise die unteren Zweidrittel am wachsenden Wohlstand partizipieren konnten - dann allerdings nur in den Industrieländern in Europa, in den USA, Kanada und Japan.

Mit der Globalisierung geht eine ungeheure Zunahme der Verflechtungen und der Konzentration der globalen Wirtschaft einher, während insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent in den letzten Jahrzehnten Hunger und Elend wieder zugenommen haben. Einmal vorhandene positive Ansätze wurden mit eiserner Faust zerschlagen. Der Grund: Die Gier nach Rohstoffen und keinesfalls ethnische Konflikte wie es uns die westlichen Mainstream-Medien wieder und wieder einzureden versuchen. Ethnische Konflikte werden allerdings gerne benutzt, um die Menschen in den rohstoffreichen Ländern gegeneinander auszuspielen und mit neokolonialen Methoden Marionetten-Regimes einzusetzen - wie zuletzt in der "Demokratischen Republik Kongo" mit Joseph Kabila.

Die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel konzentriert sich bei immer weniger Personen. Ob diese deshalb ein besseres Leben führen, möchte ich ausdrücklich in Frage stellen. Doch die herrschenden Eliten davon überzeugen zu wollen, daß auch ihr Dasein im Grunde elend ist, dürfte höchstwahrscheinlich aussichtslos sein. Aber dieser Aspekt gehört nicht hierher. Mit Vernunft war den Mächtigen noch nie beizukommen. Wie der frühere CDU-Generalsekretär Heiner Geißler vor zwei Jahren einmal ganz richtig bemerkte: Die Gier zerfrißt die Hirne der Herrschenden.

Zugleich mit einem gigantischen Zuwachs der Produktionsmittel wird in den Industrieländern seit zwanzig Jahren mit zunehmendem Tempo der Sozialabbau exekutiert. Wir sitzen zwar - wie die Linke immer so schön formuliert - "objektiv" am längeren Hebel: Überspitzt gesagt: Gäbe es Demokratie, würde der Kapitalismus abgeschafft.

Und nicht nur, daß wir bei weitem in der Überzahl sind, ist ein "objektiver" Fakt. Ein weiterer Fakt, der uns eigentlich Mut machen müßte ist: Der Kapitalismus ist ein Goliath auf tönernen Füßen. Von Beginn an beruhte der Kapitalismus auf der rücksichtslosen Ausbeutung der Ressourcen - am Anfang: Kohle.
Heute ist mit großem Abstand vor allen anderen Energieträgern Rohöl der Lebenssaft der die Rädchen des Getriebes antreibt. Ein Ersatz, der sich ebenso gut zentral kontrollieren ließe, ist nicht in Sicht. Das ist der alleinige Grund, warum das US-Kapital gezwungen war, den Irak zu annektieren, wenn es seine globale Vormachtposition nicht verlieren wollte.

Solare und regenerative Energien lassen sich überall gewinnen, dezentral einsetzen und entziehen sich daher der Kontrolle einer Zentralmacht, wenn sie sich einmal aus ihrem Nischen-Dasein befreit haben. Sie könnten die Energieträger eines demokratischen Zeitalters werden. Deshalb werden sie vom Kapital gehaßt, mit allen Mitteln blockiert und gebremst. Jedoch: Der Kapitalismus ist auf dem absteigenden Ast, seitdem zur Jahrtausendwende der Peak-Oil, der Zenit der globalen Erdölförderung überschritten wurde. Vorerst nur sehr sacht, dann aber entsprechend der bekannten Gaußschen Glockenkurve mit zunehmendem Tempo geht dem kapitalistischen Goliath der Lebensaft aus. Ein Grund zur Hoffnung? Für das Klima und für ein menschenwürdiges Überleben auf diesem Planeten könnte sich die Anämie des Kapitalismus als zu langsam erweisen.

Ein Grund, warum wir trotz aller "objektiven" Fakten zur Zeit dem Fortschreiten der Globalisierung ohnmächtig zuschauen müssen, liegt darin, daß wir völlig zersplittert sind. Immer weniger aus dem unteren Zweidrittel in Deutschland haben überhaupt noch Arbeit. Und: Ein Arbeitsplatz und damit die Möglichkeit zum Streik ist mit Abstand der wirkungsvollste Hebel, mit dem der Macht, die auf der Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel beruht, Paroli geboten werden kann. Die Gewerkschaften haben zudem lange Zeit die Interessen der Erwerbslosen, der RentnerInnen, der StudentInnen und Auszubildenden, der kleinen Gewerbetreibenden und der Ich-AG-Menschen mißachtet. Erst seitdem zu Beginn 2006 weniger Menschen gewerkschaftlich organisiert sind als es Erwerbslose gibt - auf der einen unter 7 Millionen - auf der anderen Seite: über 7 Millionen - scheint an der Gewerkschaftsspitze ein Umdenken einzusetzen.

Nachdem in den 70er-Jahren Bürgerinitiativen große Erfolge erzielen konnten, hat sich dieser Hebel zur gesellschaftlichen Veränderung mehr und mehr als wirkungslos erwiesen. PolitikerInnen lassen sich heute nicht mehr von Großdemonstrationen beeindrucken. Die Drohung, am Wahlsonntag das Kreuzchen an einer anderen Stelle zu machen zieht nicht mehr, seit die schwarz-rot-gelb-grüne Einheitspartei im Bundestag alle "Querulanten" ausgeschieden hat, die sich dem neoliberalen Einheitsprogramm nicht vorbehaltlos anschließen wollten. Und die WählerInnen merken ihre absolute Ohnmacht daran, daß die Parteioberen sich frech zu Wahlsiegern erklären, auch wenn ihre Partei real nicht einmal mehr die 20-Prozent-Grenze überschreitet.

Zeitweilig hatte sich die Hoffnung auf KonsumentInnen-Organisationen gerichtet. Doch solche Organisationen konnten noch in keinem einzigen Fall ihre Mitglieder zu einer wirkungsvollen Kampagne führen. Bezeichnender Weise wurde eine der wenigen erfolgreichen Kaufboykott-Aktionen in der deutschen Geschichte - der Shell-Boykott - von Greenpeace, einer Umwelt-Organisation getragen. Funktioniert hat es, weil eine hochmotivierte Mitgliedschaft mit einem weite Kreise überzeugenden - umweltpolitischen - Ziel genügend Energie einbrachte. KonsumentInnen-Organisationen jedoch sind viel zu heterogen, als daß sie eine solche gebündelte Energie entfalten könnten. Auch wenn "alle" beispielsweise über steigende Gaspreise klagten - allzu viele wußten ganz genau, daß sie mit steigenden Preisen mehr gewinnen als verlieren. Und nicht zufällig sitzen deren RepräsentantInnen an den Schaltstellen der KonsumentInnen-Organisationen.

Das gleiche Bild bietet sich bei den RentnerInnen: Während die überwiegende Mehrheit der RentnerInnen in Deutschland unter der Armutsgrenze lebt, haben sie es bisher nicht geschafft, sich wirkungsvoll zu organisieren. Verhindert wird dies letztlich durch die Minderheit der reichen RentnerInnen.

Und wie sieht es bei den LandwirtInnen aus? Nicht anders. Während von Jahr zu Jahr Zehntausende aufgeben müssen, vertritt der deutsche Bauernverband mit seinem Vorsitzenden Sonnleitner ganz eindeutig die Interessen der kleinen Minderheit großbäuerlicher Massenbetriebe, die überdies mit EU-Subventionen überschüttet werden.

Eine weitere Zersplitterung ganz anderer Art müssen wir realisieren, wenn wir uns die Situation der ArbeiterInnen in China, in Indien oder gar in Afrika vor Augen führen. Es ist den europäischen Gewerkschaften ja bis heute noch nicht einmal gelungen, sich auf diesem Kontinent zu einer aktionsfähigen Einheit zusammenzuschließen. Wir hinken dem Zusammenschluß des Kapitals zu multinationalen Konzernen meilenweit hinterher. Beim Opel-Streik im Herbst 2005 machte sich die mangelnde Solidarität, die sich auf verbale und symbolische Akte bei GM-Beschäftigten verschiedener europäischer Zweigwerke beschränkte, schmerzlich bemerkbar.

Ein weiterer Aspekt - und das scheint mir noch wichtiger - ist der des Bewußtseins. Leider ist das Bewußtsein, wie wichtig Solidarität ist, wenig verbreitet - und leider denkt die überwiegende Mehrheit der Deutschen national. Das ist in den anderen europäischen Ländern nicht viel anders. Allzu leicht lassen sich die Menschen ausspielen gegen "die Polen" oder "die Chinesen", die angeblich unsere Arbeitsplätze gefährden...

Dieses mangelnde Problembewußtsein wird sich jedoch erst in sozialen Kämpfen - und ich befürchte, in sehr langwierigen - allmählich verändern. Und es trägt sicherlich nicht zu einer Schärfung des Bewußtseins bei, wenn sich die Linke heute leider überwiegend scheut, sich als antikapitalistisch zu bezeichnen. Ja, ein großer Teil hat offenbar sogar das Problem, sich überhaupt nicht als antikapitalistisch zu begreifen.

Ich komme nun zur Eingangsfrage:
Wird der Sozialabbau fortgesetzt, bis wir auf dem sozialen Niveau von China angekommen sind?

Ich bin kein Prophet. Ich kann nur sagen: Wenn sich keine kämpferische Solidarität - und zwar in globalem Maßstab - entwickelt, kann es passieren, daß das soziale Niveau noch unter das des heutigen China absinkt. Wir dürfen nicht damit rechnen, daß das Kapital uns, wenn wir wehrlos sind, aus Mitleid ein soziales Niveau wie in China gewährt. In China werden noch massenweise Arbeitskräfte benötigt - das kann sich schnell ändern, wie wir nur zu gut wissen. Wenn wir die zunehmend beschleunigte Talfahrt nicht stoppen können, steht uns ein Schicksal bevor wie das der überwiegenden Mehrheit der Menschen in Afrika.

Um das Bewußtsein zu heben, ist auch politische Arbeit nötig. Aber ich warne ausdrücklich vor Voluntarismus. Es genügt nicht, eine Veränderung zu wollen - wir müssen auch studieren, wie wir diese Veränderung am besten beschleunigen können.

Um die gegenwärtig verbreitete Resignation zu überwinden, ist es unbedingt nötig, eine Perspektive aufzuzeigen. Ich glaube nicht, daß das Wort Sozialismus als Zielvorstellung taugt. Allzusehr ist der Begriff Sozialismus auch heute noch mit den bürokratischen Diktaturen verknüpft, die seit der Oktoberrevolution den Ostblock beherrschten. Auch dort hatte nur eine Minderheit, kleine bürokratische Cliquen, die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel. Das Wort von den "volkseigenen Betrieben" war nichts anderes als eine Lüge.

In Südamerika begeben sich die Staats-Chefs Hugo Chavez in Venezuela und Evo Morales in Bolivien wieder auf diesen Irrweg. Sie haben zumindest die Verstaatlichung von Schlüsselsektoren der Wirtschaft angekündigt. Chavez hat Anfang dieses Jahres die Erdölindustrie im Orinoco-Delta, Stromunternehmen und den Telefon-Konzern CANTV verstaatlicht. Morales hat im letzten Jahr den Gassektor in Bolivien verstaatlicht und die Schweizer Firma Glencore enteignet, in dessen Besitz der Metall-verarbeitende Vinto-Komplex war. Sie scheinen damit zumindest einen anderen Weg einzuschlagen als Brasiliens Präsident Lula, der lange von Attac und Teilen der europäischen Linken als sozialistischer Visionär gefeiert wurde, sich dann aber als Neoliberaler entpuppte.

Auf dem Weg der Verstaatlichungen werden sie jedoch zwangsläufig scheitern. Zentralisierte wirtschaftliche Macht - und damit die Grundlage jeglicher Machtausübung - läßt sich niemals demokratisieren. Solange die Produktionsmittel nicht wirklich demokratisiert werden, wechselt lediglich die kleine Clique derjenigen, die die Verfügungsgewalt besitzt - der Rechtstitel ist nur ein Stück Papier. Es ist tragisch, wenn Völker darunter leiden müssen, daß Versuche wiederholt werden, die historisch - ebenso wie der Kapitalismus - ganz offensichtlich gescheitert sind.

Ebenso mußte der überwiegende Teil des chilenischen Volks unter dem bereits zu Zeiten des Diktators Pinochet begonnen und unter verschiedenen Regierungen fortgesetzten neoliberalen Wirtschaftsexperiment leiden. Ein eindrückliches Beispiel wie sich in Zeiten des "Anything goes" der im 19. Jahrhundert noch kristallklare Begriff Sozialismus in Beliebigkeit aufgelöst hat, bietet die Karriere der "Sozialistin" Michelle Bechelet. Unter einer "konservativen" Regierung war sie Rüstungsministerin und verwaltete wachsende Militäretats, während gleichzeitig der Sozialetat geschrumpft wurde und der chilenische Sozialabbau nicht zuletzt auf Kosten der Frauen ging. Nun firmiert sie als "sozialistische" Präsidentin Chiles und gilt als Feministin. Die französische Präsidentschafts-Kandidatin Ségolène Royal, die für die gleiche neoliberale Politik wie Bechelet eintritt, bezeichnet sich ebenfalls als Sozialistin. Es ist schaurig mitanzusehen, daß heute große Teile der Linken soweit heruntergekommen sind, gleichzeitig Ségolène Royal UND Hugo Chavez zu ihren Idolen zu erheben.

Und zugleich sind Beispiele wie es sie auch in Deutschland gab - ich nenne die Glashütte Süßmuth - bei denen ArbeiterInnen und Angestellte den Betrieb in Eigenregie übernahmen, weitgehend in Vergessenheit geraten. Die linke Debatte müßte sich darauf konzentrieren, was wir aus diesen Beispielen lernen können, was daran verbessert werden muß und wie die Demokratisierung der Produktionsmittel konkret realisiert werden kann. Nur so - mit der Entwicklung einer konkreten Utopie - kann die Linke einen Weg in eine lebenswerte Zukunft weisen.

Um hier nicht als Vertreter des vielfach mißbrauchten Begriffs eines "dritten Weges" mißverstanden zu werden: Auch der Begriff Marktwirtschaft ist eine Lüge und nichts anderes als ein Mittel der Propaganda. Der frühe Liberalismus - ebenso wie der Neo-Liberalismus - argumentiert mit der Fiktion des freien (daher die Besetzung des Begriffs "liberal") Individuums auf dem Markt. Unterschoben wird dabei die begriffliche Assoziation des bäuerlichen Gemüsemarkts oder des Tauschmarkts des Mittelalters. Keiner der in ihrer wechselnden Funktion als Angebot und Nachfrage auftretenden Individuen kann das andere beherrschen - der Preis der Waren bildet sich zum gemeinsamen Nutzen aller Beteiligten. Dies funktioniert viel besser als es irgend ein bürokratisches Entscheidungsgremium je könnte - soweit die ökonomische Theorie. Die Realität sieht anders aus: Auf dem wichtigsten Markt, dem sogenannten Arbeitsmarkt, hat das "freie Spiel von Angebot und Nachfrage" seit Beginn des Kapitalismus noch nie funktioniert. Stehen diejenigen, die ihre Arbeit anbieten müssen, jenen isoliert gegenüber, die über die Produktionsmittel verfügen, sind sie wegen des Machtgefälles schlicht und einfach ausgeliefert. In der Regel - und dies heute fast wieder in dem Ausmaß wie zu Zeiten des Frühkapitalismus - steht ein überreichliches Angebot einer geringen Nachfrage gegenüber. Freilich: Dies kann sich spielerisch dadurch regulieren, daß genügend Proletarier verhungern - das haben die frühen Vertreter der sich als Wissenschaft ausgebenden Ökonomie noch ganz offen so gesagt - und geschrieben. Wer's nicht glaubt, mag es nachlesen.

Ohne die Bildung von Gewerkschaften wären die Proletarier - die Zustände in England zu Beginn des 19. Jahrhunderts beweisen das - der kapitalistischen Willkür auf Verderb und nicht auf Gedeih ausgeliefert gewesen. Doch Gewerkschaften sind Kartellbildungen - ähnlich wie Trusts - sie verhindern gerade die "freie" Regulierung des Preises für Arbeit, indem sie das Machtmittel des Streiks anwenden oder in Lohnverhandlungen damit drohen können. Und um einigermaßen stabile Verhältnisse im Kapitalismus - allerdings bei weitem kein Kräftegleichgewicht - zu gewährleisten, ist durch Kartellgesetze und Kartellbehörden der Kapitalseite eine ähnliche Bündelung der Kräfte (mehr oder weniger) unmöglich gemacht. Dies ist auch der Grund, warum die ProtagonistInnen der angeblichen Wissenschaft Ökonomie mal mehr mal weniger deutlich Gewerkschaften als unvereinbar mit einer Marktwirtschaft bezeichnen. Damit haben sie allerdings recht. Nur allzu deutlich dürfen sie das nicht sagen - sonst würden sie ihre eigene Theorie ad absurdum führen.

Eine weitere wichtige These, die wir als Lehre aus dem Scheitern des sogenannten Sozialismus ziehen müssen: Wir müssen anerkennen, daß Gewalt immer nur zu einer Verschlechterung der Zustände führt. So sehr der Kampf gegen die feudalistischen und - in noch geringem Umfang - frühkapitalistischen Zustände im Rußland des Jahres 1917 legitim war - heute wissen wir, daß es Mittel und Wege gibt, einen solchen Kampf gewaltfrei zu führen. Ein gewaltsamer Kampf läßt sich sinnvoll nur mit militärischen Mitteln führen und führt so zwangsläufig zu hierarchischen Strukturen. Und eine Zentralisierung der Macht läßt sich beim Aufbau einer neuen Gesellschaftsordnung nicht wieder rückgängig machen. Sie führt entweder zur Wiederbelebung kapitalistischer Strukturen - nur mit neuen Besitzern der Produktionsmittel und einer von diesen abhängigen Politik - oder zu einer mehr oder weniger zählebigen Diktatur.

Wichtig ist die Frage der Gewaltfreiheit auch deshalb, weil die Sache, für die wir kämpfen, nur dann glaubwürdig sein kann, wenn die Mittel, mit denen wir kämpfen, unserem Ziel entsprechen. Heute wird viel von "Der Weg ist das Ziel" geplappert - oft irgendwie metaphysisch oder spirituell oder esoterisch. Hier hat dieser Satz eine ganz konkrete Bedeutung: Unser Ziel ist eine solidarische, gewaltfreie Gesellschaft - und dieses Ziel können wir nur auf gewaltfreiem Weg erreichen.

Das Scheitern der Sozialdemokratie 1914 ist hauptsächlich darin begründet, daß große Teile von ihr - und bezeichnender Weise gerade die verbürgerlichte Führung - Gewaltfreiheit und Pazifismus als "bürgerlich" abgetan haben. Die Spaltung in SPD und KPD nach dem Ersten Weltkrieg ist darauf zurückzuführen, daß beide Richtungen der deutschen ebenso wie der internationalen Arbeiterbewegung die Lehre aus diesem Scheitern nicht gezogen haben. Während die sich weiterhin meist als sozialdemokratisch bezeichnende Richtung sich auf die Seite des Kapitalismus als vermeintliche unabänderliche Endstufe der geschichtlichen Entwicklung schlug und antikapitalistische Töne nur noch quasi-religiös in sonntäglichen Beschwörungen eines Sankt-Nimmerlein-Tages zuließ, schlug sich die kommunistische Richtung - wie ein eineiiger Zwillingsbruder - auf die Seite des vermeintlich existierenden Sozialismus, der - "Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus!" zur Not mit militärischen Mitteln verteidígt werden müsse.

 

 

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