10.08.2004

Die Wut wächst

Montags-Demonstrationen gegen Sozialabbau

Gestern, Montag, 9. August, demonstrierten bereits den zweiten Montag in Folge rund 40.000 Menschen in mehreren Städten Deutschlands gegen den forcierten Sozialabbau und gegen die ab Anfang 2005 bevorstehende vierte Stufe des nach dem VW-Manager Hartz benannten Sozialabbaus. Obwohl die Demonstrationen bewußt an die Montags-Demonstrationen erinnern sollen, die angeblich zum Sturz des DDR-Regimes führten, fanden sie nicht nur im Osten statt. In 36 Städten gingen die Menschen auf die Straßen, darunter auch in Frankfurt a.M., in Köln und in Hamburg. Gewerkschafter, Menschen von der Basis der SPD und der PDS, von Attac und aus einem breiten Spektrum kleiner, zum Teil regionalen Gruppierungen mobilisierten zu diesen für die Urlaubszeit in Deutschland völlig ungewöhnlichen Demonstrationen. Pedram Shahayar von Attac meinte ganz zu recht: "Wenn wir der ungerechten, neoliberalen Politik ein breites gesellschaftliches Bündnis entgegenstellen, kann Hartz IV gestoppt werden." Nach wie vor liegt der Schwerpunkt des Protests aber im Osten. 2.500 demonstrierten laut Polizeiangaben in Aschersleben und Halberstadt, 10.000 in Leipzig und 15.000 in Magdeburg. Weitere Demonstrationen waren in Dresden, Halle und Rostock.

Auch wenn die historische Analogie mit den Montags-Demonstrationen von 1989 hinten und vorne hinkt, hat sie den schönen Effekt, daß sie die "rot-grünen" Polit-Chargen in Wut versetzt und diese so ihre bisher zur Schau gestellte Ignoranz gegenüber den bisherigen Demonstrationen gegen Sozialabbau nicht länger durchhalten konnten. Bereits in der vergangenen Woche schäumte Super-Minister Clement: "Zumutung und Beleidigung". Auch die Vertreter des Kapitals wie etwa der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Hundt verlieren zunehmend die Contenance und erlauben Rückschlüsse auf ihre tatsächliche eigene Stimmungslage, wenn sie von "unverantwortlicher Panikmache" reden. Allgemeine Heiterkeit löste der naiv populistische Versuch des sächsischen Ministerpräsidenten Milbradt aus, sich in einen Demonstrationszug einzureihen. Im Laufe des gestrigen Tages hatte er sein Erscheinen zunächst angekündigt, dann jedoch mit einem kuriosen Verweis auf "PDS und NPD" gekniffen. Und "Grünen"-Sekundär-Chef Bütikofer traf ausnahmsweise einmal den Punkt, indem er kommentierte, Milbradt treibe die "blanke Panik angesichts einbrechender Umfragezahlen."

Inzwischen ist selbst in der ARD zu vernehmen, daß in Deutschland nicht 4 und nicht 6, sondern 8,5 Millionen Arbeitsplätze fehlen. Und als hätte sich sogar das Statistische Bundesamt mit den DemonstrantInnen solidarisiert, gab es ausgerechnet gestern bekannt, daß die Zahl der Sozialhilfe-EmpfängerInnen um 3,4 Prozent gegenüber dem letzten Jahr gestiegen ist. Aktuell wurde eine Ifo-Prognose verbreitet, laut der die SPD bei den im September stattfindenden Landtagswahlen in Sachsen mit einem Ergebnis unter 10 Prozent rechnen muß. Auf Transparenten und in Sprech-Chören forderten die DemonstrantInnen die Rücknahme der Kürzungs-Beschlüsse und es wurde deutlich, daß besonders solche Finessen wie die Anrechnung von Kindersparbüchern auf das Vermögen der Eltern die Gemüter erhitzten. Offensichtlich war zudem überall, daß die Proteste sich ebenso gegen "Rot-Grün" wie gegen die Opposition richteten und diese keine Chance hat, die Proteste als Wasser auf ihre Mühlen zu lenken.

Für kommenden Montag sind weitere Demonstrationen in möglichst vielen Großstädten geplant.

 

Frank Bayer

 

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