Cross-border-leasing-Geschäfte laufen im Verborgenen
Es geht zu wie am Krabbeltisch: Stadtbahnwagen, Klärwerke, Abwasserkanäle, Schulen, Krankenhäuser, alles was
bisher in kommunalem Eigentum war, wird verramscht oder mittels dubioser Leasing-Geschäfte aus der Hand gegeben.
Doch Lieschen Müller ist dabei nicht zugelassen. Teilweise laufen die Geschäfte sogar im Verborgenen und nicht
einmal die kommunale
Vertretung der BesitzerInnen - und das sind zumindest auf dem Papier die BürgerInnen der
Städte und Gemeinden, also Stadt- und Gemeindeparlamente - bekommen Einblick in die Geheimverträge.
Vermutlich nur wenige der StuttgarterInnen wissen überhaupt davon, daß auch in der Landeshauptstadt Baden-Württembergs
sämtliche der genannten Beispiele von Stadtbahnwagen bis Krankenhaus bereits von "Privatisierungen" betroffen sind.
Privatisierung bedeutet dabei, daß das Eigentum der BürgerInnen in private Hände verkauft wird, um mit dem Erlös die
Finanzlöcher zu stopfen. Viele Kommunen stehen mit dem Rücken an der Wand, sind akut von der Zahlungsunfähigkeit
bedroht und die Kämmerer greifen oft nach jedem Strohhalm.
Daß sich die BürgerInnen bisher wenig für dieses Thema interessieren, liegt nicht allein an der mangelhaften
Berichterstattung der großen Medien, sondern auch daran, daß sie sich ohne echte demokratische
Entscheidungskompetenzen nicht als BesitzerInnen wahrnehmen - ähnlich wie im untergegangenen
sogenannten Sozialismus des Ostblocks. Doch dies kann schlagartig anders werden. Auch wenn sie
praktisch nichts zu sagen haben, sind sie doch BesitzerInnen im negativen Sinne. Denn sie haben dann
einzustehen, wenn nur noch Schulden bleiben...
In Stuttgart geht es munter weiter: Als nächstes ist das Schienennetz der Stadtbahn dran und es sind Pläne
durchgesickert, daß ein Viertel der Stuttgarter Schulen verleast werden sollen. Für die Schulen gibt es bereits
zwei Interessenten aus der USA.
Herr Strobl, Leiter des Referats 'Kommunalwirtschaft und 'Kommunalfinanzen' im baden-württenbergischen
Innenministerium erklärt in einem Interview mit dem 'Staatsanzeiger' (5.05.03) freimütig, daß seine Behörde, die
Aufsicht und Kontrolle über die Geschäfte der Städte und Gemeinden ausüben soll, Cross-border-leasing-Geschäfte
nicht kontrollieren kann. Dem Referat selbst fehlt die Sachkompetenz und eine gutachterliche Unterstützung käme
zu teuer. Also schließt sich die Kontrollstelle den Beratungsergebnissen an, die die Kommunalverwaltung zusammen
mit ihren Anwälten erzielt haben.
Doch die Verwaltungen haben nur ein Interesse: die Zahlungsunfähigkeit zu vermeiden. Und auch die Anwälte interessiert
nicht, welche finanziellen Folgen die Verträge bereits innerhalb weniger Jahre für die betroffenen BürgerInnen haben können.
Für das Linsengericht kurzfristiger finanzieller Vorteile, werden katastrophale soziale Folgen in Kauf genommen.
In Frankreich und England können wir bereits heute beispielsweise die Folgen der Privatisierung der öffentlichen
Trinkwasser-Verorgung besichtigen. Sobald die Wasserrechte von den Kommunen auf große Konzerne übergegangen
waren, stiegen die Wasser-Preise kartellartig an. In Frankreich um das Zweieinhalbfache, in England zwischen
1989 und 1995 um mehr als das Doppelte. Im gleichen Zeitraum stiegen die Gewinne der Wasserkonzerne um
692 Prozent1.
Ein Nutzen für die VerbraucherInnen war damit nicht verbunden. Im Gegenteil: Die Zahl der Haushalte in England,
denen die Wasserzufuhr gestoppt wurde, weil sie es nicht mehr bezahlen konnten, hat seit der Privatisierung um
50 Prozent zugenommen. Globale Konzerne wie Vivendi, Suez, Pepsi und Coca-Cola haben mit Unterstützung des
IWF (Internationaler Währungs Fond) und der WTO (World Trading Organisation), beides scheinbar unabhängige
Institutionen, die allein dazu dienen, die Vorherrschaft globaler Konzerne zu stärken und zu sichern, ganze
Volkswirtschaften zur Privatisierung des Wassers gezwungen.
Überall war es das gleiche Spiel: Die Opfer werden in die Schuldenfalle getrieben, es werden neoliberale
Zwangsmaßnahmen verordnet und die Konzerne können sich große regionale Wassermärkte untereinander
aufteilen1.
Die Situation in Deutschland ist dramatisch. Viele deutsche Kommunen stehen finanziell vor dem Kollaps. Zugleich
werden ihnen von den Konzernen verlockende Verträge angeboten. Die kommunale Wasserversorgung soll
beispielsweise für 99 Jahre an den US-Konzern verleast und für 29 Jahre (mit Rückkauf-Option) zurückgeleast werden.
Steuervorteile, die das US-amerikanische Recht durch sogenannte Schlupflöcher bietet, könnten den deutschen
Kommunen zunächst viel Geld in die leeren Schatullen spülen. Da kommt sich mancher kommunale Kämmerer
recht clever vor.
Das Geschäft hat gleich einen trendigen Namen bekommen: "Cross-border-leasing". Und obwohl beispielsweise die
Kämmerer der Städte Bochum, Recklinghausen, Gelsenkirchen und Wesel in einer gemeinsamen Pressmitteilung
vom 4. Februar 2003 selbst bemerken: "Die US Cross-Border-Lease Transaktionen liegen im Interesse der
US-Wirtschaftspolitik , die (...) das europäische Engagement amerikanischer Unternehmen stärken will", sind
sie die vehementesten Befürworter solcher Geschäfte.
Klar ist, daß die US-Administration bewußt mit steuerpolitischen Maßnahmen diese Cross-border-leasing-Geschäfte
fördert, um den wirtschaftspolitischen Einfluß der glabal player in Europa auszubauen. Der 'spiegel' berichtet in einem
ansonsten recht kritischen Artikel2, in den USA seien schärfere Gesetze gegen Steuerschlupflöcher geplant.
Cross-border-leasing-Geschäfte stünden seit 4 Jahren auf der schwarzen Liste der US-Steuerbehörde IRS2.
Tatsache ist jedoch, daß gerade in den letzten vier Jahren das Leasinggeschäft boomt.
In Nordrhein-Westfalen gibt es seit einiger Zeit in den Städten, in denen die Kämmerer und Ratsfraktionen
Cross-border-leasing-Geschäfte planen, von den BürgerInnen heftigsten Widerstand. Die Bereitschaft, ein
Bürgerbegehren gegen das Cross-Border-Leasing zu unterstützen, ist sehr groß. Viele Menschen glauben
den Politikern nicht mehr. Sie glauben deshalb auch nicht, daß die den Gemeinden aus dem Geschäft
zufließenden Gelder uneigennützige Geschenke der Konzerne seien.
Am Beispiel der zur Zeit bei den Leasinggeschäften so beliebten Abwasserentsorgungsanlagen wird deutlich,
daß den Gemeinden der Verlust der Verfügungsgewalt und der Kontrolle über das verleaste Gemeindeeigentum
droht und damit den BürgerInnen die Einflußmöglichkeit genommen wird. Denn das Märchen vom einfachen
Hin- und Rückmieten führt in die Irre:
Die Verpachtung der Anlagen an den US-Investor wird beispielsweise für einen Zeitraum von 99 Jahren
abgeschlossen, während die Zurückverpachtung an die Gemeinde nur für höchstens 29 Jahre erfolgt.
Der Hin-Pachtvertrag wird, um seine übergeordnete Bedeutung zu betonen, als Hauptmietvertrag bezeichnet.
Der Rück-Mietvertrag hingegen wird als Mietvertrag klassifiziert, in englischsprachigen Schriften sogar als
Untermietvertrag (sublease). Der US-Investor hat eine wesentlich stärkere eigentümerähnliche Rechtsposition,
zumal die gesamte Miete auf einen Schlag im Voraus bezahlt wird. Das ist der Köder. In der Regel erhält die
Kommune zwar für den Zeitpunkt des Ablaufs des Mietvertrags (nach 25 - 29 Jahren) eine "Kaufoption", um
das Kanalnetz zurück kaufen zu können. Dies ist jedoch obsolet, wenn die Kommune durch stetig erhöhte
Abwassergebühren erneut an den Rand der Zahlungsunfähigkeit manövriert wird.
Noch rücksichtloser schlugen die Wasser-Konzerne in Afrika zu. Da die Wasserversorgung in Tansania und
insbesondere der Millionenstadt Dar es Salaam völlig marode war, wurde auf Druck der Weltbank und des
Internationalen Währungsfonds (IWF) über die Vergabe eines zehnjährigen Leasing-Vertrages mit verschiedenen
Investoren verhandelt: Ohne Vertragsabschluß kein Erlaß von Auslandsschulden.
Drei Unternehmen kamen in die engere Wahl: General des Eaux und Saur International aus Frankreich sowie ein
britisch-deutsches Joint Venture, bestehend aus der Frankfurter Beratungsfirma Gauff Ingenieure und dem Konzern
Biwater3. Bevor einer der Privatkonzerne allerdings die Wasserversorgung übernimmt, muß die
Wasserbehörde erst einmal 120 Millionen Dollar in die Verbesserung der Infrastruktur stecken. Die Weltbank
und die tansanische Regierung verlangen von dem privaten Unternehmen, das den Auftrag zur Wasserversorgung
erhält, lediglich 2,5 Millionen US-Dollar Einstiegskapital und eine monatliche Mietgebühr von 50.000 Dollar. Dafür
darf es 70 Prozent der Erlöse aus dem Verkauf des Wassers einstreichen. Ein Millionengeschäft: Bei einem
Verbrauch von etwa 300 Millionen Litern täglich und der angekündigten Preiserhöhung beläuft sich der monatliche
Umsatz, selbst bei Berücksichtigung der Wasserverluste, auf mehr als eine Million US-Dollar. Knapp 750.000 US
Dollar gehen an den privaten Wasserversorger. Davon muß er die Ausgaben für die Meßtechnik, das
Rechnungssystem, die Miete und die - derzeit - mehr als mageren Gehälter für die Beschäftigten bestreiten.
Für neue Leitungen und für die Instandhaltung der bestehenden Netze wird dagegen allein die Wasserbehörde
zuständig sein. Sie soll aber nur 30 Prozent der künftigen Erlöse erhalten, knapp 250.000 US-Dollar pro Monat.
"Risikofaktoren" wie etwa die Zahlungsunfähigkeit von Verbrauchern, die von den Verhandlungsführern gerne als
"Zahlungsunwilligkeit" bezeichnet wird, sollen so niedrig wie möglich gehalten werden. Die deutschen Bewerber,
Gauff Ingenieure, die schon in mehreren afrikanischen Ländern Erfahrungen gesammelt haben, kündigen ein
"konsequentes Vorgehen" an, sollten Endverbraucher ihre Rechnungen nicht zahlen. Mittelfristig soll der Preis
nach der Privatisierung fast auf das Doppelte steigen, auf umgerechnet fünf Cent pro Eimer Wasser. Bei einem
durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen von nicht einmal einem Dollar täglich ist das ein hoher Preis.
Jürgen Berthold, der Leiter der tansanischen Niederlassung des Unternehmens, will sich bei sozialen Härtefällen
für eine Ratenzahlung stark machen. Doch sein Chef Wolfgang Chalet, Leiter der Afrika-Abteilung, läßt keinen
Zweifel daran, daß die "Zahlungsmoral" nur verbessert werden kann, wenn als letzter Schritt "rigoros das Wasser
abgestellt" wird.
Im bolivanischen Cochabamba wurde die Wasserversorgung vor zwei Jahren auch privatisiert und verteuert. Dann
gab es einen gewaltsamen Volksaufstand. Jetzt ist die Wasserversorgung wieder öffentlich.
Wie weit allerdings die Abzockerei in Stuttgart und vielen anderen deutschen Kommunen getrieben werden kann,
bevor sich
Widerstand regt, ist schwer einzuschätzen. Denn hierzulande gehen die Konzerne nach einem anderen aquatischen
Erfahrungswissen vor: Wenn du einen Frosch in heißes Wasser wirfst, springt er sofort heraus, wenn du aber das
Wasser nur allmählich erhitzt, läßt er sich widerstandslos kochen.
Klaus Schramm
Anmerkungen:
1 Norbert Copray, 'Der Ausverkauf des Wassers', Publik-Forum Nr. 5 / 2003
2 'Geschäfte mit LiLo', Der Spiegel, Hamburg, Nr. 9 / 2003
3 Gerhard Klas, 'Wer gräbt den Armen das Wasser ab ?', Publik-Forum Nr.4 / 2003