Nicht nur in Deutschland, auch in Frankreich, Österreich und Italien wird zur Zeit gestreikt. Darüber wird
hierzulande möglichst wenig berichtet. Die Menschen in Europa könnten vielleicht auf die Idee kommen,
daß sich die Streiks in Frankreich und Österreich (in beiden Ländern stehen "Reformen" des Rentensystems an)
oder in Italien (Fluglotsen) oder in Deutschlands Osten, wo um die 35-Stunden-Woche gekämpft wird, überall
gegen ein und denselben Angriff richten: Sozialabbau.
Es wird zwar seit Jahren von "Wirtschaftskrise" geredet und geschrieben, doch dies bedeutet, daß das
Wirtschaftswachstum, an das sich das obere Drittel der europäischen Gesellschaften gewöhnt hatte, nicht
mehr ganz so hoch ausfällt. Mindestens 3 Prozent Wachstum müsse es sein, damit auch ein paar Krümel
übrig bleiben könnten - sprich: Arbeitsplätze geschaffen würden. Dabei werden selbst dann Arbeitsplätze
"umstrukturiert", wenn sich die Gewinne jährlich verdoppeln. Von einer Rezession - also sinkendem
Bruttosozialprodukt - mag indes in den Vorstandsetagen und den Wirtschaftsseiten der Zeitungen
noch niemand etwas wissen.
Dem oberen Drittel geht es nicht um "Besitzstandswahrung" - nein, um die Beibehaltung der gewohnten
Zuwächse. Deshalb soll den unteren zwei Dritteln nicht nur ihr Stückchen am Kuchen streitig gemacht
werden, sondern darüber hinaus wird ihnen, da ihre einzige mächtige gesellschaftliche Kraft, die
Gewerkschaften, dank verschwindender Arbeitsplätze immer schwächer wurde, immer mehr
weggenommen.
Zynisch mutet es an, wenn (längst auch in Zeitungen wie der 'taz') eine Scheinalternative präsentiert wird:
Die Anti-Globalisierungs-Bewegung müsse sich entscheiden, ob sie für die weltweit zwei Drittel hungernden
Habenichtse der "Dritten Welt" eintreten wolle oder für die doch immer noch satten und "nur" von Sozialabbau
bedrohten zwei Drittel in den Industrieländern. Daß genug da wäre, um - noch - alle satt werden zu lassen,
wird von den Lautsprechern des Neo-Liberalismus gerne ignoriert. Solidarität ist für diese Journaille ein Fremdwort.
»Ein häßlicher Streik mitten in der tiefsten Wirtschaftskrise - noch dazu im ökonomisch dahindümpelnden
Osten? Politiker und Experten können es kaum fassen«, beklagt sich 'spiegel-online' über den am Montag
begonnenen Arbeitskampf in der ostdeutschen Metall- und Elektroindustrie.
In mehreren sächsischen Schwerpunktbetrieben wie bei VW in Chemnitz wird seit Sonntag gestreikt, in
Brandenburg seit gestern beim größten ostdeutschen Stahlproduzenten, der EKO-Stahl in Eisenhüttenstadt.
Die IG Metall hat sich bereits auf einen langen und harten Kampf eingestellt. Notfalls wird auch die Solidarität
der westdeutschen MetallerInnen von Nöten sein - doch vorerst scheint die Unternehmerseite nicht auf
Aussperrungen zu setzen. Dabei würde eine große Zahl nicht-organisierter MetallerInnen auf die Seite der
Gewerkschaften gezwungen. Statt dessen versucht es die Unternehmerseite vorerst mit Spaltung und hofft,
den Streik schnell abwürgen zu können.
Klaus Schramm