Zehn Millionen gegen Rentenkürzungen
Von einer solchen Solidaritätswelle kann Deutschlands Linke (vorerst) nur träumen. Doch während ein großer Teil der Linken
hierzulande in "Rot-Grün" immer noch eine linke Regierung wähnt, ist das "Feindbild" in Italien leicht auszumachen. Beim
Generalstreik am 24. Oktober, an dem sich rund zehn Millionen ArbeiterInnen und Angestellte beteiligten, ging es der Sache
nach gegen die Rentenpläne - die gesamte Linke jedoch hat sich in Italien gegen die Regierung Berlusconi vereint.
Hundertausende nahmen an den Kundgebungen in Rom, Mailand (200.000), Neapel (80.000), Bologna, Turin, Florenz,
Genua (60.000) und vielen anderen Städten teil. Geradezu als Provokation wurden die am 3. Oktober vom italienischen
Ministerrat verabschiedeten Rentengesetze aufgenommen: Von 2008 an sollen ArbeiterInnen und Angestellte mindestens
40 Beitragsjahre nachweisen können oder ein Mindestalter von 60 Jahren bei Frauen, 65 Jahren bei Männern erreicht haben,
um Rente zu bekommen. Die bisherigen Grenzen lagen bei Männern zum Vergleich bei 57 Jahren bei 35
Mindestbeitragsjahren oder weniger als 57 Jahren bei mindestens 37 Beitragsjahren. Zudem soll ab 2008 all jenen, die
weniger als 40 Jahre eingezahlt haben, die Rente erheblich gekürzt werden.
Da auch in Italien die Arbeitslosigkeit weiterhin zunimmt und der Anteil schlecht bezahlter und befristeter Jobs wächst,
wird es für immer mehr Menschen immer schwieriger die 40-Jahre-Beitragsgrenze überhaupt zu erreichen. Bereits heute
sind im Durchschnitt über 30 Prozent der unter 24-jährigen arbeitslos und in Süditalien sind es gar rund 50 Prozent.
Am 24. legte der Streik den gesamten Verkehr für vier Stunden lahm und auch 'Alitalia' mußte 155 Flüge streichen. Viele
Schulen und Hochschulen, Büchereien, Museen, Postämter, ja auch Banken, Gerichte und öffentlichen Ämter waren den
ganzen Tag über geschlossen, die städtische Reinigung streikte und in den Krankenhäusern wurde nur eine Notversorgung
aufrecht erhalten. In der Industrie war die Streikbeteiligung unterschiedlich: Auf Sizilien wurden Fiat Termini Imerese, die
Ölraffinerie von Gela und die Schiffswerft von Palermo erfolgreich bestreikt, während sich in den Industriezentren im Norden
etwa die Hälfte bis 70 Prozent der Beschäftigten am Streik beteiligten.
In Mailand, der Stadt in der Berlusconi groß wurde, beteiligten sich rund 200.000 Menschen. Hierher kamen auch die von
Entlassung bedrohten AutoarbeiterInnen der Alfa-Romeo-Fabrik in Arese. Diese gehört ebenso wie das Fiat-Werk auf
Sizilien, das auch von Schließung bedroht ist, zum Fiat-Konzern. Führende Gewerkschaftsfunktionäre ließen sich in
Mailand nicht blicken. Ein Großteil der Demonstration setzte sich aus sogenannten Prekären zusammen: RentnerInnen,
Arbeitslose, Arme, die ihre Wut auf berlusconi lebhaft zum Ausdruck brachten, für die aber die italienischen Gewerkschaften
ebensowenig eine Perspektive bieten.
Wie auch in Deutschland, wo die Gewerkschaftsbonzen zwar die Backen blähen, aber das Pfeifen vergessen und nicht mal
Streiks oder wenigstens Aktionen gegen den Sozialabbau unterstützt werden, ist auch die Gewerkschaftsführung in Italien
fest ins System eingebunden. Sowohl die UIL als auch die CISL hatten noch letztes Jahr mit Berlusconi einen Pakt zur
"Flexibilisierung" des Arbeitsrechts geschlossen. Sie alle unterstützen als Alternative das Parteienbündnis "Olivenbaum",
das vor Berlusconi an der Macht war. Diese sozialdemokratischen und bürgerlichen Parteien jedoch hatten ähnlich
"Rot-Grün" in Deutschland bereits vor der Ära Berlusconi den Sozialabbau ins Rollen gebracht. Unter ihrer Ägide hatten in
Italien die Privatisierungen und Kürzungen staatlicher Sozialleistungen begonnen, um damit angeblich die Maastricht-Kriterien
zur Stabilität zu erfüllen.
Adriana Ascoli