Lautstarke Forderung nach Stillegung des AKW Fessenheim
Anti-AKW-Initiativen aus dem Elsaß, aus Baden und der Nordschweiz hatten für Samstag, 23. April, zur 'Tour de Fessenheim' aufgerufen. Trotz Regenwetters kamen im kleinen elsässischen Städtchen Fessenheim über tausend Menschen zusammen, um auf dem Rathausplatz und vor dem AKW zu protestieren. Aus Colmar und Mulhouse, aus Freiburg und Müllheim waren Fahrrad-Corsos gestartet, die zur Hauptkundgebung um 14 Uhr auf dem Rathausplatz in Fessenheim zusammentrafen. Auch aus Straßbourg und der Nordschweiz waren TeilnehmerInnen zum Teil mit dem Zug angereist, um sich auf mitgebrachten Fahrrädern einem Corso anzuschließen.
Bereits um 11 Uhr fand in Breisach eine Zwischenkundgebung statt. Der Fahrrad-Corso aus Freiburg, verstärkt durch TeilnehmerInnen, die sich bei der Fahrt durch Gottenheim, Wasenweiler und Ihringen angeschlossen hatten, traf auf die Minute genau in Breisach ein. Kaiserstühler oder auch Atomkraft-GegnerInnen beispielsweise aus Emmendingen hatten so einen teils kürzeren, teils längeren Anfahrtsweg. Viele waren auch mit der Breisgau-Bahn oder dem Auto nach Breisach gekommen.
Jean-Marie Brom vom 'Réseau Sortir de nucléaire', dem französischen Netzwerk für Atomausstieg, dem rund 700 französische Initiativen mit insgesamt 15.000 Mitgliedern angehören, erinnerte im ersten Redebeitrag an den bevorstehenden 19. Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl am 26. April. Die radioaktive Wolke habe vor keinen europäischen Grenzen halt gemacht. Er rief dazu auf, daß sich deutsche, Schweizer und französische Atomkraft-GegnerInnen noch stärker miteinander vernetzen. Als Beispiel nannte er den erfolgreichen Kampf der italienischen Atomkraft-GegnerInnen, die aktuell ein geplantes Endlager für europäischen radioaktiven Müll mit ihrem Widerstand hatten verhindern können. Erinnert wurde auch daran, daß in Italien ein beschlossener Atom-Ausstieg bereits 1987 realisiert und sämtliche Atomkraftwerke abgeschaltet wurden.
Den Mittelteil der Kundgebung in Breisach gestalteten der Liedermacher Gerold Jäger und die Jazz-Rock-Formation Mahadöh, die insbesondere beim jugendlichen Publikum starken Beifall erntete. Eva Stegen von der 'Anti-AKW-Koordination Basel-Baden-Elsaß' sprach in ihrer Rede zum Abschluß die mangelnden Möglichkeiten an, eine solche Anti-AKW-Veranstaltung anzukündigen. Dem Vorbereitungs-Komitee für den eben erst in Freiburg stattgefundenen Marathon ständen beispielsweise ganz andere Finanzmittel zur Verfügung. Die Antiatom-Bewegung müsse daher um so mehr auf ein starkes persönliches Engagement der Menschen setzen. So wurde beispielsweise auf das nächste Treffen des AK Fessenheim in Freiburg am 10. Mai hingewiesen. Vehement redete Eva Stegen den anwesenden Atomkraft-GegnerInnen auch ins Gewissen, die etwa noch KundInnen beim "Atomstromer" EnBW und noch nicht auf "Ökostrom" von der EWS Schönau oder von Greenpeace Energy umgestiegen seien. Nach wie vor hätten erst wenige Prozent der Deutschen diesen Schritt eines persönlichen Atom-Ausstiegs in die Tat umgesetzt.
Bei einem kurzen Zwischenstop bei 'Info-Best' an der Rheinbrücke protestierten die Veranstalter dagegen, daß bei den an TouristInnen ausgeteilten Informationen das AKW Fessenheim ausgespart werde. Offensichtlich habe sich seit der Reaktorkatastrophe von Tchernobyl an der französischen Informationspraxis nichts geändert. Bekanntlich wollten die französischen Behörden damals den ElsässerInnen weismachen, die radioaktive Wolke habe am Rhein gestoppt. Während auf der einen Seite des Rheins Salatköpfe untergepflügt wurden, habe es im Elsaß geheißen, der Salat könne "unbesorgt" gegessen werden und die Kinder könnten weiterhin im Sandkasten spielen. Noch heute gebe es keine Zahlen über die Krebsfälle und die französischen Todesopfer in Folge von Tschernobyl.
Bei der Hauptkundgebung in Fessenheim sprach Ursula Sladek als Vertreterin der EWS Schönau. Sie wünschte sich und den trotz Regen offensichtlich hoch motivierten AtomkraftgegenerInnen, endlich und möglichst bald ein Fest veranstalten zu können, bei dem die Schließung des AKW Fessenheim gefeiert werden könne. Frau Sladek erinnerte daran, daß die EWS Schönau aus einer Bürgerinitiative hervorgegangen sei, die sich nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl gegründet hatte. Die Schönauer Stromrebellen wollten nicht nur gegen "den atomaren Wahnsinn" protestieren, sondern begannen mit dem Aufbau einer ökologischen Stromversorung und dem Kauf des Stromnetzes, um aufzuzeigen, daß eine Alternative realisierbar ist. Inzwischen verkaufen sie ihren Öko-Strom in der gesamten Bundesrepublik.
Im leider immer mehr verregneten Teil der Kundgebung spielte Achilles' Band aus Bure. Bure in Lothringen ist - wie Gorleben in Deutschland oder Benken in der Schweiz - der von der französischen Regierung vorgesehene Standort für eine de facto nie realisierbare "Endlagerung" des radioaktiven Mülls. Ihre mehr am Folk orientierte und auf Akkordeon und selbstgebauten Instrumenten intonierte Musik begeisterte das Publikum.
Nicole Roelens von der elsässischen Anti-AKW-Initiative 'Stop Fessenheim' wies in ihrem Redebeitrag auf den nach wie vor völlig unzureichenden Schutz des AKW Fessenheim bei Erdbeben und bei einem gezielten Absturz eines zivilen Flugzeuges hin. Und auch weltweit fordere die Nutzung der Atomenergie beim Uranabbau in Afrika, Australien oder Sasketchewan schon heute viele Tote, habe unzählige Krebsfälle zur Folge und trage durch die Freisetzung von Klimagasen zur globalen Erwärmung bei.
Thomas Passaglia, der für die Nordschweizer Anti-AKW-Initiative NWA sprach, mahnte eindringlich davor, daß sich die verschiedenen Initiativen nicht spalten lassen dürften und zusammenhalten müssen. Er erinnerte daran, daß eine mit Tschernobyl vergleichbare Katastrophe auch im AKW Fessenheim jeden Tag passieren könne. Das Risiko werde zudem mit jedem Tag, den die inzwischen 28 Jahre alten, immer Pannen-anfälligeren Reaktoren betrieben werden, größer und größer. Bei einer solchen Katastrophe würden weite Landstriche auf Jahrzehnte unbewohnbar und dies träfe Jung und Alt, Arm und Reich.
Bei der Abschluß-Kundgebung um 15 Uhr 30 vor dem AKW Fessenheim sprach Claude Ledergerber vom CSFR (Comité de la sauvegarde de Fessenheim et de la plaine du Rhin) und erläuterte an einigen Beispielen die "Politik der Fehlinformation und der Lügen" der Leitung des AKW Fessenheim. So sei beispielsweise ein Störfall der auf der INES-Skala von den Betriebern selbst auf Stufe Zwei deklariert worden sei, im Jahresbericht nicht in der Statistik des AKW Fessenheim erschienen. Dort wurden lediglich Störfälle der untersten Stufen Null und Eins addiert. Darauf zur Rede gestellt, habe sich der Chef des AKW Fessenheim darauf herausgeredet, bei dem nicht in der lokalen Statistik mitgezählte Störfall habe es sich um einen Störfall von "nationaler Bedeutung" gehandelt, da dieser in allen französischen AKWs aufgetreten sei und daher sei dieser Störfall in der nationalen Statistik aufgeführt. Trotz des offenkundigen "Wahnsinns mit Methode" konnte Claude Ledergerber der Darstellung solcher ausgewählter Details eine kabarettistische Note verleihen.
Auf Anregung von Nicole Roelens gedachten die vor dem AKW anwesenden AtomkraftgegnerInnen in einer Schweigeminute der Opfer von Tschernobyl und der vieler anderer atomarer Unfälle, den früheren und gegenwärtigen Opfer, der Kinder ohne Zukunft, der Frauen, die zu einem Schwangerschaftsabbruch gezwungen waren, den verseuchten Arbeitern, der indigenen Bevölkerung in den Uranabbau-Gebieten und nicht zuletzt dem im Herbst letzten Jahres bei einer Castor-Blockade in Lothringen getöteten Sébastien Briat.
Trauer und Fröhlichkeit waren bei der diesjährigen 'Tour de Fessenheim' wie schon in den Jahren zuvor immer sehr nahe beieinander und so spielte zum Abschluß noch einmal bei nachlassendem Regen Achilles' Band aus Bure. Die Gruppe lud alle AtomkraftgegenerInnen ein, im Sommer zu einem Widerstands-Camp nach Bure zu kommen und mitzuhelfen, die Endlager-Pläne der französischen Regierung in Bure zu durchkreuzen.
Petra Willaredt