Die Protest-Aktion, die am Wochenende zum sechsten Mal stattfand, hatte trotz strahlenden Sonnenscheins die AtomkraftgegnerInnen im Dreyeckland nur zu mäßiger Beteiligung verlocken können. Dennoch ließen unbeugsame Wyhl-Kämpen und jugendliche AktivistInnen, die zu Zeiten der Kämpfe um Wyhl noch gar nicht geboren waren, die Köpfe nicht hängen.
Anti-Atom-Initiativen aus dem Elsaß, aus Baden und der Nordschweiz hatten die 'Tour de Fessenheim' in diesem Jahr erstmals auf Samstag und Sonntag aufgeteilt. In den vergangenen Jahren hatte es sich als schwierig erwiesen, bei der Terminplanung einerseits die Kundgebung nicht allzusehr in den Nachmittag zu verschieben, andererseits die AtomkraftgegnerInnen aus weiter von Fessenheim entfernten Orten zu motivieren, bereits am frühen Morgen mit den Fahrrädern an den Start zu gehen. So war das Organisations-Team auf die Idee verfallen, die Fahrrad-Korsos auf Samstag und zwei Kundgebungen auf dem Fessenheimer Rathausplatz und vor dem AKW auf Sonntag zu legen. Für die Übernachtung von Samstag auf Sonntag war ein Zeltplatz in der Nähe von Fessenheim gefunden worden. Besonders für jugendliche TeilnehmerInnen - so die Hoffnung - wären Lagerfeuer, abendliche Diskussionen über Sprachbarrieren hinweg und Übernachten im Zelt "angesagt". Doch zumindest beim ersten Anlauf ist dieses Konzept gescheitert. Nur wenige ließen sich auf die maximal dreistündige Fahrradfahrt ein - und von den gut dreißig AtomkraftgegnerInnen, die schließlich auf dem Zeltplatz ankamen, hatte niemand Lust zu übernachten. Der wunderschöne Platz wurde zwar ausnahmslos gelobt - doch die Pläne für die Nacht waren ebenso ausnahmslos andere.
Auch bei den Kundgebungen in Fessenheim fanden sich nur wenig über hundert TeilnehmerInnen ein. Doch wenigstens die Sonne ließ die AtomkraftgegnerInnen das gesamte Wochenende nicht im Stich. Thomas Passaglia, Vertreter des Schweizer NWA (Nordwestschweizer Aktionskomitee gegen Atomkraftwerke) meinte dazu am Sonntag in seinem Redebeitrag: Wer sich bei diesem Wetter nicht von regenerativer Energiegewinnung überzeugen lasse, dem sei nicht zu helfen.
Kurz nach 13 Uhr eröffnete Isabelle Guillaume vom französischen "Netzwerk für Atomausstieg" (Réseau Sortir du nucléaire) mit einer Rede zur aktuellen Situation in Bure die Kundgebung auf dem Rathausplatz in Fessenheim. Sie berichtete davon, daß die Pläne des französischen Energiekonzerns EdF für ein Endlager radioaktiver Abfälle in Bure einmal mehr parlamentarisch unterstützt wurden. Das bereits in Bure bestehende Versuchslabor darf nun weitere zehn Jahre betrieben werden und - nach offiziellen Angaben: probeweise - soll jetzt auch schon bald Atommüll eingelagert werden. Nachdem von französischen AtomkraftgegnerInnen über 50.000 Unterschriften für ein Referendum gesammelt worden waren, haben die Menschen nach diesem Parlamentsentscheid - so Isabelle Guillaume - das Vertrauen in die Politik verloren. Die Vertreterin des französischen Netzwerks für Atomausstieg lud die Anwesenden Elsässer, Schweizer und Deutsche ein, am letzten Juli-Wochenende zu einem Festival der Endlager-GegnerInnen nach Bure zu kommen.
Theo Ziegler begleitete die abwechslungsreichen Redebeiträge mit seinen Anti-AKW-Liedern. Während die Reden immer wieder wechselseitig übersetzt werden mußten, konnte Theo Ziegler sein Repertoire mit französischen und deutschen Texten präsentieren.
Heinz Siefritz, Sprecher der Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen, erinnerte an den erfolgreichen Kampf gegen das AKW Wyhl. Damals wie heute, erklärte er, wollen sich die Menschen "beiderseits des Rheins nicht von Politikern weder in Straßburg noch in Stuttgart, weder in Paris, noch in Bonn oder Berlin vorschreiben lassen, wie sie leben" sollen. Heute wie damals gelte der Schriftzug auf dem blauen Aufkleber: "Combat pour la vie!", "Kämpft für das Leben!" Siefritz brachte die Hoffnung zum Ausdruck, daß auch die Abschaltung des AKW Fessenheim durchgesetzt werden könne, wenn die Gemeinsamkeit beherzigt werde:
"Gemeinsam sind wir nicht nur stark, sondern gemeinsam sind wir richtig unausstehlich!"
Nur wenig verspätet begann der zweite Teil der Kundgebung vor dem Atomkraftwerk mit einem Redebeitrag von Cécile Lecomte. Als Französin, die im Wendland wohnt, strich sie die Gemeinsamkeiten und Zusammenhänge zwischen den deutschen Plänen für ein atomares Endlager im wendländischen Gorleben, den französischen Plänen im lothringischen Bure und denen der Schweiz in Benken heraus. Auffallend sei schon auf den ersten Blick die Grenzlage der drei Orte, wobei das Endlager Gorleben an der ehemaligen Grenze zur DDR geplant war. Lecomte zeichnete die gesamte nukleare Brennstoffspirale nach. Diese beginnt mit der Umweltzerstörung beim Uranabbau, führt über die Urananreicherung und endet keineswegs bei der sogenannten Endlagerung, da der Atommüll für Millionen von Jahren strahlt und ebenso lange gesichert werden müßte. Cécile Lecomte klagte die Erweiterung der deutschen Urananreicherungsanlage in Gronau an, die während der rot-grünen Regierungszeit beschlossen worden war. Sie scheute sich auch nicht entgegen bestehenden Strafandrohungen über französische Militärgeheimnisse zu sprechen und nannte die Urantransporte von Pierrlatte nach Gronau beim Namen. Auch Ermutigendes kam in ihrer Rede nicht zu kurz: Die 24 Jahre junge Atomkraftgegnerin erinnerte daran, daß in Gorleben vor 30 Jahren auch eine sogenannte Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) geplant war, die der wendländische Widerstand hatte verhindern können. Und sie berichtete von der erst wenige Wochen zurückliegenden großen Kundgebung in Cherbourg, wo 30.000 AtomkraftgegnerInnen gegen die Pläne von EdF, Siemens und französischer Regierung zum Bau eines neuen Atomreaktors vom Typ EPR protestiert hatten.
Thomas Passaglia berichtete vom Schweizer Widerstand gegen die Endlagerpläne im nahe des Rheinfalls gelegenen Städtchen Benken. Besonderen Nachdruck legte her darauf, die Bedeutung der alternativen Energien herauszustreichen. Passaglia forderte ein grundlegendes Umdenken und eine tiefgehende Umstellung der gesamten Lebensweise.
Zum Abschluß sprach Klaus Schramm von der Anti-AKW-Koordination Elsaß-Baden-Basel. Er berichtete über neue Erkenntnisse im Fall der Leukämie-Erkrankungen in Geesthacht, 30 Kilometer südlich von Hamburg. Nach seiner Darstellung hatte sich am 12. September 1986 ein Brand im Kernforschungszentrum Geesthacht ereignet, der bis heute von Behörden und Politik geleugnet werde. Schramm trug eine Fülle von Fakten vor, mit denen er den Beweis führen will, daß dieser Brand im Kernforschungzentrum auf militärische Experimente zurückzuführen ist. Über Jahrzehnte hin sei an der Entwicklung der Atombombe geforscht worden. Forschungsergebnisse aus Geesthacht hätten einerseits innerhalb der letzten zehn Jahre US-amerikanischen Forschern zum Durchbruch bei der Entwicklung von sogenannten Mininukes verholfen und andererseits in Folge der hoch riskanten Versuche den Brand verursacht. Laut Schramm ist dies die Erklärung für die weltweit höchste Konzentration von Leukämieerkrankungen und die bis heute nicht abreißende Reihe von Todesfällen bei Kindern.
Bis zum Schluß folgten die Zuhörer der Kundgebungen den durchweg zweisprachigen Redebeiträge mit hoher Konzentration und anhaltender Aufmerksamkeit. Die geradezu mit Informationen gespickten Redebeiträge hatten das Publikum trotz der großen Hitze offenbar nicht ermüdet wie eine spontane und engagierte Wortmeldung eines Umweltschützers aus Lörrach am Ende der 'Tour de Fessenheim' zeigte.
Auch wenn die Beteiligung gegenüber dem Vorjahr nachgelassen hatte, die OrganisatorInnen wollen sich nicht entmutigen lassen. Sie ließen zwar bewußt die Frage offen, ob auch im nächsten Jahr wieder zur 'Tour de Fessenheim' aufgerufen wird - sie wollen sich Gedanken um Verbesserungen und andere Aktionsformen machen. Doch eines steht für sie unverrückbar fest: Es genügt nicht, wenn "im stillen Kämmerlein" oder bei Telefonumfragen sich nach wie vor eine Mehrheit für den sofortigen Atomausstieg ausspricht. In die Realität umsetzen läßt sich das erst, wenn sich die Menschen auch dafür einsetzen.
Petra Willaredt