Auch in Bayern dürfte der Störfall im Nachbarland zur Zeit nicht ins
CDU/CSU-Atomkonzept passen
Wie erst am Montag bekannt wurde, ist im tschechischen Atomkraftwerk
Temelin bereits Sonntag am frühen Morgen ein Leck im Primärkreislauf
entdeckt worden. 3.000 Liter radioaktiv verseuchte Kühlflüssigkeit seien
aus dem Primärkreislauf des abgeschalteten zweiten Blocks ausgetreten
und hätten zwei Arbeitsräume kontaminiert, berichtet der
Anti-Atom-Beauftragte des Landes Oberösterreich, Radko Pavlovec1,
in einer Pressemitteilung am Montag Nachmittag. Betroffen sei demnach
der Primärkreislauf des zweiten Reaktorblocks.
Aus dem von Temelin ebenso nahen Bayern dagegen verlautetet kein Mucks,
kein Wörtchen und keine Regung aus dem Umweltministerium des
Freistaats2, auch nicht 24 Stunden nach den Meldungen
österreichischer Medien - wenigstens zur Beruhigung der Bürger in der
grenznahen Region Bayerns. So verwundert auch nicht, dass dpa in der
Nacht von Montag auf Dienstag erst kurz vor Mitternacht eine eigene
Meldung anbietet, die sich auf das Amt für Atomsicherheit in Prag
bezieht. Nach Angaben der Betreibergesellschaft CEZ3 bestehe aber
keine Gefahr für Menschen oder Umwelt. Gleichzeitig verbreitet dpa, in
Österreich bereite der erneute Zwischenfall ernste Sorgen. Österreichs
Umweltminister Josef Pröll fordere eine umfassende Untersuchung der
tschechischen Seite.
Im AKW Temelin hatte es erst am Mittwoch vergangener Woche erneut einen
Störfall gegeben. Im zweiten Reaktorblock kam es zu einer
Notabschaltung4. Es handelte sich dabei offiziell um den 64.
Störfall.
Der oberösterreichische Anti-Atom-Beauftragte Pavlovec
kritisierte5, der Temelin-Betreiber CEZ habe bisher gar nicht über
den Vorfall informiert und die tschechische Nuklearaufsichtsbehörde
SUJB6 habe erst mit einer Verspätung von mehr als 24 Stunden auf
den Vorfall reagiert. Für ihn sei die Häufung der Ereignisse im Block 2
in den letzten Tagen "bereits sehr auffällig", weil auch dort die
letzte Schnellabschaltung erfolgte. Der jüngste Zwischenfall betreffe
jedoch den in sicherheitstechnischer Hinsicht wichtigsten Bereich des
Kraftwerkes. Pavlovec vermutet, dass auch die Notabschaltung vom
Mittwoch bereits mit dem Primärkreislauf zu tun gehabt haben könnte.
Temelin-Sprecher Milan Nebesar bestätigte7 das Leck Montagabend im
tschechischen Fernsehen. Es habe sich nicht um eine Havarie gehandelt;
es wäre nichts Außerordentliches geschehen. "Wir haben die
Gesetzespflicht erfüllt und es an die Staatliche Behörde für atomare
Sicherheit (SUJB) gemeldet", teilte der Betreiber-Sprecher mit.
Verharmlost wurde der Vorfall von ihm mit der Darstellung, am Sonntag
früh sei ein Röhrchen geplatzt, das zum Messen des Durchflusses des
Wassers in einer Pumpe bestimmt ist. Das Ganze sei in einem
geschlossenen Raum geschehen. Das ausgelaufene Wasser sei durch die
Kanalisation in einem dafür bestimmten Becken aufgefangen worden und
nicht aus dem AKW gelangt. Mitarbeiter seien nicht zu schaden gekommen.
Aus dem österreichischen Umweltministerium8 verlautet, dass bei dem
Leck im tschechischen Atomkraftwerk Temelin keine Radioaktivität nach
Außen gedrungen sei. Dies habe die tschechische Seite dem
österreichischen Ministerium mitgeteilt, so der Sprecher des
Umweltministers Josef Pröll (ÖVP), Daniel Kapp auf Medienanfragen.
Anders die Anti-AKW-Szene in Österreich und entsprechend die Reaktion
der österreichischen Grünen9: "Der neuerliche Störfall im
tschechischen Atomkraftwerk Temelin zeigt, dass dieser Reaktor
schleunigst still gelegt werden sollte", so Johannes Voggenhuber
(österreichische Grüne). Zudem
zeige dieser Störfall einmal mehr, dass es dringend einer Reform des
Euratomvertrages (Strahlende Zukunft: Die Euratom-Hypothek10)
bedürfe. "Es darf nicht sein, dass eine Hochrisikotechnologie wie die
Atomkraft in der EU immer noch gegenüber erneuerbaren Energieträgern
wirtschaftlich bevorzugt wird", so Voggenhuber am Dienstag auf einer
Pressekonferenz in Wien.
Das Schweigen in Bayern
Erstaunlich, dass von Bayerns Umweltminister Werner Schnappauf (CSU)
nicht einmal derartige Beschwichtigungsversuche wie von seinem
österreichischen Kollegen zu vernehmen waren. Schnappaufs Ministerium
besitzt einen sogenannten heißen Draht auch zu den Behörden in
Österreich und ist daher gut informiert. Der Minister bezichtigte in
der Vergangenheit immer gerne Bundesumweltminister Trittin mangelnder
Information oder gar der Desinformation in Sicherheitsfragen. In Bezug
auf Risiken bayrischer AKWs betont Schnappauf stets deren Sicherheit,
ergreift aber sonst zu Temelin jede Gelegenheit, kritisch Stellung zu
nehmen. Jetzt aber schweigt Staatsminister Schnappauf, hat sich aber an
das Bundesumweltministerium gewandt, um von der Regierung in Prag
"unverzüglich detaillierte Informationen" zu holen und sie nach Bayern
weiter zu geben. Der Störfall in Tschechien kommt höchst ungelegen,
ereignet er sich doch just zu einem Zeitpunkt, wo Stoiber und Merkel
erneut die Atomkarte ziehen wollen (Neue Atomkraftwerke in
Deutschland?11) und auch noch am 9. Juni 2004 der umstrittene
Atomreaktor FRM212 im bayrischen Garching mit einem Festakt in
Betrieb geht (Der Tanz ums Atom-Ei Nummer Zwei13).
Da könnten Menschen auf die Idee kommen, dass der Unterschied zwischen
einem FRM2 und einem Reaktor Temelin, was die Risiken für Mensch und
Umwelt betrifft, gar nicht so groß ist. Der FRM2 ist der einzige
Reaktorneubau in Deutschland und der einzige Neubau eines
Forschungsreaktors weltweit, der hoch angereichertes Uran (HEU) mit
einer Anreicherung von 93 Prozent einsetzen wird. HEU14 ist zum Bau von
Atombomben geeignet. Bei einem Jahresbedarf von 40 kg HEU wird beim
FRM2 die signifikante Menge gemäß der Internationalen Atomenergie-Behörde IAEO15 wesentlich überschritten.
Technologisch ist es sogar einfacher, Atombomben aus Uran als aus
Plutonium zu bauen.
Ekkehard Jänicke
Anmerkungen:
1 http://www.temelin.com/Deutsch/kontakt.html
2 http://www.stmugv.bayern.de/de/aktuell/presse/2004/index.htm
3 http://www.cez.cz/eng/
4 http://www.antiatom.info/artikel.asp?nr=18872
5 http://www.antiatom.info/artikel.asp?nr=18923
6 http://www.sujb.cz/eng/sujb.html
7 http://derstandard.at/?id=1688783
8 http://www.bmu.gv.at
9 http://www.gruene.at/
10 http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/17335/1.html
11 http://www.heise.de/tp/deutsch/special/zen/17568/1.html
12 http://www.frm2.tu-muenchen.de/
13 http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/lis/13955/1.html
14 http://www.umweltinstitut.org/frames/allg/press/f-20030415.htm
15 http://www.deubowien.at/io/de/home/IO-Vertretung/IAEO/iaeo.html