23.11.2004

Tiertransporte: Keine Aussicht
auf Ende der Quälerei
in diesem Jahrzehnt

Abgesehen von reiner Kosmetik und unverbindlichen Absichts- Bekundungen muß zum Ende des gestrigen Agrar-MinisterInnen- Treffens in Brüssel konstatiert werden: Bei Tiertransporten in der EU sind in diesem Jahrzehnt weder kürzere Transportzeiten noch Verbesserungen beim Platzangebot in Sicht.

Pferde-Transport Die EU-Agrar-MinisterInnen einigten sich auf Neuregelungen, die über die bisherigen substantiell kaum hinausgehen. Ein zeitliches Limit von acht Stunden für Tiertransporte wie aus Sicht von Tierschutz-ExpertInnen unbedingt erforderlich, fand ein weiteres Mal keine Mehrheit. Die deutsche Agrar-Ministerin Renate Künast kann so die Verantwortung für die unhaltbaren Zustände auf deutschen Straßen auch in den nächsten Jahren auf die EU schieben. Weiterhin dürfen Schweine und Pferde beispielsweise 24 Stunden ohne Pause transportiert werden. Die Gesetzgebung erlaubt auch in Zukunft maximale Gesamt-Transportzeiten zwischen 19 Stunden für nicht entwöhnte Jungtiere und 29 Stunden für Rinder, Schafe und Ziegen.

In den vergangenen drei Jahren konnte in der EU keine Einigung über die dringend notwendige Verbesserung der Transportbedingungen für Tiere erzielt werden. Gestern einigten sich die AgrarministerInnen auf einen "Kompromiß", welcher die Bereiche Transportzeit und Ladedichte unberücksichtigt läßt.

Neuerungen betreffen Bereiche, in denen Fachfirmen eine künstlich erzeugte Nachfrage nach technischen Kontroll-Systemen decken können. So müssen neue Fahrzeuge für Tiertransporte ab 2007 mit Ausrüstungen zur Kontrolle per Satelliten-Ortungs-System ausgestattet werden, ab 2009 müssen auch alle alten Tiertransporter mit diesen Systemen ausgestattet sein. Neu sind ebenfalls Vorschriften für technische Ausstattungen mit aktiven Lüftungs-Systemen und zur Temperatur-Regelung. Die technische Durchführbarkeit dieser Bestimmungen wird jedoch von Tierschützern und Experten bezweifelt. Hinzu kommt, daß diese Vorschriften auch Klein-Speditionen treffen, die bislang nur Transporte über wenige Kilometer bis zum nächsten Schlachthof übernahmen. Durch die hohen Investitionskosten für die Ausstattung der Fahrzeuge werden kleine und mittelständische Firmen zur Aufgabe gezwungen und einer weiteren Markt-Konzentration Vorschub geleistet.

Kleine reale Verbesserungen sind aus Sicht des Tierschutzes allenfalls in zwei Punkten zu erkennen: Zukünftig müssen Tierärzte vor Transportbeginn bescheinigen, daß alle Tiere gesund und transportfähig sind. Auch treten für Jungtiere Beschränkungen in Kraft. Kälber unter zehn Tagen und Ferkel, die weniger als drei Wochen alt sind, dürfen nicht weiter als 100 Kilometer transportiert werden. Trächtige Tiere unterliegen zukünftig ebenfalls einem gewissen Schutz. Verbesserte Ausbildung der FahrerInnen sowie einheitliche Routenpläne sollen die bisherige Transport-Praxis verbessern. In der Haftungsfrage konnte bislang allenfalls die Transportfirma belangt werden, die die Verantwortung jedoch nicht selten auf andere abschoben. In Zukunft sind ebenso HändlerInnen, FahrerInnen, MitarbeiterInnen in Schlachthöfen, Häfen und Märkten juristisch ebenso verantwortlich. Allerdings hat dies nur Konsequenzen, wenn Verstöße gegen die allzu laschen Regelungen bei den Transportbedingungen nachweisbar sind.

"In der Praxis werden sich somit in den kommenden sieben Jahren für die Tiere auf Europas Straßen keine wirklichen Verbesserung ergeben," kommentiert Helmut Wittmann, Kampaigner der Tierschutz-Organisation 'Vier Pfoten'. Vielfach werden sie über Tage hinweg vom einen Ende Europas ans andere gekarrt, anstatt vor Ort geschlachtet zu werden.

Weiterhin werden alleine in Deutschland jährlich rund 450 Millionen Tiere geschlachtet. Davon wird der überwiegende Teil zuvor über große Entfernungen transportiert. Nach offiziellen Angaben werden über 360 Millionen Tiere innerhalb der EU oder über Grenzen hinweg, hin- und hertransportiert. Regelmäßig kommt es dabei zu Verletzungen und zu Verstößen gegen die ohnehin sehr industriefreundlichen Regelungen. Nach den eh schon völlig überzogenen maximalen Transportzeiten muß lediglich eine 24-stündige Pause eingelegt werden. Anschließend kann die Fahrt für die eng gedrängt stehenden Tiere fortgesetzt werden. Transporte und Pausen könne in unbegrenzten Zyklen weitergehen, wobei Temperaturen bis zu 35 Grad Celsius zulässig sind.

Allein rund 100.000 Pferde kamen 2003 aus Osteuropa und endeten in italienischen, französischen oder belgischen Schlachthäusern. Deutschland exportiert mehr als fünf Millionen Tiere pro Jahr. Bevorzugt werden nach wie vor Lebend-Transporte, während Kühlfleisch-Transporte über einen gewissen Marktanteil nie hinaus kamen. Ein Grund besteht darin, daß mit EU-Geldern Großschlachthöfe in strukturschwachen Gebieten errichtet wurden. Um ihre Kapazitäten auszunutzen, locken sie mit niedrigen Preisen. Kleinere Schlachthöfe können nicht konkurrieren und schließen.

Um den Rindfleischmarkt in der EU zu "entlasten", wird der Export von Rindfleisch und lebenden Rindern durch Exporterstattungen subventioniert. Mit 200 Euro pro Tier sind die SteuerzahlerInnen beteiligt. Aus religiösen und traditionellen Gründen hinsichtlich der Schlachtung wollen bestimmte Länder lebende Tiere. Allein 2002 hat Deutschland aus diesem Grund 103.636 Bullen auf die sechs bis acht Tage dauernde Schiffsreise übers Mittelmeer geschickt. Pferde werden überwiegend lebend transportiert, weil in Importländern wie Frankreich und Italien eine breite Akzeptanz von Kühlfleisch fehlt. Kälber werden von Deutschland nach Spanien transportiert, da in Spanien Haltungsformen zur Mast (White Veal) erlaubt sind, die in Deutschland mittlerweile verboten wurden.

Das alles geschehe allein "damit die Agrarindustrie ein paar Cent mehr Profit pro Schlachttier einstreicht", kommentiert der deutsche Tierschutzbund. Auch der Verband 'Europäischer Tier- und Naturschutz' (ETN) kündigte an, den EU-Beschluß nicht zu akzeptieren und "massiven rechtlichen und politischen Widerstand gegen die fortgesetzte Tierquälerei in Europa" zu leisten. Der Verein ist eine der größten gemeinnützigen Tier- und Naturschutzorganisationen in Europa und wird europaweit von über 100.000 Menschen unterstützt. Norbert Günster, Geschäftsführender Vorstand des ETN sprach von einem "schwarzen Tag für den Tierschutz in Europa".

Der ETN wertet die gestrigen Beschlüsse gar als Verschlechterung des Tierschutzes. Der Tierschutz in Europa werden "knallharten ökonomischen Interessen" geopfert. Nach der Auffassung der ETN hätten sich seit dem EU-Beitritt der zehn osteuropäischen Länder die Transportwege noch einmal stark erhöht. "Unsere Befürchtungen, daß die EU-Erweiterung zu einer starken Verschlechterung der Situation der Tiere führen würde, scheint sich leider zu bewahrheiten," so Norbert Günster.

Die Verankerung des Tierschutzes im Grundgesetz, auf die viele Tierschutz-Organisationen große Hoffnungen gesetzt hatten, stellt sich so einmal mehr als Chimäre heraus.

 

Monika Wittmer

 

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