30.12.2002

Pardon:
Vor 25 Jahren lernte
die Menschheit fliegen

Vor einem Vierteljahrhundert, 1977, erschien die linke, zuvor nie mit esoterischen Themen aufgefallene, Zeitschrift 'pardon' mit Fotos fliegender Menschen auf der Titelseite und dem Aufmacher-Artikel "Flug zum Ich". Darin hieß es, daß "1977 möglicherweise in die allgemeine Geschichtsschreibung eingehen (wird) als das Jahr, in dem der Mensch fliegen lernte".

(Dokumentation des 'pardon'-Artikels: hier klicken)

Nein, es ging damals nicht um so banale Dinge wie Flugzeuge, Raketen oder Hubschrauber, die Vögeln oder Fledermäusen ähnlich mit physikalischem Kraftaufwand die Gravitation unseres Heimatplaneten überwinden - es ging darum, daß "durch Erreichen eines bestimmten Bewußtseinszustandes >>übernatürliche<< Fähigkeiten zu entfalten" wären. Und dies sollte durch glaubwürdige Augenzeugen und Fotos bewiesen werden.

Bewirken sollte diese Bewußtseinszustände die sogenannte Transzendentale Meditation, so der Name des Verkaufsschlagers und zugleich der Glaubensgemeinschaft eines aus Indien stammenden und damals durch seinen kurzzeitigen Kontakt mit den Beatles zu weltweiter Publicity gelangten Gurus mit dem Ehrentitel Maharishi Mahesh Yogi.

Genauer : Nicht durch die als "Meditationstechnik" damals für ein- bis zweihundert Mark angebotene TM (Transzendentale Meditation), sondern durch eine "Fortgeschrittenen-Technik", die erst nach Investition mehrerer tausend Mark und Absolvierung mehrwöchiger Seminare zu erlernen sei, könne das Schweben als "Nebenprodukt" erreicht werden. Die spannende Frage ist heute, nachdem die ganze Geschichte fast schon in Vergessenheit geraten ist: Steht jemand von den damals Beteiligten noch dazu, die Fotos aufgenommen zu haben? Wenigstens: Ist überhaupt noch jemand zu finden, die oder der damals solche Levitationen mit eigenen Augen gesehen haben will?

Ganz zu Beginn des Artikels wird als prominenter Zeuge der Atomphysiker und Philosoph Carl Friedrich von Weizsäcker, ein Bruder des früheren (aus damaliger Perspektive: zukünftigen) Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, aufgefahren: "Auch (...) Carl Friedrich von Weizsäcker hatte Levitationserlebnisse, sie verhalfen ihm zu >>blitzartigen Erleuchtungen<<.

Darauf im Interview angesprochen äußert sich C. F. v. Weizsäcker distinguiert mokant:
Frage: "Anhänger der Transzendentalen Meditation (TM) in der Bundesrepublik behaupten, sie könnten >>fliegen<<, sie könnten schwerelos in der Luft schweben. Und es heißt, Sie selbst hätten durch Ihre Meditation solche Levitations- erfahrungen ebenfalls gehabt. Haben Sie körperlich abgehoben, sind Sie geflogen?"
VON WEIZSÄCKER: "Ich weiß nicht, wer die Behauptung aufgebracht hat, ich hätte Levitationserfahrungen gehabt. Das ist schlicht falsch. Ich habe keine gehabt. Ich weiß aus der Literatur, daß Menschen berichten - übrigens auch in der westlichen Mystik - , daß sie Levitation erlebt hätten. Aber ich persönlich habe mich niemals für Mirakel interessiert. Mir ist das vollkommen gleichgültig gewesen. Sollte es mir passieren, werde ich mich dafür interessieren." 1

Weiter werden im 'pardon'-Artikel Manfred P. Kage, der als Besitzer eines Instituts für wissenschaftliche Fotografie und Kinematografie vorgestellt wird und Bodo Kessler, freier Kameramann aus München, als Zeugen genannt. Über sie heißt es im Artikel:
"Sie hatten in Lindenberg im Allgäu in einer der 17 deutschen Maharishi-Akademien zum erstenmal Fotos von Menschen gesehen, die sich augenscheinlich freischwebend in der Luft befinden. Nun wollten sie sich selbst ein Bild von der ganzen denkwürdigen Angelegenheit machen. Im TM-Hotel >>Sonnenberg<< treffen sie auf den Inder Maharishi Mahesh Yogi. (...) Spontaneität kommt auf, als Maharishi von den Anwesenden direkt befragt wird. Meditationserlebnisse werden geschildert, und, was die Beobachter natürlich besonders interessiert, es werden Fragen zur Levitation, diesem Zustand des Schwebens, gestellt. Manfred Kage ergreift die Gelegenheit und bittet darum, unter anderem auch diese Flug-Phänomene fotografieren, filmen und publizieren zu dürfen. Er erhält die Erlaubnis. Am Nachmittag findet dann die Flugdemonstration statt. Sie fotografierten das Unwahrscheinliche: Manfred Kage, unter anderem Experte im Bereich der wissenschaftlichen Mikro- und Makrofotografie, und Hartmut Noeller, Fotojournalist (kleines Bild), kamen als skeptische Beobachter - heute sind sie es nicht mehr."

Auch in einer Bildunterzeile ist Manfred P. Kage als einer der Urheber der Fotos ausgewiesen. Heute ist Manfred P. Kage Professor und kann sich an diese Geschichte zunächst gar nicht erinnern. Auf mehrere Details hingewiesen, behauptet Kage, er habe damals nur das Interview, aber keine "solchen Fotos" gemacht. Über diese Geschichte sei doch längst "soviel Gras gewachsen". Er habe nichts mit eigenen Augen gesehen. Soweit er wisse, kamen diese Fotos "von TM selber", "da kriegte man wie von einer Presseagentur ein paar Fotos". Abschließend meint Professor Kage: "Mich interessiert diese ganze Geschichte nicht mehr und ich weiß gar nicht, ob es TM überhaupt noch gibt."

Bodo Kessler, der als Zeuge genannte freie Kameramann aus München, erklärt heute, er habe damit "nur ganz am Rande" zu tun gehabt. Außerdem sei er in 'pardon' "falsch zitiert" worden, hätte "von Levitationen nie Fotos gemacht". Er meint heute, schon damals "fand (er) das sehr merkwürdig" und er habe "sowieso an das ganze Zeug nie geglaubt."

Vermutlich waren die Einzigen, die "das ganze Zeug" geglaubt haben, Leserinnen und Leser der Zeitschrift 'pardon' und einfache Anhänger des TM-Kultes. Eine Frage bleibt offen: Wie war es möglich, daß ein solcher Artikel in einer - zumindest bis 1977 - als kritisch geltenden linken Zeitschrift erscheinen konnte. Vielleicht können wir noch Mitglieder der damaligen Redaktion von 'pardon' ausfindig machen und eine Antwort auf diese Frage nachliefern...

 

Ute Daniels

 

Anmerkungen:
1 Interview aus 'stern' Nr. 51 von 1978

 

neuronales Netzwerk