Vor einem Vierteljahrhundert, 1977, erschien die linke, zuvor nie mit esoterischen Themen
aufgefallene, Zeitschrift 'pardon' mit Fotos fliegender Menschen auf der Titelseite und
dem Aufmacher-Artikel "Flug zum Ich". Darin hieß es, daß "1977 möglicherweise in die
allgemeine Geschichtsschreibung eingehen (wird) als das Jahr, in dem der Mensch fliegen
lernte".
(Dokumentation des
'pardon'-Artikels: hier klicken)
Nein, es ging damals nicht um so banale Dinge wie Flugzeuge, Raketen oder Hubschrauber,
die Vögeln oder Fledermäusen ähnlich mit physikalischem Kraftaufwand die Gravitation
unseres Heimatplaneten überwinden - es ging darum, daß "durch Erreichen eines bestimmten
Bewußtseinszustandes >>übernatürliche<< Fähigkeiten zu entfalten" wären. Und dies sollte
durch glaubwürdige Augenzeugen und Fotos bewiesen werden.
Bewirken sollte diese Bewußtseinszustände die sogenannte Transzendentale Meditation, so
der Name des Verkaufsschlagers und zugleich der Glaubensgemeinschaft eines aus Indien
stammenden und damals durch seinen kurzzeitigen Kontakt mit den Beatles zu weltweiter
Publicity gelangten Gurus mit dem Ehrentitel Maharishi Mahesh Yogi.
Genauer : Nicht durch die als "Meditationstechnik" damals für ein- bis zweihundert Mark
angebotene TM (Transzendentale Meditation), sondern durch eine "Fortgeschrittenen-Technik",
die erst nach Investition mehrerer tausend Mark und Absolvierung mehrwöchiger
Seminare zu erlernen sei, könne das Schweben als "Nebenprodukt" erreicht werden. Die
spannende Frage ist heute, nachdem die ganze Geschichte fast schon in Vergessenheit
geraten ist: Steht jemand von den damals Beteiligten noch dazu, die Fotos aufgenommen
zu haben? Wenigstens: Ist überhaupt noch jemand zu finden, die oder der damals solche
Levitationen mit eigenen Augen gesehen haben will?
Ganz zu Beginn des Artikels wird als prominenter Zeuge der Atomphysiker und Philosoph Carl
Friedrich von Weizsäcker, ein Bruder des früheren (aus damaliger Perspektive: zukünftigen)
Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, aufgefahren: "Auch (...) Carl Friedrich von
Weizsäcker hatte Levitationserlebnisse, sie verhalfen ihm zu >>blitzartigen Erleuchtungen<<.
Darauf im Interview angesprochen äußert sich C. F. v. Weizsäcker distinguiert mokant:
Frage: "Anhänger der Transzendentalen Meditation (TM) in der Bundesrepublik behaupten, sie
könnten >>fliegen<<, sie könnten schwerelos in der Luft schweben. Und es heißt, Sie selbst
hätten durch Ihre Meditation solche Levitations- erfahrungen ebenfalls gehabt. Haben Sie
körperlich abgehoben, sind Sie geflogen?"
VON WEIZSÄCKER: "Ich weiß nicht, wer die Behauptung aufgebracht hat, ich hätte
Levitationserfahrungen gehabt. Das ist schlicht falsch. Ich habe keine gehabt.
Ich weiß aus der Literatur, daß Menschen berichten - übrigens auch in der westlichen
Mystik - , daß sie Levitation erlebt hätten. Aber ich persönlich habe mich niemals für
Mirakel interessiert. Mir ist das vollkommen gleichgültig gewesen. Sollte es mir
passieren, werde ich mich dafür interessieren." 1
Weiter werden im 'pardon'-Artikel Manfred P. Kage, der als Besitzer eines Instituts für
wissenschaftliche Fotografie und Kinematografie vorgestellt wird und Bodo Kessler, freier
Kameramann aus München, als Zeugen genannt. Über sie heißt es im Artikel:
"Sie hatten in Lindenberg im Allgäu in einer der 17 deutschen Maharishi-Akademien zum
erstenmal Fotos von Menschen gesehen, die sich augenscheinlich freischwebend
in der Luft befinden. Nun wollten sie sich selbst ein Bild von der ganzen denkwürdigen
Angelegenheit machen. Im TM-Hotel >>Sonnenberg<< treffen sie auf den Inder Maharishi
Mahesh Yogi. (...) Spontaneität kommt auf, als Maharishi von den Anwesenden direkt
befragt wird. Meditationserlebnisse werden geschildert, und, was die Beobachter natürlich
besonders interessiert, es werden Fragen zur Levitation, diesem Zustand des Schwebens,
gestellt. Manfred Kage ergreift die Gelegenheit und bittet darum, unter anderem auch
diese Flug-Phänomene fotografieren, filmen und publizieren zu dürfen. Er erhält die
Erlaubnis. Am Nachmittag findet dann die Flugdemonstration statt. Sie fotografierten das
Unwahrscheinliche: Manfred Kage, unter anderem Experte im Bereich der wissenschaftlichen
Mikro- und Makrofotografie, und Hartmut Noeller, Fotojournalist (kleines Bild), kamen als
skeptische Beobachter - heute sind sie es nicht mehr."
Auch in einer Bildunterzeile ist Manfred P. Kage als einer der Urheber der Fotos
ausgewiesen. Heute ist Manfred P. Kage Professor und kann sich an diese Geschichte
zunächst gar nicht erinnern. Auf mehrere Details hingewiesen, behauptet Kage, er habe
damals nur das Interview, aber keine "solchen Fotos" gemacht. Über diese Geschichte sei
doch längst "soviel Gras gewachsen". Er habe nichts mit eigenen Augen gesehen. Soweit er
wisse, kamen diese Fotos "von TM selber", "da kriegte man wie von einer Presseagentur
ein paar Fotos". Abschließend meint Professor Kage: "Mich interessiert diese ganze
Geschichte nicht mehr und ich weiß gar nicht, ob es TM überhaupt noch gibt."
Bodo Kessler, der als Zeuge genannte freie Kameramann aus München, erklärt heute, er habe
damit "nur ganz am Rande" zu tun gehabt. Außerdem sei er in 'pardon' "falsch zitiert"
worden, hätte "von Levitationen nie Fotos gemacht". Er meint heute, schon damals
"fand (er) das sehr merkwürdig" und er habe "sowieso an das ganze Zeug nie geglaubt."
Vermutlich waren die Einzigen, die "das ganze Zeug" geglaubt haben, Leserinnen und
Leser der Zeitschrift 'pardon' und einfache Anhänger des TM-Kultes. Eine Frage bleibt
offen: Wie war es möglich, daß ein solcher Artikel in einer - zumindest bis 1977 - als
kritisch geltenden linken Zeitschrift erscheinen konnte. Vielleicht können wir noch
Mitglieder der damaligen Redaktion von 'pardon' ausfindig machen und eine Antwort auf
diese Frage nachliefern...
Ute Daniels
Anmerkungen:
1 Interview aus 'stern' Nr. 51 von 1978