26.07.2003

Ausstellung
von Trophäen

Bislang ist das Römische Imperium zumindest in einer Hinsicht unübertroffen. Im Jahre 71 v. Chr. wurden nach der Niederschlagung des Spartakus-Aufstandes rund 6000 Sklaven entlang der Via Apia gekreuzigt. Zu anderen Zeiten und von anderen Imperien wurden Schrumpfköpfe als Trophäen bevorzugt - sie sind haltbarer und erfüllen die Zwecke Abschreckung und Machtdemonstration über einen längeren Zeitraum.

Keine anderen Zwecke verfolgte die US-Regierung mit der Präsentation der angeblichen Leichen und den Fotos der Köpfe der beiden Söhne Saddam Husseins. Die vorgeschobene Behauptung, damit könne irgend etwas bewiesen werden, ist obsolet. Diese Präsentation von Trophäen von Seiten der US-amerikanischen Regierung ist nicht nur barbarisch, sondern auch lächerlich und dumm. Sie geht von der irrigen Annahme aus, der stärker werdende, auch militärische oder vielleicht bereits Guerilla-ähnliche Widerstand im Irak sei aus einer Identifikation mit dem gestürzten Regime gespeist oder gar von versprengten Einheiten der "Republikanischen Garden" des Hussein-Regimes kommandiert.

Es wird sich zeigen, daß die US-Regierung auf diese Weise den Widerstand im Irak eher anstachelt, anstatt ihn - wie beabsichtigt - zu brechen. In blinder Wut reagiert sie auf die für sie überraschende Tatsache, daß ihrer Besatzung, die sie meinte den Irakern als "Befreiung" verkaufen zu können, größerer Haß entgegen schlägt als der Diktatur Saddam Husseins. Dabei wußten frühere Imperien nur zu gut, warum sie einheimische Eliten (einen "König" Herodes beispielsweise) als Statthalter einsetzen: Gegen ein in einheimischen Clans verwurzeltes Regime gab und gibt es immer geringeren Widerstand als gegen ein klar als Besatzungsmacht erkennbares Regime.

Dabei ist für jeden auch nur halbwegs kritischen Menschen klar, daß die zwei von der US-Regierung präsentierten Leichen überhaupt nichts über Leben oder Tod der Söhne Saddam Husseins besagen. Noch im Februar hatte mich der stellvertretende Chefredakteur einer mittelgroßen deutschen Tageszeitung gefragt, ob ich denn ernsthaft behaupten wolle, daß die von Colin Powell vor dem Weltsicherheitsrat präsentierten "Beweise" gefälscht seien. Damals wie heute ist meine doppelte Antwort, daß es sich erstens ganz offensichtlich nicht um Beweise, sondern allenfalls um Indizien handelte und - viel wichtiger - daß zweitens eine Diskussion über die vorgebrachten Kriegsgründe nur von den nicht genannten, tatsächlichen ablenkt.

Selbstverständlich ist der US-Regierung zuzutrauen, daß sie lügt und fälscht. (Und im Februar fügte ich hinzu, daß sie dumm wäre, ein unnötiges Risiko einzugehen). Und selbstverständlich ist der US-Regierung, die nie irgendwelche Skrupel hatte, demokratisch gewählte Regierungen ermorden zu lassen oder die übelsten Diktatoren zu installieren und zu erhalten, auch zuzutrauen, daß sie die Terror-Anschläge vom 11. September 2001 vom eigenen Geheimdienst ausführen ließ. Nur: All die kursierenden Verschwörungstheorien lenken gerade vom entscheidenden Punkt ab, daß nämlich der Terror vom 11. September nur Vorwand für die schon lange geplanten Kriege in Afghanistan und im Irak war - ganz gleich ob nun von arabischen oder südamerikanischen Terroristen oder vom eigenen Geheimdienst ausgeführt.

Und selbstverständlich wäre es nicht das erste Mal, daß eine US-amerikanische Regierung sich einen Vorwand für einen längst zuvor geplanten Krieg selbst verschafft, um die in einer Semi-Demokratie denn doch erforderliche Zustimmung der eigenen Bevölkerung zum Kriegskurs zu erlangen:

Die 'Maine'

1898 diente die Zerstörung des (unwichtigen und veralteten) US-amerikanischen Schlachtschiffs 'Maine' in der Bucht von Havanna als Vorwand für die Kriegserklärung an Spanien. 260 amerikanische Seeleute kamen ums Leben und die darauf folgende Pressekampagne - die US-amerikanische Öffentlichkeit war keineswegs sofort kriegsbegeistert - war damals tatsächlich beispiellos. Erst dreizehn Jahre später kam eine Untersuchungskommission zum Ergebnis, daß zumindest die Spanier eindeutig nichts mit der Explosion im Schiff zu tun haben konnten.

Pearl Harbor

1940 wurde Franklin Delano Roosevelt, der als "Friedens"-Kandidat im Wahlkampf aufgetreten war, US-Präsident. Die USA war durch lange Jahre der Wirtschaftskrise gegangen und das Interesse der US-amerikanischen Bevölkerung und das der führenden Unternehmen an einer Beteiligung am Zweiten Weltkrieg standen sich diametral entgegen. 1941 wurde der veraltete Teil der US-amerikanischen Marine im pazifischen Pearl Harbor zusammengezogen und in Reichweite der japanischen Luftwaffe geradezu als idealer Köder ausgelegt, während Japan zugleich durch ein Ölembargo schwer getroffen und provoziert wurde. Heute ist zumindest nachgewiesen, daß der britische Premier Churchill vom Geheimdienst über den bevorstehenden japanischen Angriff auf Pearl Harbor informiert war. Ungeklärt ist allerdings immer noch, ob er dieses Wissen an Roosevelt weitergab. Über 2000 US-amerikanische Soldaten wurden beim für sie völlig überraschenden Angriff abgemetzelt. Der "Überfall auf Pearl Harbor" diente als willkommener Anlaß für den Kriegseintritt der USA und die "konjunkturelle" Erholung der US-amerikanischen Wirtschaft.

Sputnik-Schock und Raketenlücke

1957 gelang es der UdSSR als erstem Land, einen Satelliten ins All zu schießen: Sputnik. Der vermeintliche technologische und militärische Rückstand löste in der US-amerikanischen Führung einen Schock aus. Im Präsidentschaftswahlkampf 1960 spielte der CIA einigen Journalisten "vertrauliche Dokumente" zu, die einen enormen Vorsprung der UdSSR, die "Raketenlücke" beweisen sollten. John F. Kennedy versprach ein Milliarden-Programm zum Bau neuer Interkontinental- Raketen und gewann die Wahl. Zumindest nach der Wahl und der umgehend erfolgten Bewilligung des Gelder wußte Kennedy nachweislich von der Tatsache, daß die USA all die Zeit eine riesige militärische Überlegenheit gegenüber der UdSSR besaß.

Tonking

1964 meldeten zwei US-Zerstörer, sie seien im Golf von Tonking von nordvietnamesischn Torpedobooten angegriffen worden. Presse und TV rückten den Vorfall mit Schlagworten wie "Demütigung" und "Vergeltung" in den Mittelpunkt des US-amerikanischen Interesses. US-Präsident Johnson nutzte die Gelegenheit zum Beginn des Vietnamkrieges, der bis 1975 dauerte. (Allerdings hatte bereits Kennedy mit der Stationierung von US-Militär in Südvietnam begonnen.) Später wurde durch Aussagen von US-amerikanischen Besatzungmitgliedern des angeblich angegriffenen Zerstörers bekannt, daß der "Überfall von Tonking" reine Erfindung gewesen war.

Brutkästen-Babys in der Frauenklinik in Kuweit

1990, vor Beginn des zweiten Golfkriegs (als erster Golfkrieg wird der Krieg zwischen Irak und Iran bezeichnet) wurden gleich eine ganze Reihen von Lügen verbreitet. Die wohl historisch dreisteste Inszenierung dürfte sicherlich die Geschichte vom Mord an den Brutkasten-Babys in der Frauenklinik in Kuweit darstellen. Nachdem Saddam Hussein zunächst von Seiten der US-Regierung signalisiert worden war, daß sie eine Annexion Kuweits dulden würde, ließ sie am 10. Oktober 1990 eine Frau und einen Mann anonym vor dem Menschenrechtsausschuß des US-Kongresses mit der Behauptung auftreten, sie seien Augenzeugen gewesen als irakische Truppen in Kuweit 312 Säuglinge aus den Brutkästen gerissen und grausam getötet hätten. Am 27. Oktober 1990 wurde die gleiche Show noch einmal vor dem UN-Sicherheitsrat gegeben.

Diese Inszenierung, die mit Hilfe der Medien zentral dazu benutzt wurde, Saddam Hussein der Weltöffentlichkeit als "Hitler von heute" zu präsentieren, war von der Public Relation Agency Hill & Knowlton fabriziert worden, nachdem diese ermittelt hatte, daß die US-AmerikanerInnen Babymord als das bei weitem schlimmste Verbrechen ansehen. Deshalb erfand Hill & Knowlton - im Auftrage der US-Regierung - die Lüge vom Babymord in Kuweit und schreckte nicht einmal davor zurück, die angeblichen AugenzeugInnen für diesen Babymord vor dem USA-Kongreß und dem UN-Sicherheitsrat auftreten zu lassen. Später stellte sich heraus, daß die Rolle der Krankenschwester von der Tochter des kuweitischen Botschafters in der USA und in der Rolle eines Chirurgen von einem New Yorker Zahnarzt gespielt worden waren.

Zwei Tage nach der Inszenierung beschloß der UN-Sicherheitsrat seine als Kriegsmandat interpretierbare Resolution 678. Als der Schwindel aufgedeckt wurde, war der zweite Golfkrieg längst im Gange.

Nine-Eleven

Viele behaupteten dreist, manche gutgläubig, die USA sei inzwischen geläutert und es sei undenkbar, daß sie den Terror vom 11. September 2001 selbst in Auftrag gegeben habe.

Wie dem auch immer sei - die Diskussion über die eklatanten Widersprüche in der Darstellung des Ablaufs und die unglaublichen Geschichten von Attentätern, die in US-amerikanischen Flugschulen Unterricht genommen hätten, lenkt allzu sehr davon ab, daß ein terroristischer Angriff niemals einen Krieg legitimieren kann. Solange keine Fakten zu Tage kommen, handelt es sich zudem um pure Spekulationen.

Private Lynch

Als bewiesen darf jedoch angesehen werden, daß die US-Regierung auch heute dreist und ohne Skrupel die Öffentlichkeit belügt.

Anfang April 2003 berichteten die US-amerikanischen Medien in großer Aufmachung und allen Einzelheiten über die Befreiung der Soldatin Jessica Lynch. Sie gehörte angeblich zu den zehn SoldatInnen, die von irakischen Einheiten gefangen genommen worden waren. Am 23. März sei sie in einen Hinterhalt geraten und habe bis zum letzten Schuß Widerstand geleistet. Schließlich sei sie niedergestochen, gefesselt und in ein Krankenhaus hinter die feindlichen Linien in Nassirija gebracht worden. Dort sei sie von einem irakischen Offizier geschlagen und mißhandelt worden. Eine Woche später sei es amerikanischen, mit Hubschraubern ausgerüsteten Spezialeinheiten gegen den Widerstand von irakischen Wachen gelungen, in das Krankenhaus einzudringen, Jessica aufzuspüren und nach Kuwait zu bringen. Am selben Abend verkündete Bush junior der Nation von der heldenhaften Befreiungsaktion. Acht Tage später übergab das Pentagon den Medien ein angeblich bei der "Befreiungsaktion" gedrehtes Video.

Als am 9. April der Irakkrieg offiziell als beendet erklärt wurde, fuhren einige Journalisten (von der Los Angeles Times, Toronto Star, El País und von BBC World) nach Nassirija, um die vom Pentagon gegebene Darstellung zu überprüfen. Ihre Nachforschungen bei den irakischen Ärzten, die Jessica versorgt hatten, ergaben, daß die Verletzungen der jungen Frau (ein Arm und ein Bein gebrochen, ein Fußknöchel verrenkt) nicht auf Schußwaffen zurückzuführen waren, sondern auf einen Unfall mit dem LKW, in dem sie gefahren war. Auch war sie nicht mißhandelt worden. Im Gegenteil, die Ärzte hatten alles getan, um sie bestmöglich zu versorgen. "Sie hatte viel Blut verloren", erzählte Dr. Saad Abdul Razak, "und brauchte dringend eine Bluttransfusion. Zum Glück haben einige Mitglieder meiner Familie dieselbe Blutgruppe wie sie: null positiv. So konnten wir genug Blut beschaffen. Ich denke, wir haben ihr das Leben gerettet."

Unter Lebensgefahr versuchten die Ärzte, Kontakt zu den amerikanischen Streitkräften aufzunehmen, um ihnen Jessica Lynch zu übergeben. Zwei Tage später fuhren sie ihre Patientin sogar in einem Krankenwagen in die Nähe der US-amerikanischen Linien. Aber die US-Soldaten eröffneten das Feuer und hätten ihre Heldin beinahe getötet. Im Morgengrauen des 2. April überraschten dann schwer bewaffnete Spezialeinheiten das Personal des Krankenhauses. Schon zwei Tage zuvor hatten die Ärzte den US-amerikanischen Streitkräften mitgeteilt, daß die irakische Armee sich zurückgezogen habe und sie Jessica Lynch gefahrlos abholen könnten.

Dr. Anmar Uday beschrieb die Szene dem BBC-Korrespondenten John Kampfner: "Es war wie in einem Hollywood-Film. Nirgendwo war ein irakischer Soldat, aber die amerikanischen Spezialeinheiten setzten ihre Waffen ein. Sie schossen wild um sich, und man hörte Explosionen. Sie riefen: Go! Go! Go! Der Angriff auf das Krankenhaus glich einer Show oder einem Actionfilm mit Sylvester Stallone."1

Die Szenen wurden mit einer Nachtsicht-Kamera aufgenommen. Der Kameramann war der Assistent von Ridley Scott, der bei den Dreharbeiten zu "Black Hawk Down" beteiligt war. Wie Robert Scheer von der Los Angeles Times berichtete, wurden die Bilder für den Schnitt in die Kommandozentrale der amerikanischen Streitkräfte in Katar geschickt und nach einer Prüfung durch das Pentagon in die ganze Welt ausgestrahlt.2

Udai und Kusai Hussein

Ein bißchen Skepsis dürfte auch helfen, sich klar zu machen, warum die Ausstellung der angeblichen Leichen und Fotos von den Köpfen der beiden Söhne Saddam Husseins, Udai und Kusai Hussein, keinerlei Beweis für deren Tod darstellen. Als Beweis hätte die Überprüfung der angeblichen DNA-Tests durch unabhängige Wissenschaftler genügt. Doch bei diesen DNA-Tests drängt sich bereits die erste Frage auf: Woher haben US-Wissenschaftler die erforderlichen Gegenproben, um die den beiden Leichen entnommenen Proben mit diesen zu vergleichen ? Konnten diese Wissenschaftler nachvollziehen, daß die ihnen zum Vergleich vorgelegten Proben und Gegenproben nicht zugleich den in Frage stehenden (oder einer beliebigen) Leichen entnommen wurden?

Weiter: Warum sollen sich die beiden Hussein-Brüder ausgerechnet im Kurdengebiet aufgehalten haben? Ist es glaubwürdig, daß sich die Söhne Saddam Husseins, eines ausgewiesenen Fuchses im Wechseln seiner Verstecke, ausgerechnet in einer der größten Villen der Stadt Mosul versteckt hielten? Ist es glaubwürdig, daß sie sich aus einem nahegelegenen Supermarkt ausgewählte, teure Speisen kommen ließen wie in Berichten behauptet wird oder erinnert dies nicht eher an die künstlich gelegte Spur einer "Elefantenherde"? Ist es glaubwürdig, daß 200 Soldaten der Task Force 20 mit Hubschraubern und Raketen eingesetzt wurden, um 4 Personen festzunehmen, die ohne jegliche Gefahr für US-amerikanische Menschenleben eingeschlossen und durch Aushungern zur Aufgabe hätten gezwungen werden können? Ist es nicht auch denkbar, daß die Leichen Saddam Husseins und seiner Söhne bereits seit längerem auf Eis liegen, um mit der Suche nach diesen die andauernde Präsenz der USA im Irak rechtfertigen zu können?

Ich möchte durch diese Fragen keineswegs zu Spekulationen anregen. Sie sollen lediglich belegen, daß die Art der Präsentation nicht den geringsten Beweischarakter besitzt - auch wenn sich Journalisten (u.a. Korrespondenten von Reuters und al-Dschasira) bei der Leichen-Show überzeugen ließen. Bereits kurz nach der Show mußte ein Vertreter der US-Regierung zugeben, daß die "Gesichtspartien wiederhergestellt" worden waren und mit einer speziellen Modelliermasse nachgeholfen worden war. Die Gründe für diese Trophy-Show sind rein propagandistische. Diese Inszenierung hat ausschließlich Aussagekraft in Hinblick auf Charakter und Dummheit der US-Regierung.

 

Klaus Schramm

 

Anmerkungen:
1 BBC London, 18. Mai 2003
2 Los Angeles Times, 20. Mai 2003

 

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