Der Westen ist zufrieden. Dank Millionen von US-Dollar und Euro wurde der westlich orientierte Viktor Juschtschenko zum ukrainischen Präsidenten gewählt. Und der zuletzt - sicherlich mit nicht weniger Schwindel - im Amt bestätigte und an Rußland orientierte Premierminister Viktor Janukowitsch muß das Feld räumen. Nun feiern die westeuropäischen und US-amerikanischen Massenmedien einen "Triumph der Demokratie."
Unter eben dieser Überschrift veröffentlichte Thomas Urban in der 'Süddeutschen Zeitung' vom 28.12.04 einen Kommentar. Und offenbar war er im Siegesrausch, denn zwischen das übliche überschwenglich Lob gerieten wohl versehentlich einige Wahrheiten, die sonst in "unseren" Zeitungen gerne verschwiegen werden.
Thomas Urban meint: "Eines wird Juschtschenko sicher nicht leisten können: die Monopole der Industrieoligarchen schnell zu brechen. Er wird behutsam vorgehen müssen, doch die Chancen, sie mittelfristig in eine Marktwirtschaft einzubinden, stehen gar nicht so schlecht. Denn die Oligarchen, die ihr Vermögen in den neunziger Jahren zum Teil mit kriminellen Methoden zusammengerafft haben, sind selber an Rechtssicherheit interessiert - und an Prestige: Sie wollen nämlich auch international als Teil der ukrainischen Elite anerkannt werden. (...) Der wilde Mafiakapitalismus will sich einen gediegenen Anstrich geben - und dies paßt sich durchaus in das Programm zur Demokratisierung des Landes ein. Daß die meisten Oligarchen, sollten sie zu guten Steuerzahlern werden, ungeschoren davonkommen dürften, weil ihnen kaum kriminelles Handeln nachgewiesen werden kann, wird wohl ein Preis für den Neuanfang sein."
Wenn wir uns nun noch ansehen, woher der Sieger Viktor Juschtschenko und seine engste Mitstreiterin Julia Timoschenko kommen, wird klar, daß sich auch in Zukunft nichts an der Machtverhältnissen in der Ukraine ändern wird. Die Mächtigen haben sich lediglich dazu entschlossen, stärker mit dem Westen statt mit Rußland zu kooperieren. Demokratie? Pustekuchen!
Seit der Erklärung der Unabhängigkeit am 24. August 1991 geht es den UkrainerInnen nicht besser - wie sie sich erhofft hatten - , sondern noch schlechter als zuvor. Eine neue Führungsschicht, die sich oft genug nicht einmal personell von der alten, "sozialistischen" unterschied, riß den herrschenden Bürokraten den Reichtum des Landes aus den Händen. Sie führte mit Hilfe von westlichen Banken und PolitikerInnen eine noch rücksichtlosere Ausbeutung ein und zerschlugen die im Namen eines "realexistierenden Sozialismus" aufrechterhaltenen Wohltaten wie ein Gesundheitssystem, das vergleichbaren Ländern im Westen überlegen war oder eine fehlende Arbeitslosigkeit.
Leonid Kutschma, zu Zeiten als die Ukraine zur Sowjetunion gehörte, Mitarbeiter des Geheimdienstes und Direktor einer "volkseigenen", der größten und wichtigsten Produktionsanlage für sowjetische Raketen, wurde 1994 Präsident der Ukraine. Unter ihm war der heute 50-jährige Viktor Juschtschenko bereits einmal von Dezember 1999 bis Mai 2001 Premierminister und Julia Timoschenko war ein Jahr lang dessen Stellvertreterin und Energieministerin. Und bereits zuvor war Juschtschenko von 1993 bis 1999 Präsident der ukrainischen Zentralbank.
Juschtschenko kam 1954 in dem Dorf Choruschivka als Sohn einer Lehrerfamilie zur Welt, absolvierte das Finanz- und Wirtschaftsinstitut in Ternopol, diente in der sowjetischen Armee und machte anschließend Karriere vom örtlichen Zweigstellenleiter bis zum Abteilungsdirektor der UdSSR-Staatsbank. Eine solche Karriere war nicht möglich ohne die genau Prüfung der "ideologischen Zuverlässigkeit". Verheiratet ist Juschtschenko mit einer US-Amerikanerin exil-ukrainischer Abstammung.
Anfang 2002 bildete Juschtschenko aus zehn Parteien den Block "Nascha Ukraina" ("Unsere Ukraine"), die bei den Parlamentswahlen im gleichen Jahr mit 25 Prozent der Stimmen zur stärksten Partei und Fraktion wurde. Nach diesem Erfolg konnte er Staatschef Kutschma herausfordern und seine Kandidatur für das Präsidentenamt erklären.
Vor diesem Hintergrund mutet es geradezu grotesk an, wenn die 'Zeit' (01/2005) vom 31.12.04 unter der Überschrift "Revolutionäre wider Willen" erklärt: "Nach 13 Jahren eines zynischen Regimes verschiedener Wirtschaftsclans kam er als Symbolfigur gerade recht, und einen Besseren gab es nicht. Der gelernte Buchhalter empfindet seinen Sieg im dritten Anlauf der Präsidentschaftswahl als bleischweren Vorschuß und ist dennoch glücklich, da kein Blutvergießen den Erfolg belastet." Und: "Schon als Kind war Juschtschenko kein Barrikadenkletterer."
Auch die 44-jährige Julia Timoschenko hat bereits vor ihrer "revolutionären" Rolle als "Jeanne d'Arc der Ukraine" kräftig zugelangt. Julia Timoschenko, zuvor als "Lady Ju" oder "Gasprinzessin" bekannt, besitzt mindestens 30 Millionen Euro, ist Chefin von zwei Großunternehmen und entstammt demselben Clan von Dnipropetrowsk, dem Kutschma seine Macht verdankte. Dieser Clan übernahm in den 90er Jahren die politische Macht in der Ukraine, zerstritt sich jedoch später. Timoschenko war Direktorin eines der größten Energieunternehmen, bevor sie unter Präsident Leonid Kutschma als Energieministerin die Gaswirtschaft reorganisierte.
Der britische 'Guardian' zitiert in seiner Ausgabe vom 26. November 2004 ein Buch von Matthew Brzezinski, "Kasino Moskau", das sich in einem Kapitel Timoschenko, der "elf-Milliarden-Dollar-Frau", widmet. Timoschenko ließ sich von einer ganzen Einheit ehemaliger sowjetischer Sonderkräfte bewachen, als es ihr in einer historisch einmaligen Leistung gelang, 20 Prozent des Reichtums des Landes unter ihre Kontrolle zu bringen, während das ganze Land hungerte.
Ihre Karriere verdankt sie weitgehend ihrem Mentor Pawlo Lasarenko. Als Kutschma diesen 1996 zum Premierminister machte, gelangte Julia Timoschenko in greifbare Nähe gigantischer Reichtümer. Lasarenko überließ Timoschenko die Kontrolle über die EESU (Vereinigten Energiesysteme der Ukraine), einer Firma, die das billige russische Gas zu Weltmarktpreisen an ukrainische Unternehmen und auch ins Ausland verkaufte.
Indizien belegen, daß Timoschenko auch illegal die Transitpipeline anzapfen ließ, mit der das russische Gas über die Ukraine nach Westen transportiert wird. Als Chefin des Energie-Konzerns EESU von 1995 bis 1997 soll sie etwa drei Milliarden Kubikmeter russisches Erdgas im Wert von mehr als 80 Millionen Dollar mit falschen Dokumenten am ukrainischen Zoll vorbei an eine britische Tochterfirma verkauft haben. Sie selbst charakterisierte die ukrainische Unternehmenskultur einmal mit den Worten: "Jeder, der nur einen Tag im ukrainischen Geschäftsleben tätig war, könnte ins Gefängnis gesteckt werden". Wie dem auch immer sei - schnell wurde sie zu einer der reichsten Personen des Landes. Julia Timoschenko wurde nie eine Unterschlagung nachgewiesen. Doch ihr Mentor Lasarenko sitzt seit Jahren wegen Geldwäsche in einem US-amerikanischen Gefängnis. Gut möglich, daß der CIA in seinen Giftschränken Dossiers mit belastenden Beweisen gegen Timoschenko verschlossen hält und sie auf diese Weise steuern kann.
Anfang 2000 wurde Julia Timoschenko Vizepremier und Energieministerin im Kabinett von Wiktor Juschtschenko. Sie geriet mit mehreren Oligarchen aneinander, die auch von illegalen Geschäften mit Gas und Öl lebten. Kutschma setzte sie Anfang 2001 unter dem Vorwurf der Steuerhinterziehung und Urkundenfälschung ab. Als sie zur Opposition überlief, steckte Kutschma Timoschenko ins Gefängnis. Dort trat sie angeblich in den Hungerstreik und wurde nach 42 Tagen freigelassen. Seitdem versuchte die Regierung immer wieder erfolglos, die einstige Ministerin unter Korruptionsvorwurf hinter Gitter zu bringen.
Recht schnell war auch ihr Intermezzo auf der Interpol-Fahndungsliste beendet. Am Dienstag, 7. Dezember 2004, abends, wurde Julia Timoschenko von Interpol wegen Betrugverdachts zur Fahndung ausgeschrieben. Doch bereits am selben Abend verschwand der Name Julia Timoschenko ohne Angabe von Gründen von der Fahndungsliste. In einer Agentur-Meldung hieß es: "Julia Timoschenko betrieb in den 1990er Jahren gemeinsam mit ihrem Ehemann Alexander ein florierendes Energieimportunternehmen mit engen Beziehungen zu Rußland. Der Name Alexander Timoschenko blieb auch am Dienstagabend weiter auf der Fahndungsliste." Doch von Alexander Timoschenko hatte sie sich bereits vier Jahren zuvor getrennt. Der Haftbefehl gegen Julia Timoschenko beruhte auf der Anschuldigung, sie habe ranghohe russische Militärs bestochen. Einer Vorladung der russischen Behörden im Herbst sei sie nicht gefolgt. Offensichtlich waren höhere Mächte im Spiel als die "Jeanne d'Arc der Ukraine" so blitzartig den Fängen von Interpol entglitt.
Höhere Mächte müssen es auch gewesen sein, die Julia Timoschenko das Material in die Hände spielten, mit dem sie 2002 Präsident Kutschma in ernsthafte internationale Schwierigkeiten bringen konnte: Sie deckte auf, daß Kutschma Radaranlagen an das Regime von Saddam Hussein verkauft hatte.
Dazu weiß sie sich nicht nur als Volkstribunin, sondern zugleich im Stil von Lady Di zu inszenieren, wenn sie im internationalen Modemagazin 'Harpers' Schönheits-Tips zum Besten gibt. Abgerundet wird das Bild durch ein 2003 im Vorfeld der ukrainischen Parlamentswahl veröffentlichtes Buch, mit dem sie mit viel Geld und Ghostwriter (Juri Rohoza) das von Präsident Kutschma erlassene Verbot von Fernsehauftritten und Wahlwerbung für sich und ihre Partei umgehen konnte. Inhaltlich unbedeutend und stilistisch schwach wäre das Buch bei anderer Gelegenheit kaum auf öffentliches Interesse gestoßen. Der Zeitpunkt und die zügellose Glorifizierung der Person Julia Timoschenkos sorgten jedoch für den gewünschten Presserummel. Zu ihren politischen Managern zählt ihre in den USA ausgebildete Tochter.
Parallel zu ihrer beruflichen Karriere stieg Julia Timoschenko in die Politik ein und die Vermutung liegt nahe, daß ihr Motiv darin bestand, ihren wirtschaftlichen Erfolg abzusichern. Bereits 1996 wurde sie Parlamentsabgeordnete und 1999 gründete sie ihre eigene Partei, die 'Vaterlandspartei'. Von ihr heißt es respektvoll und unisono bei Freund und Feind, Julia Timoschenko sei "der einzige Mann" in der Politik der Ukraine.
Der Wandel von der knallharten Millionärin zur Revolutionärin macht sich nun auch im Wechsel der Haarfarbe bemerkbar:
Wieviel Demokratie von diesen "Revolutionären" zu erwarten ist, wird an einem Ausspruch von Viktor Juschtschenko deutlich: "Demokratie ist für mich eine Form der Religion."
Viktor Juschtschenko und Julia Timoschenko werden auch in Zukunft nicht anders handeln als sie es auf ihrem Weg nach oben gelernt haben. Die Ukraine wird weiterhin von einer exorbitant reichen Oberschicht beherrscht werden, die rund 2 Prozent der Bevölkerung ausmacht, aber mehr als 94 Prozent des Gesamtvermögens der Ukraine besitzt. Und der Rest wird sich mit einem Monatseinkommen von 30 bis 100 Euro begnügen müssen - es sei denn die Menschen lassen sich nicht mehr mit einer Operetten-Revolution abspeisen.
Einzig in 'Telepolis' (www.heise.de/tp) waren am 11.12.04 zwei Sätze zu lesen, von denen wenigstens der zweite zutrifft: "Juschtschenko und Tymoschenko sind zwar politische Quereinsteiger, aber keine politischen Außenseiter. Sie hatten höchste Staatsämter inne und sind Teil der Polit-Elite ihres Landes."
Ute Daniels