Am 30. April war im 'spiegel' 1 zu lesen, die "Grünen" seien sich etwas bewußt geworden. Bei der aus der Anfangszeit in Programm-Papieren versehentlich stehen gebliebene Forderung nach einer Verkehrs-Wende2 habe es sich um eine "Lebenslüge" gehandelt.
Wie lange wird es noch dauern, bis sie entdecken, daß auch
Atom-Ausstieg, Klimaschutz, Agrar-Wende, Pazifismus (ach ja, das
war ja schon - wird trotzdem wieder für "grün" reklamiert), Anti-
Gentechik-Politik, Alleen-Schutz, Abbau der Arbeitslosigkeit u.s.w.
alles nur Lebenslügen waren?
Was ist eigentlich eine Lebenslüge? Ist das, wenn du erkennst, daß
du nur ein billiger Heuchler bist?
Oder ist das ganze nur Rhetorik, um hinterher eine postmoderene Politik
des Pro UND Contra Verkehrs-Wende des Krieg UND Pazifismus, des
anything goes in völlig unverhüllter Form zelebrieren zu können?
Übrigens gab's dieses inszenierte Bekenntnis vor einigen Jahren schon mal -
da outeten sich Monika Griefahn, Britta Steilmann und andere
selbst als "Öko-Schweine" (Originalton) auf der Titelseite des
'Natur'-Magazins u.a. mit der frechen Begründung, sie müßten nun
mal viel mit dem Flugzeug fliegen, um viel Gutes (so "moralisch"
formulierten sie selbstverständlich nicht) für die Umwelt tun
zu können.
Klaus Schramm
Anmerkungen
1 Im 'spiegel':
Grüne Verkehrspolitik
Letzte Ausfahrt Lebenslüge
Von Stephan Zimprich
Die Wähler der Grünen fahren Auto und fliegen gern. Nun haben drei
Bundestagsabgeordnete ein Positionspapier vorgelegt, in dem sie
den Abschied von einer Lebenslüge der Partei fordern - der Verkehrswende. In der
Fraktion regt sich nur verhalten Protest - denn kurz
vor der Europawahl will niemand wirklich Streit.
Berlin - Der Coup ist Albert Schmidt gelungen. Zusammen mit den
Grünen-Bundesstagsabgeordneten Fritz Kuhn und
Michaele Hustedt hatte der verkehrspolitische Sprecher der Fraktion in einem
Positionspapier kürzlich die Jahrzehnte alte
Forderung nach einer Verkehrswende als "Lebenslüge" der Grünen bezeichnet - und
damit einer heiligen Kuh grüner
Verkehrspolitik das Messer an die Kehle gesetzt.
"Verkehrsvermeidung als Programm, Reiselust als Handlungsalltag, das ist die
Lebenslüge, das Auseinanderfallen von Anspruch und Wirklichkeit, welches das
schlechte Gewissen wegen der ausbleibenden Verkehrswende ausmacht",
demontierten die Autoren munter das grüne Selbstverständnis.
Der Befreiungsschlag von Schmidt, Kuhn und Hustedt lässt traditionell den Grünen
nahe stehende Lobbygruppen und Umweltverbände aufheulen: "Ein Mix aus bloßem
Pragmatismus und unkritischem Technikglauben" sei das Konzept, schimpft Gert
Lottsiepen vom Verkehrsklub Deutschland (VCD). "Es ist die rot-grüne
Bundesregierung selbst, die eine Verkehrswende blockiert," sagt er. Für Tilman
Heuser, Verkehrsexperte beim Umweltschutzverband BUND, ist das Papier bloßes
Polit-Marketing: "Die Argumentation wird überlagert von dem Versuch, sich
vom Image der "Anti-Auto-Partei" zu lösen."
Realität gegen Wünsche
Dabei hatte die Grünen einst hohe Ziele. Zu Beginn der rot-grünen Koalition 1998
setzen sie auf eine Verkehrsreform, die den staugeplagten Autofahrer zum Umstieg
auf ein nagelneues Hightech-Schienennetz bewegen sollte, die massive Förderung
von Fahrrad und öffentlichem Nahverkehr, die Einführung der Öko-Steuer für
Ausbau und Verbesserung des Verkehrsnetzes.
Doch schon bald holte die Grünen die Wirklichkeit ein. Vor allem in Form eines
SPD-geführten Verkehrsministeriums, das nach dem vierten Ministerwechsel in
sechs Jahren, der gescheiterten Privatisierung des Schienennetzes und der
Maut-Pleite die lange gegeißelten Fehler der Vorgängerregierung wiederholt:
aktionistischer Straßenneubau, ein weiter vernachlässigtes, dauermarodes
Schienennetz - und weit und breit kein Konzept. Für geplante Investitionen fehlt
das Geld: Die Ökosteuer wurde vor allem zur Finanzierung der Rentenreform
aufgewendet und die schon in den Etat eingerechneten Maut-Gelder bleiben auch
erstmal aus.
Umso häufiger gerieten die grünen Verkehrspolitiker in Erklärungsnot: Zu groß
war die Diskrepanz zwischen programmatischem Anspruch und Realität. In ihrer
Analyse schreiben die drei Autoren denn auch freimütig: Zwar gebe es "erfreulich
wachsende Anteile des öffentlichen Verkehrs", aber "von einer veränderten
Verkehrsmittelwahl im großen Stil lässt sich kaum sprechen".
Das Thema Verkehr hat den Grünen schon mehrfach Probleme bereitet. Nachgewiesen
ist in Umfragen: Kaum ein Wahlvolk ist so mobil wie die Anhängerschaft der
Grünen. Vor allem beim Fliegen nehmen sie Spitzenpositionen ein. Und auch bei
der Nutzung des Autos stehen sie den Wählern von Union, SPD und FDP in Nichts
nach. Schon im Wahljahr 1998 musste die Öko-Partei vor der Autofahrer-Nation
Deutschland klein beigeben: Auf dem Magdeburger Parteitag wurde damals
gefordert, ein Liter Benzin solle fünf Mark kosten. Die "Bild" initiierte eine
"Benzin-Wut"-Kampagne, die konservativen Blätter zweifelte an der
Regierungsfähigkeit der Grünen, und wenige Wochen später war von fünf Mark keine
Rede mehr. Man wollte ja die Wahl gewinnen.
Weg vom Anti-Image kommen
Vor vier Jahren versuchte dann der damalige Fraktionschef Rezzo Schlauch mit
seinem "Auto-Papier" vom Anti-Image wegzukommen. Wütende Proteste der
Parteilinken waren die Reaktion, Schlauch musste seine Papier zurückziehen.
Auch heute bleibt die Provokation von Schmidt und Co. nicht ohne Folgen. Im
Arbeitskreis Umwelt, Energie und Forschung der Bundestagsfraktion löste das so
viel Unmut aus, dass eine Aussprache notwendig wurde: "Es ist der falsche Weg,
sich hinzustellen und zu sagen: Alles, was wir gedacht haben, war eine
Lebenslüge, und jetzt machen wir es besser", kritisiert Fraktionsvize und
Umweltexperte Reinhard Loske die "Selbstbezichtigungsrhetorik" des Papiers.
Zudem springe das Konzept zu kurz: "Das ist halbierte Verkehrspolitik.
Technische Innovation ist nur ein Teil der Geschichte. Zu grüner Verkehrspolitik
gehören immer auch Themen wie Stadtentwicklung, Raumplanung und Lebensqualität",
so Loske.
Kein Streit vor der Europawahl
Den ganz großen Streit mit Schmidt und Co. wollen aber auch die
fraktionsinternen Widersacher nicht riskieren - stattdessen bemüht man sich um
Gelassenheit. Loske, beim "Auto-Papier" von Schlauch noch einer der schärfsten
Kritiker, gibt jetzt zu: "Das Papier enthält viel Richtiges." Auch Winfried
Hermann vom linken Flügel der Fraktion will die revolutionären Thesen nicht
komplett verdammen: "Das ist ein guter, ambitionierter Diskussionsanstoß," so
der Umweltpolitiker.
Doch bei vielen Grünen an der Basis, das wissen auch die Bundestagsabgeordneten,
regt sich Unmut über den Vorstoß von Schmidt, Hustedt und Kuhn. "Die fühlen sich
doch veräppelt, wenn man ihnen sagt: Ihr seid doch eh alles Vielflieger, das
müssen wir jetzt bloß ein bisschen anders organisieren", beschreibt Hermann die
Reaktionen der Mitglieder.
Ein wirklicher Aufschrei aber löste das Papier nicht aus. Kurz vor der
Europawahl am 13.Juni kommt der Fraktion in Berlin allzu viel Streit ungelegen.
Statt die Konfrontation zu suchen, werden die Thesen in diesen Tagen eher klein
geredet. Es handele sich bei dem Konzept, das immerhin von den
führenden Verkehrspolitikern der Partei stammt, um "eine Einzelmeinung dreier
Parteimitglieder", beruhigt Loske die Parteiseele. Er ist sich sicher:
"Das ist nicht Fraktionsmeinung, und darüber wird in der Fraktion auch nicht
abgestimmt."
SPIEGEL ONLINE - 30. April 2004, 15:14
URL: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,297635,00.html
2 Siehe auch unseren Artikel
'Verkehrswende zu weniger Autoverkehr
- Von der Utopie zur Realität' (5.06.03)