2.05.2004

Polemik

Lebenslüge Verkehrswende

Am 30. April war im 'spiegel' 1 zu lesen, die "Grünen" seien sich etwas bewußt geworden. Bei der aus der Anfangszeit in Programm-Papieren versehentlich stehen gebliebene Forderung nach einer Verkehrs-Wende2 habe es sich um eine "Lebenslüge" gehandelt.

Wie lange wird es noch dauern, bis sie entdecken, daß auch Atom-Ausstieg, Klimaschutz, Agrar-Wende, Pazifismus (ach ja, das war ja schon - wird trotzdem wieder für "grün" reklamiert), Anti- Gentechik-Politik, Alleen-Schutz, Abbau der Arbeitslosigkeit u.s.w. alles nur Lebenslügen waren?

Was ist eigentlich eine Lebenslüge? Ist das, wenn du erkennst, daß du nur ein billiger Heuchler bist?

Oder ist das ganze nur Rhetorik, um hinterher eine postmoderene Politik des Pro UND Contra Verkehrs-Wende des Krieg UND Pazifismus, des anything goes in völlig unverhüllter Form zelebrieren zu können?

Übrigens gab's dieses inszenierte Bekenntnis vor einigen Jahren schon mal - da outeten sich Monika Griefahn, Britta Steilmann und andere selbst als "Öko-Schweine" (Originalton) auf der Titelseite des 'Natur'-Magazins u.a. mit der frechen Begründung, sie müßten nun mal viel mit dem Flugzeug fliegen, um viel Gutes (so "moralisch" formulierten sie selbstverständlich nicht) für die Umwelt tun zu können.

 

Klaus Schramm

 

Anmerkungen

1 Im 'spiegel':
    Grüne Verkehrspolitik

Letzte Ausfahrt Lebenslüge

Von Stephan Zimprich

Die Wähler der Grünen fahren Auto und fliegen gern. Nun haben drei Bundestagsabgeordnete ein Positionspapier vorgelegt, in dem sie den Abschied von einer Lebenslüge der Partei fordern - der Verkehrswende. In der Fraktion regt sich nur verhalten Protest - denn kurz vor der Europawahl will niemand wirklich Streit.

Berlin - Der Coup ist Albert Schmidt gelungen. Zusammen mit den Grünen-Bundesstagsabgeordneten Fritz Kuhn und Michaele Hustedt hatte der verkehrspolitische Sprecher der Fraktion in einem Positionspapier kürzlich die Jahrzehnte alte Forderung nach einer Verkehrswende als "Lebenslüge" der Grünen bezeichnet - und damit einer heiligen Kuh grüner Verkehrspolitik das Messer an die Kehle gesetzt.

"Verkehrsvermeidung als Programm, Reiselust als Handlungsalltag, das ist die Lebenslüge, das Auseinanderfallen von Anspruch und Wirklichkeit, welches das schlechte Gewissen wegen der ausbleibenden Verkehrswende ausmacht", demontierten die Autoren munter das grüne Selbstverständnis.

Der Befreiungsschlag von Schmidt, Kuhn und Hustedt lässt traditionell den Grünen nahe stehende Lobbygruppen und Umweltverbände aufheulen: "Ein Mix aus bloßem Pragmatismus und unkritischem Technikglauben" sei das Konzept, schimpft Gert Lottsiepen vom Verkehrsklub Deutschland (VCD). "Es ist die rot-grüne Bundesregierung selbst, die eine Verkehrswende blockiert," sagt er. Für Tilman Heuser, Verkehrsexperte beim Umweltschutzverband BUND, ist das Papier bloßes Polit-Marketing: "Die Argumentation wird überlagert von dem Versuch, sich vom Image der "Anti-Auto-Partei" zu lösen."

Realität gegen Wünsche

Dabei hatte die Grünen einst hohe Ziele. Zu Beginn der rot-grünen Koalition 1998 setzen sie auf eine Verkehrsreform, die den staugeplagten Autofahrer zum Umstieg auf ein nagelneues Hightech-Schienennetz bewegen sollte, die massive Förderung von Fahrrad und öffentlichem Nahverkehr, die Einführung der Öko-Steuer für Ausbau und Verbesserung des Verkehrsnetzes.

Doch schon bald holte die Grünen die Wirklichkeit ein. Vor allem in Form eines SPD-geführten Verkehrsministeriums, das nach dem vierten Ministerwechsel in sechs Jahren, der gescheiterten Privatisierung des Schienennetzes und der Maut-Pleite die lange gegeißelten Fehler der Vorgängerregierung wiederholt: aktionistischer Straßenneubau, ein weiter vernachlässigtes, dauermarodes Schienennetz - und weit und breit kein Konzept. Für geplante Investitionen fehlt das Geld: Die Ökosteuer wurde vor allem zur Finanzierung der Rentenreform aufgewendet und die schon in den Etat eingerechneten Maut-Gelder bleiben auch erstmal aus.

Umso häufiger gerieten die grünen Verkehrspolitiker in Erklärungsnot: Zu groß war die Diskrepanz zwischen programmatischem Anspruch und Realität. In ihrer Analyse schreiben die drei Autoren denn auch freimütig: Zwar gebe es "erfreulich wachsende Anteile des öffentlichen Verkehrs", aber "von einer veränderten Verkehrsmittelwahl im großen Stil lässt sich kaum sprechen".

Das Thema Verkehr hat den Grünen schon mehrfach Probleme bereitet. Nachgewiesen ist in Umfragen: Kaum ein Wahlvolk ist so mobil wie die Anhängerschaft der Grünen. Vor allem beim Fliegen nehmen sie Spitzenpositionen ein. Und auch bei der Nutzung des Autos stehen sie den Wählern von Union, SPD und FDP in Nichts nach. Schon im Wahljahr 1998 musste die Öko-Partei vor der Autofahrer-Nation Deutschland klein beigeben: Auf dem Magdeburger Parteitag wurde damals gefordert, ein Liter Benzin solle fünf Mark kosten. Die "Bild" initiierte eine "Benzin-Wut"-Kampagne, die konservativen Blätter zweifelte an der Regierungsfähigkeit der Grünen, und wenige Wochen später war von fünf Mark keine Rede mehr. Man wollte ja die Wahl gewinnen.

Weg vom Anti-Image kommen

Vor vier Jahren versuchte dann der damalige Fraktionschef Rezzo Schlauch mit seinem "Auto-Papier" vom Anti-Image wegzukommen. Wütende Proteste der Parteilinken waren die Reaktion, Schlauch musste seine Papier zurückziehen.

Auch heute bleibt die Provokation von Schmidt und Co. nicht ohne Folgen. Im Arbeitskreis Umwelt, Energie und Forschung der Bundestagsfraktion löste das so viel Unmut aus, dass eine Aussprache notwendig wurde: "Es ist der falsche Weg, sich hinzustellen und zu sagen: Alles, was wir gedacht haben, war eine Lebenslüge, und jetzt machen wir es besser", kritisiert Fraktionsvize und Umweltexperte Reinhard Loske die "Selbstbezichtigungsrhetorik" des Papiers. Zudem springe das Konzept zu kurz: "Das ist halbierte Verkehrspolitik. Technische Innovation ist nur ein Teil der Geschichte. Zu grüner Verkehrspolitik gehören immer auch Themen wie Stadtentwicklung, Raumplanung und Lebensqualität", so Loske.

Kein Streit vor der Europawahl

Den ganz großen Streit mit Schmidt und Co. wollen aber auch die fraktionsinternen Widersacher nicht riskieren - stattdessen bemüht man sich um Gelassenheit. Loske, beim "Auto-Papier" von Schlauch noch einer der schärfsten Kritiker, gibt jetzt zu: "Das Papier enthält viel Richtiges." Auch Winfried Hermann vom linken Flügel der Fraktion will die revolutionären Thesen nicht komplett verdammen: "Das ist ein guter, ambitionierter Diskussionsanstoß," so der Umweltpolitiker.

Doch bei vielen Grünen an der Basis, das wissen auch die Bundestagsabgeordneten, regt sich Unmut über den Vorstoß von Schmidt, Hustedt und Kuhn. "Die fühlen sich doch veräppelt, wenn man ihnen sagt: Ihr seid doch eh alles Vielflieger, das müssen wir jetzt bloß ein bisschen anders organisieren", beschreibt Hermann die Reaktionen der Mitglieder.

Ein wirklicher Aufschrei aber löste das Papier nicht aus. Kurz vor der Europawahl am 13.Juni kommt der Fraktion in Berlin allzu viel Streit ungelegen. Statt die Konfrontation zu suchen, werden die Thesen in diesen Tagen eher klein geredet. Es handele sich bei dem Konzept, das immerhin von den führenden Verkehrspolitikern der Partei stammt, um "eine Einzelmeinung dreier Parteimitglieder", beruhigt Loske die Parteiseele. Er ist sich sicher: "Das ist nicht Fraktionsmeinung, und darüber wird in der Fraktion auch nicht abgestimmt."

SPIEGEL ONLINE - 30. April 2004, 15:14
URL: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,297635,00.html

2 Siehe auch unseren Artikel
    'Verkehrswende zu weniger Autoverkehr
    - Von der Utopie zur Realität' (5.06.03)

 

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