14.07.2006

Seehofer will die jährlichen
"Waldschadensberichte" canceln

Wald-AIDS soll völlig aus dem öffentlichen Bewußtsein verschwinden

Bundesagrarminister Horst Seehofer will nicht mehr jährlich einen "Waldschadensbericht" vorlegen. Obwohl der Zustand der deutschen Wälder schlechter ist als in den 80er Jahren1, als die Öffentlichkeit noch permanent mit Schreckensmeldungen vom "Waldsterben" konfrontiert war, versucht Seehofer mit fadenscheinigen Vorwänden das Thema ganz in der medialen Versenkung verschwinden zu lassen. Während die öffentliche Aufmerksamkeit durch den Krieg im Nahen Osten, Streit um Gesundheitsreform und vieles andere momentan absorbiert ist, hofft Seehofer auf geringen Widerstand. Angepaßte Mainstream-Journalisten wissen zudem nichts besseres, als die "Waldschadensberichte" als "ödes Berichtsritual" herunter zu spielen.

Dabei ist absehbar, daß in diesem heißen Sommer ähnlich wie im "Jahrhundertsommer" 2003 der Zustand der Wälder auch für Laien durch vorzeitige Blattverfärbungen und Nadelverluste offensichtlich wird. Bereits seit 2002 ist zu erkennen (siehe die Statistik im Artikel 'Wald-AIDS'), daß sich der Zustand der Eichen von Jahr zu Jahr drastisch verschlechtert. Der Anteil der Eichen mit schweren Schäden ist bundesweit von 45 Prozent im Jahr 2004 auf 51 Prozent im Jahr 2005 gestiegen. In Baden-Württemberg waren letztes Jahr 75 Prozent der Eichen schwer geschädigt - so viel wie in keinem anderen Bundesland.

Als sie sich noch wie an einem Strohhalm daran festhalten konnten, daß die Eiche sich bis vor fünf Jahren auf einem - wenn auch hohen - Schadensniveau stabilisiert hatte, hielten viele ForstwissenschaftlerInnen Ruhe für die erste Bürgerpflicht. Doch nun geraten allmählich auch notorisch abwiegende ForstwissenschaftlerInnen in Panik. Besonders beängstigend ist, daß die Kronen der Eichen in den letzten Jahren bereits vor Beginn des Herbstes nicht selten 30 bis 40 Prozent der Blätter verloren. Viele jahrhundertealte Naturdenkmäler sind in den letzten Jahren abgestorben und so unwiederbringlich verloren.

Leider wird auch in Fachkreises immer wieder Ursache und Wirkung verwechselt: Nicht die Hitze schwächt die Widerstandskraft der Bäume, sondern wegen geschwächter Widerstandskraft haben die Bäume der Hitze und opportunistischen Schadinsekten wie Eichenprozessionsspinner, Schwammspinner, Eichenwickler und auch dem bekannten Borkenkäfer kaum mehr etwas entgegen zu setzen. Dabei gab es diese Insektenarten in deutschen Wäldern schon immer. Und der Hirschkäfer beispielsweise, der auf morsches Eichenholz zum Überleben angewiesen ist, droht nun endgültig auszusterben, weil die Forstwirtschaft statt auf präventivem Waldschutz zu setzen, jede absterbende Eiche umgehend aus den Wäldern räumt.

Auf der einen Seite scheint die Angst vor einer lawinenartigen Ausbreitung der Schadinsekten jegliches rationale Denken zu blockieren, auf der anderen Seite ist vielen ForstwissenschaftlerInnen längst klar, daß sie sich mit der Landwirtschaft und deren Lobby anlegen müßten, wollten sie die Wälder vor dem nun nicht mehr fernen Sterben bewahren. Denn eines ist seit Jahren ebenso weithin unbekannt wie in Fachkreisen unstrittig: Der Hauptfeind des deutschen Waldes ist die landwirtschaftliche Massentierhaltung. Der Ammoniak-Eintrag aus der im Übermaß produzierten Gülle setzt den Wäldern inzwischen stärker zu als saurer Regen aus Verbrennungsanlagen oder Stickoxide und Photooxidantien aus dem Straßenverkehr.

Und eine weitere Denkhemmung kommt hinzu: Trotz steigendem Angebot an Eichenholz auf dem Markt, sinken die Preise nicht. Denn zugleich ist - parallel zum vermehrt anfallenden Holz allenfalls 60 bis 80 Jahre junger Eichen - die Nachfrage gestiegen. Zum Schaden der Wälder wird vermehrt Holz als Brennstoff in Hausfeuerungsanlagen eingesetzt, in der Möbelindustrie stieg die Nachfrage nach dunklen Hölzern und der französische Weinbau kurbelt die Konjunktur an, indem er vermehrt Eichefässer für Barrique-Wein ordert.

Ein Trost bleibt den Deutschen somit: Da haben sie dann "echt Eiche" im Wohnzimmer und können sich an einer verkarsteten Hügellandschaft erfreuen wie am Mittelmeer.

 

Frank Bayer

 

Anmerkungen

1 Siehe auch unseren Artikel

      'Wald-AIDS' (22.01.06)

 

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