Unter dem Druck von Weltbank und IWF übernehmen westliche Konzerne die Wasserversorgung in Tansania. Der Preis
ist hoch.
Es ist jeden Tag der gleiche beschwerliche Weg für Adolphina. Bis zu zehn Mal läuft sie mit einem Eimer auf dem Kopf in
gleißender Hitze zum mehrere hundert Meter entfernten Standrohr, um ihren Eimer für 2,5 Cent mit Wasser füllen zu lassen.
Wasser ist ein großes Problem in Tansania. Auch für die fünfköpfige Familie Momila. Die Eltern leben mit Adolphina und
zwei weiteren Töchtern in Temeke, einem Armenviertel von Dar es Salaam. Vater Joseph arbeitet als Nachtwächter in einer
Herberge und verdient monatlich 30.000 tansanische Schilling, umgerechnet etwa 30 Euro. Wie die meisten Wohnungen in
den ärmeren Stadtteilen der Hauptstadt verfügt auch jene der Momilas über keinen Wasseranschluss.
Damit gehören die Momilas zu den knapp 70 Prozent der Bewohner Dar es Salaams, die laut Angaben der Weltbank
»irgendwie Zugang zu Leitungswasser« haben. Völlig abhängig von Zulieferern und oftmals ohne Zugang zu Standrohren,
Brunnen oder Wasserlöchern sind die neuen Bewohner der Millionenstadt, die vom Land in die Außenbezirke der Stadt
gezogen sind und sich dort in Blech- und Holzhüttensiedlungen ohne jede Infrastruktur niedergelassen haben.
Die zuständige Wasserbehörde Dawasa verwaltet ein Leitungsnetz von 824 Kilometern, das 1950 installiert und seitdem
kaum gewartet wurde. Die Regierung rechnet eine Kapazität von fast 300 Millionen Litern Leitungswasser täglich vor.
Allerdings versickern davon dreißig Prozent durch undichte Leitungen. Was übrig bleibt, ist viel zu wenig für die vier bis
fünf Millionen Menschen in der Hauptstadt. Und was aus dem Wasserhahn läuft, ist kein Trinkwasser. Es muss vor dem
Verzehr abgekocht werden.
Die Gründe für die schlechte Wasserversorgung liegen nach Ansicht von Nshoya Magotti, Mitarbeiter der Reformkommission
des Präsidenten (PSRC), in den »viel zu niedrigen« Konsumentenpreisen, die nicht einmal die Kosten decken würden.
Zudem gebe es kaum Zähler, um den Wasserverbrauch beziffern zu können. Die Endverbraucher, die einen regulären
Anschluss haben, bezahlen nämlich eine Pauschale an die Dawasa - unabhängig von ihrem Verbrauch. Zudem stellt die
Dawasa einige öffentliche Zapfstellen zur Verfügung, an denen sich die Stadtbevölkerung kostenlos bedienen kann. Neben
diesen »Missständen« findet Magotti, dass die Wasserversorgung zu viele Arbeiter beschäftigt und unrentabel sei. Magotti
erwähnt nicht, dass es auch Zahlungsrückstände staatlicher Institutionen und von Ministerien gibt, die große Löcher in das
Budget der Wasserversorgung gerissen haben.
Ganz in dieser Logik liegt denn auch die neue Strategie der tansanischen Regierung: Sie will die Wasserversorgung
privatisieren. Edward Lowassa, Minister für Wasser und Viehhaltung, hat bereits mit der Weltbank, dem Internationalen
Währungsfonds (IWF) und potenziellen Investoren über die Vergabe eines zehnjährigen Leasingvertrages für die
Wasserversorgung Dar es Salaams verhandelt. Allerdings nicht ganz freiwillig. Er erfüllt damit eine Bedingung, die der
Währungsfonds für den Erlass eines Teils der Auslandsschulden Tansanias stellt.
Ein Privatkonzern soll nun die Wasserversorgung verbessern. Das Ministerium setzt dabei auf den Sachverstand der
Weltbank, deren Vertreter, ein Franzose, bei allen Verhandlungen mit am Tisch sitzt und das letzte Wort hat. Drei
Unternehmen sind in die engere Auswahl gekommen: General des Eaux und Saur International aus Frankreich sowie ein
britisch-deutsches Joint Venture, bestehend aus der Frankfurter Beratungsfirma Gauff Ingenieure und dem Konzern Biwater.
»Viele Tansanier sind immer noch der Ansicht, weil der Regen vom Himmel falle, müsse das Wasser umsonst sein«, meint
eine Pressesprecherin der Dawasa herablassend auf die Frage, ob die Konzerne nicht nur Gewinne machen wollten. Die
Ziele bei der Privatisierung des Wasserverbrauchs sind klar: Der Wasserverbrauch soll künftig individuelle erfasst und
abgerechnet werden. Die Verantwortlichen hoffen auf eine eklatante Verbesserung der »Zahlungsmoral«.
Bevor einer der Privatkonzerne allerdings die Wasserversorgung übernimmt, muss die Wasserbehörde Dawasa erst einmal
120 Millionen Dollar in die Verbesserung der Infrastruktur stecken. Die Weltbank und die tansanische Regierung verlangen
von dem privaten Unternehmen, das den Auftrag zur Wasserversorgung erhält, lediglich 2,5 Millionen US-Dollar
Einstiegskapital und eine monatliche Mietgebühr von 50.000 Dollar. Dafür darf es 70 Prozent der Erlöse aus dem
Verkauf des Wassers einstreichen. Ein Millionengeschäft: Bei einem Verbrauch von etwa 300 Millionen Litern täglich und
der angekündigten Preiserhöhung beläuft sich der monatliche Umsatz, selbst bei Berücksichtigung der Wasserverluste,
auf mehr als eine Million US-Dollar. Knapp 750.000 US Dollar gehen an den privaten Wasserversorger. Davon muss er die
Ausgaben für die Messtechnik, das Rechnungssystem, die Miete und die - derzeit - mehr als mageren Gehälter für die
Beschäftigten bestreiten. Für neue Leitungen und für die Instandhaltung der bestehenden Netze wird dagegen allein die
Dawasa zuständig sein. Sie soll aber nur 30 Prozent der künftigen Erlöse erhalten, knapp 250.000 US-Dollar pro Monat.
Dass der Privatkonzern auch noch bei den Beschäftigten sparen wird - das weiß die Regierung von Tansania schon heute.
Von den 1400 Beschäftigten der Dawasa wird die Hälfte übrig bleiben, so der Regierungsmann Magotti.
Andere »Risikofaktoren« wie die Zahlungsunfähigkeit von Verbrauchern, die von den Verhandlungsführern gerne als
»Zahlungsunwilligkeit« bezeichnet wird, sollen so niedrig wie möglich gehalten werden. Die deutschen Bewerber,
Gauff Ingenieure, die schon in mehreren afrikanischen Ländern Erfahrungen gesammelt haben, kündigen ein »konsequentes
Vorgehen« an, sollten Endverbraucher ihre Rechnungen nicht zahlen. Mittelfristig soll der Preis nach der Privatisierung
fast auf das Doppelte steigen, auf umgerechnet fünf Cent pro Eimer Wasser. Bei einem durchschnittlichen
Pro-Kopf-Einkommen von nicht einmal einem Dollar täglich ist das ein hoher Preis.
Jürgen Berthold, der Leiter der tansanischen Niederlassung des Unternehmens, will sich bei sozialen Härtefällen für eine
Ratenzahlung stark machen. Doch sein Chef Wolfgang Chalet, Leiter der Afrika-Abteilung, lässt keinen Zweifel daran, dass
die »Zahlungsmoral« nur verbessert werden kann, wenn als letzter Schritt »rigoros das Wasser abgestellt« wird.
Bei der Wasserprivatisierung werde, so versichert Magotti, größter Wert auf Bürgerbeteiligung und Transparenz gelegt.
Nicht nur das Management, auch die Arbeiter seien an den Entscheidungen beteiligt. Doch davon weiß Julio Rutatina,
Generalsekretär der Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes, nichts: Die Belegschaft der Dawasa sei weder über die
anstehende Übernahme informiert, geschweige denn an den Verhandlungen beteiligt worden. Auch Joseph Momila ist
empört, als er von der geplanten Preiserhöhung hört. Er weiß nicht, wo er das Geld für das teure Trinkwasser hernehmen
soll - schon heute braucht er ein gutes Fünftel seines Gehaltes für Wasser...
Die Bewohner des Armenviertels Temeke hat auch niemand nach ihrer Meinung gefragt. Doch das könnte sich rächen.
Im bolivanischen Cochabamba wurde die Wasserversorgung vor zwei Jahren auch privatisiert und verteuert. Dann gab
es einen gewaltsamen Volksaufstand. Jetzt ist die Wasserversorgung wieder öffentlich.
Gerhard Klas