27.06.2004

Interview

Wespen-Notruf

Klaus Schramm sprach mit Lothar Krikowski

Vorbemerkung:
Lothar Krikowski von der BUND-Gruppe Ettenheim-Ringsheim leitet in Ringsheim ein kleines Umweltzentrum mit drei Mitarbeitern und bietet einen Wespen-Notruf an. Im Falle von Problemen mit Wespen- und Hornissennestern gibt er telefonisch Rat, wie mit den ungebetenen Untermietern am besten umzugehen ist und siedelt im Notfall auch deren Nester um.

Lothar Krikowski mit einem Hornissen-Nest

K. S.:
Herr Krikowski, wie lange bieten Sie nun schon diesen Wespen- und Hornissen-Notruf an und wie oft sind sie dabei schon gestochen worden?

Lothar Krikowski:
Ich mache das inzwischen seit fünf Jahren für die Landkreise Ortenau und Emmendingen. Und um gleich zwei geläufigen Mißverständnissen vorzubeugen: Wespen und Hornissen sind nicht gefährlich. In der Regel gelingt es, mit Ratschlägen und Informationen ein einvernehmliches Nebeneinander zwischen Mensch und Tier zu ermöglichen. Wer sich im Alltag richtig verhält, wird weder von Bienen, noch von Wespen oder Hornissen gestochen, außer sie setzen sich versehentlich auf ein solches Tierchen. Gefährlich kann das allenfalls für Menschen werden, die eine Allergie haben, die ärztlich diagnostiziert wurde. Diejenigen müssen ihr Notfall-Set immer dabei haben - auch wenn sie abends ausgehen. Etwas anderes ist es natürlich bei Umsiedelungen. Dabei kommt es nicht selten vor, daß ich auch durch den Schutzanzug hindurch gestochen werde.

Ab wie vielen Stichen wäre das tödlich?

Da liegen selbst in der Fachliteratur die Angaben weit auseinander, weil es dazu schlicht und einfach sehr wenig Erfahrungen gibt. Während bei der Biene 100 bis 150 Stiche für einen Menschen tödlich sein können, benötigt es bei Wespen und Hornissen mindestens 1000. Der Unterschied kommt daher, daß beim Stich einer Biene der Stachel mit Widerhaken samt Giftblase herausgerissen wird, was immer tödlich ist - allerdings für die Biene, während eine Wespe mehrfach stechen kann. Wespen dosieren daher ihr Gift und investieren nicht gleich ihre gesamte Verteidigungsfähigkeit. Denn lediglich zur Selbstverteidigung stechen diese Insekten - im Gegensatz beispielsweise zu Stechmücken. Obwohl Hornissen als größte unserer heimischen Wespenarten einen viel gefährlicheren Eindruck machen, sind ihre Stiche nicht gefährlicher als die der kleineren Wespen. Sie sind allenfalls schmerzhafter, da ihr Stachel tiefer in die Haut zu dringen vermag.

Es heißt, die "Wespen-Plage" sei dieses Jahr besonders schlimm - Wie oft klingelt bei Ihnen das Notruf-Telefon?

Es ist ein ganz durchschnittliches Jahr. Letztes Jahr war es wesentlich mehr. Zwischen Juli und September wird der Wespen-Notruf durchaus mehrmals am Tag in Anspruch genommen und im September sehr oft. Aber wie schon gesagt, es ist nicht jedesmal nötig, selbst vor Ort zu sein. Meist genügen Informationen über die Lebensweise der Tiere und Ratschläge, wo beispielsweise am vernünftigsten ein Fliegengitter in der Nähe des Nestes angebracht werden kann. Wer erfährt, wie diese Tiere leben und daß sie weitestgehend ungefährlich sind, bringt in der Regel auch die nötige Toleranz auf. Wenn Wespen durch geringfügige Maßnahmen davon abgehalten werden können, in den menschlichen Wohnbereich zu geraten und es ihnen möglich ist, ungehindert ein und aus zu fliegen, können sie zwar ein bißchen lästig sein. Aber die meisten Menschen sind nach einer ausreichenden Aufklärung bereit, diese geringfügige Beeinträchtigung wenige Monate in Kauf zu nehmen.

Ist dann nicht zu befürchten, daß sie im folgenden Jahr wiederkommen, wenn sie sich so wohl fühlen dürfen?

Im Gegenteil. Es ist sogar empfehlenswert, verlassene Wespen-Nester an Ort und Stelle zu belassen. Ein vorhandenes Nest wird garantiert kein zweites Mal bezogen und darüber hinaus meiden die Tiere die Nähe alter Nester. Umgekehrt: Wer beispielsweise unterm Dach den vom Aussterben bedrohten Wespen- und Hornissenarten eine Zuflucht bieten will, sollte die alten Nester entfernen und ihnen einen Zugang bieten. Die immer häufiger ausgebauten und gut wärme-isolierten Dächer unserer Häuser, abgerissene Scheunen und gefällte hohle Bäume haben zur Wohnungsnot dieser für uns Menschen sehr nützlichen Insekten beigetragen. So müssen wir uns nicht wundern, wenn sie sich immer häufiger auch in unseren Wohnungen nach einem Nistplatz umschauen.

Inwiefern sind Wespen und Hornissen Nützlinge?

Weithin bekannt ist ja, daß manche Schlupfwespenarten bereits gezüchtet werden, um sie gegen andere Insekten, die gewöhnlich als "Schädlinge" betrachtet werden - wie beispielsweise Motten - , einzusetzen. Weniger bekannt ist dagegen, daß ein durchschnittliches Hornissenvolk an guten Tagen rund 500 Gramm an Insekten fängt. Ähnlich einem Falken erjagt die Hornisse ihre Beute im Flug, um die in den Waben heranwachsenden Larven zu ernähren und mit frischem Eiweiß zu versorgen. Über das spannende und interessante Leben der Hornissen gäbe es noch viel zu erzählen.

Wie kommt es, daß Menschen häufig völlig hysterisch reagieren und beim Anblick einer Wespe oder Hornisse nur wild um sich schlagen?

Das wird wohl schon seit Generationen den Kindern so eingeimpft. Immer noch treffe ich auf solch dumme Sprüche wie "Sieben Stiche töten ein Pferd, drei einen Menschen". Häufig sind völlig falsche Vorstellungen über die Verhaltensweisen der Wespen und Hornissen und die Wirkung ihrer Stiche daran Schuld, daß Menschen bei ihrem Anblick in Panik geraten. Bei behutsamer Annäherung und Vermeiden hastiger Bewegungen ist es möglich, das Leben der Tiere ganz aus der Nähe zu beobachten. Wespen und Hornissen verteidigen sich nur, wenn sie im unmittelbaren Nestbereich gestört werden. Außerhalb dieser Zone sind die gelb-schwarz gebänderten Insekten sehr selten angriffslustig, scheuer als Honigbienen und ziehen es in der Regel vor, zu flüchten. Unter den vielen heimischen Wespenarten sind übrigens nur zwei, die gelegentlich lästig werden und auch mal zustechen: Die Deutsche Wespe und die Gemeine Wespe. Es sind auch ausschließlich Wespen dieser beiden Arten, die gelegentlich bei Kaffee und Kuchen ihren Besuch abstatten.

Wäre es da nicht sinnvoll, mit der Aufklärung besonders bei Kindern und Jugendlichen anzusetzen?

Neben dem Wespen-Notruf biete ich auch Vorträge an. Und mit einem speziell auf kleinere Kinder ausgerichteten Angebot werde ich häufig in Kindergärten eingeladen. Bei einem "Notfall" wurde ich kürzlich in einen Kindergarten gerufen und da hatten sich die Erwachsenen ganz vorbildlich verhalten. Die Kinder sind so relativ ruhig geblieben. Selbst ruhig und gefaßt zu bleiben, ist schon mal die erste Grundvoraussetzung, daß nichts Ernstes passiert.

Was war der Anlaß, daß Sie gerufen wurden ?

Hornissen hatten sich im Dach des Kindergartens einquartiert und nutzten zudem einen Fliederbusch im Bereich der Freifläche als "Tankstelle". Auch in diesem Fall war es nicht nötig umzusiedeln, denn der Flieder ließ sich problemlos mit rot-weißem Absperrband eingrenzen. Wichtig war es natürlich, den Kindern einiges über Hornissen zu erzählen, um ihnen einerseits die Angst zu nehmen, andererseits aber auch klar zu machen, daß sie die durch das Band markierte Zone respektieren müssen. Manche Eltern waren da erst mal sehr nervös, obwohl keines der Kinder gestochen wurde.

Was ist unter einer Hornissen-Tankstelle zu verstehen?

Während sie für ihre Brut frisches Eiweiß benötigen und sich dieses durch die Jagd auf andere Insekten besorgen, ernähren sie sich selbst ausschließlich von Kohlehydraten. Hierzu beißen sie zum Beispiel aus der Rinde des Fliederbusches - nicht der Sommerflieder, sondern der gewöhnliche Flieder - kleine Stückchen heraus und saugen die Pflanzensäfte auf. Sie decken so ihren hohen Energiebedarf, der durch das viele Fliegen bedingt ist. Hornissen sind durchschnittlich 22 Stunden am Tag aktiv.

Unter welchen Umständen ist dann eine Umsiedlung nötig?

Jeder Fall ist verschieden. Es kommt auch immer sehr auf das Verhalten der Menschen an. Kürzlich wurde ich wegen einem Hornissen-Nest in einem Rolladen-Kasten angerufen. Trotz ausführlicher Beratung am Telefon bestand der Hausbesitzer darauf, daß ich komme. Es handelte sich um ein Mietshaus und der Vermieter war sehr nervös und wollte das Nest unbedingt weghaben. Dabei war das Nest sehr klein, sehr clever gebaut und an einer schwierigen Stelle. So mußte nach der Entfernung der Verblendung ein Handwerker geholte werden, der von außen mit einer Lochfräse eine im Durchmesser zehn Zentimeter große Zugriffsmöglichkeit herstellte. Die Hornissen waren dementsprechend nervös und der Handwerker mußte mit Schutzanzug, Imkerhut und Gesichtschleier arbeiten. Nach der Bergung des Nestes beginnt allerdings erst der schwierigste Teil.

Sie können die Wespen oder Hornissen nicht einfach in den nächsten Wald fahren?

Zunächst einmal muß das Nest in einem speziellen Nistkasten eingeklebt und mit Stäben fixiert werden, denn es bricht leicht auseinander. Die Arbeiterinnen und eventuell auch die Königin wird in eine Art Schublade, den Abfangkasten gesetzt. Dazu ist dort für die Tiere ein spezielles Futter plaziert, damit sie die Strapaze der Umsiedlung besser überstehen. Und dann muß ich möglichst viele der Tiere einfangen, damit das Volk eine Überlebens-Chance hat. Ein großer Teil des Volks ist schließlich immer unterwegs und würde den neuen Standort des Nests nicht finden. Sie haben zwar einen Aktionsradius von rund fünf Kilometern. Wenn ich den neuen Standort aber zu nahe wähle, ziehen sie einfach wieder um und bauen ein neues Nest im Rolladen-Kasten. Es ist gar nicht so einfach, einen richtigen Standort zu finden, denn ich bin schließlich keine Wespen-Königin. Wenn ich dann in über fünf Kilometer Entfernung am Waldrand einen mir passend erscheinenden Baum gefunden habe, muß ich im Schutzanzug, den Kasten auf den Knien, auf einer Leiter bis in mindestens vier Meter Höhe hinauf, um dort den Kasten anzubringen. Diesen am Baum zu fixieren ist meist auch nicht so einfach. Erst danach wird mit einer Schnur die Verbindung zwischen Abfangkasten und Nistkasten geöffnet.

Wie hoch ist die Erfolgsrate solcher Umsiedlungsaktionen?

Ich mache immer nach vierzehn Tagen einen Kontrollgang und in diesem Fall mußte ich feststellen, daß die Hornissen-Königin gestorben war. Das bedeutet, daß das Volk zum Tode verurteilt ist und auch im folgenden Jahr keine Nachkommen-Generation mehr hat. Durchschnittlich gelingen aber 70 bis 80 Prozent der Umsiedlungen. Ich öffne bei meiner Kontrolle vorne eine Tür am Nistkasten, sehe nach, ob neue Wabenteller hinzu gekommen sind und ob eine neue Klimaanlage gebaut wurde und kann daran erkennen, ob es dem Volk gut geht. Am Besten ist es natürlich immer, wenn eine Umsiedlung zu vermeiden ist.

Was war dieses Jahr ihr spektakulärster Fall?

Na ja, das war vielleicht, als ein Wespennest durch die Decke in ein Schlafzimmer herunter zu brechen drohte. Da mußte ich ebenfalls an der Ort des Geschehens. Es ist allerdings nicht so, daß die Wespen sich durch die Decke beißen, wie vielfach vermutet wird. Sie entfernen allenfalls mal Styropor oder anderes Dämmmaterial, wenn es sie daran hindert, eine feste Aufhängung für ihr Nest zu finden. Im konkreten Fall war eine Gipskartonplatte von den Exkrementen der Wespen durchfeuchtet und drohte deshalb herunter zu brechen. Die Wohnungseigentümer hatten allerdings schon selbst eine Lösung gefunden und von unten eine dünne Spanplatte als Absicherung darunter angeschraubt. Ich mußte dann vor Ort nur bestätigen, daß keine unmittelbare Gefahr besteht. Die Wespen hatten ihren eigenen Eingang. Zu bedenken ist auch immer, daß das Ganze bereits im Frühherbst oder je nach Art im Spätherbst vorbei ist. Die Jungköniginnen fliegen aus, das Volk stirbt. Im nächsten Jahr suchen sich die Jungköniginnen einen Ort für ein neues Nest. Sie besiedeln niemals ein altes Nest, selbst wenn's das Nest der Mutter wäre. Ja, sie meiden sogar den Bereich vorhandener Nester.

Benötigen Sie eine besondere Genehmigung, um Wespen oder Hornissen umzusiedeln?

Hornissen und einige Wespen-Arten stehen seit 1987 unter strengem ganzjährigen Schutz nach der Bundesartenschutzverordnung. Weil diese Arten vom Aussterben bedroht sind, dürfen ihre Nester nicht entfernt oder zerstört werden. Nur anerkannte Fachleute dürfen in Ausnahmefällen eine Umsiedelung vornehmen. Wer Umsiedlungen hauptberuflich oder wie ich ehrenamtlich durchführt, muß dazu die Genehmigung des Regierungspräsidiums beziehungsweise der Unteren Naturschutzbehörde bei den Landratsämtern haben.

Was kostet die Umsiedlung beispielsweise eines Wespennests?

Je nach Aufwand berechnen kommerzielle Anbieter rund 100 Euro. Bei mir sind Beratung und Umsiedlung kostenlos.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

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