vom 21. Mai 2004
Hiermit erkläre ich meinen Austritt aus der PDS.
Im Grundsatz habe ich mich zu diesem Schritt im vergangenen Dezember entschlossen.
Im kleinen Kreis des Geraer-Dialog- Sprecherrats machte ich dies Ende 2003 und in einem
Interview mit der Sozialistischen Zeitung (SoZ) im Februar 2004 deutlich.1 Ich wollte mir
aber nicht den Vorwurf einer übereilten Entscheidung zuziehen und die Entwicklung der PDS und
der PDS-Linken mehrere Monate mit einem gewissen Abstand beobachten.
Es war dann gerade die jüngere Entwicklung der PDS, die mich in meinem Entschluss
bestärkte:
das unbeirrte Festhalten der PDS an der neoliberalen Politik im Berliner Senat und der
in der Schweriner Landesregierung trotz der Massenproteste vom November 2003 und
April 2004 - zuletzt dokumentiert mit dem Parteitag der PDS Berlin vom 16. Mai
2004
der PDS-Wahlkampf zur Europawahl, in dem die PDS eine Verdummung potentieller
Wählerinnen und Wähler betreibt: Sie fordert zwar ein Referendum über die EU-Verfassung,
stellt jedoch nicht die militaristischen Elemente dieser Verfassung und ein
Nein ins Zentrum und verschweigt bewusst, dass sie diesem Entwurf im EU-Verfassungskonvent im Juni 2003 zustimmte
- eine PDS-Linke, die nicht nach außen erkennbar als “andere PDS” und als
konsequente Kritikerin des Mehrheitskurses auftritt und sich stattdessen für das Ziel
instrumentalisieren lässt, der von den “Reformern” usurpierten PDS bei der
Europawahl über die 5-Prozent-Hürde zu verhelfen.
Selbstverständlich verfolge ich mit Interesse und Sympathie die Debatten über die
Herausbildung einer neuen, sozial engagierten Partei. Hier ist festzustellen, dass die
PDS für die vielen Zehntausend, die aus der SPD austraten, und für die Tausende,
die sich für eine solche neue Partei engagieren, kein Bezugspunkt mehr ist. Ich möchte
aber deutlich sagen, dass mein Austritt aus der PDS mit diesen Parteibildungs- Versuchen
nichts zu tun hat und ich auch Grund für einige Skepsis gegenüber solchen Versuchen habe.
Die PDS, die einmal eine Hoffnung für Zehntausende Sozialistinnen und Sozialisten auf ein
konsequentes Engagement gegen Arbeitslosigkeit, Umweltzerstörung und Kriegstreiberei
darstellte, ist heute zum Hindernis bei der Entwicklung von emanzipatorischem Bewusstsein
geworden. Sie ist in Programmatik und Praxis im negativen Sinn in der kapitalistischen
Gesellschaft “angekommen” - indem sie dort, wo sie mitregiert, die Bereicherung weniger
mitbetreibt und den Raubzug bei den Millionen sozial Schwachen mitorganisiert.
***
Für diejenigen, die mir nahe stehen - auch für diejenigen unter ihnen, die in der PDS bleiben
wollen - möchte ich die Gründe für meinen Austritt erläutern.
Meine Arbeit für die und in der PDS
Ich verstehe mich seit Ende der sechziger Jahre als demokratischer Sozialist. Im
Bundestagshandbuch definierte ich mich als ein “an Rosa Luxemburg orientierter Sozialist
und als ein an Leo Trotzki orientierter Stalinismus-Kritiker”. Diese Charakterisierung galt für 1968 und sie gilt heute.
Vor gut zehn Jahren, Anfang 1994, entschloss ich mich zum Engagement für die PDS -
zunächst als Nicht-PDS-Mitglied und mehr oder weniger unabhängiger Linker. Ich
kandidierte in Baden-Württemberg zur Bundestagswahl im September 1994 auf Platz 1 der Landesliste.
Zu meiner und vieler Überraschung gewannen wir ein Mandat - ich wurde PDS-MdB.
1997 trat ich in die PDS ein. 1998 kandidierte ich erneut auf Platz 1 der baden-württembergischen
Landesliste - wir verbesserten uns deutlich; ich wurde für eine zweite
Legislaturperiode als MdB gewählt. 2002 wurde ich ein drittes Mal auf Platz 1 der Landesliste
gewählt. Bei der Bundestagswahl im September 2002 konnten wir als Landesverband unser
Ergebnis knapp halten, ich konnte mein Ergebnis in meinem Wahlkreis Mannheim nochmals
verbessern. Die bundesweite PDS scheiterte jedoch bekanntlich an der Fünf-Prozent-Hürde.
Im Bundestag war ich Mitglied im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit (1994-
1995), im Verkehrsausschuss (1995 bis 2002), im Verteidigungsausschuss (1999-2001) und
im Immunitätsausschuss (1996 bis 1998). Von 1995 bis 2002 war ich verkehrspolitischer Sprecher der PDS im Bundestag.
1995 gründete ich die Zeitung der PDS-Bundestagsfraktion “wirtschaft - soziales -
widerstand (wsw)” und war von 1995 bis 2002 verantwortlicher Redakteur dieser Zeitung.
Im April 1999, zwei Wochen nach Beginn des Nato-Kriegs gegen Jugoslawien, gründete ich die
“Zeitung gegen den Krieg - ZgK” - zunächst als Zeitung der PDS-Bundestagsfraktion, ab der
vierten Ausgabe dann als unabhängige Zeitung, die gemeinsam von Tobias Pflüger (IMI) und mir
herausgegeben wird. Von 1999 bis heute bin ich verantwortlicher Redakteur dieser Zeitung,
von der bisher 17 Ausgaben erschienen.
In den Jahren 1996 bis 1998 waren Ulla Jelpke und ich als PDS-Abgeordnete Mitglieder des
Immunitätsausschuss und in dieser Funktion damit befasst, den Angriffen auf Gregor Gysi (Verdacht auf IM-Tätigkeit) zu begegnen.
1996 erreichte ich als MdB nach einem Besuch vor Ort, dass der deutsche Botschafter in Haiti
wegen Rassismus abberufen werden musste.
Am 23. Mai 2002 organisierten die PDS-MdBs Ulla Jelpke, Heidi Lippmann und ich im
Plenarsaal des Bundestags einen Transparent-Protest während der Rede von US-Präsident George W. Bush.
Als in Baden-Württemberg bzw. in Westdeutschland gewählter Bundestagsabgeordneter
fühlte ich mich in der gesamten Zeit, in der ich für die PDS aktiv war, dafür verantwortlich,
sozialistische Politik für Baden-Württemberg und Westdeutschland zu konkretisieren. Das
erfolgte z.B. mit meinem Engagement gegen “Stuttgart 21”, gegen den “Mannheimer
Bypass”, zum Erhalt des Inselbahnhofs Lindau, in mehreren konkreten Hilfsaktionen
zugunsten von Flüchtlingen, mit Aktionen gegen den Transrapid bzw. Metrorapid usw. Von
1999 bis Ende 2003 führte ich in Stuttgart im Clara-Zetkin-Heim monatliche Veranstaltungen
(jours fixes) durch; seit 2004 setze ich diese im Zwei-Monats-Rhythmus fort.
Mein Austritt aus der PDS - Fünf Gründe
Es waren im wesentlichen fünf Gründe, die mich vor einem Jahrzehnt
zum Engagement für die PDS brachten. Da in diesen Bereichen die PDS vier Mal eine komplette
Kehrtwende machte und bei dem fünften Thema weitgehend einknickte, liegen hier gleichzeitig die
Gründe für meinen Austritt.
1
Die PDS ist nicht nur keine sozialistische Partei mehr. Sie ist auch keine
Partei mehr, die denen, die auf eine zum Kapitalismus alternative
Gesellschaft orientieren, eine politische Wirkungsmöglichkeit und eine
politische Plattform bietet.
Die PDS war eine Partei, die die Option auf eine sozialistische Gesellschaft als Alternative
zum Kapitalismus offen hielt und Raum bot für Menschen, die sich für eine alternative,
sozialistische Gesellschaft engagieren. Sie hat spätestens mit dem neuen, in Chemnitz im
Oktober 2003 verabschiedeten Programm deutlich gemacht, dass sie eine prokapitalistische
und antisozialistische Partei ist. In diesem Programm bekennt sie sich unzweideutig zu dem
Prinzip, das für den Kapitalismus konstitutiv ist - das Prinzip, dass die
Profitmaximierung der Maßstab aller Dinge ist. Der entsprechende programmatische Satz lautet:
“Unternehmerisches Handeln und Gewinninteressen sind wichtige Vorrausetzungen für
Innovation und wirtschaftliche Leistungs- fähigkeit.”2 In der wirtschaftspolitischen und
gesellschaftlichen Wirklichkeit zeigt sich, dass das “unternehmerische Handeln” und die
Orientierung auf “Gewinninteressen”, sprich auf die Profitmaximierung, die Triebkraft für
Krisen, Massenerwerbslosigkeit, Verarmung der “Dritten” Welt, Umweltzerstörung und -
zusammengefasst - für die aktuelle Politik des “Nach-uns-die-Sintflut” sind.
Selbstverständlich ist ein Programm nicht allein entscheidend. Entscheidend ist letzten Endes die
politische Praxis einer Partei. Diese politische Praxis hat die zitierte Programm-Aussage vorweggenommen.
Die politische Praxis der PDS in den Landesregierungen in Schwerin und Berlin kommt einem
unzweideutigen Bekenntnis zum Kapitalismus gleich, ja es ist eine einzige Anbiederung an ihn.
Es war der Wirtschaftssenator Gregor Gysi, der im Sommer 2002 in New York demonstrativ die
New York Stock Exchange besuchte und dann erklärte, die Börse sei “eine geniale Erfindung
des Kapitalismus”.3 Und es ist erneut das Chemnitzer (neue) PDS-Programm,
das - ohne Not! - ausdrücklich positiven Bezug nimmt auf die politische, pro-kapitalistische
Praxis der PDS in den Regierungen von Schwerin und Berlin.
So, wenn es dort heißt: “Verlässlichkeit gegenüber unseren Wählerinnen und Wählern ist uns
Verpflichtung. Mit (...) der Bildung der SPD-PDS-Regierungen in Mecklenburg-Vorpommern und
Berlin hat unsere Partei unter schwierigen Bedingungen Politikfähigkeit bewiesen.”4
Damit wurden Programm und Praxis in Übereinstimmung gebracht.
2
Die PDS präsentierte sich vormals als eine Anti-Macht-Partei, als eine
Partei, die in erster Linie auf außerparlamentarische Bewegungen setzt.
Die PDS ist heute unzweideutig eine Partei, die auf die bürgerliche
Macht und die Teilhabe an ihr orientiert. Sie agiert in Kontinuität als
staatstragende Partei. Parallel mit dem “Umbau” der PDS zu einer
neuen-alten “Partei der Macht” zerstörte die PDS-Führung die
innerparteiliche demokratische Kultur.
Die Entwicklung der PDS hin zu einer auf Macht orientierten Partei lässt sich mit den
zentralen Slogans in Wahlkämpfen illustrieren. 1994
führten wir einen Bundestagswahlkampf unter der Losung: “Veränderung beginnt mit
Opposition”. Der 1998er Wahlkampf stand unter der Losung “Für eine gerechte Republik”.
2002 wurde die PDS nur noch wie ein besseres Waschmittel - Spee statt Persil - , als
“linke Kraft” angepriesen. Im aktuellen Europa-Wahlkampf wirbt die PDS faktisch für das
Projekt Europäische Union und plakatiert mit “Europa an der Seite der UNO, nicht im
Schatten der USA”.
Im Sommer 2002, inmitten der heißen Phase des Wahlkampfs, erklärte Gregor Gysi
für die PDS: “Wir bringen Schröder an die Macht.” Bundesgeschäftsführer Bartsch betonte 1999:
“Die PDS muss 2002 koalitionsfähig sein” und konkretisierte 2002, er schließe “eine
Beteiligung unserer Partei an einer SPD-geführten Koalition nach der Bundestagswahl nicht
aus.” 5 Im August 2002 wurden Gedanken über ein Zusammengehen von
Lafontaine und Gysi bzw. von Teilen der PDS und der SPD publik. Diese Operation war
Ausdruck einer Orientierung auf politische Macht. Die Wahlchancen der PDS reduzierten
sich konsequenterweise (und aus der Sicht linker Wähler richtigerweise) in dem Maß,
wie die Wählerin und der Wähler den Eindruck gewinnen mussten, dass die PDS nicht
wirklich in Opposition zur neoliberalen Offensive stehe, sondern dass sie Kanzler
Schröder, der bereits vier Jahre Regierungspolitik gegen Lohnabhängige, gegen
Gewerkschaften und im Interesse von Konzernen und Banken gemacht hatte, in jedem Fall unterstützen würde.
Anpassung an die Macht dokumentiert die PDS auch bei der
Wahl zum Bundespräsidentenamt. Bei der vorausgegangenen Präsidentschafts- Wahl im Mai 1999
hatten wir mit Uta Ranke-Heinemann noch eine eigene Kandidatin aufgestellt und dies als
Symbol für die Anti-Kriegs-Partei PDS und für unseren Protest gegen die anderen
Kandidaten, die alle den Krieg gegen Jugoslawien unterstützt hatten, verstanden. Bei der
anstehenden neuen Wahl kommt die PDS erst gar nicht auf die Idee, ein solches sichtbares Zeichen zu setzen.
Es ist in diesem Sinne konsequent, wenn im Frühjahr 2004 als Ergebnis einer neuen Forsa-Umfrage unter
1.251 Abgeordneten die “Reformbereitschaft” der PDS-Abgeordneten größer ist als diejenige
der befragten SPD-Abgeordneten und 58 Prozent der befragten PDS-Abgeordneten die
Meinung vertraten, dass den Bürgerinnen und Bürgern “weitere
Einschränkungen zuzumuten” seien (SPD: 52%).
Damit präsentiert sich die PDS als Partei der Macht, als staatstragend.
Sie kehrt zurück zu ihren Ursprüngen. Es war Dietmar Bartsch, der im Wahlkampf 2002 die Herkunft der PDS
aus der SED offen als Vorteil anpries und dabei den - damals wie heute - staatserhaltenden Charakter der PDS
unterstrich. Bartsch in der “Süddeutschen Zeitung”: “Das Wesen der PDS war nie das einer bloßen Protestpartei.
Das erklärt sich schon aus ihrer Vorgeschichte: Die SED hat ja nun wirklich diesen Staat mitgetragen.”6
Das trifft zu: Die SED war das Machtmittel zur Verteidigung der Herrschaft der Nomenklatur, die wiederum die
DDR-Staatsmacht repräsentierte. Bis vor kurzem erklärte die PDS allerdings, mit dieser Vergangenheit und
Tradition gebrochen zu haben. Neu ist nun das Bekenntnis dazu, die Erfahrungen der Herrschaftspartei SED
für die aktuellen Beteiligungen an der bürgerlichen Macht einbringen und nutzen zu wollen.
In der PDS stand aufgrund ihrer Herkunft die innerparteiliche Demokratie immer auf
schwachen Füßen bzw. die Macht des Apparats und der Parteiführung im engeren Sinn war von Anfang
an groß. Dennoch gab es in der PDS lange Zeit breite demokratische Debatten.
Auf zwei wichtigen Parteitagen - in Münster im April 2000 und in Gera im Oktober 2002 -
konnte sich gegen den erklärten Willen des Apparats jeweils eine demokratische
Basisströmung durchsetzen. Es waren dann die Reaktionen des Apparats auf diese
unvorhergesehenen Niederlagen, die zu Meilensteinen im Abbau der innerparteilichen
Demokratie wurden. Als auf dem Münsteraner Parteitag eine Zwei-Drittel-Mehrheit der
Delegierten beschloss, am grundsätzlichen Nein zu Kriegen festzuhalten, begann die
Parteiführung noch während der Debatten im Plenarsaal die Parteibasis zu erpressen.
Unisono erklärten Gysi, Bartsch, Zimmer, Claus und andere, der Beschluss müsse “schnellstmöglich
revidiert” werden. Es sei “zu einer Diktatur der Minderheit” gekommen (H. Holter), es sei “nicht akzeptabel,
dass Leute Parteitage terrorisieren” (Bartsch), “dass ein Parteitag von vier Leuten aus Hamburg
terrorisiert wird, darf nicht noch einmal vorkommen.”, es handle sich dabei um “pubertierende
Mensagenossen” (G.Gysi). In alter SED-Tradition stellte André Brie fest. “Der Parteivorstand hat
diesen Parteitag nicht gut vorbereitet.”
Auf dem Geraer Parteitag, der kurz nach der verlorenen Bundestagswahl vom September
2002 stattfand, scheiterte die Apparatfraktion um B. Bartsch und R. Claus in ihrem
Durchmarsch- Versuch. Gestützt auf die linken Strömungen wurde Gabi Zimmer als
Parteivorsitzende bestätigt und als neuer Bundesgeschäftsführer Uwe Hiksch gewählt.
Es gab eine kurzzeitige Öffnung der Partei für eine ehrliche Bilanz der Wahlniederlage und
eine Rückorientierung auf außerparlamentarische Bewegungen und auf demokratische und
sozialistische Positionen. Doch sofort setzte ein Trommelfeuer der “Reformer” ein. Gregor
Gysi erklärte: “Die Niederlagen der PDS bei der Bundestagswahl und in Mecklenburg-Vorpommern
wären reparabel und verkraftbar gewesen, ihr Geraer Parteitag wohl kaum.”
Nach wenigen Wochen von Mobbing und Drohbriefen wechselte die Parteivorsitzende wieder
die Fronten und stellte den Bundesgeschäfts- führer Hiksch kalt. Ende April 2003 gab es eine
Art innerparteilichen Putsch, mit dem ein Sonderparteitag durchgesetzt wurde. Insbesondere
die ostdeutschen Landesverbände mobilisierten offen gegen den gewählten
Bundesgeschäftsführer und den stellvertretenden Parteivorsitzenden; die Magdeburger
Fraktionsvorsitzende Petra Sitte erklärte: Hiksch und Dehm “sollten sich überlegen, ob die
PDS noch die richtige Partei für sie ist”; das sind “unbelehrbare Orthodoxe, verantwortlich für
die schwerste Krise der Partei seit 1990.”7 Der Sonderparteitag am 28./29. Juni 2003 in
Berlin war dann von einem Klima der Erpressung und Einschüchterung geprägt; er wählte
Lothar Bisky als neuen-alten Parteivorsitzenden, Rolf Kutzmutz als Bundesgeschäftsführer
und einen neuen Parteivorstand, der sich fast stromlinienförmig aus “Reformern” zusammensetzt.
Dabei ist allerdings die Feststellung wichtig, dass es auf den Parteitagen in Gera, in Berlin und in
Chemnitz die gleichen Delegierten waren, die derart unterschiedliche Entscheidungen trafen und
Akzente setzten. Dies ist Ausdruck der Aushöhlung der innerparteilichen Demokratie, aber auch
Resultat einer enormen sozialen Abhängigkeit der großen Mehrheit der Delegierten vom
Parteiapparat und der parteinahen Stiftung.
Der beschriebenen, tiefgreifenden programmatischen Veränderung vom Oktober 2003
gingen weitreichende personelle Veränderungen und ein flächendeckender Abbau der
innerparteilichen Demokratie voraus. Dies wurde und wird naturgemäß dadurch verstärkt,
dass parallel mit der Umpolung der PDS und verstärkt seit Bildung der Berliner SPD-PDS-Koalition
kritische Genossinnen und Genossen die Partei verlassen. Die gegenwärtige PDS wird inzwischen
völlig vom Apparat kontrolliert, der sich wieder überwiegend aus verdienten SED-Kadern zusammensetzt.
3
Die PDS hatte sich zu einer “sozialen und ökologisch orientierten Politik”
verpflichtet. Sie ist heute eine Partei, die sich an der Umweltzerstörung beteiligt.
Das Thema “Ökologie” war in der PDS zweifellos immer ein schwieriges. Hier war der
Einfluss der SED-Ideologie vom positiven Wirken des “technischen Fortschritts” immer
präsent. Dennoch gelang es lange Zeit, grüne Themen in der PDS-Programmatik und
Praxis zu verankern. Eine wichtige Rolle spielte dabei die Arbeit, die meine bayerische
MdB-Kollegin Eva Bulling-Schröter als MdB leistete. Im Verkehrsbereich versuchte ich
eine Politik der Verkehrswende in der PDS zu verankern.
Die offizielle Politik will von all dem nichts mehr wissen. Der damalige
Bundesgeschäftsführer D. Bartsch äußerte sich 1999 nach einem China-Besuch
positiv zum Transrapid-Export nach China und zum
Drei-Schluchten-Stausee. Der SPD-PDS-Senat in Berlin betreibt eine Verkehrspolitik,
die die Anteile des öffentlichen Verkehrs reduziert, den Pkw fördert und auf den Bau eines
Großflughafen orientiert: Bei der öffentlichen
Verkehrsgesellschaft BVG und der Berliner S-Bahn betreibt bzw. unterstützt der SPD-PDS-Senat
eine Politik der Privatisierung, des Outsourcings, der Lohndrückerei bei den Beschäftigten und
der Preistreiberei bei den Tarifen. Gleichzeitig setzte er einen neuen Chef der Berliner
Verkehrsgesellschaft (BVG) ein, der fachlich erkennbar keinerlei Befähigung für diesen
Posten mit sich bringt, sich und ein Dutzend Top-BVG´ler jedoch sogleich mit überproportionalen
Gehältern “belohnte”. In Stuttgart nimmt die PDS im gegenwärtigen Kommunalwahlkampf eine
zweideutige Position zum wichtigsten zerstörerischen Projekt in der Landeshauptstadt, zu
“Stuttgart 21”, ein. Der umweltpolitische Sprecher der
PDS in Sachsen-Anhalt verteidigte im April 2004 die Großversuche mit
Gen-Pflanzen in Sachsen-Anhalt und erklärte, seine Partei habe sich für eine
“kritische Zustimmung zur Gentechnik” entschieden.
In Mecklenburg-Vorpommern hat die SPD-PDS-Regierung ihre Zahlungen an die
Verbraucherschutzzentrale im Mai 2004 eingestellt, so
dass diese Insolvenz beantragen
muss und die 33 Mitglieder der Organisation in die Erwerbslosigkeit gehen. Bleibt es
dabei, dann ist Mecklenburg-Vorpommern das erste Bundesland ohne institutionalisierte,
unabhängige Verbraucherberatung.
Die Miles&More-Affäre ist ein typisches Beispiel für die Beteiligung der PDS an der
Privilegien-Gesellschaft und für die Abwesenheit eines ökologischen Bewusstseins bei der
PDS-Führung. Die PDS war die einzige Partei, die als Fraktion einen Antrag beschloss, mit dem die Einführung
des flächendeckenden Korruptionsinstruments Miles&More für die
Bundestagsabgeordneten abgelehnt wurde. Der “Tagesspiegel” hatte dazu fünf Jahre später
und anlässlich des Gysi-Rücktritts als Wirtschaftssenator geschrieben: “Gysi hätte gewarnt sein
können. Am 25. Juni 1997 stellte die PDS im Bundestag den Antrag, ´Miles & More´ streng zu rügen. (...) Die Antragsteller
unter Federführung des PDS-Verkehrsexperten Winfried Wolf erläuterten in diesem Antrag auch das Prinzip des
Programms: Es gehe darum, möglichst viele Dienstreisen zu beantragen, um ´möglichst viel privat konsumierbare
Flugmeilen anzusparen.´ ... Damit würde das Rabattprogramm zur Inflationierung des Luftverkehrs und zur Steigerung
der am meisten umweltzerstörenden Form des motorisierten Verkehrs beitragen.” Weiter der Tagesspiegel: “Die
PDS forderte (in dem Antrag) Verhandlungen, damit die angesparten Rabatte dem Bundestag selbst (anstatt den
MdBs) zugute kämen. Der Antrag wurde jedoch nie behandelt.” Er wurde nie behandelt, weil die Fraktionsführung
unter G. Gysi ihn nicht auf die Tagesordnung des Bundestags setzten ließ - was sie jederzeit hätte tun können.
Stattdessen beteiligte man sich munter selbst an diesem Programm der privaten Privilegienwirtschaft und kassierte
eine tiefe Vertrauenskrise während des 2002er Wahlkampfs. Als Gregor Gysi wegen seiner privaten Familien-Flüge mit
Bundestags-Bonus-Meilen im August 2002 zurücktrat, schrieb er in seiner
Rücktrittserklärung, er sei “gedankenlos einer Fehlinformation” gefolgt. Der Berliner
“Tagespiegel” hält richtigerweise fest: Den PDS-Antrag gegen das Miles&More-Programm
“hatte Gysi selbst unterschrieben.”8
4
Die PDS hat den Slogan “sozial und solidarisch” für sich in Anspruch
genommen. Darüber hinaus konnte sie von sich lange Zeit zu Recht sagen, dass
sie die Interessen der benachteiligten Ostdeutschen vertreten würde.
Heute ist die PDS eine Partei, die dort, wo sie mitregiert, vielfach an der
Spitze der Angriffe auf sozial Schwache steht. Gleichzeitig betreibt sie heute
selbst das Spiel der Ost-West-Spaltung - zum Schaden aller sozial Schwachen in Ost und West.
Bis 2000/2001 wurde die PDS bei Gewerkschaften, Arbeitslosen und sozial Schwachen in
wachsendem Maß als ihre Interessenvertretung gesehen. Dies wurde auf
Gewerkschaftskonferenzen, beim Zuspruch für die Zeitschrift “wirtschaft-soziales-widerstand” und im
konkreten Wahlverhalten mit überproportional großen PDS-Stimmenanteilen bei gewerkschaftlich
Organisierten und Erwerbslosen dokumentiert.
Bei der Bundestagswahl 2002 waren dann die Einbrüche in diesen Bereichen - bei
gewerkschaftlich Organisierten und Erwerbslosen - am größten. Die PDS verlor darüber
hinaus dort am meisten Stimmen, wo sie mitregierte oder zuvor toleriert hatte: In
Mecklenburg-Vorpommern mit minus 7,3 Prozentpunkten, in Sachsen-Anhalt mit minus 6,3 Prozentpunkten.
Heute ist die PDS bei linken Gewerkschaftsmitgliedern abgeschrieben. Das heißt: Die Politik, die die
PDS als Koalitions- partnerin in Schwerin und Berlin mit zu verantworten hat, ist maßgeblich für diese
tiefgreifende Veränderung.
Von den rund 100.000 Leuten, die ihr SPD-Mitgliedsbuch in den letzten fünfzehn Monaten
aus Enttäuschung über die SPD-Politik abgaben, kam so gut wie niemand zur PDS - mit
guten Gründen. Das heißt: Die PDS ist kein Ansprechpartner bei der
Abwendung von der SPD und bei der Kritik an der Agenda 2010.
Die PDS hat es mit ihrer Politik vor allem in Berlin geschafft, sich bundesweit als Teil des
neoliberalen Angriffs zu präsentieren. Öffentliches Eigentum wird in großem Maßstab
verscherbelt bzw. privatisiert. Zunächst wurde Cross-Border-Leasing vom
Wirtschaftssenator Gysi öffentlich als pfiffig gepriesen. Im Dezember 2002 wurde der
Berliner Stromversorger Bewag an den schwedischen Konzern Vattenfall verscherbelt. Ein
Jahr später wurden die Berliner Wasserwerke teilprivatisiert.
Der aktuelle PDS-Wirtschaftssenator Harald Wolf propagierte 2003 als einer der ersten, die
Mehrwertsteuer zu erhöhen - Eichel kann heute nahtlos daran anknüpfen. Der SPD-PDS-Senat in
Berlin war bundesweit Vorreiter bei der Abschaffung der Lernmittelfreiheit.
Am 1.1.2004 wurde den Sozialhilfeempfängern Berlins das
Sozialticket im öffentlichen Verkehr gestrichen. Der Berliner Landesbeauftragte für
Behinderte, Martin Marquardt, monierte, dass der Senat Einrichtungen von
Behinderten das Geld streiche und sie in den Ruin treiben würde.
Darüber hinaus, so ein Bericht im “ND”, würden die Interessen der Behinderten “weder beim Umbau des
Olympiastadions noch beim Bau des Holocaust-Denkmals baulich
berücksichtigt.”
Einen bundesweiten Dammbruch führte der SPD-PDS-Senat Berlins herbei, indem er im
März 2003 während noch laufender Tarifverhandlungen die Mitgliedschaft im Verband
öffentlicher Arbeitgeber kündigte. SPD und PDS in Berlin wurden damit, so die GEW, zum
“Vorreiter für eine bundesweite tarifpolitische Destabilisierung”. Tatsächlich wird
allerorten der Flächentarifvertrag in Frage gestellt. Vielerorts werden PDS-Kommunalvertreter, die sich
gegen Privatisierungen, gegen eine Aufweichung des
Flächentarif- vertrags oder gegen Cross-Border-Leasing-Geschäfte wenden, vor Ort auf die
entgegengesetzte Politik verwiesen, die die PDS in Berlin und Schwerin betreibt.9
Das wird ergänzt durch eine Politik, die die Reichen und die Konzerne fördert. So wurde in
Berlin unter dem PDS-Wirtschaftssenator Gysi und dem PDS-Kultursenator Flierl die
Grundlage für eine private “Elite-Universität” (European School of Management) gelegt.
Dafür schenkte der Senat das stadteigene Gebäude mit dazu gehörigem Gelände in 1a-City-Lage den Betreibern, die
sich aus den führenden und reichsten deutschen Konzernen
rekrutieren. Während wir bundesweit gegen eine Privatisierung der Ausbildung und in jedem Fall gegen sogenannte
Elite-Universitäten auftreten, erklärte Wirtschaftssenator Gysi: “Diese Entscheidung (der Konzernspitzen von Allianz,
DaimlerChrysler, Eon und ThyssenKrupp für die private Elite-Universität) hat viel mit den Qualitäten unserer
Hauptstadt im Bereich Wissenschaft und Forschung ... zu tun.”10
Als großangelegte Beraubung öffentlicher Kassen bzw. der Steuerzahlenden muss dann die Entscheidung des
SPD-PDS-Senats bezeichnet werden, Bürgschaften in Höhe von mehr als 21 Milliarden Euro der faktisch bankrotten
Berliner Bankgesellschaft zu übernehmen - eine Zeche, die die Bürgerinnen
und Bürger Berlins noch bis zu 30 Jahre lang zahlen müssen. Hier wurde auch die
Funktion der PDS zur Einbindung von Protest deutlich: Wäre eine solche
Entscheidung von einer anderen Berliner Regierung getroffen worden, hätte eine PDS mit knapp 50 Prozent
Stimmen im Ostteil der Stadt eine erhebliche Oppositionskraft gegen diesen großangelegten Diebstahl öffentlicher
Gelder darstellen können. Diese umfassende und auf weitere drei Jahrzehnte gesetzlich abgesicherte Bereicherung
der Reichen konnte in dieser Form wohl nur mit einer PDS als Koalitionspartner zur Einbindung von potentiellem
Protestpotential im Osten und mit einer SPD als führender Regierungspartei zur zeitweiligen Ruhigstellung der
Gewerkschaften erfolgen.11
Während die PDS früher immer die Angleichung der sozialen Standards im Osten an die
höher liegenden Standards im Westen forderte, praktiziert sie in Berlin die
Angleichung der für die Beschäftigten günstigeren Standards im
Westteil an die schlechteren im Ostteil (Arbeitszeitverlängerung im öffentlichen Dienst). In
der Bundespolitik trat sie als erste mit der Forderung auf, ein “Sonderwirtschaftsgebiet, auch
Innovationsfeld Ost” (Gabi Zimmer) zu propagieren.12 Sonderwirtschaftsgebiete laufen jedoch
immer auf ein weiteres Sozialdumping und eine zusätzliche Begünstigung des privaten Kapitals hinaus.
Die PDS sah sich viele Jahre an der Seite der Gewerkschaften - zu Recht, wie viele in den Gewerkschaften
meinten. Heute betreibt sie vielfach Politik gegen Gewerkschaften,
Lohnabhängige und Erwerbslose. Liest man Sätze wie den folgenden:
“Ich habe es hautnah erlebt, wie kompromisslos sich die Gewerkschaften verhalten, wenn es darum
geht, Lohnerhöhungen für die Arbeitsplatzbesitzer durchzusetzen, auch wenn sich ein Arbeitgeber dies
gar nicht leisten kann... Die Traditionalisten innerhalb der Gewerkschaften verteidigen zu sehr ihre
Erbhöfe”,
dann denkt man zu recht an FDP und Westerwelle. Doch es ist Originalton Gregor Gysi.13
Kein Wunder, wenn die bereits zitierte Forsa-Studie unter Parlamentariern ergab, dass 23
Prozent der befragten PDS-Parlamentarier die Gewerkschaften als “Hauptbremser auf dem Arbeitsmarkt” sehen.
Zu Recht kritisiert die PDS gelegentlich weiterhin die ungerechte Steuerpolitik. In der neuen Europazeitung
der PDS (vom Mai 2004) schreibt Gregor Gysi: “Die Steuern für Konzerne und Spitzenverdiener wurden gesenkt.
Das allein macht eine Mindereinnahme von 30 Milliarden Euro (pro Jahr; W.W.) für Bund, Länder und Kommunen.”
Es war die
Steuerreform 2000, die diese gewaltige Entlastung vor allem der
Kapitalgesellschaften mit dem genannten jährlichen Minus an Steuereinnahmen mit sich brachte.
Doch eben diese Steuerreform wurde im Bundesrat mit der Stimme der SPD-PDS-Landesregierung
von Mecklenburg-Vorpommern verabschiedet. Anders als im Fall der ebenfalls erfolgten
Zustimmung dieses Bundeslandes zur sog. Rentenreform verteidigte die PDS das Ja zur
Steuerreform 2000 im Bundesrat öffentlich. Der bis dato größte Raubzug der öffentlichen
Kassen durch die Steuergesetzgebung - im Zeitraum 2001 bis 2003 liegt der Steuerausfall
bereits bei mehr als 65 Milliarden Euro - wurde also durch ein bewußtes Ja der PDS mit
ermöglicht. Die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” kommentierte dies wie folgt: “Die PDS ist
überraschend, aber doch deutlich und endgültig, und aus freien Stücken im Westen
angekommen: Sie hat, erstens, einer Steuerreform zugestimmt, die dem Kapital zugute
kommt, und sie hat es zweitens gern getan (...). Die PDS hat mit dieser Entscheidung das
Vorhaben `moderne sozialistische Partei der Bundesrepublik Deutschland´ neu im Markt
positioniert.”14
In der öffentlichen Wahrnehmung dürfte der Aspekt der Politik gegen sozial Schwache und
gegen die Gewerkschaften der entscheidende bei der Umpolung der PDS sein. Es ist
tatsächlich dieser Bereich, mit dem sich die PDS als “moderne” Partei “neu im Markt
positioniert” hat, in dem die Umpolung ihrer Politik am deutlichsten zum Ausdruck kommt.
5
Die PDS hat wesentliche Verdienste als Antikriegspartei. Sie knickt in
dieser Frage seit einiger Zeit dort ein, wo die Antikriegs-Position hinderlich
auf dem Weg zur Macht ist. Damit ist sie dabei, auch ihre Anti-Kriegsposition
zu räumen. Deutlich wird dies im aktuellen Wahlkampf zum Europäischen Parlament.
Für viele - so für mich - war das Argument, die PDS ist eine Antikriegspartei, zentral für ihr Engagement für die
PDS. Bis einschließlich des Nato-Kriegs gegen Jugoslawien traf diese Charakterisierung überwiegend zu.15
Erstmals deutlich wurde der Versuch, auch diese Position zu räumen, mit dem
Münsteraner Parteitag 2000, auf dem die Position “Nein zu UN-Kampfeinsätzen”
aufgegeben werden sollte. Als eine Zweidrittel-Mehrheit der Delegierten dies verweigerte, erklärten
führende Reformer immer wieder, dass diese Position revidiert werden müsste. Mit dem Chemnitzer
Programm 2003 erfolgte eine solche Revision in indirekter Form.16
Ein erstes öffentlich erkennbares Einknicken im Fall eines konkreten Krieges gab es mit dem
Afghanistan-Krieg, als Gysi beschränkte militärische Aktionen gegen
Kabul forderte. Am Ende des Programmparteitags in Dresden, am 7. Oktober 2001, verabschiedete die
PDS einen “Friedensappell” oder auch “Dresdner Appell”. Obwohl es damals - gut drei Wochen nach
den Angriffen auf das World Trade Center - keinerlei Beweise für einen Zusammenhang zwischen
diesen Terrorakten und Al Qaida bzw. den Taliban in Afghanistan gab, heißt es darin: “Die Terroristen
vom 11. September wollen ihre Anschläge in den USA offenbar zum Auftakt eines brutalen Kriegs
zwischen den Kulturen, zwischen der nördlichen und südlichen Hemisphäre machen.” Der Text enthält
kein Wort zu den konkreten Kriegsdrohungen und Kriegsvorbereitungen der US-Regierung gegen
Afghanistan. Wenige Stunden nach dem Ende des Parteitags, am 7. Oktober 2001, begann der Afghanistan-Krieg.
Als der SPD-PDS-Senat gebildet wurde, stimmte die PDS einer Präambel des
Koalitionsvertrags zu, in der positiv auf die Nato Bezug genommen wird. In dieser heißt es:
“Berlin repräsentiert eine der führenden Industrienationen der Welt, die in die westliche
Wertegemeinschaft eingebunden ist, die der Organisation der Vereinten Nationen und dem
nordatlantischen Bündnis angehört, die die Erweiterung der Europäischen Union anstrebt und
zahlreiche weitere internationale Verpflichtungen erfüllt. In Berlin ist aufgrund seiner Erfahrung mit
Teilung und Wiedervereinigung das Bewusstsein über die Bedeutung dieser Bindungen besonders
hoch. Die Koalition wird den Verpflichtungen und Erwartungen, die aus der Funktion Berlins als
Hauptstadt Deutschlands resultieren, daher nachkommen.”
Als im Frühjahr 2002 der Irak-Krieg drohte und als es noch nicht opportun war,
gegen einen solchen Krieg und gegen den weltweit entscheidenden Kriegstreiber, den US-Präsidenten
George W. Bush, Stellung zu nehmen, weil die SPD-Grünen-Regierung die US-Regierung und Bush noch
hofierten, befolgten im Mai 2002 die PDS-Senatsmitglieder Gysi, Knake-Werner und Flierl getreu den
Senats-Beschluss, wonach keiner von ihnen sich an den großen
Anti-Bush-Demos in Berlin beteiligen dürfte. Auf einer internen Sitzung
der PDS-Fraktion im Vorfeld des Bush-Besuchs hatten die Abgeordneten Jelpke und Wolf versucht,
die Fraktion zu einer gemeinsamen und medienwirksamen Protest-Aktion während der Bush-Rede
im Plenarsaal des Bundestags zu gewinnen. Der Vorschlag erhielt keine Unterstützung und wurde
insbesondere von der Fraktionsführung strikt abgelehnt. Als es aus diesem Grund dann keinen
kollektiven, sondern den bekannten Transparent-Protest der drei PDS-MdBs Lippmann, Jelpke und
Wolf im Plenarsaal und während der Bush-Rede gab, gab es keine erkennbare Solidarität der
PDS-Fraktion mit ihnen. Stattdessen entschuldigte sich der PDS-Fraktionsvorsitzende
Roland Claus hinterher persönlich bei George W. Bush. Während des gesamten Wahlkampfs
2002 verteidigte der Fraktionsvorsitzende diese Haltung. Prominente
PDS-Leute wie D. Bartsch, G. Gysi, P. Pau, W. Gehrcke oder D. Dehm kritisierten die
Protest-Aktion auf unterschiedliche Weise. Bis heute sah sich die PDS-Führung nicht
veranlasst, sich für das Kuschen der PDS-Senatsmitglieder bei der Anti-Bush-Demo vom
21. Mai 2002 bzw. für den zwei Tage später stattfinden Kniefall ihres ehemaligen Fraktionschefs
vor dem US-Präsidenten, von dem wir inzwischen wissen, dass er einer folternden Besatzungsmacht
vorsteht, zu entschuldigen.17
PDS-Wahlkampf zur Europawahl 2004 und Verfassung der EU
Im aktuellen Europawahlkampf bündeln sich mehrere Aspekte, mit denen die Umpolung
der PDS, ihre Abkehr von sozialistischen Zielsetzungen deutlich wird. Und erneut
konkretisiert sich dies in der Frage von Krieg und Frieden, in der Abkehr der PDS von einer konsequenten Antikriegs-Position.
Grundsätzlich agiert die PDS im Europawahlkampf als unkritische Begleiterin des Projekts
Europäische Union. Bereits Ende 2003 veröffentlichte die PDS eine - offensichtlich mit
Geldern des PDS-MdEP-Fraktionsetats finanzierte - Zeitung mit dem Titel “PRO Europa”.
Sie hatte eine Auflage von 1,3 Millionen. In ihr fand sich kein ernsthaftes Wort einer Kritik
an der EU.
Im Mai 2004 erschien eine PDS-“Zeitung zur Europawahl”, die nach PDS-Angaben 3,2
Millionen Auflage hat und offensichtlich aus PDS-Wahlkampfmitteln finanziert wurde.18
Diese Zeitung liest sich erneut an vielen Stellen wie eine Werbebroschüre der EU. Das
Europaparlament, unter allen Parlamenten in westlichen Industriestaaten wohl das am
weitesten von der Bevölkerung entfernte Parlament, wird schlicht als “Stimme des Volkes”
bezeichnet; die Europäische Kommission, die extrem hierarchische und bürokratisierte
Exekutive der EU, wird als “Motor der Union” bezeichnet und dabei so getan, als sei die
Kommission ernsthaft parlamentarisch kontrollierbar (In der PDS-Wahlzeitung heißt es dazu:
“Die Kommission ist dem Parlament gegenüber rechenschaftspflichtig. Das Parlament
kann ihr das Misstrauen aussprechen und sie so zum Rücktritt zwingen”).
Zum Europäischen Rat, der maßgeblich die Militarisierung der EU betreibt, heißt es neutral:
“Die Staats- und Regierungschefs entscheiden über die Grundzüge der Politik der EU. Im
Rahmen der Gemeinsamen Europäischen Außen- und Sicherheitspolitik beraten sie auch
über Probleme der internationalen Politik und Sicherheitsfragen.” (Jeweils Seite 4 der “Zeitung zur Europawahl”).
Der Grundcharakter der Europäischen Union - die Bildung eines Europas der Konzerne und Banken in
Konkurrenz zum US/Nafta-Block -, die zerstörerischen Tendenzen dieses Projektes für demokratische
Rechte, Umwelt, Gewerkschaften, Lohnabhängige, regionale
Wirtschaftskreisläufe, kleine und mittlere Unternehmen usw. - ist nirgendwo ernsthaft ein
Thema. Die Osterweiterung der EU, die für Millionen Menschen in Mittel- und Osteuropa
dauerhaft Massenerwerbslosigkeit schaffen muss und in ihren sozialen Folgen EU-weit das
Sozialdumping fördert, wird grundsätzlich begrüßt. Als angebliche “positive Konsequenzen” der
erweiterten EU nennt EU-MdEP-Kandidatin Gabi Zimmer: “Beispielsweise haben jetzt junge Leute
die Möglichkeiten zu reisen, Länder und Menschen kennen zu lernen.”
Die Plakatierung der PDS in diesem Wahlkampf ist komplett populistisch. Teilweise kann sie
mit der Werbung für eine rechte Partei “verwechselt” werden, so bei den Plakaten: “Es reicht!
Für eine bessere Politik”. Teilweise wirkt das Ganze wie eine Werbung für das Projekt EU - so
bei den Plakaten: “Europa - An der Seite der UNO, nicht im Schatten der USA”.
Diejenigen im Land, die “aus dem Schatten der Vergangenheit heraustreten” wollen, tun dies mit
dem Projekt EU unter deutscher Dominanz und bewusst als Konkurrenzprojekt zum US-Imperialismus,
aber eben nicht als Projekt des Friedens, sondern als Projekt eines neuen und in der Perspektive
nicht minder gefährlichen EU-Imperialismus.
Krieg und Frieden kein PDS-Thema im EU-Wahlkampf
Die Orientierung der EU auf eine Militarisierung der Politik und auf die Schaffung eines
eigenen militärischen Arms und eines EU-weiten militärisch-industriellen Komplexes wurde
spätestens ab Mai 1999 mit dem EU-Gipfel in Köln konkretisiert. Seither wurde der
Rüstungs- konzern EADS gebildet, wird die 60.000 Mann/Frau-Interventionsarmee aufgebaut,
wird ein militärisch nutzbares Satellitensystem (“Galileo”) aufgebaut, werden Einzelprojekte wie
Militärtransporter A400M, Eurofighter usw. realisiert. In der EU-Verfassung wird letzten Endes
diese Militarisierung zusammengefasst und auf den Punkt gebracht.
Die Kampagne einer linken oder demokratischen Partei zur Europawahl 2004 müsste -
gleichberechtigt mit dem Thema Massenerwerbslosigkeit und den sozialen Folgen der
EU und der “Osterweiterung” - die EU-Aufrüstung zum Themen haben. Doch das Thema
“Soziales” fehlt weitgehend im PD-Wahlkampf. Das Thema EU-Rüstung fehlt fast komplett.
Es gibt keine zentralen PDS-Plakate, die die EU-Aufrüstung zum Thema haben. Ruft man im
Internet Mitte Mai 2004 die Rubrik “Unsere Themen im Wahlkampf” auf, dann werden dort die
Themen genannt “sozial”, “demokratisch”, “sicher”, “friedlich” und multikulturell”. Doch nirgendwo
tauchen die konkreten, oben angeführten EU-Projekte der Militarisierung auf. Der in dieser
Beziehung am weitesten gehende Satz lautet. “Soll die EU eine militärische Ergänzung für
den globalen Interventions- und Vorherrschaftskurs der USA werden, oder geht von ihr eine
Stärkung der UNO, des Völkerrechts, der weltweiten Abrüstung sowie ursachenorientierter
und ziviler internationaler Politik aus?” Es bleibt bei der - unzureichend gestellten - Frage.
Unter “sicher” taucht dann eine “positive”, aber eher fatale Aussage auf:
“Die PDS unterstützt alle Bemühungen um eine länderübergreifende
Kriminalitätsbekämpfung. Dabei legen wir großen Wert auf parlamentarische Kontrolle
europäischer Strafverfolgungsbehörden wie Europol, den Schutz der Menschen- und
Bürgerrechte sowie auf Prävention. Terrorismus muss entschieden bekämpft werden.”19
In der 12seitigen PDS-Wahlzeitung vom Mai 2004 spielt das Thema Rüstung und Kriege eine
untergeordnete Rolle; es wird erstmals und ausschließlich auf Seite 9 aufgegriffen - in einem
Beitrag von Tobias Pflüger. In dem Artikel steht u.a. richtigerweise, dass der EU-Verfassungsentwurf
eine Verpflichtung zur Aufrüstung enthält. Im Gesamtzusammenhang
des PDS-Wahlkampfs spielt dieser Artikel jedoch keine größere Rolle. Problematisch ist, was
in ihm nicht steht - und wie mit den Kandidaturen von Tobias Pflüger und Sahra
Wagenknecht die tatsächliche Politik der PDS in Sachen EU-Militarisierung und EU-Verfassung kaschiert werden soll.
Denn die Frage, inwieweit die PDS wenigstens noch Anti-Kriegs-Partei sei, spielt bei
denjenigen in der bundesdeutschen Linken, die eine Wahl der PDS in Erwägung ziehen,
eine wichtige Rolle. Professor Norbert Paech erklärt in der PDS-Zeitung zur Europawahl:
“Die PDS ... geht in den Wahlkampf zum Europäischen Parlament als einzige deutsche
Partei mit einem Nein zu diesem EU-Verfassungstext. Die Partei hat zudem die aussichtsreichen
Listenplätze mit glaubwürdigen Kandidaten besetzt ... Deren Kritik am Verfassungstext ist so
entschieden gewesen, dass sie die auch im EU-Parlament mit Nachdruck vertreten werden.”
Tobias Pflüger schreibt zum gleichen Thema in der genannten PDS-Wahlzeitung:
“Die PDS ist dagegen, auf EU-Ebene eigene militärische Komponenten zu schaffen.”
Im Text der WählerInnen-Initiative für Tobias Pflüger wiederum wird festgestellt:
“Die PDS hat sich nach langer Debatte als einzige Partei auf eine Ablehnung der
EU-Verfassung in der bislang vorgeschlagenen Form festgelegt.”
Nun sind die parteilosen Norman Paech und Tobias Pflüger konsequente und von mir
geschätzte Kriegsgegner. Ihre hier zitierten Feststellungen sind jedoch nicht mit der
PDS-Wirklichkeit in Übereinstimmung zu bringen. Es ist sinnvoll, sich die konkrete Entwicklung
der PDS-Position zu diesem Thema zu vergegenwärtigen.
Im Juni 2003 lag der Verfassungsentwurf der Europäischen Union im dafür gebildeten
Konvent des Europaparlaments vor. Der PDS-Parteivorstand forderte die PDS-Vertreterin
im EU-Konvent per Beschluss auf, der EU-Verfassung zuzustimmen. Kaufmann hatte dies
zuvor selbst vorgeschlagen. MdEP Kaufmann tat Entsprechendes; als Vizepräsidentin des
EU-Konvents unterzeichnete sie den Verfassungsentwurf sogar. Der Entwurf enthält u.a. ein
unzweideutiges Bekenntnis zur kapitalistischen Wirtschaftsordnung, ein generelles Ja zu
Auslandseinsätzen von EU-Militär und die Verpflichtung aller EU-Staaten zu Aufrüstung.
Es handelte sich beim PDS-Ja im Konvent um eine bewusste Entscheidung - in Kenntnis des Inhalts dieses
Verfassungsentwurfs. In einer Presseerklärung schrieb Sylvia-Yvonne
Kaufmann darüber hinaus am 13.6.2003: “Der vorliegende Verfassungsentwurf stellt die weit
reichendste Reform in der Geschichte der Europäischen Union dar. Von ausschlaggebender
Bedeutung ist, dass der Konvent einen in sich geschlossenen Gesamtvorschlag vorlegen konnte,
der die unterschiedlichsten Interessenlagen und Vorstellungen seiner Mitglieder sowie der
Bürgerinnen und Bürger berücksichtigt.” Im Mittelteil dieser Presseerklärung werden die
Passagen der EU-Verfassung mit der Aufrüstungs-Verpflichtung kritisiert.
Doch der Schluss lautet wie folgt: “In Anbetracht der realen politischen Kräfteverhältnisse
sowie in Abwägung der progressiven wie der kritischen Punkte überwiegen für mich bei
der politischen Gesamtbewertung trotz allem die erreichten Fortschritte für die europäische
Einigung. Daher habe ich dem Entwurf über den Vertrag für eine Europäische Verfassung
zugestimmt. Jetzt darf der Entwurf nicht verwässert werden.”20
Selbst ein knappes Vierteljahr später, als im September 2003 im Europaparlament der
Verfassungsentwurf zur Abstimmung stand (in Form einer Resolution, die sich auf die
Verfassung positiv bezog), enthielten sich alle PDS-MdEPs der Stimme. Obgleich Francis
Wurtz, Fraktionsvorsitzende der Vereinigten Europäischen Linken (GUE/NGL) und Mitglied
der Französischen KP, und viele andere PDS-MdEP-Fraktionskollegen aus anderen Ländern
mit “Nein”gestimmt hatten, stimmte keiner aus der PDS mit “Nein”. MdEP Hans Modrow
erklärte nach der Abstimmung, dass sein Abstimmungsverhalten falsch gewesen sei, dass
man zu diesem Verfassungsentwurf nur mit Nein habe stimmen können. Er blieb bis heute
der einzige Europa-Abgeordnete der PDS, der solches erklärte. MdEP Helmuth Markov
begründete die PDS-Enthaltungen damit, dass dadurch “die Abgeordneten die Absicht
zum Ausdruck gebracht (hätten), einer ´finalen Bewertung des Verfassungsvertrages nach
dem Abschluss der Regierungskonferenz nicht vorgreifen´ zu wollen.” Tatsache ist, dass es
sich um die voraussichtlich finale Abstimmung im Europaparlament handelte. Es ging bei
diesem Verhalten schon um Grundsätzliches. MdEP André Brie machte dies deutlich, als er
laut “ND” das Abstimmungsverhalten der PDS-MdEPs mit den Worten erklärte: Die PDS
darf “trotz aller Kritikpunkte nicht als Gegnerin einer europäischen Verfassung auftreten.”21
Sylvia-Yvonne Kaufmann kandidiert auf Platz 1 der neuen PDS-Europaliste, Helmuth
Markov auf Platz 2, André Brie auf Platz 6. Sechs MdEP-Plätze gelten bei Überwindung
der 5-Prozent-Hürde als aussichtsreich. Man vergleiche die zitierten Verhaltensweisen
im Fall der Abstimmungen zur EU-Verfassung und deren Begründungen durch die
PDS-MdEPs mit Norman Paechs Feststellung: “Die Partei (PDS) hat zudem die
aussichtsreichen Listenplätze mit glaubwürdigen Kandidaten besetzt (...) Deren Kritik am
Verfassungstext ist so entschieden gewesen, dass sie die auch im EU-Parlament mit Nachdruck vertreten werden.”
Nun wäre vorstellbar, die PDS habe sich seit September 2003 zu einer anderen Haltung
durchgerungen, “nach langer Debatte”, wie es im Unterstützungsaufruf für Tobias Pflüger
heißt. Das trifft nicht zu. Im neuen - am 26. Oktober 2003 in Chemnitz beschlossenen - PDS-Programm
wird der EU-Verfassungsentwurf im Grundtenor positiv erwähnt. Dort heißt es:
“Die PDS unterstützt den Prozess des Entstehens einer Europäischen Verfassung”. Obgleich der
Entwurf bereits seit vier Monaten fertig vorlag und im Konvent mit dem Ja der PDS und im
Europaparlament bei Enthaltungen aller PDS-MdEPs verabschiedet war, wird in dem
Programm gezielt die Unwahrheit verbreitet und von einem noch ablaufenden “Prozess des
Entstehens” geschrieben. Verschiedene Abänderungsanträge, die den konkreten Inhalt des
längst verabschiedeten Entwurfs - das heißt u.a. die Verpflichtung zur Aufrüstung - festhalten sollten,
wurden auf Aufforderung der Parteiführung von der Mehrheit der Delegierten abgeschmettert.
Wieder einen Monat später veröffentlichte die PDS ihre Wahlkampfstrategie für die
Europawahl. In dem sehr umfangreichen Text findet sich nicht ein Wort zur Kritik an der EU-Verfassung.22
Im Programm der PDS zur Wahl des Europaparlaments, das dann im Januar 2004
verabschiedet wurde, heißt es zwar zu Beginn:
“Die PDS sagt Nein zum vorliegenden Verfassungsentwurf”.
Im folgenden werden die Begründungen für ein solches “Nein” jedoch relativiert. So wenn es dort heißt:
“Inakzeptabel ist für uns vor allem, dass die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik
(GASP), insbesondere die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP)
unverändert kaum parlamentarischer Einflussnahme und Kontrolle unterliegen (...) Darüber
hinaus halten wir es für vollkommen undemokratisch und sind nicht bereit zu akzeptieren,
dass selbst der Einsatz von EU-Eingreiftruppen keiner Zustimmung des Europäischen
Parlaments bedarf.”
Tobias Pflüger kommt an anderer Stelle zur Auffassung: “Es gibt noch eine realistische
Chance, die EU-Verfassung zu verhindern: durch ein klares Votum am 13. Juni und vor allem
durch die Unterstützung von Friedensbewegungen und Linken in den Ländern, in denen
rechtsverbindliche Referenden über die EU-Verfassung stattfinden werden.”23 Der erste Teil
dieser Feststellung überzeugt nicht. Die Wahl am 13. Juni kann diese Verfassung nicht nur
nicht stoppen. Es gibt vor allem auch keine Garantie dafür, wie sich eine PDS-MdEP-Fraktion
dann verhalten würde, wenn der EU-Verfassungsentwurf tatsächlich nochmals im Europaparlament
befasst werden würde. Selbst wenn die PDS die 5-Prozent-Hürde schafft, bleibt die Tatsache bestehen,
dass die Mehrheit derjenigen, die dann die PDS im neuen Europaparlament vertreten (Kaufmann,
Markov, Zimmer, Brie), sich zuvor als Befürworter dieser Verfassung oder zumindest nicht als ihre
Gegnerinnen und Gegner erwiesen haben.
Konstantin Wecker steuerte für die PDS-Wahlkampfzeitung die Sätze bei: “Ich kenne Sahra Wagenknecht
und Tobias Pflüger. Ihr Nein zur Militarisierung im EU-Verfassungsentwurf ist glaubwürdig. Deshalb
sollten beide ins Europaparlament.” Das ist eine klare und belastbare Aussage. Sie findet sich jedoch
in der PDS-Wahlkampfzeitung nicht; laut Bericht der jungen Welt “blieben Weckers Worte ungedruckt” 24.
In der Summe ist festzustellen:
-
Zum Zeitpunkt, als man hätte Alarm schlagen und eine öffentliche Kampagne gegen
die EU-Verfassung lostreten müssen, schwieg die PDS nicht nur - sie stimmte dem
Entwurf zu bzw. enthielt sich der Stimme.
-
Die vorliegenden programmatischen Aussagen der PDS zu diesem Thema sind
windelweich.
-
Auch heute führt die PDS im EU-Wahlkampf keine breite Kampagne durch, um “Nein
zur EU-Verfassung” zu sagen. Stattdessen konzentriert sie darauf, dass es ein
Referendum geben müsse - was mehr als unwahrscheinlich ist. Und auch hier sagt sie
nicht: “Für ein Referendum, für ein Nein zum EU-Verfassungsentwurf”. Sondern
lediglich, dass die Bevölkerung entscheiden müsse.
-
Die Spitzenkandidatin auf der PDS-EU-Liste ist diejenige, die die Verfassung mit
unterzeichnete und ihr im Konvent zugestimmt hat; zwei weitere aussichtsreich
Kandidierende haben sich bei der konkreten Abstimmung der Stimme enthalten und
nie erklärt, dass dies ein Fehler war.
Unter diesen Bedingungen richtet sich das gelegentlich platzierte Kleingedruckte,
wonach die PDS “inzwischen” und “nach langer Debatte” den vorliegenden Entwurf
der EU-Verfassung ablehnen würde, lediglich an linke Wähler, die nochmals als
nützliche Idioten gewonnen werden sollen, um der PDS über die 5-Prozent-Hürde zu
helfen.
Im übrigen läuft eine Konzentration des Themas EU-Militarisierung auf die EU-Verfassung
und auf ein Referendum über diese leicht ins Leere. Die oben konkret angeführten materiellen
Schritte dieser Militarisierung wurden und werden seit einigen Jahren auch ohne EU-Verfassung
umgesetzt, das jüngste Beispiel erlebten wir im Mai 2004, die Fusion im deutschen
Kriegsschiffbau als Vorstufe für eine “EADS zur See”, eine EU-Hochrüstung im Kriegs- und U-Boot-Schiffbau.
Doch all diese Themen sind keine im EU-Wahlkampf der PDS. Die PDS demonstriert
damit gerade in diesem Wahlkampf ihren grundlegend veränderten Charakter, die
Aufgabe ihres Charakters als Antikriegs-Partei.
Warum ein Austritt erst jetzt?
Oder: Die Linke in der PDS
Mit einigem Recht wird angemerkt werden: Wenn eine Bilanz der PDS derart vernichtend
ausfällt und wenn sie sich weitgehend belegen lässt mit Zitaten und Fakten aus den
Jahren 2000 bis 2002 - warum ein Austritt erst jetzt?
Ich möchte nicht bestreiten, dass ich bei der Zusammenstellung dieser Bilanz der PDS-Wirklichkeit
selbst darüber erschrocken bin, wie konkret sich die Entfernung der PDS von
ihren Zielsetzungen belegen lässt - und darüber, dass dies in der geschilderten krassen Art seit
geraumer Zeit der Fall ist. Ein gewisses Maß an “Betriebsblindheit” ist selbstkritisch einzugestehen.
Bei meinem Zögern spielte sicherlich auch eine Rolle, dass ich die jüngere Entwicklung der PDS
auch als eine persönliche Niederlage empfinde - und als einen umfassenden Erfolg der Parteirechten
bzw. “Reformer”, die ja auch seit geraumer Zeit meinen Austritt forderten. Es liegt nahe, dass ich solchen
Wünschen nur ungern nachkomme.(25) Es handelt sich um eine Niederlage auch hinsichtlich eines
großen Teil meiner politischen Arbeit in den drei letzten Jahren, die auf die Herausbildung einer
konsequenten Linken in der PDS orientiert war.
Seit Anfang 2000 (und seit dem Münsteraner PDS-Parteitag) habe ich mich im Rahmen der
PDS-Linken dafür engagiert, der Rechtsentwicklung der PDS zu begegnen, sozialistische Inhalte
zu verteidigen und einen Beitrag zu einer konsequenten PDS-Linken zu leisten. Ich habe dabei nie
Rücksicht auf meine eigene Position als MdB genommen - und mich entsprechend massiven Angriffen,
Diffamierungen und Versuchen des Parteivorstands, meine erneute Wahl auf Platz 1 der Landesliste zu
verhindern, ausgesetzt. Stationen gegen die Rechtsentwicklung der PDS, an denen ich in den letzten
vier Jahren jeweils maßgeblich beteiligt war, waren:
-
Ende 1999: erstes Minderheitenvotum in der Programmkommission, verfasst von
Michael Benjamin, Uwe-Jens Heuer und Winfried Wolf
-
Mai 2001: Vorlage eines alternativen linken PDS-Programmentwurfs (alternativ zum
ersten Reformer-Programmentwurf Brie-Klein-Brie-Text), verfasst von Dorothée
Menzner, Monika Balzer, Ekkehard Lieberam und Winfried Wolf.
-
Oktober 2001, Dresdner Parteitag: Der alternative Programmtext (“Entwurf 2.2.”)
erhielt schlappe 7 Prozent der Delegiertenstimmen. Der Brie-Klein-Brie-Text musste
in der Folge dennoch “der nagenden Kritik der Mäuse” überlassen werden - er tauchte
nicht mehr auf.
-
Oktober 2002, Geraer Parteitag: Vorlage eines linken “vierten Leitantrags”, der rund
ein Viertel der Delegiertenstimmen auf sich vereinte und maßgeblich zum Erfolg von
Gabi Zimmer als Parteivorsitzender und Uwe Hiksch als neuem
Bundesgeschäftsführer bzw. zur Niederlage der “Reformer” um Bartsch / Claus / Pau
etc. beitrug.
-
Dezember 2002: Gründung der Strömung “Geraer Dialog” mit dem Ziel, der
Vereinigung der Linken in der PDS. U.a. Publikation zweier Bulletins di@log:gera
und der Zeitung wir@pds (Juni 2003).
-
April/Mai 2003 und Juli 2003; Sonderparteitag in Berlin: Die Reformer setzen sich im
April/Mai mit einem innerparteilichen Putsch durch, der auf dem Sonderparteitag mit
der Neuwahl eines Reformer-Parteivorstands abgesegnet wird. Ein alternativer
Leitantrag, den der Geraer Dialog dort einbringt, erhält trotz Verfahrenstricks rund 15
Prozent der Delegiertenstimmen.
-
Oktober 2003, Chemnitzer Parteitag: Verabschiedung des neuen PDS-Programms, das
das 1993er Programm ablöst. Der Geraer Dialog präsentierte auf diesem Parteitag
eine große Zahl von Abänderungsanträgen am “Reform-Programm” und konnte für
diese jeweils zwischen 10 und 25 Prozent der Delegiertenstimmen auf sich vereinen.
In der Endabstimmung wurde das Chemnitzer Programm von rund 90 Prozent der
Delegierten angenommen.
Nach der Bundestagswahl vom September 2002 und bis zum Chemnitzer Parteitag im
Oktober 2003 hatte ich mich in erster Linie für die Herausbildung einer konsequenten
PDS-Linken engagiert. Dabei spielten der Geraer Parteitag und die Chancen, die sich
mit diesem für eine Neubesinnung der PDS auf sozialistische Positionen zu eröffnen
schienen, eine wichtige Rolle. Ich vertrat die These, dass sich eine konsequente und
überzeugende Linke dann herausbilden würde, wenn die bestehenden linken Gruppierungen
um das Marxistisches Forum, die Kommunistische Plattform und den Geraer Dialog
zusammenarbeiten würden.
Und ich argumentierte, dass für Sozialistinnen und Sozialisten ein Verbleiben in der
PDS oder am Rande der PDS nur dann vertretbar sein könnte, wenn eine solche
PDS-Linke nach außen sichtbar auftreten würde, wenn sie gewissermaßen
für eine “andere PDS” und für den Anspruch stehen würde, die PDS wieder in eine
sozialistische Partei “zurück zu verwandeln”.
Das hätte naturgemäß die Entwicklung eigener materieller Ressourcen und publizistischer
Mittel erfordert; dabei hätte man gegebenenfalls auch einen Bruch mit der PDS-Führung in
Kauf nehmen müssen. Diese Positionen wurden im Sprecherrat des Geraer Dialogs bis Herbst 2003 geteilt.
Das Vorhaben scheiterte. Das Scheitern lag nicht daran, dass diese PDS-Linke zahlenmäßig
relativ schwach war. Die rund 20 Prozent der Delegierten-Stimmen, die wichtige linke Anträge
auf dem Chemnitzer Parteitag erzielten, waren für sich genommen gute Resultate. Zu dem
Scheitern kam es teilweise deshalb, weil der Geraer Dialog selbst eine eher lockere
Veranstaltung blieb und die beschriebene Orientierung viel zu zögerlich betrieb. Das Scheitern
lag aber vor allem darin begründet, dass es nicht zu einer gemeinsamen Politik der Linken kam.
Maßgebliche Vertreter und Vertreterinnen von Marxistischem Forum und KPF lehnten eine solche
Zusammenarbeit ab. Die in der Öffentlichkeit maßgebliche Vertreterin der KPF enthielt sich bei
der Schlussabstimmung über das Chemnitzer Programm der Stimme und rechtfertigte dies öffentlich.
Seit Herbst 2000 und seit dem Tod des führenden Kopfes der KPF, Michael Benjamin, gab es damit eine
Kontinuität des Fehlens einer linken Einheit: Bereits angesichts
des ersten Reformer-Programmentwurfs weigerten sich die zwei genannten linken Strömungen, sich
an der Entwicklung eines linken, alternativen Programms zu beteiligen bzw. den “Entwurf 2” offensiv zu
unterstützen. Vergleichbares gab es bei allen darauf folgenden Parteitagen - es gelang nie,
bereits im Vorfeld dieser Parteitage eine gemeinsame Linie (mit Anträgen usw.) zu entwickeln.
MF und KPF verweigerten systematisch eine solche prinzipielle Zusammenarbeit.
Diese fehlende Gemeinsamkeit einer PDS-Linken erklärt auch, dass die Chance, die sich
kurzfristig mit der Öffnung nach dem Geraer Parteitag und mit der überraschenden Abwahl
bzw. dem kurzzeitigen Abgang maßgeblicher Reformer aus PDS-Funktionen ergab, nicht
genutzt wurde.
Im Rückblick ist man geneigt zu sagen: Das Scheitern des Versuchs, eine konsequente
PDS-Linke zu entwickeln, war objektiv bedingt bzw. durch den Charakter der PDS und des
großen Teils ihrer Mitglieder vorgegeben. Tatsächlich ist diese Partei und ist ein großer
Teil der “offiziellen” PDS-Linken (Marxistisches Forum, KPF) von einer
Parteifixiertheit und teilweise einem
Parteifetischismus geprägt, der in der SED-Tradition steht.
Dies tritt gepaart mit einer tiefen Angst vor jeglicher Spaltung an sich auf; Spalter sind des
Teufels, sprich: sind blanker Trotzkismus.(26) Des weiteren spielen in der PDS, vor allem in
der PDS in den neuen Bundesländern, soziale Abhängigkeiten (und teilweise damit
zusammenhängende Karriere-Orientierungen) eine große Rolle. Sie verstärken das
erstgenannte Moment des Parteifetischismus.
Dennoch halte ich das Scheitern nicht allein für “objektiv” bedingt oder, aus meiner Sicht,
nicht für ausschließlich “von außen bedingt”. Einen entscheidenden eigenen Fehler bzw.
einen Fehler derjenigen, die für eine konsequente PDS-Linke arbeiteten, sehe ich darin,
dass es nicht zu einer in diesem Sinn längerfristig angelegten Arbeit kam.
Diese hätte nach dem Münsteraner Parteitag einsetzen und kontinuierlich vorangetrieben werden müssen.
Nur auf diese Weise hätte es eine Chance gegeben, das faktische linke Oppositionsmonopol der KPF
(und teilweise des MF), das als linke Wärmestube betrieben wurde und betrieben wird, aufzubrechen und
zu einer ernsthaften Herausforderung der Parteirechten zu werden. Was es stattdessen gab, waren relativ
kurzatmig angelegte “organisierte linke Aufwallungen” (“Mittelgroßer Ratschlag”, “Entwurf 2”, “Geraer Dialog”).27
Festhalten lässt sich: Es gab zumindest in der Zeit Herbst 2002 bis Ende 2003 den Versuch, eine vereinte,
konsequente PDS-Linke zu bilden. Dieser Versuch hatte erheblichen Zuspruch an der PDS-Basis und vor
allem an der Basis der KPF. Keine und keiner kann sagen, es hätte nicht konkrete Angebote in dieser Richtung
gegeben. Und es liegt auf der Hand, dass allein eine gemeinsame linke Politik eine Perspektive für sozialistische
Politik “in und um die PDS” geboten hätte. Diejenigen, die konsequent eine linke Einheit verweigerten, tragen
eine erhebliche Mitverantwortung für die desaströse Entwicklung der PDS und für die ebenso katastrophale
Entwicklung dessen, was sich heute als PDS-Linke sieht. Es geht dabei nicht allein um die Verantwortung
für die PDS als Partei. Letzten Endes sind Parteien immer Mittel zum Zweck - es geht um Politik, um politische
Einflussnahme auf die Gesellschaft, um Engagement für Menschen - und um die Verantwortung für politische
Individuen. Ähnlich wie die Grünen viele Zehntausende Menschen politisch zerstörten, indem sie ihre
ökologischen und antimilitaristischen Ideale verrieten und diese Menschen in Apathie und Perspektivlosigkeit
zurückließen, wirkt die PDS zersetzend auf die politische Identität von Tausenden Individuen. Dass die
PDS-Führung dafür die entscheidende Verantwortung trägt, liegt auf der Hand. Allerdings sollte bedacht
werden, dass dies ihr Job ist, dass sie damit die ihr im Rahmen des Systems zugedachte Aufgabe erfüllt
und dafür teilweise fürstlich belohnt wird. Die Aufgabe einer PDS-Linken wäre es gewesen, für die bisher
oder bis vor kurzem überzeugten Sozialistinnen und Sozialisten eine politische Perspektive zu weisen. Hier hat
diese Linke versagt.
Unter den heutigen Bedingungen wirken Sozialistinnen und Sozialisten in der PDS und im
Rahmen eines PDS-Wahlkampfs unglaubwürdig. Sie befinden sich in der klassischen
Feigenblatt-Funktion bzw. in der tragischen Rolle von Steigbügelhaltern.28
Ich habe in meiner Haltung zur PDS zehn Jahre lang deutlich gemacht, dass ich dafür nicht zur Verfügung stehe.
Mein Abschied von der PDS ist keine Verabschiedung von der politischen Arbeit. Politische
Perspektivlosigkeit und Demoralisierung sind mir auch heute fremd. Meinen Parteiaustritt empfinde
ich durchaus auch als Befreiung von Bestürzung und Lähmung, die mich in den letzten fünf bis sechs
Monaten auf Grund der PDS-Realität und meiner Noch-Mitgliedschaft gelegentlich plagten.
Es geht - ein weiteres Mal - um ein Neubeginn oder besser, um eine Fortsetzung der Arbeit unter anderen Bedingungen.
Die PDS hat ihre Ideale verraten. Das Engagement für die Ziele der gesellschaftlichen
Emanzipation - für Solidarität, für Frieden, für eine Gesellschaft, die keine Ausbeutung des Menschen
durch den Menschen kennt, in der der Mensch kein geknechtetes und sich selbst entfremdetes Wesen
ist - wird fortgesetzt. Es bedarf dazu eines Neuanfangs - was nicht heißen muss, der Bildung einer neuen
Partei. Es bedarf dazu vor allem der Erkenntnis, dass gesellschaftliche Veränderungen durch das
Engagement der Menschen vor Ort, in Bewegungen und mit Gewerkschaften erreicht werden können.
Die jüngeren Mobilisierungen gegen die Agenda 2010 und gegen die kapitalistische Globalisierung
ermutigen dazu. Wenn ein Engagement in diesem Sinne gemeinsam mit Freundinnen und Freunden
erfolgt, die zuvor in der PDS waren oder die den Schritt zum Parteiaustritt nicht oder noch nicht vollziehen,
dann ist das erfreulich und willkommen.
Uns allen sollte der Ruf einen, den Karl Marx im “Achtzehnten Brumaire des Louis
Bonaparte” - ganz offensichtlich abzielend auf die Wahl zum Europaparlament 2004 -
formulierte: “Und wenn sie ihre Arbeit vollbracht haben, wird Europa von seinen Sitzen
aufspringen und rufen: Brav gewühlt, alter Maulwurf!”(29)
Winfried Wolf
Anmerkungen:
(1) Vgl. Sozialistische Zeitung/SoZ, Köln, Februar 2004.
(2) PDS-Programm, Berlin 2003, S.6. Die vielfachen Verweise darauf, dass das Programm vor dem
zitierten Satz (mit der Formulierung “Die gesellschaftliche Dominanz der Profitlogik ist mit (dem)
... Grundgesetz ... unvereinbar”) und an anderen Stellen im Programmtext die genannte
Grundaussage wieder relativiert, ist uninteressant. Es handelt sich hier um die prinzipielle
Methode, in das Programm auch vieles hineinzuschreiben, was gutgläubige Linke befriedigt. Der
zitierte Satz - bewusst durch einen Punkt von anderen Sätzen abgetrennt - ist jedoch zentral - und
die “Reformer” und insbesondere die interessierten Medien haben ihn auch so und richtig
verstanden: Er wurde als bewusste Provokation in den Programmentwurf hineingeschrieben und
bis zum Schluss verteidigt.
(3) Berliner Morgenpost vom 14.6.2002.
(4) A.a.O., S. 52. Dieser Satz macht in einem Programm, das auf zehn und mehr Jahre angelegt ist,
“eigentlich” keinen Sinn, da sich die Regierungskonstellationen in Schwerin und Berlin schnell
ändern können. Doch er ist eben im genannten Sinn “programmatisch” - er soll das Ja der PDS
zum Kapitalismus selbst noch in der Praxis der neoliberalen Sparpolitik unterstreichen. In diesem
Sinne agierten die Reformer auf dem Chemnitzer Parteitag auch engagiert, damit all die vielen
Änderungsanträge, die diese Passage streichen oder abschwächen wollten, nicht durchkamen.
(5) Berliner Zeitung vom 29.11.1999 und Frankfurter Rundschau vom 10.1.2002. Am 16. September
2002 machte das Berliner Boulevard-Blatt “Kurier” mit der Hauptschlagzeile auf: “Gysi: Wir
machen Schröder zum Sieger”.
(6) Süddeutsche Zeitung vom 28.8.2002. Zuvor Angaben zur Forsa-Studie: Wirtschaftsmagazin
Impulse, April 2004; hier nach: junge Welt vom 21.4.2004.
Dem Ziel, die Staatsmacht mitzutragen und von dieser mit zu profitieren, diente es auch, wenn
führende PDS-Vertreter immer wieder gezielte rechte Provokationen begingen. Das war so, als die
Parteivorsitzende Gabi Zimmer auf dem Parteitag von Cottbus 2000 und in einem Interview mit der
Tageszeitung/taz erklärte: “Ich liebe Deutschland”. (Taz vom 29.10.2000). Das war so, als André
Brie erklärte, der Staatssozialismus sei “in seinem Anspruch, alles unterzuordnen unter einen
gestaltenden Willen ... totalitärer” gewesen als der Nationalsozialismus (ND vom 27.1.1999).
Zimmer biederte sich mit ihrer Deutschtümelei an die zunehmend national argumentierende
“politische Klasse” der BRD an - und trug dazu bei, dass die Rechtsextremen und ihre Ideen durch
die offizielle Linke hoffähig gemacht werden. Brie bagatellisierte mit seiner Aussage die
Verbrechen des Nationalsozialismus und machte zugleich die Totalitarismus-Theorie “von links”
hoffähig. Gleichzeitig blockierte er mit seiner abstrusen Gleichsetzung die Aufarbeitung des DDR-Regimes,
das selbstverständlich antidemokratisch und autoritär war und in dessen Diensten er und
viele der heute führenden PDS-Leute bis zum Ende der DDR gestanden und gearbeitet hatten. So
wurde André Brie nach der Maueröffnung, im Dezember 1989, von einer DDR-Zeitung gefragt:
“Was halten Sie ... von der Forderung, die Partei (SED) möge ihre staatstragende Rolle aufgeben?”
mit: “Nichts.” In: Nationalzeitung (DDR) vom 14.12.1989.
(7) Angaben zu Münster nach: Frankfurter Rundschau 11.4.2000 (H. Holter), Berliner Zeitung
11.4.2000 (Bartsch), Süddeutsche Zeitung 11.4.2000 (Gysi), Die Welt 11.4.2000 (A.Brie).
Angaben zu Gera: ND vom 16.10.2002 (Gysi-Zitat zu Gera); Artikel U. Hiksch in junge Welt vom
9.5.03 (zum Mobbing gegen Zimmer); junge Welt vom 7.5.2003 (Zimmer entzieht Hiksch die
Zuständigkeiten; Mitteldeutsche Zeitung vom 7.5.2003 (Sitte-Zitat). Selbst elementare Formen der
Demokratie werden verletzt. In PDS-Landesverband von Mecklenburg-Vorpommern mussten 2001
bei einer wichtigen Abstimmung über eine erste Bilanz von Rot-Rot die Delegierten zur
Abstimmung einzeln im Plenum aufstehen, um ihr Votum abzugeben. Bei der Wahl zum
brandenburgischen Landesvorsitzenden Anfang 2003 stellte die Berliner Zeitung fest: “Kurios:
Zwar enthielten sich 25 Delegierte der Stimme, doch Gegenstimmen gab es keine - weil die
Delegierten auf den Wahlzetteln gar nicht mit Nein stimmen konnten. Das sei das positive
Wahlverfahren, hieß es aus dem Parteivorstand. Dabei seien eben nur Ja-Stimmen und
Enthaltungen vorgesehen.” (10.2.2003). Gewählt wurde Ralf Christoffers mit 155 von 180
Delegierten-Stimmen.
(8) Berliner Tagesspiegel vom 31.7.2002. Rücktrittserklärung G. Gysi vom 31.7.2002 (Presse-Information
der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen). Angaben zuvor zum
Verbraucherschutz in Mecklenburg-Vorpommern: AP-Meldung vom 8.5.2004. Zur Gen-Technik
nach: Junge Welt vom 8.5.2004. Zu “Stuttgart 21”: Im Kommunalwahl-Programm der PDS/Offene
Liste Stuttgart heißt es zu “Stuttgart 21” einerseits, dass am Widerstand gegen dieses zerstörerische
Großprojekt festgehalten werde, andererseits schließen sich daran zwei Forderungen an, die von
einer Umsetzung dieses Projekts bzw. von der kritischen Begleitung bei der Umsetzung von
“Stuttgart 21” ausgehen. So, wenn es dort heißt: “Die Bebauung der einzelnen Abschnitte (der
durch “Stuttgart 21” freiwerdenden Flächen; W.W.) muss im menschlichen Maßstab erfolgen”.
Und “Die PDS unterstützt die Forderung des Mietervereins, dass auf Stuttgart 21-Flächen weniger
Gewerbebauten und stattdessen mehr Mietwohnungen vorgesehen werden.” Im Landesinfo
(2/2004), in dem das Stuttgarter PDS-Kommunalwahlprogramm auszugsweise und eine
umfangreiche Rede der Spitzenkandidatin Ulrike Küstler wiedergegeben sind, fehlt das Thema
“Stuttgart 21” dann komplett.
(9) Einige Überschriften aus Zeitungen und Quellen zu dem zuvor Gesagten: “Eltern müssen
Schulbücher jetzt selber kaufen”, in: Tagesspiegel vom 29.1.2003; “Berlin streicht Gelder für
Wohntagesstätten - Obdachlose demonstrieren”, in: junge Welt vom 23.10.2002. “Bewag wird Teil
von Vattenfall”, in: ND vom 4.12.2002. Zum Plan einer Privatisierung der Berliner Wasserwerke
sagte 2001 der damalige PDS-Oppositionsführer Harald Wolf: “Die Teilprivatisierung bedeutet
nichts anderes als eine Beutegemeinschaft der Privaten und des Senats zu Lasten der Berliner
Bürger.” Ende 2003/Anfang 2004 wird vom SPD-PDS-Senat eben eine solche Teilprivatisierung
beschlossen, bei der die Rendite der privaten Investoren festgeschrieben wird - und damit massive
Erhöhungen des Wasserpreises auf die Berliner Haushalte zukommen. Nach: junge Welt vom
10.12.2003. Kritik der Behindertenverbände nach: ND vom 4.12.2002. GEW-Zitat nach:
Gemeinsames Flugblatt von GEW Hessen und PDS Hessen vom 26. März 2003. Zu Cross-Border-Leasing:
Gysi in seiner Abschlussrede auf dem Dresdner Parteitag, in der er seine Perspektiven
nach der Berlin-Wahl skizzierte: “Ich erzähle euch mal, wie man damit Geld machen kann. Du
vermietest zum Beispiel als Land die ganze BVG (Berliner Verkehrsgesellschaft) an einen
amerikanischen Konzern. Dafür zahlt der dir 10 Millionen. Der vermietet wieder die ganze BVG an
die BVG selbst, so dass die alles so weiter macht wie vorher, und verlangt dafür 10 Millionen. Die
geben die ihm. Dafür geben wir der BVG 10 Millionen zurück, die wir vorher bekommen haben.
Dann ist alles wieder im Ist-Zustand. Trotzdem bezahlt der in den USA dafür 5 Millionen weniger
Steuern. Das teilt man sich unter Ganoven 2,5 zu 2,5 Millionen. Und schon hat man wieder eine
Mehreinnahme.”
(10) Berliner Zeitung vom 19.2.2002 und vom 5.10.2002.
(11) Zur Bankgesellschaft u.a. nach Handelsblatt vol 6.7.2002. Der Berliner “Tagesspiegel” hatte
Anfang 2002 berichtet: “Auch der neue Wirtschaftssenator Gregor Gysi genoss die Garantien und
Vorzüge eines der umstrittenen Immobilienfonds der Bankgesellschaft Berlin. ... Gysi bestätigte
dies auf Anfrage ... ´Es gibt doch einen Unterschied, ob man solche Fonds anlegt oder ob man sie
zeichnet´, so Gysi gegenüber dem Tagesspiegel. Gysi sagte weiter, er habe die Bank angewiesen,
seinen Fonds-Anteil zurückzugeben.” (Tagesspiegel 23.1.2002).
(12) ND vom 8.2.2003.
(13) Interview in der Zeitung “Volksstimme” vom 12.2.2003.
(14) FAZ vom 15.7.2000.
(15) Sie traf nur “überwiegend” zu, weil es bereits in dieser Zeit und während des Krieges
Zweideutigkeiten gab. So entzog der Fraktionsvorstand im April 1999 dem Projekt “Zeitung gegen
den Krieg” nach der dritten Ausgabe (bei der eine vertriebene Auflage von 420.000 Ex. erreicht
worden war), alle Geldmittel der PDS-Fraktion. Das hätte unter normalen Umständen bedeutet,
dass das Blatt (während des Krieges!) hätte eingestellt werden müssen. Als Begründung wurde
angeführt, dass im Fraktions-Etat keine Finanzmittel für ein solches Zeitungsprojekt mehr
vorhanden seien. Am Jahresende 1999 wurde festgestellt, dass ein großer Finanzposten für
Publikationen nicht ausgeschöpft wurde. Der tatsächliche Grund für die Streichung der Gelder war
die massive Kritik der SPD und vor allem Angriffe von Struck an die Adresse der PDS in einer
Plenardebatte im Bundestag, wonach diese “mit Steuergeldern” eine solche Zeitung finanzieren
würde. Die “Zeitung gegen den Krieg” wurde dann ab Nummer 4 gegen den Willen des
Fraktionsvorstands, aber meist unterstützt von rund einem Dutzend PDS-MdBs, weiter
herausgegeben - getragen überwiegend von meinem MdB-Büro und von Tobias Pflüger und der
Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V., Tübingen.
(16) In Münster wurden Kampfeinsätze nach Kapitel VII der UN-Charta grundsätzlich abgelehnt, weil
sie aufgrund der Zusammensetzung des Sicherheitsrats und nach allen bisherigen Erfahrungen
letzten Endes imperialistische Kriege sein würden. Im neuen (Chemnitzer Programm) heißt es
dazu: “Der PDS geht es um die strikte Einhaltung und Durchsetzung des Völkerrechts, wie es in
der Charta der Vereinten Nationen verankert ist ... Der Weltsicherheitsrat darf das allein ihm durch
die Charta übertragene Recht, auch militärische Mittel, wenn alle zivilen ausgeschöpft sind, zur
Abwendung der Gefährdung des Weltfriedens einzusetzen, nicht unter dem Druck und im Interesse
der Großmächte missbrauchen.” (PDS-Programm, Berlin 2003, S.26f.). Da die bisherige
Parteitags-Position “Ablehnung von UN-Kampfeinsätzen” fehlt und da im neuen PDS-Programm
positiv auf die UN-Satzung Bezug genommen wird, stellt dies zumindest auf indirekte Art und
Weise eine Rückgängigmachung des Münsteraner Beschlusses und die Öffnung des Programms für
ein fallweises Ja zu Kriegen dar. Immerhin werden derzeit Kriege entweder durch den
Sicherheitsrat abgedeckt (Irak 1991; Afghanistan 2001) oder es handelt sich um Kriege, die
einseitig unter offenem Bruch des Völkerrechts begangen werden, die dann jedoch im Nachhinein
vom UN-Sicherheitsrat sanktioniert werden (Krieg gegen Jugoslawien 1999; Irak 2003/2004).
(17) Gabi Zimmer erklärte, sie sei über “die Aktion (im Plenarsaal) verärgert”; Petra Pau sah darin “eine
Brüskierung des Präsidenten” ; im übrigen gebe es “fundamentale Differenzen mit diesen (drei)
Abgeordneten”. Nach: Süddeutsche Zeitung 25.2.2002 (Zimmer); Spiegel Online und AFP vom
23.5.2002 (Pau). G.Gysi sagte, die Aktion sei “nicht in Ordnung” gewesen (Berliner Zeitung vom
27.5.2002). W. Gehrcke erklärte, die Aktion sei “hinter dem Rücken der Fraktion” erfolgt (TV-ARD
21.5.02). D. Dehm sprach von einer “Dreier-Inszenierung” (PDS-Forum 28.5.2002 (16.30h).
Roland Claus meinte noch Monate nach dem Plenarsaal-Protest: “Eine solche Aktion ist ein
Signal, das da heißt: Die machen sich selbst zum Maßstab der Gesellschaft.” (Aus Standard-Briefen/
E-Mails von R. Claus während des Bundestagswahlkampfs an Menschen, die sich mit der
Protestaktion solidarisiert hatten).
(18) Der Titel der erstgenannten Zeitung “Pro” (= großgeschrieben) und “Europa” als Balken darüber
ähnelt fatal der Bezeichnung der damals in Hamburg vertretenen Schill-Partei (PRO). In ihr findet
sich ein Gysi-Leitartikel, in dem R. Prodi attestiert wird, er habe in seinem “Leben schon viele
wunder vollbracht ... Schade, dass nicht Sie, sondern Frau Breuel mit der Leitung der
Treuhandanstalt beauftragt worden war.” (dort S.2).
(19) Nach: http://sozialisten.de/wahlen2004/wahlprogramm/themen/index.htm (abgerufen am
19.5.2004).
(20) Nach: Pressedienst PDS Nr. 25 vom 20.6.2003. Zwei Ausgaben zuvor enthält der Pressedienst der
PDS (Nr. 23 vom 6.6.2003) eine offensichtlich ungekürzte Rede, die S.-Y. Kaufmann am 31. Mai
auf der Plenartagung des Europakonvents wiedergibt. In ihr findet sich kein Wort der Kritik an der
Militarisierungsverpflichtung. Die Überschrift lautet: “Zum Verfassungsentwurf: Gründliche
Überarbeitung nötig.” Inhaltlich kritisiert werden v.a. die “einfach scheußliche Vertragssprache”.
(21) ND vom 26.9.2003.
(22) Konzeption für den Europawahlkampf der PDS, in: Pressedienst PDS Nr. 46 vom 14.11.2003.
(23) junge Welt vom 8.5.2004.
(24) Nach: junge Welt vom 18.5.2004.
(25) “´Leute, die die eigenen Genossen schlecht machen ... sollten die Konsequenzen ziehen´, sagte
Bisky dem ´Hamburger Abendblatt´. Namentlich nannte er Michael Benjamin, Sahra Wagenknecht
und Winfried Wolf.” ND vom 26.4.2000. Ein halbes Jahr später, nach dem Cottbusser Parteitag,
auf dem die Parteivorsitzende Zimmer ihre Liebe zu Deutschland kund getan und ich diese wegen
“Deutschtünelei” angegriffen hatte, erklärte “mein” Fraktionsvorsitzender R. Claus öffentlich:
“Wolf hat den Rubikon überschritten. Ich sage nur tschüss.” (Spiegel 44/2000).
(26) Die Parteiführung griff immer wieder in typisch stalinistischer und SED-Tradition zum Begriff
“Trotzkismus”, um eine konsequente linke Politik in der PDS abzuqualifizieren. Nach meiner
Beobachtung funktionieren die entsprechenden antrainierten Reflexe weiterhin. Nach
Veröffentlichung des alternativen Programmentwurfs 2 wurde der Bundesgeschäftsführer im
“Spiegel” gefragt: “Haben Sie den Gegenentwurf von Wolf gelesen?” Antwort Bartsch: “Ich bin
kein solcher Anhänger des Trotzkismus, dass ich das selbst lesen muss. Ich kenne die
Vorstellungen der Autoren.” (Spiegel 20/2001).
(27) Eine Austrittserklärung vom Oktober 2000 von sechs PDS-Genossinnen und Genossen aus
Schleswig-Holstein (darunter der jW-Journalist Wolfgang Pomrehn) liest sich über weite Strecken
ähnlich wie die hier vorliegende, dreieinhalb Jahre später abgefasste. Das heißt, alle von mir
genannten Themen, die einen Austritt aus sozialistischer Sicht rechtfertigten, zeichneten sich
bereits damals ab. Ausdrücklich wurde damals als ein Austrittsgrund das Fehlen einer organisierten
Linken genannt: “Wir hatten bislang die Hoffnung, dass sich in den Partei-internen
Auseinandersetzungen zumindest die Sozialistinnen und Sozialisten zu einer handlungsfähigen
Strömung formieren würden ... Die Gründe dafür, dass dies offensichtlich nicht möglich ist, sind
vielfältig und u.a. in der Diskurs-feindlichen Kultur der PDS zu suchen. ... Zu den Gummiwänden,
gegen die wir in der PDS immer wieder haben anrennen müssen, gehört ein unsäglicher
Parteifetischismus...” (Erklärung von Horst G., Marko K., Axel L., Jörg M., Christoph Sch. und
Wolfgang P. vom Oktober 2000).
Es wäre noch eine genauere Untersuchung wert, welche Rolle dabei die Hamburger Liste Links,
die längere Zeit den offiziellen Hamburger Landesverband repräsentierte, spielte. Nach außen
usurpierte diese Truppe ab dem Münsteraner Parteitag den Titel “West-Linke”, die Medien stürzten
sich bereitwillig auf dieselbe und ihre infantilen Clownereien. Das konkrete Agieren dieser Leute
arbeitete jedoch unzweideutig dem Parteivorstand in die Hände. Diese Leute traten 2000/2001 als
Ultralinke auf, die mit der offiziellen PDS nichts am Hut zu haben schienen - und diskreditierten
damit die tatsächlichen Ansätze für einen Formierungsprozess einer konsequenten Linken. Ab
Mitte 2003, als die offizielle PDS erneut nach rechts und auf “Reformer”-Kurs gebracht worden
war, vertrat diese pseudomarxistische Klosterschule eine Linie der Aussöhnung mit dem
Parteivorstand bzw. der Verteidigung der “PDS als Ganzes”.
(28) Das Versagen der PDS-Linken bzw. die innerparteiliche Kapitulation von Leuten, die sich in der
PDS-Linken engagierten, lässt sich auf Ebene meines baden-württembergischen Landesverbands
konkretisieren. Seit Mitte 2003 deutlich wurde, dass sich die alte Apparatfraktion der Reformer
durchsetzt und definitiv seit dem Parteitag in Chemnitz wirkt das “Landesinfo” dieses
Landesverbands wie eine Hofpostille der Reformer. Nach dem Chemnitzer Parteitag verabschiedete
der Landesvorstand bei einer Gegenstimme (des inzwischen ebenfalls ausgetretenen
Landesvorstandsmitglieds Nick W.) eine Ergebenheitsadresse an den Parteivorstand, in der es
heißt: “Zu allen zentralen Gesellschaftsthemen formuliert das Programm sozialistische Positionen,
auf die wir uns beziehen können ... Im Landesvorstand sind wir trotz Differenzen zu
Einzelformulierungen der Ansicht, dass unser antikapitalistischer Grundanspruch und die
vielseitige Arbeit unserer Mitglieder im Land durch das neue Programm unterstützt wird..”
(Erklärung vom 14.11.2003; in: Landesinfo vom Dezember 2003). Dabei muss bedacht werden,
dass mehrere Mitglieder des Landesvorstands sich zum “Geraer Dialog” bekannten. Es ist diese
kriecherische Art, dieses Verleugnen von politischen Positionen und das Verbiegen von
Charakteren, die zur SED-Unkultur zählten. Diese Untugenden spielen in der gegenwärtigen PDS
zunehmend eine Rolle.
(29) Karl Marx, Der Achtzehnte Brumaire des Lous Bonaparte, MEW Band 8, S. 196.