Fortlaufende Pannen beim Bau des neuen
EPR-Atomkraftwerks in Flamanville
Der französische Nuklear-Konzern Areva versucht in Kooperation mit Siemens mit
dem Bau zweier EPR-Atomkraftwerke1 im französischen Flamanville und im
finnischen Olkiluoto nach zwei Jahrzehnten AKW-Baupause in die Offensive zu kommen. Die
beiden AKW-Neubauten sollen mit dem vermeintlich günstigen Preis von 3,2 Milliarden
Euro neue Kunden vornehmlich aus Asien zu Aufträgen verlocken. Doch nach fortlaufenden
Pannen erweisen sich die beiden Prestigeobjekte als kaum vorzeigbar. Das seit 1993
entwickelte Atomkraftwerk vom Typ EPR - laut Areva-Siemens die kommende "dritte Generation"
von Atomkraftwerken - erweist sich als Milliardengrab. Statt der prophezeiten "Renaissance der
Atomenergie" zeichnet sich ein gigantisches PR-Desaster ab.
In Frankreich wurde der AKW-Neubau im August 2006 am AKW-Standort Flamanville
bei Cherbourg begonnen. Doch erst im November 2007 konnte mit den Betonierungs-
und Armierungsarbeiten für das Fundamenten begonnen werden. Und nach mittlerweile
neun Monaten sind die Arbeiten gegenüber dem Zeitplan ebenfalls neun Monate im
Rückstand. Von der für 2012 angekündigten Inbetriebnahme kann keine
Rede mehr sein, ein neues Datum steht in den Sternen.
Die französische Wochenzeitung 'Le Canard enchainé' nennt in ihrer aktuellen
Ausgabe zwei Gründe für die Verzögerung in Flamanville: einen bereits bekannten
und einen noch verheimlichten. Zum einen hat die französische Atomaufsicht ASN
die Arbeiten am Fundament im Juni für fast zwei Monate ausgesetzt. Sie wirft dem
Energiekonzern EDF zu lasche Kontrollen der durchgeführten Arbeiten vor.
Zum anderen gibt es erhebliche Probleme mit der Stahlhülle des Reaktors, die bislang geheim
gehalten würden, so 'Le Canard enchainé'. Der Bau schreitet im Schneckentempo voran, was die
Kosten auch beim Bau in Flamanville in die Höhe treibt.
Bereits im März war bekannt geworden, daß laut einem Dokument der französischen
Atom-Aufsicht ASN in Flamanville ähnliche Probleme mit unzureichender Qualität von
Beton-Bauteilen und Mängeln bei den vorgegebenen Sicherheits-Margen wie beim
Bauprojekt in Olkiluoto aufgetraten. Beim AKW-Bau Olkiluoto fielen daher bereits
1,5 Milliarden Euro zusätzliche Kosten an. Nach internen Informationen belaufen sich die
veranschlagten Baukosten bis dato auf rund das Doppelte des vertraglich fixierten Festpreises von 3,2 Millioarden Euro.
Nun setzt das Prestigeobjekt der französischen Atomlobby in Flamanville die Pannenserie des
EPR-Bauprojekts im finnischen Olkiluoto fort. Auch in Finnland kriselt es seit Baubeginn. Die Kosten explodieren. Nach Ansicht des Greenpeace-Atomexperten Thomas Breuer zeigen die jüngsten Entwicklungen, daß die Atomindustrie auch nach rund 60 Jahren keines ihrer
Probleme im Griff habe. "Wenn schon beim Bau derart gepfuscht wird, was erwartet
uns dann erst beim Betrieb dieser gefährlichen Kraftwerke?", fragt er. "EPR"
(European Pressurized Water Reactor) könne mit Fug und Recht für "Europäischer Problemreaktor" stehen.
Auf der Baustelle in Olkiluoto wurden Schweißarbeiten am Stahlgerüst nicht ausreichend kontrolliert und der Beton für das Fundament stellte sich als mangelhaft heraus. Die zu gering veranschlagten Baukosten versucht Areva mit dem Einsatz von über 1.500 Zuliefer-Firmen aus 28 Ländern zu drücken. Doch nun hat offenbar das französische Subunternehmen Bouygues beim Schweißen des Stahlgerüsts für das Fundament und das Kühlsystem gepfuscht. In den kommenden Tagen soll ein Mängelbericht von der zuständigen finnischen Behörde STUK veröffentlicht werden. Doch das Stahlgerüst ist mittlerweile einbetoniert.
Inzwischen zeigt die Bauleitung Nerven. "Die Inkompetenz der Baugruppe scheint offensichtlich zu sein", erklärte der Projektleiter. Areva-Manager Phillippe Knoche beschuldigt in aller Öffentlichkeit das Unternehmen Bouygues. Nach der Aufforderung von Bouygues, die Anschuldigungen zurückzunehmen, legte Knoche noch einmal nach und gab dabei weitere pikante Details preis: "Wir arbeiten mit Subunternehmen, die seit 15 oder 20 Jahren keine Kraftwerke gebaut haben." Bouygues ist ebenfalls am Bau des EPR-Atomkraftwerks in Flamanville beteiligt.
Greenpeace weist darauf hin, daß es auf dem Energiesektor Wichtigeres zu tun
gebe, als Milliarden Euro in den Sand zu setzen. Doch für erneuerbare Energien
stehen bis heute nicht annähernd umfangreiche staatliche Finanzmittel zur Verfügung
wie für die Atomenergie. Abzuwarten bleibt, wie potentielle Großkunden wie die
chinesische oder die indische Regierung auf die kaum überhörbaren Rohrkrepierer der
europäischen Nuklearbranche reagieren.
REGENBOGEN NACHRICHTEN
Anmerkungen
1 Siehe auch unsere Artikel:
Die Subventionierung der Atomenergie
Aus unserer Info-Serie
Zeitverzögerungen und Probleme
auch beim Bau EPR-Atomkraftwerks in Flamanville (30.03.08)
1,5 Milliarden Zusatzkosten beim EPR-Atomkraftwerk
Erfolg für Umwelt und Klima (30.03.08)
Neues EPR-Atomkraftwerk
kann durch Flugzeug-Attacke zerstört werden (26.03.08)
Atomausstieg Bilanz 2006:
Acht Atomreaktoren in Europa stillgelegt (3.01.07)
Auch neue EPR-Atomkraftwerke terrorgefährdet
Greenpeace kritisiert Zensur der französischen Regierung (25.09.05)
Hermes-Bürgschaften für AKWs in China
Siemens und "Rot-Grün" Hand in Hand (7.12.04)
EdF beschließt neuen Reaktor-Standort
EPR-Reaktor soll in Frankreich gebaut werden (21.06.04)
Atomenergie in Frankreich
Aus unserer Info-Serie zur Atomenergie
Der deutsche "Atom-Ausstieg"
Aus unserer Info-Serie zur Atomenergie
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