18.12.2007

Nano-Technologie
Eine neue Durchsetzungs-Strategie

Über Jahre hin führten Nano-Technologie und Nano-Forschung ein selbstgewähltes Schattendasein. Das Thema wird von den auf diesem Feld tätigen Konzernen bewußt vor dem Licht der Öffentlichkeit abgeschirmt. Bislang wurde auf jegliche Werbung verzichtet, um so die Markt-Einführung der Nano-Technologie ohne großes Aufsehen durchzuziehen. Dies waren die Lehren, die die Konzerne aus der breiten Ablehnungsfront gegen die Einführung der Gen-Technik gezogen haben. Eine kontroverse Diskussion über Nano-Technologie soll erst gar nicht aufkommen. Doch nach einigen unliebsamen Zwischenfällen1 scheint nun ein Strategiewechsel angesagt zu sein.

Im Schatten stand die Entwicklung der Nano-Technologie bisher allerdings lediglich, was ihre Wahrnehmung in der Öffentlichkeit betraf. Finanziell stand sie - beispielsweise im Vergleich zur Förderung erneuerbarer Energien - im hellsten Licht: Allein in Deutschland hat die Nano-Forschung bereits 1,3 Milliarden Euro an öffentlichen Fördergeldern erhalten, teilte das Forschungsministerium auf Anfrage mit.

Neben der Gen-Technologie wird die Nano-Technologie von der Wirtschaft als Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts angesehen. Euphorische Prognosen sagen allein Nano-Nahrungsmitteln bis 2010 einen 20-Milliarden-Dollar-Markt voraus - von vergleichsweise mageren 2,6 Milliarden im Jahr 2003 über sieben Milliarden für 2006. 1,13 Billionen Euro sollen es für die gesamte Nano-Technologie sein, mit der etwa 4000 Firmen und Forschungseinrichtungen weltweit befaßt sind. Mehr als 200 Unternehmen arbeiten derzeit an Nano-Nahrungsmitteln, vor allem in den USA, in Japan und China, aber zunehmend auch in Europa. Die Großen der Branche wie HJ Heinz, Nestlé, Hershey Foods, Unilever und Keystone gehören zu den Pionieren; Chemiefirmen wie Degussa, Henkel und Bayer haben sich längst als deren Partner etabliert.

Der Schweizer Chemie-Konzern Novartis will sich nun auf "abbaubare" Nano-Partikel konzentrieren. Negative Meldungen über Risiken beim Einsatz von Nano-Partikeln bei Medikamenten hatten den Konzern aufschrecken lassen. So soll nun eine unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten recht merkwürdige Unterteilung in gutartige und riskante Nano-Materialien vorgenommen werden. Der bei Haushaltsartikeln gängige Begriff "abbaubar" scheint hier mehr aus Marketing-Gesichtspunkten ausgewählt worden zu sein. Denn ob sich Nano-Partikel als giftig oder gefährlich herausstellen, hat wenig bis gar nichts damit zu tun, wie stabil die Moleküle sind, aus denen sie sich zusammen setzen. Und es hängt davon ab, mit welchen anderen Chemikalien sie - etwa im menschlichen Organismus oder einer Kläranlage - konfrontiert werden. Wenig präzise jedoch wurden Nano-Partikel als "abbaubar" eingestuft, wenn sie durch Dissoziation oder mittels körpereigener Enzyme aufgespalten, zerlegt und ihre Einzelteile vom Körper ausgeschieden werden können.

Die "revolutionären" Machbarkeits-Phantasien der Nano-Technologie beruhen darauf, daß Nano-Partikel völlig andere, unvorhersehbare Eigenschaften präsentieren können als Moleküle desselben Stoffs im Millimeter-Format und daß sie eine eigene, explosive Dynamik entfalten können. Je winziger die Teilchen, desto aktiver und rätselhafter werden sie. Sie entfalten Eigenschaften, die die Stoffe in der "normalen" Welt nicht haben. Darauf beruht aber auch die Gefahr, daß sie giftig für den menschlichen Organismus sein können, noch viel agressiver als die Partikel im Dieselruß und Feinstaub.

Gold zum Beispiel ist normalerweise chemisch inaktiv. Goldpartikel in Nanogröße jedoch werden plötzlich reaktionsfreudig. Und Aluminiumoxid, das wegen seiner inerten Eigenschaft gerne in der Zahnmedizin verwendet wird, kann - zermahlen zu Partikeln im Nanobereich - spontan explodieren. Es wurde daher bereits als potentieller Raketentreibstoff getestet.

Für Pharma- und Kosmetik-Konzerne sind nun wiederum Nano-Partikel in Hohlkugel- oder Röhrchenform höchst interessant. Sie sollen gewissermaßen als miniaturisierte Raumkapsel dazu dienen, Medikamente oder Wirkstoffe, die ansonsten nur über den Verdauungstrakt oder die Blutbahn an ihren Wirkungsort bugsiert werden können, zielgenau und mit erheblich weniger Streuungsverlust zum Einsatz zu bringen. Hierzu zählen die von Forschung und Technik euphorisch als "Zukunftshoffnung" bejubelten Kohlenstoff-Nanoröhrchen und Fullerene. Bei Letzteren, ob ihrer Form und Größe auch Bucky-Balls oder Fußballmoleküle genannt, handelt es sich um jene hohlkugelförmigen Moleküle aus Kohlenstoffatomen, die ihren US-Entdeckern 1996 den Chemie-Nobelpreis einbrachten.

Novartis gab nunmehr bekannt, die Finger vom boomenden Bereich der Kohlenstoff-Nanotechnologie lassen zu wollen - zumindest vorläufig. Das mit mehr als 37 Milliarden US-Dollar Jahresumsatz weltweit viertgrößte Pharmaunternehmen hat in den vergangenen drei Jahren mit einer ganzen Reihe von Partnern Chancen und Risken dieser Technologie analysiert und sämtliche bisher vorhandenen Studien zum Thema ausgewertet. Novartis, der Schweizer Kosmetikhersteller Ciba Spezialitätenchemie, die eidgenössische Stiftung Risiko-Dialog, das deutsche Öko-Institut und das Österreichische Ökologieinstitut hatten sich hierfür zum interdisziplinären Forschungs- und Dialogprojekt 'Comperative Challenge of Nanomaterials' (CONANO) zusammengeschlossen. Die an die Studie beteiligten RisikoforscherInnen, ToxikologInnen, ArbeitsmedizinerInnen und ÖkologInnen beendeten vergangene Woche ihre Arbeit. Das nun vorliegende Resultat ist die weltweit erste vergleichende Nutzen-Risiko-Analyse von "abbaubaren" und "nicht-abbaubaren" Nano-Wirkstoff-Kapseln bei pharmazeutischen und kosmetischen Anwendungen. Auch Ciba verzichtet wegen "noch nicht absehbarer Risken" vorerst darauf, "nicht-abbaubare" Nano-Partikel als Wirkstoff-Vehikel einzusetzen.

Völlig außer acht gelassen wurde bei dieser recht willkürlichen Einteilung das Risiko, das auch "abbaubare" Nano-Partikel bergen, die vielfach wegen ihrer geringen Ausmaße die Blut-Hirn- und die Planzenta-Schranke überwinden können. Weitgehend unerforscht blieben bislang zudem die Folgen, die von Nano-Partikeln ausgehen, nachdem sie ihre Wirkstoffe im betreffenden Organ abgegeben haben. "Dazu kann man keine generelle Aussage treffen", erklärt der Chemiker Willi Sieber, der für das Österreichische Ökologieinstitut an der Studie mitgearbeitet hat: "Nanomaterialien stellen keine homogene Gruppe dar. Es sind physikalisch, chemisch und strukturell sehr unterschiedliche Stoffe. Daher müssen Risikobeurteilungen immer fallbezogen sein."

In jedem Fall scheinen sich jedoch Kohlenstoff-Nanopartikel als gesundheitlich riskant herauszustellen. Mehr und mehr erhärtet hat sich der Verdacht, daß Kohlenstoff-Nanoröhrchen toxische Wirkungen haben und zu chronischen Entzündungen mit und ohne Narbenbildung in Lunge und anderen Geweben führen. Fullerene sind noch weniger erforscht, sie können aber oxidativen Stress und Zellschäden hervorrufen. Völlig unklar sind bislang Langzeitfolgen bei der Anlagerung oder Anreicherung von Nano-Partikel im Körper.

Dennoch geben die ExpertInnen von CONANO nun "grünes Licht" für den Einsatz "abbaubarer" Nano-Partikel. Einig waren sich alle Beteiligten darin, daß Mikro- und "abbaubare" Nano-Delivery-Systeme dann unproblematisch seien, wenn ihre chemischen Einzelbestandteile "GRAS-zertifiziert" sind. GRAS steht für "generally recognized as safe" und ist eine Bezeichnung der US-amerikanischen Lebensmittel- und Arzneibehörde FDA für Stoffe, die sich in Tests oder in der Praxis als gesundheitlich unbedenklich herausgestellt haben. Bekanntlich wird das GRAS-Zertifikat recht großzügig verteilt.

Offenbar hat sich Novartis mit der CONANO-Expertise lediglich ein Schönheitspflästerchen für eine zuvor bereits getroffene Unternehmens-Entscheidung besorgt. Wie inzwischen aus internen Quellen bekannt wurde, hatte Novartis die Weiterverfolgung des Projekts Fullerene bereits vor Beginn der CONANO-Auftragsstudie gestoppt. Grund: Das Projekt war nie über das Stadium des "ewigen Talents" hinausgekommen.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

1 Siehe auch unsere Artikel:

      Nano-Technologie - Ebenso vielfältig wie gefährlich (10.06.07)

      Warnung vor Nanotechnologie
      Waschmaschine von Media Markt birgt Umweltgefährdung (13.10.06)

      Nanotechnologie gefährlich
      Verletzungen durch 'Magic'-Spray (4.04.06)

 

neuronales Netzwerk