Vor wenigen Tagen wurde eine vierköpfige kurdische Familie in die Türkei abgeschoben. Die Familie, die erst Ende September 2003 nach Deutschland gekommen war, hatte Asyl beantragt und war in der ländlichen Umgebung von Freiburg untergebracht worden. Das Anhörungsverfahren wurde im weit entfernmten Reutlingen durchgeführt und der Asylantrag umgehend als "offensichtlich unbegründet" abgelehnt.
Zuständig für diesen Fall ist das Verwaltungsgericht Sigmaringen, ebenfalls im schwäbischen Landesteil, und der Anwalt der Familie hat sein Büro in Köln. Von SAGA, dem Südbadischen Aktionsbündnis gegen Abschiebungen, wird kritisiert, daß insbesondere für die Frau zu keinem Zeitpunkt die Möglichkeit bestanden habe, ihre eigenen Asylgründe ausreichend zur Geltung zu bringen. SAGA berichtet, daß die Anhörung von zwei Männern durchgeführt wurde und die Kurdin zudem durch die traumatisierenden Umstände der Flucht erst zu einem späteren Zeitpunkt und nach längeren, fachlich betreuten Gesprächen in der Lage war, über die Zeit vor und während ihrer Flucht zu sprechen.
Die Frau hat nach eigenen Angaben in der Türkei ein Kind verloren und ein zweites Kind mußte auf Druck der Fluchthelfer in der Türkei zurückgelassen werden. Nur zwei Kinder konnten mit auf die gefährliche Fahrt mitgenommen werden. Und nicht selten endet eine solche Flucht tödlich.1
Erst nach einiger Zeit war die Frau in der Lage, über zahlreiche sexuelle Übergriffe zu berichten. MitarbeiterInnen von SAGA versuchten über Wochen hin die Fluchtgeschichte der Familie - insbesondere der Frau - zu rekonstruieren. Es wurde versucht, medizinische und psychologische Unterstützung sowie geschulte DoletscherInnen zu organisieren. Die Psychosoziale Beratungsstelle des DRK, die häufig diese Aufgabe übernommen hat, ist aktuell von Schließung bedroht.
SAGA prangert an, daß beim heutigen "beschleunigten Verfahren" die Chancen von Asylsuchenden, ihre Fluchtgründe zur Sprache zu bringen, real äußerst gering sind. Insbesondere frauenspezifische Fluchtgründe, spielen, ganz im Gegensatz zum Bild, das die politische Diskussion zur zeit vermittelt, in Asylverfahren immer weniger eine Rolle. Frauen werden von Seiten der Asylbehörden bei der Anhörung selten eingesetzt, Dolmetscher sind weit überwiegend ebenfalls männlichen Geschlechts und die Anhörung steht unter enormem Zeitdruck. Unter diesen Bedingungen ist keine geschützte Atmosphäre aufzubauen und so ist es kaum mehr möglich, daß Frauen ihre spezifischen Fluchtgründe darstellen können.
Hinzu kommt, daß der im Verfahren beteiligte Anwalt eine Honorarforderung in Höhe von 500 Euro erhebt, die unmöglich aufzubringen ist. Das Taschengeld pro erwachsener Person beträgt 40 Euro, das für Kinder 20 Euro, so daß der Familie in der kurzen Zeit ihres Aufenthalts lediglich 120 Euro pro Monat zur Verfügung standen.
Von den MitarbeiterInnen von SAGA wurde das Gericht in Sigmaringen, sowohl während des Asyl- als auch während des Abschiebe-Verfahrens auf diese unsäglichen Bedingungen hingewiesen. Wie so oft war dies erfolglos und SAGA konstatiert, daß selten eine Sensibilität für diese Problematik festzustellen sei. Offenkundig ist das Asyl-Verfahren immer häufiger nur noch eine Farce und dient lediglich als äußere Legitimation für eine vorab festgelegte Abschiebungsrate.
Adriana Ascoli
Anmerkungen:
1 Siehe auch unseren Artikel
'60 Tote infolge europäischer Unchristlichkeit' v. 20.07.03