6.02.2006

Restlaufzeiten sind
Augenauswischerei

Statt "Atomausstieg" real bereits jetzt Laufzeitverlängerung

Nach dem 2000 geschlossenen "Atomausstieg"-Vertrag sollen angeblich bis Ende dieser Legislaturperiode - also bis 2009 - vier AKWs von gegenwärtig 17 stillgelegt werden. In diesem Vertrag wurden allerdings nicht die immer wieder genannten "Restlaufzeiten", sondern Reststrommengen vereinbart (siehe Anmerkungen). Das Umrechnen von Reststrommengen in Jahre, Monate und Tage ist zudem recht spekulativ. Dies wird jedem schnell klar, der sich daran erinnert, daß AKWs nicht selten wegen Reparaturen monatelang abgeschaltet waren.

Dennoch hat Atom-Minister Gabriel kürzlich folgende Tabelle veröffentlicht:

Reaktor..............................Ende der Regellaufzeit

Biblis A...............................26.02.2007
Neckarwestheim 1...........01.12.2008
Biblis B...............................31.01.2009
Brunsbüttel.......................09.02.2009
Isar 1....................................21.03.2011
Unterweser........................06.09.2011
Philippsburg 1..................26.03.2012
Grafenrheinfeld................17.06.2014
Krümmel.............................28.03.2016
Gundremmingen B..........19.07.2016
Gundremmingen C..........18.01.2017
Grohnde..............................01.02.2017
Philippsburg 2..................18.04.2017
Brokdorf.............................22.12.2018
Isar 2...................................09.04.2020
Emsland.............................20.06.2020
Neckarwestheim 2...........15.04.2021

Quelle: Bundesumweltministerium

Die vier nächstliegenden Abschalt-Daten sind demnach für Biblis A der 26. Februar 2007, für Neckarwestheim I der 1. Dezember 2008, für Biblis B der 31. Januar 2009 und für das AKW Brunsbüttel der 9. Februar 2009. Eine solche Angabe auf den Tag genau ist nun vollends absurd. Es wird auch nirgends vermerkt auf welcher Grundlage diese "Regellaufzeiten" berechnet sein könnten. (Dazu weiter unten mehr.)

Der bekannte Atomexperte Professor Klaus Traube erklärte dazu bereits im Januar, daß nach seiner Kenntnis gar keine Absicht bestehe, diese Vorgaben auch einzuhalten. "Biblis B und Brunsbüttel werden nicht abgeschaltet", erklärte er dem staunenden Publikum. Denn schließlich sei im "Atomausstieg"-Vertrag vorgebaut und völlig legal könnten Strommengen von anderen AKWs übertragen werden - sogar vom bereits 1988 per Gerichtsentscheid stillgelegten AKW Mülheim-Kärlich. Entsprechende Strommengen könnten von diesem und vom AKW Stade, das im November 2003 stillgelegt wurde, auf Biblis B und Brunsbüttel übertragen werden, so daß sie locker bis ins Jahr 2010 weiterbetrieben werden könnten. Ziel der Betreiber wie dem RWE-Konzern sei es, mit einer neuen Bundesregierung weitere Laufzeitverlängerungen auszuhandeln.

Selbst wenn die Betreiber auch Biblis A und Neckarwestheim I über die Legislaturperiode retten wollten, könnten sie dies. Aber bereits beim AKW Stade hatte sich herausgestellt, daß die Betreiber schon vor dem "Atomausstieg"-Vertrag kein Interesse daran hatten es weiterzubetreiben. Obwohl es nachweislich unrentabel war, ließen die Betreiber es am Netz, um so mehr Verhandlungsmasse zu haben. Traube meint, auch für Biblis A und Neckarwestheim I gebe es Sonderabsprachen. Diese fänden sich allerdings nicht im Gesetzestext - so wenig wie die, die zur Verlängerung der Laufzeit des AKW Obrigheim über den zuvor öffentlich verkündeten Abschalt-Termin Oktober 2002 aus dem Ärmel gezogen worden waren. Es wurde nach einer Betriebsdauer von insgesamt 37 Jahren am 11. Mai 2005 stillgelegt.

Und Traube weiß von einem "Einigungspapier mit der Industrie". Hessens "Umwelt"-Minister Weimar hatte den Betreiber RWE verpflichtet, eine teure Notstandswarte für Block A des AKW Biblis zu bauen. Dann kamen die "Ausstieg"-Verhandlungen. RWE argumentierte, daß die knapp eine Milliarde Euro teure Warte sowieso erst pünktlich zur Abschaltung von Biblis A fertig würde. Deshalb sei von "Rot-Grün" auf eine Sonderabsprache ausgewichen worden. Intern habe sich RWE ein konkretes Abschalt-Datum verpflichtet und im Gegenzug muß die Notstandswarte nicht gebaut werden. Es wird nun darauf spekuliert, daß sich RWE "unglaubwürdig" mache, wenn es dennoch einen Antrag auf Reststrommengen-Übertragung bei Gabriel stellen werde. Es darf spekuliert werden...

Und Neckarwestheim I? Zum 31. Dezember 2007 werde dort die periodische Sicherheitsüberprüfung fällig. Da diese teuer und mit Stillstandszeiten verbunden ist, würde sie einen Abschalt-Termin im Dezember 2008 obsolet werden lassen. Auch in diesem Zusammenhang wird von einer Sonderabsprache gesprochen: Wenn sich der EnBW-Konzern zum - eigentlich laut Gabriel vertraglich gesicherten Abschalt-Termin - entschlösse, könne diese Sicherheitsüberprüfung entfallen.

Doch auch andere Möglichkeiten sind denkbar. EnBW könnte die vereinbarte Reststrommenge durch gedrosselten Betrieb mühelos bis über 2009 hinaus in die nächste Legislaturperiode strecken, so Atomexperte Klaus Traube.

All diese Überlegungen zeigen, daß die aufgrund der im "Atomausstieg"-Vertrag festgelegten Reststrommengen geschätzten durchschnittlichen Gesamtlaufzeiten von 32 Jahren gut und gerne - ohne den Vertrag zu beugen - auf 35 bis 40 Jahre gestreckt werden können. Tatsächlich waren die AKWs ursprünglich nur für Laufzeiten bis 25 Jahre konzipiert. Demnach hätte der bereits 1974 in Betrieb genommene Block A des AKW Biblis bereits 1999 stillgelegt werden müssen. Der "Atomausstieg"-Vertag sanktioniert also de facto bereits jetzt eine Laufzeitverlängerung und stellt eine Bestands-Garantie für die Atom-Konzerne dar.

Der häufig genannte Schätzwert von durchschnittlich 32 Jahren Laufzeit ist zudem völlig irreal. Wie es zu dieser Angabe kam, wurde nirgendwo veröffentlicht. Nur auf Grund der im Vertrag von 2000 festgelegten Reststrommengen kann für jeden Reaktor seriös eine Schätzung oder Berechnung angestellt werden. Im Vertrag ist für jeden der 17 Reaktoren für den Zeitraum ab der Inbetriebnahme bis zum Stichtag 31.12.1999 die produzierten Strommenge in Terawattstunden (TWh) angegeben. Mit einer einfachen Dreisatzrechnung läßt sich so "konservativ" aus der Reststrommenge eine "Restlaufzeit" berechnen. Hierzu zwei Beispiele:

Um die "Restaufzeiten" für die beiden Blöcke B und C des AKW Gundremmingen abzuschätzen, müssen wir die bisherige jährliche Stromproduktion in die Zukunft fortrechnen. Block B hatte bis zum Stichtag 31.12.1999 in 16 Betriebsjahren insgesamt 142,9 TWh (Terawattstunden) Strom produziert. Dies sind rund 8,9 TWh pro Jahr. Als "Atom-Ausstieg" wurde eine "Rest"-Strommenge von 160,92 TWh für den Zeitraum ab 1.01.2000 vereinbart. Bei GLEICHBLEIBENDER Verfügbarkeit des Reaktors ergibt sich hieraus rein rechnerisch eine "Restlaufzeit" von 18 Jahren - also eine Gesamt-Laufzeit von 34 Jahren, die bis 2019 reichen würde. Zum Vergleich: In der obigen Tabelle ist mit verblüffender Genauigkeit ein Tag im Jahr 2016 angegeben.

Block C hatte bis zum Stichtag 31.12.1999 in 16 Betriebsjahren insgesamt 134,1 TWh Strom produziert. Als "Atom-Ausstieg" wurde eine Reststrommenge von 168,35 TWh ab 1.01.2000 definiert. Bei GLEICHBLEIBENDER Verfügbarkeit des Reaktors ergibt sich hieraus rein rechnerisch eine "Restlaufzeit" von 20 Jahren - also eine Gesamt-Laufzeit von 36 Jahren, die bis 2021 reichen würde. Ein Blick in die obige Tabelle erlaubt uns hingegen, auf den 18.01.2017 zu hoffen.

Vollends als Unfug stellt sich das Ganze heraus, wenn wir berücksichtigen, daß nach aller Erfahrung die Stillstandszeiten der Reaktoren in Folge von Pannen von Jahr zu Jahr größer werden. Daraus muß einerseits geschlossen werden, daß sich die Laufzeit der Reaktoren um so mehr in die Länge zieht, je maroder sie werden. Es bedeutet zudem, daß - rein rechtlich gesehen - nach einer Reaktorkatastrophe in Deutschland die übrigen AKW um so länger in Betrieb bleiben dürfen.

Als Fazit sei Holger Strohm aus seinem Buch 'Die stille Katastrophe' zitiert: "(...) Dabei waren Atomkraftwerke anfangs nur für 25 Jahre Betrieb ausgelegt. Seit über einem Jahrzehnt ist kein neues Atomkraftwerk mehr ans Netz gegangen. Das heißt, die Atomkraftwerke laufen länger als ursprünglich geplant, und das wird uns als Ausstieg verkauft. Wir werden arglistig getäuscht!"

 

Klaus Schramm

 

Anmerkungen

Atom-Konsens:
Die Reststrommengen der Atomkraftwerke in Deutschland
  

Legende: 
(1) bisherige Laufzeit in Jahren (gerundet)
(2) produzierte Strommenge in Terawattstunden* seit Betriebsbeginn bis  31.12.1999
(3) Reststrommenge (gezählt ab 1.1.2000). Jeweils auf andere Kraftwerke übertragbar
* 1 Terawattstunde (TWh) = 1 Milliarde Kilowattstunden (KWh)

 

Inbetriebnahme

Name

(1)

(2) 

(3)

10/1968 Obrigheim 32 

76,0

8,70

1/1974 Stade 29 134,0 23,18
8/1974 Biblis A 26 179,5 62,00
4/1976 Biblis B 24 177,5 81,46
6/1976 Neckar-1 24 137,5 57,35
6/1976 Brunsbüttel 24 87,6 47,67
12/1977 Isar-1 23 127,2 78,35
10/1978 Unterweser-1 22 193,3 117,98
5/1979 Philippsburg-1 21 119,3 87,14
12/1981 Grafenrheinfeld 18 174,4 150,03
9/1983 Krümmel 17 137,8 158,22
3/1984 Gundremmingen B 16 142,9 160,92
11/1984 Gundremmingen C 16 134,1 168,35
9/1984 Grohnde 16 169,4 200,90
12/1984 Philippsburg-2 16 159,7 198,61
10/1986 Brokdorf 14 137,3 217,88
1/1988 Isar-2 13 125,7 231,21
4/1988 Emsland 12 128,3 230,07
1/1989 Neckar-2 12 118,5 236,04
3/1986 Mülheim-Kärlich 2* 11,3 107,25
* davon 13 Monate Stromlieferung;
    seit 1988 aus juristischen Gründen außer Betrieb

2670,3
bisher insgesamt produziert

2623,30
vereinbarte Reststrom-
menge

Siehe auch unseren Artikel:

    'IPPNW: Uranvorräte bestimmen
    Zeitpunkt für "Atomausstieg"' (31.10.05)

    Informationen zum "Atom-Ausstieg"

 

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