29.03.2011

Japanischer AKW-Experte:
Reaktor I vermutlich schon
am 11. März leck

AKW Fukushima Daiichi, 16.03.2011 Der japanischer AKW-Experte Mitsuhiko Tanaka, der die Bauweise der Reaktoren im AKW Fukushima Daiichi sehr gut kennt, erklärt öffentlich: Reaktor I wurde schon vom Erdbeben am 11. März zerstört. Die ihm vorliegenden Daten ließen kaum einen anderen Schluß zu. Vermutlich war daher die Radioaktivität in der Anlage sofort lebensgefährlich.

In den vergangenen drei Wochen wurde vom AKW-Betreiber Tepco und der japanischen Regierung ein neuartiges Spiel gespielt, das regelmäßig darauf hinauslief, erst gewisse Informationen zu streuen und diese kurz darauf zu widerrufen. De facto lief dies auf eine Nachrichtensperre hinaus, ohne daß diese offiziell ausgerufen wurde. Selbst internationale ExpertInnen, die der Nuklear-Industrie nahe stehen, sagten mittlerweile, es sei zum Verzweifeln: Betreiber und Regierung gäben einfach keine relevanten Daten heraus. Auch die gestrige Meldung, wonach Plutonium in der Nähe des AKW Fukushima Daiichi gefunden worden sei, ist hierfür symptomatisch: Es handelt sich angeblich um eine Analyse von Bodenproben, die am 21. Und 22. März genommen wurden.

Die Daten, auf die Mitsuhiko Tanaka seine Schlußfolgerungen stützt, liegen sowohl der japanischen Atomaufsichtsbehörde NISA als auch der Regierung vor. Laut Tanaka dürften sie auch über weitere Daten verfügen, die ihm nach eigenen Angaben fehlen, um seine Behauptung endgültig zu beweisen.

Tanaka behauptet, schon das Erdbeben habe zumindest bei Reaktor I unmittelbar zu einem massiven Kühlmittelverlust geführt. Damit wäre der Super-GAU bereits zu diesem Zeitpunkt eingetreten. Innerhalb von zwölf Stunden nach dem Erdbeben sank der Druck im Reaktordruckbehälter - so Tanaka - von den üblichen 7 Megapascal (70 bar) auf nur noch 0,8 Megapascal. Infolgedessen "sank der Kühlwasserpegel dort rapide". Gleichzeitig sei im Sicherheitsbehälter, der als zweite Barriere im Reaktorgebäude den Reaktordruckbehälter umgibt, der Druck von 0,1 auf 0,8 Megapascal gestiegen.

Tanaka: "Diese Druckveränderungen sind ein Hinweis auf ein Leck im Kühlsystem." Es sei aufgrund dieser Daten "nahezu unbestreitbar", daß es einen Kühlwasserverlust gegeben habe. Er vermutet einen Rohrbruch direkt am Reaktordruckbehälter. "Viele Experten hätten das wissen müssen oder wissen können," sagt Tanaka. "Aber sie haben geschwiegen".

Alle Behauptungen von Betreiberseite, die von der japanischen Regierung an die Öffentlichkeit weitergegeben wurden, der Reaktor werde mit Meerwasser gekühlt (insbesondere wurde verbreitet, an den Brennelementen habe sich dabei eine Salzkruste gebildet), wären auf der Grundlage der Informationen Tanakas falsch. Von Beginn an war zweifelhaft, ob das Meerwasser tatsächlich in den Reaktordruckbehälter eingespeist werden konnte, was entsprechend leistungsfähige und intakte Pumpen vorausgesetzt hätte, oder ob der Reaktor lediglich von außen mit Meerwasser gekühlt wurde. (siehe unsere Anmerkung im Artikel v. 13. März).

Mit dem Versagen der Notkühlung war die letzte der in der Auslegung des Kraftwerks vorgesehenen Barrieren gegen die drohende Kernschmalze ausgefallen. Der Reaktor war daher laut Tanaka von Beginn an außer Kontrolle. Auf Grund der Daten, die dem Betreiber Tepco mit Sicherheit vorliegen, ist vorhersehbar, ob sich die für die Reaktoren I bis III mittlerweile nicht mehr geleugnete und zumindest für Reaktor II offiziell bestätigte Kernschmelze in Richtung Grundwasser durchfrißt, oder ob es zu weiteren Wasserstoff-Explosionen kommt, die zu einer massiven Freisetzung des radioaktiven Inventars führen können.

Sollten sich die Schlußfolgerungen Tanakas bestätigen, dann hat der Betreiber die Männer der Reaktor-Reparaturtrupps in ein Umfeld geschickt, in dem Kühlwasser freigesetzt war, das Kontakt mit den Brennstäben hatte - und daher hoch radioaktiv belastet war. Möglicherweise hat es sich mit dem Meerwasser, das in die Gebäude gespritzt wurde, vermischt. Wohin dieses überaus gefährliche Wasser in den Gebäuden gelangt ist, geht aus den offiziellen Verlautbarungen nicht hervor. Vermutlich wurde es skrupellos ins Meer geleitet.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Fragen zur Situation in Japan,
      zur Atomenergie und zu Deutschland (25.03.11)

      Gesellschaft für Strahlenschutz:
      Super-GAU ist längst Realität (23.03.11)

      Die Situation in den havarierten japanischen AKW
      Stand: Sonntag 16 Uhr (13.03.11)

      Notkühlfall in japanischem AKW
      Situation in Reaktor Fukushima Daiichi I spitzt sich zu (11.03.11)

      Nach jahrelangem Stillstand
      Japanischer Schneller Brüter Monju im Probebetrieb (7.05.10)

      Feuer in japanischem AKW
      Ein Arbeiter verletzt (5.03.09)

      Brand im weltgrößten AKW
      Seit Juli wegen Erdbeben-Schäden
      auf unabsehbare Zeit abgeschaltet (20.09.07)

      Japanisches AKW durch Erdbeben schwerer beschädigt
      als bisher bekannt
      Über 50 Prozent mehr Radioaktivität ausgetreten (18.07.07)

      Erdbeben verursachte Unfall in japanischem AKW
      Radioaktives Wasser trat aus (16.07.07)

      Schweres Erdbeben erinnert an
      AKW-Stilllegung vor einem Jahr (26.03.07)

      Japan: AKW Shika abgeschaltet
      Gericht erkennt auf mangelhafte Erdebebensicherheit (25.03.06)

      11 AKWs in Japan abgeschaltet
      Zweiter japanischer Strom-Konzern muß Konsequenzen ziehen
      (14.08.04)

      Atom-Ausstieg ist möglich
      in Japan 17 AKWs abgeschaltet (22.04.03)

 

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