19.11.2004

Bayer-Konzern steuert EU-Politik

Die neue EU-Kommission hat sich mehr noch als die vorangegangene dem Primat der Ökonomie verschrieben. Die Riege um Präsident José Barroso will die "Lissabon-Strategie" konsequent umsetzen: Europa soll bis 2010 "die wettbewerbsfähigste Wirtschaft der Welt" werden. Dabei erwies sich in der Vergangenheit besonders die Umweltpolitik als störend. Gegen die geplante Chemikalien-Verordnung beispielsweise versetzten Bayer und andere Chemie-Konzerne ihre gesamte Lobbyisten-Armada in hektische Betriebsamkeit. Damit erreichten sie schließlich eine Anpassung der EU-Politik.

Eigentlich wäre es die normalste Sache von der Welt: Wenn Unternehmen ein neues Produkt herausbringen, sollten sie gesundheitsgefährdende Wirkungen ausschließen können. Für die Chemie jedenfalls trifft das nicht zu. Auf dem Markt tummeln sich tausende niemals auf ihr mögliches Schadenspotenzial hin untersuchte Stoffe. Unter der Umweltkommissarin Margot Wallström nahm sich die EU endlich dieses unhaltbaren Zustandes an. Auf Druck der europäischen Umwelt-Organisationen sollten die Chemie-Firmen mit der Chemikalien-Verordnung zu den entsprechenden Tests verpflichtet werden. Die Konzerne machten dagegen mobil und entwarfen Horror-Szenarien: immenser bürokratischer Aufwand, große Mehrkosten und drohende Arbeitsplatz-Verluste in Millionen-Höhe.

Bei "Rot-Grün" fuchtete die Lobby-Arbeit. Bundeskanzler Schröder persönlich intervenierte beim damaligen Kommissionspräsidenten Romano Prodi. Die Bundesregierung brachte das Thema immer wieder auf die Tagesordnung. Mit Erfolg. Schröder meldete 2003 auf der Mitgliederversammlung des Europäischen Chemie-Verbandes CEFIC Vollzug1 und dankte dem Industrie-Kommissar Erkki Liikanen für seine Obstruktionspolitik. "Die Kommission hat einen ersten Entwurf des neuen Zulassungsverfahrens für chemische Stoffe Anfang Mai veröffentlicht. Wenn ich das mit dem vergleiche, was ursprünglich gewollt und in Form von Büchern auf dem Tisch lag, hat sich ihre Arbeit, Herr Liikanen, gelohnt", führte der Bundeskanzler aus und lobte den Finnen dafür, "daß industrie-politisches Denken mehr als früher Gegenstand von Kommissionsarbeit geworden ist". Mehr als früher, aber noch lange nicht genug, befand Wolfgang Clements Staatssekretär Georg Wilhelm Adamowitsch: "Die Industrie-Politik hat in der EU kein eigenes politisches Standbein". Eigentlich sollte die von den MinisterpräsidentInnen im März 2000 beschlossene "Lissabon- Strategie" ihr eines verschaffen. Die PolitikerInnen wollten aus Europa mit dieser Richtschnur bis zum Jahr 2010 "die wettbewerbsfähigste wissensgestützte Wirtschaft der Welt" machen. Aber mit Chemie-Gesetzen und anderen nicht zum imperialen Kerngeschäft gehörenden Aktivitäten rückt dieses Ziel in weite Ferne, urteilten die Industrie-PolitikerInnen.

Adamowitsch setzte sich flugs daran, den Abstand zu verringern. Er führte Geheim-Gespräche mit französischen und britischen RegierungsvertreterInnen und schmiedete die "Koalition der Industrie-Länder" - ein Übereinkommen der wirtschaftlich leistungsfähigsten EU-Staaten, um die Interessen von "nationalen Champions" wie dem Bayer-Konzern künftig noch stärker zu berücksichtigen. Unter anderem trat die Koalition dafür ein, in Zukunft jedes EU-Gesetz einer Art Wirtschaftsverträglichkeitsprüfung zu unterziehen.

Der Brüsseler Lobby-Verband der Konzerne, der 'European Roundtable of Industrialists' (ERT) witterte Morgenluft. Bayer-Aufsichtsrat Manfred Schneider und die anderen Mitglieder, die sich durch "Zugang zu höchsten Regierungsmitgliedern" ihr Entrée in den exklusiven Club verschafft haben, schrieben im Februar 2004 zum Frühjahrsgipfel der EU einen Brief an den Ratsvorsitzenden Bertie Ahern. Daran gaben sie ihrer "tiefen Sorge über die fortgesetzte Aushöhlung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit Ausdruck" und verlangten als Muntermacher einen EU-Kommissar, "der sich exklusiv um alle Aspekte einer zum Wachstum führenden Industrie-Strategie kümmert". Schröder schloß sich dem Begehr nach einem Super-Kommissar postwendend an. Er wußte auch sogleich einen geeigneten Kandidaten für das Amt: Günter Verheugen.

All diese industrie-politischen Wünsche erfüllten sich mit der neuen Kommission. Präsident José Manuel Durão Barroso erklärte das Vorantreiben der "Lissabon-Strategie" zum höchsten Ziel seiner Kommissions-Riege. Als sein Stellvertreter bei der Koordination des Vorhabens fungiert der von Schröder auserkorene Super-Kommissar Günter Verheugen. Formell hat er zwar nicht mehr Rechte als seine KollegInnen, weil das gegen geltende EU-Gesetze verstoßen hätte, aber es handle sich doch um eine "ganz herausgehobene Position", freute sich der Kanzler zusammen mit DGB-Chef Michael Sommer und dem 'Bundesverband der Deutschen Industrie' (BDI). Bei der Anhörung durch das EU-Parlament ließ Verheugen keinen Zweifel an seiner Amtsauffassung. Die Kommission werde "sämtliche Instrumente einsetzen, um allen Unternehmen so günstige Rahmenbedingungen zu schaffen, daß sie auf dem Weltmarkt mithalten können", führte er aus. Über viele dieser Instrumente verfügt der Industrie-Kommissar selber. Ihm obliegt es, den Primat der Ökonomie durchzusetzen. Er kann alle Gesetzes-Entwürfe auf ihre Wirtschaftsverträglichkeit hin prüfen und gegebenenfalls ein Veto einlegen. Bei der Chemikalien-Verordnung liegt es sogar komplett in seiner Hand, solche Zweifel gar nicht erst aufkommen zu lassen. Verheugen - und nicht etwa der Umweltkommissar - organisiert nämlich die Umsetzung, schließlich verdankt er der Auseinandersetzung um diese Regelung seinen Arbeitsplatz.

Der Vorsitzende des EU-Umweltausschusses, Karl-Heinz Florenz (CDU), dürfte Verheugens Arbeit tatkräftig unterstützen. Er entstammt der Bayer-Wiege Nordrhein-Westfalen und geht beim Konzern ein und aus. Als die Bayer-Abteilung 'Governmental & Product Affairs' (GPA) in Straßbourg zu einem "Parlamentarischen Abend" lud, machte er dem Gastgeber viel Freude und trat für eine Maximal-Lösung in Sachen "Chemie-Gesetz" ein. "Bei der weiteren Diskussion ist es mit einem bloßen Drehen an den Stellschrauben nicht getan - diese Verordnung muß komplett überarbeitet werden", ereiferte sich Florenz.

Widerstand gegen diese konzertierte Aktion ist von Seiten des Umwelt-Kommissars nicht zu erwarten. Margot Wallström wurde auf das Amt der Vizepräsidentin weggelobt, und ihr von der FAZ als wirtschaftsnah bezeichneter Nachfolger Stavros Dimas sieht sich einem chemie-kritischen Kurs nicht verpflichtet. "Für die wirtschaftliche Reform-Orientierung der Kommission spricht auch die Besetzung des Umwelt-Ressorts", urteilt die Zeitung deshalb. Für diese "Reform-Orientierung" sprechen die anderen personal-politischen Entscheidungen ebenfalls. Die Niederländerin Neelie Kroes-Smit empfahl sich durch zwei Dutzend Aufsichtsratsmandate, BeraterInnen-Verträge und die Verwicklung in einen Umwelt-Skandal für den Job der Wettbewerbskommissarin und Peter Mandelson als Mitglied der neoliberalen Labour-Party für den des Außenhandelskommissars. Dem Binnenmarkt-Kommissar Charlie McCreevy eilt der Ruf eines "keltischen Thatchers" voraus und der Spanier Joaquín Almunia führte sich durch sein Eintreten für weitere Sozial- und Renten-Reformen bestens in die Kommissarsrunde ein. Nur die härtesten Fälle, den katholischen Fundamentalisten Rocco Buttiglione und die ihre Karriere der Öl-Industrie verdankende und mit ihrer Partei in einen Spenden-Skandal verwickelte Lettin Ingrida Udre akzeptierte das Straßbourger Parlament nicht.

Aber am neoliberalen Kurs Europas ändern diese kleinen Korrekturen nichts. Seit einiger Zeit weisen alle Signale in diese Richtung. Der im September veröffentlichte Arbeitsmarkt-Report plädierte für eine Flexibilisierung der europäischen Arbeitsmärkte und für Privatisierungen im Dienstleistungsbereich. Letzterem hat sich auch die "Bolkenstein-Richtlinie" und die zur Evaluierung der "Lissabon-Strategie" eingesetzte Kok-Kommission verschrieben. Ihre Bilanz fiel düster aus, Europa fehlt es am "richtigen Klima für Unternehmer", konstatierte die Riege um den früheren holländischen Ministerpräsidenten Wim Kok und trat nicht nur für die Privatisierung von Dienstleistungen, sondern von allem, was nicht niet- und nagelfest ist, ein. Über ihre Vorschläge zur Neuausrichtung des Lissabon-Projekts, das die bundesdeutsche Monopol-Kommission wegen ihres imperialistischen Charakters als tief in "militärischen Denk-Tradition" stehend geißelte, beraten die europäischen Ministerpräsidenten bei einem Treffen im März.

 

Jan Pehrke

 

Anmerkungen

1 Siehe auch unsere Beiträge
      'Greenpeace-Studie: "Chemie außer Kontrolle"'
      - mit Bemerkungen zur gleichzeitigen CEFIC (2.07.03)

      'Die schmutzigen Tricks der Chemie-Industrie' (22.07.04)

 

neuronales Netzwerk