Obwohl die Wahl-Boykott-Aktion von den großen Medien fast in geschlossener Front totgeschwiegen wird,
ist im Internet und auf verschiedenen Mailing-Listen heftig darüber diskutiert worden. Hier sind die am häufigsten
aufgeworfenen Fragen - und unsere Antworten wiedergegeben.
1. Schwächt ein Wahl-Boykott nicht gerade die Linke ?
A. 'Links' ist eine Bezeichnung, die "rot-grün" nicht für sich gepachtet hat. Dieses Etikett sollte auch von einigen inhaltlichen
Kriterien abhängig sein. SPD und "Grüne" sind nunmehr seit mehr als zwei Jahren an der Regierung. Und auch aus den Erfahrungen
mit einigen "rot-grünen" Landesregierungen läßt sich bemessen, ob solche Kriterien erfüllt wurden (vgl. hierzu
den Artikel 'Zwischenbilanz rot-grün' vom 31.12.00 von K. Schramm).
Die CDU im Bundestag bekommt doch gerade deshalb kein Bein auf den Boden, weil "rot-grün" die Politik Kohls
fortsetzt. Keine andere Politik, aber effektiver - rechte Politik mit dem Turbo und der besseren PR-Strategie.
Um nur einen Punkt herauszugreifen: Während unter der Kohl-Herrschaft die Kriegswaffenexporte über Jahre stagnierten,
haben sie sich von 1998 auf 1999 und nochmals von 1999 auf 2000 jeweils mehr als verdoppelt. Das sind wenig bekannte,
aber offizielle Zahlen des Bundesamtes für Statistik.
Ehrlicher Weise bezeichnet die SPD ihre politische Position selbst als "Neue Mitte". Und die "Grünen" sind
längst rechts davon.
Die SPD und ihre Spitzenkandidatin Ute Vogt vermeiden in Baden-Württemberg jegliche politische Aussage.
Und die baden-württembergischen "Grünen" und ihr Spitzenkandidat Dieter Salomon stehen eins-zu-eins für die
neoliberale Politik der Bundespartei.
B. Allen, die die Argumentation bis hierher teilen, kann vollkommen gleichgültig sein, ob ein Wahl-Boykott "rot-grün"
Stimmen entzieht. Doch auch für diejenigen, die sich noch nicht von der liebgewonnenen Vorstellung verabschieden
wollen, "rot-grün" sei das kleinere Übel, haben wir noch einige Argumente parat:
Mit unserem Wahl-Boykott-Aufruf sprechen wir fast ausschließlich Leute an, die sowieso vorhatten, ungültig zu wählen
oder nicht zur Wahl zu gehen. Stimmen, die gar nicht für "rot-grün" abgegeben worden wären, können ihnen durch
diese Boykott-Aktion also nicht entzogen werden. Sie ermöglicht in erster Linie, einen Boykott, der bisher übergangen
oder als politisches Desinteresse diffamiert werden konnte, kenntlich zu machen.
Auch diejenigen, die die "Grünen" noch nicht völlig aufgegeben haben, sich aber wegen Atom-Ausstiegs-Lüge und
Kosovo-Krieg bereits entschlossen hatten, diesmal nicht zu wählen, um ihrem "kleineren Übel" eine Lehre zu erteilen,
können diese Boykott-Aktion als Mittel ansehen, ihre Position zu verdeutlichen.
Vielfach wird behauptet, die Stimmen, die "rot-grün" entzogen werden, kämen schwarz-gelb-blau-braun zugute. Selbst
diejenigen, die erst duch diese Boykott-Aktion dazu "verführt" werden, zum erstenmal nicht mehr "rot" oder "grün" zu
wählen, tragen nicht zu einer nennenswerten Verschiebung des Spektrums bei. Jede nicht abgegebene Stimme verteilt
sich proportional entsprechend dem Wahlergebnis auf alle Parteien, die über 5 Prozent erhalten. Wer will uns einreden,
wir würden den Marktanteil von Marlboro erhöhen, wenn wir uns weigern, Camel zu rauchen...
Auch wenn ich das kleinere ÜBEL wähle, bin ich mitverantwortlich für das, was dann an Übeln angerichtet wird.
Es hieß einmal, wer nicht für die Beteiligung am Kosovo-Krieg sei, würde mitschuldig an einem "zweiten Auschwitz".
Gerade umgekehrt muß gefragt werden: Machen wir uns nicht mitschuldig, wenn wir (nicht gutgläubig, sondern sehenden Auges)
trotz der Erfahrung mit dem Kosovo-Krieg und der Bestandsgarantie für die Atomkraftwerke weiter "rot-grün" wählen ?
2. Ist ein Wahl-Boykott undemokratisch ?
A. Ein politisches System, genannt "parlamentarische Demokratie", in dem das Volk nunmehr seit über 14 Jahren auch durch das
Auswechseln der Regierungsparteien keine Chance hat, in einer überlebenswichtigen Frage seinen mehrheitlichen Willen
zur Geltung zu bringen, kann nicht mehr als demokratisch bezeichnet werden. Seit 1986 gibt es in Deutschland eine Mehrheit
für den Atom-Ausstieg. Dies war keine Schockreaktion durch die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. Diese Mehrheit wurde
all die Jahre durch Umfragen bestätigt. Die jetzige Bundesregierung wurde nicht zuletzt deshalb gewählt, weil sie einen
Atom-Ausstieg versprochen hatte. Der jetzt als Atom-Ausstieg bezeichnete "Atomkonsens" garantiert, daß
mehr als nochmal so viel radioaktiver Müll produziert werden darf, wie er bereits jetzt in all den Betriebsjahren seit es in
Deutschland AKWs gibt, angefallen ist. Wer dieses Faktum kennt, kann diesen "Atom-Ausstieg" nur als Lüge bewerten.
Wie jetzt spätestens durch die Veröffentlichungen von ARD, 'stern' u.a. bekannt geworden ist, hat die "rot-grüne" Bundesregierung
die Öffentlichkeit auch vor und während des Kosovo-Kriegs wissentlich und skrupellos angelogen. Es gab keine Massaker, keine KZs,
keinen Völkermord, kein "zweites Ausschwitz". Die Zustände im Kosovo, die teilweise durch die vom Westen bewaffnete Rebellenarmee
UCK hervorgerufen waren, haben einen Krieg nicht mehr, sondern eher weniger gerechtfertigt, als er z.B. zum Schutz der Kurden gegen
die türkische Armee gerechtfertigt sein könnte. All die Propaganda-Lügen dienten nur dem Zweck, die in Umfragen erkennbare
Ablehnung einer deutschen Kriegsbeteiligung zu brechen. Dies stellt eine krasse Mißachtung des Mehrheitswillens, eine krasse
Mißachtung jedes Begriffs von Demokratie dar.
Wir sehen bei der gegenwärtigen "Parteienlandschaft" keine ernstzunehmende oder glaubwürdige Alternative.
Eine Wahl ohne Alternative auf entscheidend wichtigen
Gebieten ist keine demokratische Wahl. Aus genau diesem Grunde waren die Wahlen in der ehemaligen DDR (unter anderem)
keine demokratischen Wahlen.
B. Daß es hierzulande keine Wahlpflicht gibt, ist immerhin eine kleine demokratische Errungenschaft. Es darf daran erinnert werden, daß
ebenso der Verweis auf die Wahlpflicht ein korrekter, wenn auch nebensächlicher, Kritikpunkt an der (Schein-)Demokratie der DDR war.
Uns zum Wählen zwingen zu wollen unter Berufung auf die Demokratie, ist absurd - ebenso absurd wie einen Nichtraucher zwingen zu wollen,
zwischen Camel und Marlboro zu wählen.
3. Was haben die bundespolitischen Theman 'Atom-Ausstieg' und 'Kosovo-Krieg' im Landtagswahlkampf zu suchen ?
Das Thema 'Atom-Ausstieg' zeigt seine landespolitische Relevanz ganz klar durch die CASTOR-Transporte. Der erste CASTOR-Transport seit
über zwei Jahren soll - nicht zufällig - einen Tag nach der Landtagswahl, am 26.03., die elsässisch-badische Grenze überschreiten. Eine Landesregierung,
der an der Gesundheit und am Leben dieser und unzähliger nachfolgender Generationen läge, könnte den Transit des CASTORs durch
Baden-Württemberg verweigern. Auch eine Landesregierung hätte bedeutende Mittel, das Abschalten der hiesigen AKWs durchzusetzen.
Schon kurze Zeit später - an Ostern - wird sich die Relevanz der Frage von Krieg und Frieden zeigen. Es ist die Blockade der EUCOM in
Stuttgart geplant. Die EUCOM in Stuttgart ist eine der vier US-Zentralen für den atomaren Erstschlag. Weltweit existieren immer noch rund
20.000 Atomwaffen. So z.B. in Büchel in der Eifel, wie Bundeskriegsminister Scharping nunmehr im Januar zugeben mußte. All dies zeigt
deutlich die lokale Relevanz dieses "bundespolitischen" Themas.
4. In welche Richtung soll es gehen, wenn immer mehr Menschen sich von der "repräsentativen Demokratie" abwenden ?
Zu dieser Frage wollten wir mir Bedacht im Aufruf nicht allzuviel vorgeben. Sowohl in der 'Werkstatt für gewaltfreie Aktion', bei
'X-tausendmal quer' als auch im 'Netzwerk Regenbogen' werden Formen von Basisdemokratie praktiziert und weiterentwickelt, die ein
Entstehen von Hierarchien ausschließen und verhindern sollen. Darüber kann sich jedeR gerne anhand vorliegender Texte informieren.
Aktuelle Diskussionen sind öffentlich und im Internet nachzulesen.
Wir sind uns jedoch darüber im klaren, daß die Diskussion über demokratische Perspektiven auf eine breitere Basis gestellt werden muß.
Vielfach wird wieder "von Null an" diskutiert werden. Aber das ist auch gut so. Denn nur so wird ein neues demokratisches System auch
von allen akzeptiert und nicht als ein von außen übergestülptes wie die "repräsentative Demokratie" empfunden werden.
Gerade angesichts der rapide sinkenden Wahlbeteiligungen wie aktuell in Hessen, wo nur noch rund 50 Prozent zur Wahl gingen, stellt
sich die Aufgabe um so dringender, eine echte Demokratie an der Basis aufzubauen. Nebenbei bemerkt: Die geringe Wahlbeteiligung in Hessen kam
ganz ohne die "Hilfe" eines Wahl-Boykott-Aufrufs zustande.
Wenn es durch einen zunehmend beschleunigten Zerfall des "repräsentativen" Systems zu einem Vakuum kommt, stellt dies zugleich
eine erhebliche Gefahr dar. Wie die Geschichte der Weimaer Republik zeigt, kann die sinkende Akzeptanz eines halbwegs demokratischen
Systems den Weg in totalitäre Systeme bereiten. Einer solchen Entwicklung kann nur durch den Aufbau echter Demokratie entgegengewirkt
werden, nicht durch Festhalten an einer zerfallenden Ordnung.
INITIATIVE WAHL-BOYKOTT
Baden-Württemberg