Am gestrigen Samstag, 19.11.05, startete der diesjährige, neunte Atommüll-Transport von La Hague nach Gorleben im Wendland. Das französische 'Netzwerk Atomausstieg' (Reseau Sortir du Nucléaire) hatte vor einigen Tagen den Fahrplan mit Start im Verladebahnhof Valognes bei La Hague um 17.20 Uhr veröffentlicht - unter Mißachtung von Starfandrohungen - und die französische Atommafia setzte alles daran, den Fahrplan einzuhalten. In der oberirdischen Gorlebener Lagerhalle wird sich nach diesem Transport die Zahl der dort abgestellten CASTOR-Behälter von 56 auf 68 erhöhen.
Bereits am 5.11. hatten über 7000 Atomkraft-GegnerInnen bei der Auftaktkundgebung in Lüneburg1 gegen die CASTOR-Transporte, für einen realen Atomausstieg und für eine echte Förderung der Erneuerbaren Energien demonstriert. Eine größere Zahl Atomkraft-GegnerInnen dürfte sich heute und in den nächsten Tagen zu weiteren Demonstrationen und CASTOR-Blockaden entlang der deutschen Bahnstrecke und insbesondere am Schienen-Teilstück zwischen Lüneburg und dem Verladeort Dannenberg und an der Staßentransportstrecke zwischen Dannenberg und Gorleben aufhalten. Gestern haben bereits rund 5000 in Hitzacker an einer von der BI Umweltschutz Lüchow Dannenberg vorbereiteten Demo teilgenommen. Zentral ist das Nein zum Bau des geplanten Endlagers im Garlebener Salzstock. Die französische Atomkraftgegnerin Cécile Le Comte rief dazu auf, nicht nur den Transport, sondern bereits die Produktion von Atommüll zu verhindern. Viele DemonstrantInnen schwenkten Fahnen oder trugen Transparente. In der mehrere Kilometer langen Demo rollten über 40 Traktoren mit. Bereits im Vorfeld wurde bekannt, daß auch in diesem Jahr wieder 15.000 Einsatzkräfte der Polizei für die Interessen der Atommafia eingesetzt werden. Die Kosten werden - wie immer - am Land Niedersachsen hängen bleiben.
Am 18.11. hatten rund 500 SchülerInnen in Lüchow, südlich von Dannenberg, (angemeldet) demonstriert. Die Polizei ging ungewöhnlich hart vor; zu einem Schlagstockeinsatz war es jedoch entgegen anderslautender Berichte der Mainstream-Medien nicht gekommen. Drei SchülerInnen im Alter zwischen 12 und 14 Jahren wurden nach Angaben der BI Umweltschutz Lüchow Dannenberg verletzt. Die BI fordert die Einsatzleitung auf, keine offensichtlich ungeschulten und unbesonnenen Beamte auf Jugendliche loszulassen. Offenbar handelte es sich um eine Einheit aus Magdeburg, die schon bei früheren CASTOR-Transporten als "extreme Knüppelgrade auffällig geworden" war, so ein BI-Sprecher. Wie aggressiv und angespannt die Polizei reagierte, zeigt ein Vorfall an der Polizeikaserne. Jugendliche stemmten ein mitgeführtes "Atommüllfass" über das Einfahrtstor. Die hinter dem Tor postierten Polizisten warfen das symbolische Objekt zurück und verletzten dabei einen vor dem Tor stehenden Kollegen.
Der CASTOR-Zug fuhr zunächst - wie seit Jahren - von Nord, Abfahrt in Valognes um 17.26 Uhr, nach Süd durch Frankreich, um auf der Höhe von Karlsruhe die Grenze zu passieren. Um 21.30 Uhr befand er sich in Oissel bei der Abzweigung Tourville. Dort fand eine Aktion französischer Atomkraft-GegnerInnen statt.
Gegen Mitternacht hatte er Amiens hinter sich gelassen. Um 2 Uhr heute morgen wurde er in Arras gesichtet. Kurz vor Nancy stoppten französische Atomkraft-GegnerInnen den CASTOR-Zug um 7.45 Uhr. Im Gegensatz zum letzten Jahr war kein Hubschrauber zur Sicherung des Transports eingesetzt. Bereits nach einer Viertelstunde setzte sich der Transport erneut in Bewegung.
Auch bei der Durchfahrt durch Nancy um 8.10 Uhr, Geschwindigkeit rund 30 Kilometer pro Stunde, wurde kein Begleithubschrauber beobachtet. Avricourt, wo im letzten Jahr Sébastien Briat zu Tode kam, durchfuhr des CASTOR-Zug gegen 9 Uhr. Statt der Verspätung hat er inzwischen einen Vorsprung von 16 Minuten gegenüber dem Fahrplan. Er wird offenbar so schnell wie möglich durchgeschleust.
Gegen Mittag erreichte er den Grenzort Lauterbourg in der Nähe von Karlsruhe.
Zeitgleich fand in Dannenberg im Wendland eine gemeinsame Pressekonferenz mehrerer Organisationen statt. Rechtsanwältin Ulrike Donat erläutert die aktuell eingereichte Verfassungsbeschwerde gegen die Demonstationsverbote entlang der CASTOR-Transportstrecke: "Seit 10 Jahren wird in Gorleben bei jedem Castortransport eine Sonderrechtszone mit umfangreichen Versammlungsverboten per Allgenmeinverfügung und darüber hinaus geschaffen. Weil das Bundesverfassungsgericht (BVG) der Versammlungsfreiheit einen hohen Rang einräumt und die Eingriffsschwelle der Exekutive sehr hoch angesetzt hat, bildet die so genannte Gefahrenprognose das Kernstück jedes Versammlungsverbotes. Die Gefahrenprognose müßte eigentlich auf kollektive Gewalt oder konkreten polizeilichen Notstand begründet sein. Nur: Seit 2001 gibt es aber im Gorleben-Konflikt gerade mal eine strafrechtliche Verurteilung von Demonstranten, Störung öffentlicher Betriebe, 35 Tagessätze Geldbuße. Der stehen zwei Verurteilungen von Polizeibeamten wegen Körperverletzung gegenüber. Circa 2.000 Freiheitsentziehungen durch die Polizei wurden seit 2001 von Gerichten für rechtswidrig erklärt." Weiter kritisierte Donat die Behinderung der Medienberichterstattung infolge der Zugangssperren durch die Polizei.
Francis Althoff, Sprecher der BI Umweltschutz Lüchow Dannenberg, forderte klipp und klar die Aufgabe des geplanten Endlagers Gorleben. Er wies zudem darauf hin, daß mit Hilfe des gültigen "Atomausstiegs-Gesetzes" auch die jetzige schwarz-rote Bundesregierung die Abschaltung eine AKWs über die nächsten vier Jahre hinaus verzögern könne.
Der Diplom-Physiker und Vorsitzende des Ausschusses Atomanlagen , Katastrophen- und Zivilschutz im Kreistag Lüchow-Dannenberg (für die Grüne Liste Wendland - ehemals Mitglieder der "Grünen"), Udo Jentzsch, hob die Mißachtung gültiger Vorschriften hervor: "Politik und Stromkonzerne wollen ein Endlager bei uns - um jeden Preis! Nach wie vor ist kein einziger CASTOR im Experiment entsprechend der internationalen Sicherheitskriterien der IAEO geprüft worden. Trotzdem werden die CASTORen benutzt und in die Wellblechhalle über dem Salzstock Gorleben gebracht, um vollendete Tatsachen zu schaffen. Die Betreibergesellschaft des Zwischenlagers Gorleben, BLG, hat dem Atomausschuß bereits im April 2005 mitgeteilt, daß die Pilotkonditionierungsanlage (PKA) zur endlagerfähigen Konditionierung der Abfälle in den CASTORen spätestens 2020 in Betrieb gehe. Vorab werde der entsprechende Antrag gestellt, die entstehenden radioaktiven Emissionen bei uns in die Elbe einzuleiten. Im September 2005 hat das Bundesumweltministerium (BMU) dem Atomausschuß des Kreistages geschrieben, daß die Barrierefunktion des Deckgebirges keine Rolle für die Sicherheit eines möglichen Endlagers spiele, obwohl das gleiche BMU zuvor eine Veränderungssperre zur Sicherung gegen Eingriffe anderer in das Deckgebirge durchgesetzt hatte. Fazit: Die Veränderungssperre und die gleichzeitige Aufgabe des lange gültigen Mehrbarrierensystems für ein mögliches Endlager zeigen die unbedingte Festlegung, abseits von allen logischen Sicherheitsargumenten, auf Gorleben als Endlagerstandort."
Thomas Breuer von Greenpeace Deutschland wies darauf hin, daß weder in Gorleben noch sonstwo eine sichere Lagermöglichkeit der radioaktiven Mülls für die nächsten 50.000 Generationen gefunden werden könne. Doch Gorleben scheide von vorneherein aus: Wenn ein Salzstpck als Endlager überhaupt in Frage komme, dann müsse dieser zumindest ein durchgehendes, mächtiges Deckgebirge ausweisen. Ein solches aber habe der Salzstock Gorleben nicht zu bieten.
Auch die Umweltschutz-Organisation Robin Wood forderte in einer separaten Presseerklärung die Beendigung der sinnlosen Atommülltransporte und den sofortigen Atomausstieg.
Um 12.38 Uhr setzte sich der CASTOR-Zug in Lauterbourg wieder in Bewegung: Eine grüne Lok zu Beginn, eine weitere Lok, danach die 12 CASTOR-Waggons gefolgt von zwei Personenwaggons und am Ende eine weitere Lok. Länge insgesamt rund 650 Meter, Gewicht: über 3.000 Tonnen. In Wörth wurden die Waggons umgekuppelt und der CASTOR-Zug setzte seine Fahrt um 14.38 Uhr fort. Dem CASTOR-Zug folgt ein weiterer Zug bestehend aus fünf schweren Diesel-Loks. Um 15 Uhr durchquerte der CASTOR-Zug Berghausen östlich von Karlsruhe.
12.54 Uhr Ein groteskes Detail wird bekannt: Im SMS-Verteiler der deutschen Polizei wird der CASTOR als "unser Baby" bezeichnet.
Auf einer Demo in Gusborn (an der Strecke zwischen Lüneburg und Dannenberg) versammeln sich nach 15 Uhr rund 1.500 Menschen; hier sind etwa 300 Trecker dabei. Es spielt die französische Persussion-Band 'Doukkali'. Im Anschluß an die Demo fahren die Trecker Richtung Gorleben; eine Blockade wird gebildet.
CASTOR-Blockade bei Bietigheim
Um 16.12 Uhr stoppt eine Blockade-Aktion den CASTOR-Transport bei Bietigheim (Streckenabschnitt Karlsruhe - Heilbronn). Eine Gruppe von 14 Anti-Atom-AktivistInnen hat in Bietigheim in der Nähe des Klärwerks den CASTOR-Transport mit einer Sitzblockade gestoppt. Das THW kommt mit schweren Gerät zum Einsatz. Ein Personenzug, der auf der gleichen Strecke unterwegs war, wartete in nur 300 m Entfernung vom CASTOR-Zug auf die Weiterfahrt. "Die gefährliche Strahlung der CASTOR-Behälter, insbesondere die Gamma-Strahlung, kann bei einer so geringen Entfernung auch auf die Fahrgäste des Personenzugs Auswirkungen haben", so ein Sprecher der südwestdeutschen Anti-Atom-Initiativen.
Die Blockade kann den CASTOR-Zug für rund 100 Minuten aufhalten. Der Atommüll-Transport hatte den Bahnhof Bietigheim gerade erst wenige Minuten zuvor verlassen, da stellten Hubschrauberbesatzungen der Bundespolizei zwischen Bietigheim und Besigheim Leuchtfeuer auf der Gleisstrecke fest. Offenbar ketteten sich die BlockiererInnen in Höhe des Klärwerks erst an, als klar war, daß der Zug anhalten würde. Ein nach Ansicht der Polizei verdächtig aussehender Kosmetikkoffer wurde auf den Schienen gesprengt. Im örtlichen Nahverkehr kam es zu Verspätungen. Im Bereich des Bahnhofs Bietigheim hatte eine Hundertschaft der Bundespolizei die Geleise abgesperrt. Verstärkt war sie durch die örtliche Polizei und durch Hunde-Staffeln. Gegen 17.50 Uhr setzt sich der CASTOR-Zug wieder in Bewegung. Die BlockiererInnen werden nach Feststellung der Personalien bereits nach kurzer Zeit freigelassen. Mit der Ankunft in Lüneburg ist nicht vor Montag 4 Uhr nachts zu rechnen.
Kurz nach 17 Uhr stehen in Gusborn plötzlich 116 Trecker kreuz und quer auf der Straße. Die Polizei fährt Wasserwerfer gegen die Bauern auf.
Um 18.15 Uhr passiert der CASTOR-Zug Heilbronn. Ein Begleithubschrauber wird dort nicht gesichtet.
Gegen 19 Uhr erfolgt in Gusborn die dritte Aufforderung der Polizei, die Trecker-Blockade aufzulösen. Später (21.40 Uhr) werden über 100 Trecker beschlagnahmt, auf eine zusätzlich beschlagnahmte Wiese gefahren und dort von Polizei bewacht.
Der CASTOR-Zug befindet sich mittlerweile zwischen Heilbronn und Würzburg.
Kurz nach 20 Uhr kommt der CASTOR-Zug bei Lauda zum Stehen. Eine unbekannte Anzahl von Anti-Castor-DemonstrantInnen macht eine Kundgebung auf den Gleisen.
Wenig später wird eine Solidaritätserklärung der Bürgerinitiative gegen die Erweiterung des Frankfurter Flughafens bekannt. Seit 1978 wehrt sich diese BI gegen Umweltzerstörung durch mehrmalige Flughafen-Erweiterungen und gegen Fluglärm.
21 Uhr: Bei Klein Gusborn wird ein Loch in der Asphaltdecke der Straße entdeckt. Es soll rund ein Qubikmeter groß sein. Der Bereich ist abgesperrt.
22.30 Uhr: In Fulda werden rund 20 Leute von der Polizei von den Gleisen geräumt. Der CASTOR-Zug ist noch in einiger Entfernung und muß sein Tempo nicht drosseln.
23.36 Uhr CASTOR-Zug in Bebra - Weiterfahrt Richtung Kassel. Ankunft in Lüneburg wäre ohne weitere Blockade-Aktionen frühestens gegen 4 Uhr (Montag morgen).
Ute Daniels
Anmerkungen
Viele kleine Aktionen der letzten Tage mußten hier leider der Kürze halber weggelassen werden. Stellvertretend genannt seien hier die "Stuhlprobe" von rund 150 älteren DemonstarntInnen der "Grauen Zellen" am Sonntag Mittag beim Verladekran in Dannenberg und der "Große Drum Circle" der "Lüneburger Schrott-TrommlerInnen" am Samstag Nachmittag in Windisch Evern (an der Strecke zwischen Lüneburg und Dannenberg), bei dem rund 130 Leute teilnahmen. Leipziger Polizei und BGS waren auch in großer Zahl dabei, haben sich aber zurückgehalten zum Teil in die Feldwege zurückgezogen, obwohl die 50-Meter-Verbotszone tangiert war.
1 Siehe unseren Artikel:
'Demo in Lüneburg
Für realen Atomausstieg und Erneuerbare' (6.11.05)