9.04.2004

Gefahren durch Kunststoffe

Weichmacher gefährlicher und weiter verbreitet als vermutet

Viele Kunststoffe wären in ihrer Reinform brüchig oder würden unter der Einwirkung des Sonnenlichts zerfallen. So werden sie häufig mit einem Cocktail von Zusatzstoffen versetzt, um Elastizität, Bruchsicherheit oder etwa UV-Beständigkeit zu erzielen.

Besonders PVC (Polyvinylchlorid) ist ohne die Zutat von Weichmachern und optischen Stabilisatoren einer der minderwertigsten Kunststoffe. PVC konnte sich gegen die seit rund 20 Jahren immer wieder anschwellende Protestflut von UmweltschützerInnen nur aus einem Grund auf dem Markt halten: Dessen Produktion ist für die chemische Industrie eine Art Mülldeponie. Überflüssiges Chlor kann auf diese Weise "entsorgt" werden, ohne daß es etwas kostet. Im Gegenteil: Es bringt sogar Gewinn. Die chemische Industrie wähnt sich so in der Nachfolge des sagenumwobenen König Midas, der die von den Alchimisten vergeblich gesuchte Kunst, jeden beliebigen Stoff in Gold zu verwandeln, beherrscht haben soll. Der Sage nach wäre König Midas allerdings fast verhungert, da sich alles, was er berührte, in Gold verwandelte. Nur durch die Hilfe des Gottes Dionysos konnte er sich von seiner verhängnisvollen Fähigkeit befreien.

Ein Großteil der chemischen Prozesse, die von der Industrie in Produktion und Raffinerie von Rohstoffen genutzt werden, basiert auf der Chlorchemie. Chlor hat dabei eine mit dem Katalysator vergleichbare Funktion und bleibt häufig in verschiedenen Verbindungen als unbrauchbares Nebenprodukt zurück. Müßten diese oft giftigen Chlorverbindungen aufwendig und kostenintensiv von der Ökosphäre abgeschirmt werden, würden weite Bereich der chemischen Industrie zusammenbrechen.

Und ähnlich der Fähigkeit des König Midas hat die industrielle Anwendung der Chlorchemie ihren Pferdefuß. Erstmals wurde dies der Weltöffentlichkeit am 10. Juli 1976 durch den Chemie-Unfall im italienischen Seveso bewußt. Der Name dieser Ortschaft ist zum Begriff für das Dioxin-Unglück geworden, das sich damals abspielte. Eine Anlage, in der Trichlorphenol hergestellt wurde, flog in die Luft. Dabei gelangte ein Gemisch aus verschiedenen Chemikalien in die Umwelt. Ein Areal von rund 18 Quadratkilometern wurde mit zum Teil hochgiftigen Substanzen wie TCDD (2,3,7,8-Tetrachlordibenzo-4-Dioxin) kontaminiert.

Doch manche der unerwünschten Nebenwirkungen sind weniger spektakulär und führen schleichend zu einer stillen Katastrophe. Immer mehr Produkte der chemischen Industrie, die bereits seit Jahren auf dem Markt sind, geraten in Verdacht, Langzeitschäden zu verursachen1.

So entdeckte die 'Stiftung Warentest' bei einer Untersuchung von Mineralwässern bereits im Februar 2002, daß auch PET-Flaschen nicht unbedenklich sind. PET (Polyethylenterephthalat) kann Abbau-Produkte ins abgefüllte Getränk abgeben. Beispielsweise wurde Acetaldehyd im Mineralwasser gefunden, das in PET-Flaschen abgefüllt war. Einige der in PET-Flaschen abgefüllten Mineralwässer wurden in dieser Sparte mit der Teilnote "mangelhaft" versehen, andere ebenfalls in PET-Flaschen abgefüllte Mineralwässer bekamen merkwürdiger Weise dennoch ein "sehr gut".

Nebenbei bemerkt: Immer wieder wird in der Umwelt-Diskussion behauptet, Kunststoff-Getränkeflaschen hätten durch ihr geringeres Transportgewicht eine bessere Öko-Bilanz als Glasflaschen. Dies ist Unfug. Ebenso wie bei Gefälligkeits-Gutachten im Auftrag von 'Tetrapack' werden solche "Öko-Bilanzen" mit einem billigen Trick hingebogen. Durch Einberechnen extrem langer Transportwege wie sie allenfalls bei Getränke-Multis zu verzeichnen sind, wird der Energieverbrauch beim Transport der Glasflaschen künstlich und unrealistisch übergewichtet.

Mittelständische Mineralbrunnen haben in der Realität einen kleinen Einzugsbereich und die hohen Umlaufzahlen bei Glasflaschen gegenüber PET- oder anderen Kunststoff-Flaschen machen den Umwelt-Nachteil beim Transport bei weitem Wett. Außerdem werden in solchen nur zum Schein unabhängigen Gutachten regelmäßig unrealistische und überhöhte Umlaufzahlen bei "Mehrweg"-Kunststoff-Flaschen einberechnet. Tatsächlich kann in der Praxis bei durchschnittlich sechs bis sieben Wiederbefüllungen gar nicht von "Mehrweg" die Rede sein. Glasflaschen werden dagegen ohne Hygiene-Verlust durchschnittlich über 70 mal wiederbefüllt, bevor sie ersetzt werden müssen.

Zu den Stoffen, die schleichend von Kunststoffen wieder an Getränke, verpacktes Ost und Gemüse und an die Umwelt abgegeben werden, zählen insbesondere die Weichmacher. So entdeckten Wissenschaftler der Universität Erlangen-Nürnberg erst Anfang dieses Jahres, daß Weichmacher gefährlicher und in der Umwelt bereits weiter verbreitet sind als vermutet.

Phthalate, kaum jemand vermag den Namen auszusprechen, sind heute fast allgegenwärtig. Sie werden bei der Herstellung von Körperpflegemitteln ebenso wie bei der Textil-Verarbeitung eingesetzt. Doch meistens finden sie sich als Weichmacher im PVC. In der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Studie der Universität Erlangen-Nürnberg zeigte sich, daß vor allem Kinder größere Mengen aufnehmen. Phthalate gelangen vorwiegend mit der Nahrung und der Atemluft in unseren Körper2. Im Organismus wirken sie auf den Hormonhaushalt. Sie stehen im Verdacht, Entwicklung und Fortpflanzung zu schädigen.

DEHP (Diethylhexylphthalat, korrekt: Bis-[2-ethylhexyl]phthalat) - um ein Beispiel zu nennen - steckt in vielen Kunststoffprodukten in unseren Wohnungen. Diese Chemikalie wirkt wie ein Hormon und wird für schwere Gesundheitsschäden verantwortlich gemacht. Professor Jürgen Angerer vom Institut für Arbeits- und Umweltmedizin der Uni Erlangen-Nürnberg sagt: "Man hat festgestellt einen Anstieg der Hodenkrebse. Man stellt auch zunehmend Mißbildungen der männlichen Geschlechtsorgane fest und auch eine Verringerung der Spermienzahl. Und die Mehrzahl der Wissenschaftler geht heute davon aus, daß das unter anderem zusammenhängt mit Stoffen wie dem DEHP, ja man betrachtet das DEHP geradezu als Modellsubstanz für das Auftreten dieser Erscheinungen."

Da Kinder am schwersten betroffen sind und sich Langzeitschäden akkumulieren, fordern die Wissenschaftler, daß Kinder besonders geschützt werden müßten. Die Gesundheitsrisiken durch Weichmacher seien dringend neu zu bewerten und entsprechende Konsequenzen zu ziehen.

 

Solveig Brendel

 

Anmerkungen:
1 Siehe auch unseren Artikel
    Greenpeace-Studie: "Chemie außer Kontrolle" v. 2.07.03

2 Siehe auch unsere Artikel
    'Schwimmhilfen mit horrenden Giftmengen' v. 5.07.03

    'Gift im Geld' v. 9.01.02

 

neuronales Netzwerk