23.06.2004

Weiche Babys
Dank Phthalat

Giftige Weichmacher deutscher Firmen in Medizinprodukten
BUND und HCWH fordern strengere Richtlinien

In ganz Europa werden Krankenhaus-Patienten - darunter auch besonders empfindliche Neugeborene - unnötig den Gefahren des Weichmachers DEHP (Di-ethyl-hexyl-Phthalat) ausgesetzt. Das ist das Ergebnis einer Studie, die der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) zusammen mit der internationalen Gesundheitsorganisation Health Care Without Harm (HCWH) vorgelegt hat. Der Schadstoff sei in medizinischen Produkten aus PVC wie Infusionsschläuchen und Blutbeuteln enthalten und könne den Hormonhaushalt und die Fortpflanzungsfähigkeit des Menschen schwer stören.

Phthalate - kaum jemand vermag den Namen auszusprechen - sind heute fast allgegenwärtig. Sie werden bei der Herstellung von Körperpflegemitteln ebenso wie bei der Textil-Verarbeitung eingesetzt. Doch meist finden sie sich als Weichmacher im PVC. In einer von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Studie der Universität Erlangen-Nürnberg, die im Januar 2004 veröffentlicht worden war, wurde aufgezeigt, daß vor allem Kinder größere Mengen aufnehmen. Phthalate gelangen vorwiegend mit der Nahrung und der Atemluft in unseren Körper.

"Was in Lippenstiften, Shampoos und Babyrasseln verboten ist, gehört auch nicht in Infusionsschläuche für Frühgeborene. Besonders Schwangere und Kleinkinder müssen unverzüglich vor giftigen Weichmachern in medizinischen Geräten geschützt werden," fordert Gerhard Timm vom BUND. Eine europäische Strategie zur Reduktion von DEHP-Weichmachern liege seit Jahren in der Schublade, werde aber auf Druck der Chemieindustrie zurückgehalten. "Die Bundesregierung soll sich dafür einsetzen, daß die EU-Richtlinie für medizinische Produkte geändert wird und giftige Weichmacher nicht mehr verwendet werden dürfen," fordert der BUND.

Untersucht wurde in der aktuell vorgelegten Studie der DEHP-Gehalt in 48 medizinischen Produkten, vor allem in Schläuchen und Beuteln für die Infusion von Sauerstoff, Blut, Nahrung und Medikamenten. Die Proben kamen meist aus Neugeborenen- und Kinder-Abteilungen von Kliniken in Deutschland, Frankreich, Österreich, Polen, Schweden, Spanien und der Tschechischen Republik. Mit einer Ausnahme enthielten alle der 40 getesteten Produkte aus PVC DEHP-Mengen von 17 bis 41 Prozent ihres Gewichts. Die Hälfte der Produkte stammt von Firmen mit Sitz in Deutschland, darunter B. Braun Melsungen, Dahlhausen, Fresenius und Galmed. Die Studie zeigt auch, daß einige Krankenhäuser in Österreich, Schweden, der Tschechischen Republik und den USA bereits begonnen haben, auf PVC-freie Produkte umzustellen.

DEHP ist bekannt für seine giftige Wirkung auf das Fortpflanzungs- system, vor allem beim männlichen Geschlecht. Es kann zu Veränderungen in den Hoden, verringerter Fruchtbarkeit und geringerer Spermienproduktion der Nachkommen führen. Auch Geburtsfehler und Fehlfunktionen in den Eierstöcken bei Mädchen wurden beobachtet. Neugeborene, Kinder vor der Pubertät und schwangere Frauen bilden die empfindlichste Patientengruppe.

"DEHP ist kein Einzelfall. Giftige Stoffe stecken in vielen Alltagsgegenständen, von der Regenjacke über Fastfood- Verpackungen bis zu Computergehäusen. Jedes Jahr werden Zehntausende von Chemikalien verarbeitet, über deren Gesundheits- und Umweltrisiken viel zu wenig bekannt ist. Selbst wenn sie sich nachweislich im Körper anreichern und Gesundheitsschäden verursachen, ist es schwer, sie zu verbieten. Die geplante Reform des europäischen Chemikalienrechts könnte das ändern, wenn die Politik sich nicht von der Wirtschaft einschüchtern ließe", meint Patricia Cameron, Chemieexpertin beim BUND.

Viele Kunststoffe wären in ihrer Reinform brüchig oder würden unter der Einwirkung des Sonnenlichts zerfallen. So werden sie häufig mit einem Cocktail von Zusatzstoffen versetzt, um Elastizität, Bruchsicherheit oder etwa UV-Beständigkeit zu erzielen. Besonders PVC (Polyvinylchlorid) ist ohne die Zutat von Weichmachern und optischen Stabilisatoren einer der minderwertigsten Kunststoffe.

PVC konnte sich gegen die seit rund 20 Jahren immer wieder anschwellenden Protestwellen von UmweltschützerInnen nur aus einem Grund auf dem Markt halten: Dessen Produktion ist für die chemische Industrie eine Art Mülldeponie. Überflüssiges Chlor kann auf diese Weise "entsorgt" werden, ohne daß es etwas kostet. Im Gegenteil: Es bringt sogar Gewinn.

Ein Großteil der chemischen Prozesse, die von der Industrie in Produktion und Raffinerie von Rohstoffen genutzt werden, basiert auf der Chlorchemie. Chlor hat dabei eine mit dem Katalysator vergleichbare Funktion und bleibt häufig in verschiedenen Verbindungen als unbrauchbares Nebenprodukt zurück. Müßten diese oft giftigen Chlorverbindungen aufwendig und kostenintensiv von der Ökosphäre abgeschirmt werden, würden weite Bereich der chemischen Industrie zusammenbrechen.

 

Klaus Schramm

 

Anmerkungen:

Die englische Fassung der Studie wird am Mittwoch, 23. Juni, von 'Health Care Without Harm' am Rande der 4. Ministerkonferenz für Umwelt und Gesundheit in Budapest vorgestellt.

Deutsche Zusammenfassung der Studie im Internet unter:
http://www.bund.net/lab/reddot2/pdf/higru_krankenhausstudie.pdf

Siehe auch unseren Artikel
    'Gefahren durch Kunststoffe' (9.04.04)

 

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