Heute gingen in Ägypten mehr als zwei Millionen Menschen auf die Straßen, um gegen die Diktatur Mubaraks zu demonstrieren. Bislang hält sich die ägyptische Armee gegenüber den DemonstrantInnen zurück. Doch dies könnte auf eine "Strategie der Gummizelle" hinauslaufen.
Die Zahl der DemonstrantInnen gegen die Mubarak-Diktatur wird allein in Kairo auf zwei Millionen geschätzt. Auch in den Städten Ismailija, Mansoura, Damietta, und Mahalla al-Kubra gingen Zehntausende auf der Straße, in Suez und Alexandria sogar Hunderttausende. In den westlichen Mainstream-Medien wird die "Eindämmungs-Strategie" des ägyptischen "Staatspräsidenten" Hosni Mubaraks als gescheitert bezeichnet. Hoffnung wird mit der offiziellen Position der Armee des Landes verknüpft: Diese bezeichnete die Forderungen der seit sechs Tagen gegen das Regime demonstrierenden Menschen als "legitim" und kündigte an, "keine Gewalt gegen das ägyptische Volk einzusetzen".
Doch wenn die Demonstrationen über längere Zeit fortgesetzt werden und Mubarak zugleich die Forderung nach seinem Rücktritt weiterhin ignoriert, könnte dies auf eine "Strategie der Gummizelle" hinauslaufen: Das Volk darf sich zwar austoben, kann aber keinen "Schaden" anrichten. Dies dürfte auch im Interesse der USA und der EU-Führungsmächte liegen, die von Mubarak nicht mehr als die Ankündigung von "mehr Demokratie" erwarten. Auch der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan schloß sich dieser wachsweichen Position heute in seiner wöchentlichen Ansprache vor dem Parlament an. Er riet Mubarak, der Forderung des Volkes nach demokratischem Wandel umgehend nachzukommen. Ebenso wie US-Präsident Barack Obama vermied er die Forderung nach einem Rücktritt Mubaraks.
Mubarak spielt nun auch die vorgegebene Rolle: Am Sonntag abend beauftragte er die von ihm eingesetzte Regierung angeblich, das politische System und die Verfassung umzugestalten. Es solle "künftig mehr Raum geben für die Beteiligung der Parteien am politischen Leben mit dem Ziel, eine freie demokratische Gesellschaft zu schaffen, wie dies alle Menschen wünschen," hieß es in einer Erklärung des Diktators. Im neuen Kabinett finden sich allerdings nur etwa ein Drittel neue Minister - wie bei der Vereidigung deutlich wurde. Treue Gefolgsleute blieben im Amt und die "Neuen" taten sich zuvor noch nie durch Opposition gegen Mubarak hervor. Die Mehrheit der ÄgypterInnen durchschaut diese Inszenierung als Spielen auf Zeit.
Daß das Mubarak-Regime auf der einen Seite die seit Tagen geltende Ausgangssperre auf 15 Uhr bis 8 Uhr morgens ausgedehnt hat, während das ägyptische Militär auf der anderen Seite die alltäglichen Groß-Demontrationen duldet, nährt bei der Bevölkerung die Illusion, das Militär werde sich auf die Seite des Umsturzes stellen und letztlich Mubarak nach tunesischem Vorbild zur Flucht aus Ägypten zwingen. Aus den Reihen der DemonstrantInnen dringt immer öfter der Ruf, das Militär müsse sich für eine der beiden Seiten entscheiden, für Mubarak oder für die Demokratie-Bewegung. Doch das Militär hat sich offenbar bereits entschieden. Darauf deutet nicht nur die erkennbare Strategie, sondern auch ein kurzer Ausflug des Generalstabschefs der ägyptischen Armee Sami Hafis Enan, der - von den Mainstream-Medien ignoriert - am Samstag nach einem Besuch in den USA in Kairo eintraf. Und viele ÄgypterInnen hoffen, der Erfolg werde ihnen in den Schoß fallen. So meinte etwa der ägyptische Universitäts-Professor Safwan Kehr bei der heutigen Demo auf dem Kairoer Tahrir-Platz: "Es ist jetzt nur noch eine Frage der Zeit."
Die Legende um die "Wiedervereinigung" Deutschlands und eine "gewaltfreie Revolution" in den Straßen der DDR hat über Europa hinaus die Illusion verbreitet, allein mit Demonstrationen könne eine Diktatur gestürzt werden. Dabei hat sich nicht zuletzt in Deutschland beim Massenprotest gegen "Stuttgart 21" und ebenso bei wiederholten kurzen Generalstreiks in Frankreich im vergangenen Jahr gezeigt, daß selbst in parlamentarischen Demokratien so nichts auszurichten ist. Dies ist jedoch kein Argument gegen den gewaltfreien Kampf, denn dieser hat sich - sobald er gesellschaftlich organisiert ist - geschichtlich bereits des öfteren als effektiv erwiesen. Allein ein unbefristeter Generalstreik würde genügen, das Kapital zu zwingen, die schützende Hand von Mubarak abzuziehen. Mehr als eine parlamentarische Demokratie nach westlichem Standard kann so zwar vorerst nicht erreicht werden. Doch dies wäre für Ägypten ein großer Fortschritt.
Anmerkungen
Siehe auch:
US-Regierung stützt Mubarak
Militärdiktatur ist Plan B (30.01.11)
Chancen für Demokratie
in Tunesien? (15.01.11)
Schein-Wahl in Ägypten
Offenbarungseid für Barack Obama (2.12.10)
Obama stärkt Diktatur
Waffen-Deal für 60 Milliarden US-Dollar eingefädelt (14.09.10)
Manipulation bei der Präsidentschaftswahl im Iran?
(20.06.09)
Barack Obama und das Nadelöhr
... anderes zu erwarten als von Bush? (6.10.08)
Verfassungs-Referendum in Ägypten:
Mehrheit für Demokratie
Mubarak zu 82 Prozent für Mubarak (29.05.05)