Der baden-württembergische NSU-Untersuchungsausschuß scheint wider alle Erwartungen doch noch Licht in die Hintergründe des Mordes an der Polizistin Michele Kiesewetter bringen zu können. Ein wichtiger Zeuge, Florian Heilig, der nachweislich bereits Monate vor dem Tod der beiden mutmaßlichen NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt am 4. November 2011 gesagt hatte, Neo-Nazis seien für den Tod der Polizistin verantwortlich, verbrannte 2013 in seinem Auto - wenige Stunden vor einem verabredeten Termin beim baden-württembergischen Landeskriminalamt. Ein Fahrlehrer sagte nun aus, am Auto einen zweiten Mann gesehen zu haben.
Verdächtig schnell war damals die baden-württembergische Polizei mit der Erklärung bei der Hand, Florian Heilig habe sein Auto am 16. September 2013 selbst in Brand gesteckt - es sei Selbstmord aus Liebeskummer gewesen. Wichtigstes Argument hierbei: Zwei Zeugen, die das Fahrzeug in den Minuten vor der Explosion sahen, hätten keine weiteren Personen beobachtet. Der Hinweis auf den "Liebeskummer" hatte sich schon innerhalb kürzester Zeit als frei erfunden herausgestellt. Die vorschnelle Erklärung des Todesfalles als Suizid verbaute damals den Weg für weitere Ermittlungen.
Heute sagte nun ein Fahrlehrer, der bereits im September 2013 als Zeuge vernommen worden war, vor dem Untersuchungsausschuß aus: Er habe an jenem Morgen in dem Wagen eine Person gesehen und angenommen, sie schlafe. Hinter dem Auto sei ein zweiter Mann gestanden, der rauchte.
Auf Fragen von Ausschuß-Mitgliedern konnte der 58-jährige Fahrlehrer seine Aussage nicht weiter präzisieren - "Das ist einfach zu lange her!" erklärte er. Dies läßt allerdings darauf schließen, daß es sich nicht um einen Zeugen handelt, der sich nur wichtig machen will. Und wie kaum anders zu erwarten, mußten auch so absurde Spekulationen ungeklärt bleiben bleiben, wie etwa die, ob Florian Heilig möglicherweise selbst rauchend neben seinem Auto stand und die Person im Auto sein Mörder war, der erst ein Nickerchen halten wollte.
Die Aussage des Zeugen unterschied sich auffällig von der damals im Protokoll notierten - auf der seltsamer Weise zudem der Name nicht verzeichnet worden war. Die Polizistin, die den Fahrlehrer damals befragt hatte, sagte heute (Montag, 13. April 2015) aus, der Zeuge habe damals "keine sachdienlichen Angaben" gemacht. Auf den Vorhalt eines Ausschuß-Mitglieds, warum sie den Namen nicht notiert habe, gab sie an, sie habe vergessen, den Namen aus ihrem Notizbuch in das Protokoll zu übertragen - das Notizbuch habe sie allerdings nicht aufbewahrt. "Im Nachhinein war das ein Fehler," räumte sie nun ein.
Während die Polizei im Falle eines Polizisten-Mordes ansonsten die Ermittlungen mit höchster Priorität betreibt, ist das Verhalten im Fall des Kiesewetter-Mordes zumindest merkwürdig. "Das kann ich nicht sagen" – "Darüber habe ich mir keine Gedanken gemacht" – "Dazu werde ich nichts sagen" – "Ich war nicht zuständig" – "Ich kann nicht sagen, warum das so ist, aber bei uns ist das gängige Praxis" – "Dafür gibt es auch eine Verwaltungsvorschrift" – von dieser Art waren auffällig viele der Antworten der heute befragten ErmittlerInnen, die an der Aufklärung Todes des Zeugen Florian Heilig beteiligt waren. Und zumindest merkwürdig ist zudem, daß ausgerechnet ein Polizist - der in Verbindung mit dem baden-württembergischen Ku-Klux-Klan-Ableger stand, der wiederum nachweislich personelle Verbindungen zur NSU-Terror-Bande hatte - eingeteilt wurde, um Familie Heilig die Nachricht vom Tod ihres Sohnes zu überbringen.
Die Befragungen weiterer Beamter vor dem Untersuchungsausschuß erbrachten keine neuen Erkenntnisse - allerdings ein reichlich seltsames Bild vom "Eifer", mit dem die Ermittlungen betrieben oder nicht betrieben wurden. Der damals ermittlungsführende Polizei-Beamte konnte sich auf sein Recht zur Aussage-Verweigung berufen, da gegen ihn derzeit ein Disziplinarverfahren anhängig ist. Dieses muß wohl irgend etwas mit dem Fall Florian Heilig und Michele Kiesewetter zu tun haben.
Eine Kriminalhauptkommissarin, die nach eigener Aussage nur "mehr oder weniger zufällig" anwesend war und zusammen mit fünf oder sechs BeamtInnen am Morgen des 16. September 2013 vor Ort am Rand des Cannstatter Wasens herumstand, erklärte, sie habe mit Rücksicht auf die noch anstehende Untersuchung des Brandexperten den ausgebrannten Kleinwagen nur oberflächlich nach Schlüssel und Geldbörse untersucht. Daß der nicht aufgefundene Fahrzeugschlüssel ein Indiz für Mord ist, blieb dabei anscheinend außen vor. Der Brandsachverständige, ein Chemiker und Beamter des Landeskriminalamtes, wiederum erklärte, seine Aufgabe habe ausschließlich in der Feststellung der Brandursache bestanden - er habe seine KollegInnen jedoch auf Gegenstände aufmerksam gemacht.
Die Eltern Florian Heiligs hatte das ausgebrannte Wrack, das schon ohne ihr Einverständnis für die Übergabe an einen Schrotthändler vorgesehen war, abgeholt und in einer Garage deponiert. Sie glauben nicht an einen Selbstmord ihres Sohnes. Bei einer Suche im Wrack fand die Schwester Florian Heiligs einen Schlüsselbund, ein Handy, ein Laptop und weitere Gegenstände.
Ebenfalls heute wurde eine Frau im nichtöffentlichen Teil befragt, die offenbar von sich selbst sagt, sie habe mit Florian Heilig bis zu dessen Tod eine intime Beziehung unterhalten. Aus dieser Befragung sind widersprüchliche Angaben durchgesickert. Bestätigt aber soll sie haben, daß Florian Heilig bereits im Sommer 2011 davon sprach, daß der NSU die Polizistin umgebracht habe. Weiter soll auch sie es für ausgeschlossen halten, daß sich Florian Heilig selbst tötete.
Die Freundin Florian Heiligs, Melisa Marijanovic, die am 13. März vom baden-württembergischen NSU-Untersuchungsausschuß ebenfalls im nichtöffentlichen Teil befragt worden war, ist inzwischen tot - ebenso wie ein dritter NSU-Zeuge, der im März 2014 unter dubiosen Umständen ums Leben. Laut ersten Ermittlungsergebnissen starb die 20-Jährige am 28. März an einer Lungenembolie. Vier Tage zuvor hatte sie sich eine Prellung im Knie zugezogen. Weitere Analysen wurden laut Staatsanwaltschaft angeordnet. Es werde nun untersucht, ob eine Vergiftung vorliegt. (Siehe unseren Artikel v. 30.03.15).
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
NSU-Zeugin tot
Jetzt sind es drei (30.03.15)
NSU-DVD von 2005 aufgetaucht
Geheimdienste angeblich ahnungslos (1.10.14)
Thüringer NSU-Ausschuß
Neo-Nazi-Verbindungen im Fall Kiesewetter (10.03.14)
Fahndung nach Neo-Nazi-Terror-Bande
im Juni 2003 abgeblockt
"Kriegen Sie da nichts raus!" (10.12.13)
NSU-Zeuge im Auto verbrannt
Wurde Florian Heilig ermordet? (12.10.13)
Gehörten V-Leute zu NSU?
Geheime Liste mit 129 Personen (24.03.13)
Brisante NSU-Listen mit Kontakt-Daten
15 Jahre lang verschwunden (1.03.13)
Experte Hajo Funke:
NSU bestand aus mehr als 3 Personen (25.01.13)
NSU und Behörden
Schlamperei oder Beihilfe zum Terror? (4.08.12)
Polizei und Ku-Klux-Klan
Kollegen von Kiesewetter waren Mitglied (31.07.12)
4. November 2011: Wer versuchte
Beate Z. anzurufen?
Telefon-Nummer aus dem
Sächsische Staatsministerium des Innern (30.05.12)
Neue Hinweise auf staatliche Beihilfe
für Neonazi-Terrorbande (12.02.12)
Standen staatliche Organe
hinter der Neonazi-Terrorbande NSU? (30.01.12)
Neonazi-Terrorbande
Beate Z. wurde 2007 polizeilich vernommen (29.01.12)
Neonazi-Terrorbande
"Verfassungsschutz" war detailliert informiert (31.12.11)
Weitere Hinweise auf Terror-Beihilfe:
Kontakt im Jahr 1999 (22.12.11)
Weitere Hinweise auf Terror-Beihilfe
durch Staatsorgane (20.12.11)
Wie kam die Neonazi-Terrorbande
zu gefälschten Pässen? (18.12.11)
Neonazi-Terrorbande
Die Spur führ nach Ludwigshafen (17.12.11)
Bericht eines US-Geheimdienstes:
Deutsche Agenten in Mord an Polizistin verwickelt (30.11.11)
Neonazi-Zelle für versuchten
Terror-Anschlag 1997 verantwortlich?
Viele Hinweise auf Geheimdienst-Verwicklung (20.11.11)
Festnahme der Neonazi-Zelle 1999 gestoppt
Befehl von "oben" (18.11.11)
V-Mann "Kleiner Adolf"
war in Kassel bei Mord zugegen (15.11.11)
Neonazi-Terroristen
Pässe vom Geheimdienst? (13.11.11)