Im stern (Heft 8/ 2001) kommentiert Arno
Luik die ARD-Sendung vom 8. Februar (vgl. unser Artikel zu den Lügen der rot-grünen
Bundesregierung). Seine entscheidende Frage: Warum bleibt
das alles folgenlos?
1999 zog die Bundesrepublik zum ersten Mal in den Krieg - unter
Bruch des Grundgesetzes und des Völkerrechts. Arno Luik über
eine ARD-Dokumentation, die zeigt: Die Regierung hat im
Kosovokrieg ihre Bürger belogen.
Es gibt sie noch, die Sternstunden im deutschen Fernsehen - zum
Beispiel vergangenen Donnerstag. "Die Story" hieß der Film, und
es war eine ARD-Dokumentation über den Kosovokrieg: "Am
Anfang war die Lüge".
Zur Erinnerung: Vor knapp zwei Jahren
begann der Kosovokrieg. Die Teilnahme daran war die erste
außenpolitische Tat der neuen rot-grünen Bundesregierung. Und es
war das erste Mal seit 1939, dass deutsche Soldaten wieder in den
Kampf zogen:
"Hätte jemand (noch im Jahr 1998) angekündigt",
schrieb damals der "SZ"-Journalist Heribert Prantl, "dass ein
sozial- demokratischer Kanzler, ein grüner Außenminister und ein
sozialdemokratischer Verteidigungsminister den Kampfeinsatz der
Bundeswehr gegen einen souveränen Staat befehlen würden, man
hätte ihn ins Narrenhaus gebracht."
Narrenhaus? Aber dieser Krieg
war ja gar kein Krieg.
"Liebe Mitbürger und Mitbürgerinnen",
erklärte Bundeskanzler Gerhard Schröder am 24. März in bestem
Orwell-Deutsch: "Heute Abend hat die Nato mit Luftschlägen gegen
militärische Ziele in Jugoslawien begonnen... Wir führen keinen
Krieg."
Vier Wochen später, es fielen längst Bomben auf Belgrad,
wiederholte Fischer: "Wir führen keinen Krieg, wir leisten
Widerstand, verteidigen Menschenrechte, Freiheit und
Demokratie."
Ja, war das so? War es ein gerechter Kampf der Guten gegen das
Böse? Musste man Milosevic - der ohne Zweifel massiv und brutal
gegen die Kosovo-Albaner vorgegangen war - mit Bomben
kommen?
Ja, sicher, sagte die Regierung, und damit das glaubhaft
klang, tischten die Minister ihren Bürgern viele Geschichten auf,
zeigten viele Bilder. Und kamen mit Moral, vor allem Moral, die
jeden Zweifler als bösen Buben abstempelte. Mit Auschwitz
verglich Fischer die serbische Brutalität; er sprach "von der
Deportation eines ganzen Volkes mit verbrecherischen Mitteln".
Beweise dafür - keine.
Scharping sprach von "Völkermord", der "im
Gange" sei. Er sprach von "schwangeren Frauen mit
aufgeschlitztem Unterleib", von "Konzentrationslagern im Norden
von Pristina". Beweise dafür - keine.
Oder doch - es gab ja diese
Bilder. Zum Beispiel von zwei besonders blutigen Episoden. Sie vor
allem dienten als moralische Rechtfertigung für den militärischen
Draufschlag: die Massaker von Racak und von Rugovo.
Doch beide
Massaker, das enthüllten nun mehrere Untersuchungen, haben so
nicht stattgefunden, Anzeichen für Massenhinrichtungen waren
nicht festzustellen.
Im Klartext: Die meisten Geschichten, die
erzählt wurden, waren erfunden, die meisten Bilder manipuliert.
Fischer und Scharping haben ihre Bürger beschwindelt, belogen
und betrogen. Man kann es auch feiner ausdrücken: Sie betrieben
eine perfekte Desinformationspolitik.
Gut, könnte man nonchalant
sagen, im Krieg bleibt als Erstes die Wahrheit auf der Strecke, das
war schon immer so. Aber kann man sich mit solchem Zynismus
abfinden?
Was für eine Bedeutung hat der Kosovokrieg (der
bekanntermaßen gegen UN-Recht verstieß und gegen die eigene
Verfassung sowieso) für das Selbstverständnis der Nato, die neue
Weltordnung? Sind solche Einsätze in Zukunft selbstverständlich,
wandelt sich das Verteidigungsbündnis in eine globale
Interventionsmacht? Das sind Fragen, über die zu diskutieren ist.
Eine profanere, gleichwohl ebenso wichtige Frage ist: Wie und
warum hat die Bundesregierung ihre Bürger so belogen? Und:
Warum regt das niemanden auf? Warum blieb die ARD-Sendung
bisher folgenlos? Warum muss niemand Konsequenzen ziehen?
Wundersames gab es in der Dokumentation "Am Anfang war die
Lüge" zu sehen. Man konnte zuschauen, wie ein Minister Märchen
erzählt, die physikalische Gesetzmäßigkeiten außer Kraft setzen.
Weil er es nicht besser weiß? Weil er es nicht besser wissen will?
Wie auch immer: Im Kosovokrieg ließ Scharping eine Broschüre
auflegen, in der er detailliert die angeblichen Gräuel der Serben
auflistete. Etwa wie tückisch die Serben in einem kleinen Dorf
Häuser der Kosovo-Albaner zerstört hätten: "Zunächst stellt man
(also die Serben) eine brennende Kerze auf den Dachboden, und
dann öffnet man im Keller den Gashahn."
Dörfer wurden zerbombt,
Häuser gesprengt - das ist unbestritten. Warum aber fühlte
Scharping sich gezwungen zu lügen?
Das ARD-Team war in jenem
Dorf, sprach mit den Bewohnern, keiner hat erlebt, dass auf diese
Weise Häuser zerstört wurden. Ein UCK-Kämpfer: "So gerieten
unsere Häuser nicht in Brand."
Rudolf Scharping wird von der ARD
mit den Zweifeln konfrontiert:
"Welche Zweifel sind das?"
"Dass
man im Keller den Gashahn aufdreht und auf dem Dachboden eine
Kerze aufstellt. Das funktioniert nicht."
"Ja?"
"Ja, es funktioniert
nicht, weder chemisch, physisch, überhaupt nicht. Das weiß jeder
Oberbrandmeister. Das ist also eine Information, die Ihnen
zugetragen worden ist, die nicht korrekt ist."
"Dann würde ich Ihnen
raten, diesen Test nochmals zu machen. Aber nicht mit einem
Gashahn im Keller, sondern mit einer Flasche."
"Beides
funktioniert nicht."
"Ja?"
Der Minister starrt. Er sitzt da und stiert,
indigniert. Die Gesetze der Physik? Propangas ist schwerer als
Luft? Warum hat ihm das keiner erzählt?
Eine andere Lüge: Am 27. April 1999 gibt Rudolf Scharping eine
Pressekonferenz, und er hält bunte Aufnahmen in die Luft - überall
Blut, Tote, Leichen. Das Massaker von Rugovo. "Ich muss mir
große Mühe geben", sagt Scharping bei der Präsentation dieser
Bilder, "dies in einem Ton zu schildern, der nicht gewissermaßen
zur Explosion führt": Es sind schreckliche Bilder, und Scharping
weiß, wie sie wirken, dass sie eine hohe emotionale Wucht haben.
Sie erschüttern ja ihn, den Minister, zutiefst - sagt er. Er hält die
Bilder hoch, weiß, dass diese Aufnahmen schon drei Monate alt
sind, dass sie manipuliert sind, nicht zeigen, was sie zeigen
sollen. Scharping, der Schauspieler.
Ein OSZE-Mitarbeiter war am
angeblichen Tatort: der deutsche Polizist Henning Hensch. Und in
der ARD-Dokumentation widerspricht er seinem Minister, er habe
ihn darauf hingewiesen, dass die Aufnahmen kein Massaker
zeigen. Dass die vorgeblich hingerichteten Zivilisten im Gefecht
gefallene UCK-Kämpfer sind. Er selbst habe die Toten von
verschiedenen Tatorten zusammengetragen. Henning Hensch: "Die
Leichen sind von mir und meinen beiden russischen Kollegen
abgelegt worden."
"Noch nie haben so wenige so viele so gründlich
belogen wie im Zusammenhang mit dem Kosovokrieg", sagte der
CDU-Abgeordnete Willy Wimmer, der auch lange Vizepräsident der
Parlamentarischen Versammlung der OSZE war, schon vor einem
Jahr. Zwar heile, so Wimmer, die Zeit die Wunden: "Doch Gerhard
Schröder, Joseph Fischer und Rudolf Scharping dürfen auf das
Tröstliche dieses Satzes nicht hoffen. Der Krieg gegen Jugoslawien
wird sie so oder so einholen."
Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht.
Knapp zwei Jahre nach dem Krieg herrscht immer noch ein
merkwürdiger Unwille, sich mit ihm auseinander zu setzen, den
Zweifeln, Fragen, Ungereimtheiten nachzugehen.
Warum diese
Zurückhaltung? Da sind offenkundig Minister, die gelogen haben,
immer noch lügen - und keine Konsequenzen ziehen. Dafür aber
Kritiker des Krieges abservieren.
Zum Beispiel den General Heinz
Loquai. Er hat verschiedene Tricksereien der Regierung
aufgedeckt, nachgewiesen, dass etwa der "Hufeisenplan"
(angeblicher Beweis, dass die Serben lange vor den
Bombardierungen "die systematische Vertreibung" der Albaner
geplant hätten) eine rein deutsche Erfindung war. Heinz Loquai
zieht in der ARD-Dokumentation eine bittere Bilanz: "Man hat in
der Vergangenheit der deutschen Generalität oft den Vorwurf
gemacht, dass sie dort geschwiegen hat, wo sie etwas hätte
sagen sollen. Ich wollte in dieser Sache etwas sagen und
Manipulationen und Propaganda nicht als so etwas stehen lassen."
Er wurde gefeuert - von der rot-grünen Regierung.
Zum Schluss
noch ein Satz (er ist ein paar Jahre alt) von Joschka Fischer: "Ich
wünsche mir, dass unsere Partei die Kraft hat, dass dort genügend
Pazifisten sitzen, um eine andere, friedensbezogenere
Außenpolitik ohne Militär machen zu können."
Arno Luik
Quelle: Kommentar in stern 08/2001