Der Artikel "Dem Ton auf der Spur" aus der
'Badischen Zeitung' vom 16.06.2009:
Dem Ton auf der Spur
Nur das Verwaltungsgebäude der Kalkfabrik ist aus den vergangenen Zeiten übrig geblieben. Wenige Meter entfernt führt ein schmaler Weg hinein in den wolkenverhangenen Berg. Drinnen versuchen sie einen Blick in die Zukunft, mit Hightech von höchster Qualität. 50 staatliche Forschungsinstitute und ebenso viele Einrichtungen von Unternehmen aus aller Welt sammeln in diesem Stollen im Schweizer Jura Wissen und Erfahrung über das Wesen der Steine.
Die Fahrt geht einige hundert Meter in den Berg, die einbahnige Röhre dient als Fluchtweg für den neuen Autobahntunnel durch den Jura. Es ist feucht, in Pfützen hat sich Wasser gesammelt, das aufspritzt, wenn der Kleinbus durch fährt. Es tropft von der Wand, es riecht leicht modrig. Tunnelluft eben. Doch dann wird der Weg von einem Meter zum nächsten trocken, die Wände verändern ihr Aussehen, es riecht nach Zement.
Paul Bossart steigt aus dem Kleinbus und drückt seine Handfläche gegen die Wand: "Trocken!". Er versucht gar nicht erst, den triumphalen Unterton zu unterdrücken. Trocken, darauf kommt es an. Weil das nicht selbstverständlich ist an diesem Ort, geht er zu einem Riss in der Tunnelwand. Er steckt seinen Finger hinein und stellt zufrieden fest: "Trocken". Man muss wohl Geologe sein wie Bossart, um die Bedeutung dieses Wortes richtig einzuordnen.
Nur hier ist es trocken. Deshalb stehen in den vielen Seitenstollen auch die Messgeräte von der Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) aus der Schweiz, der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) aus Deutschland oder der Japan Atomic Energy Agency aus Japan. Bossart ist so etwas wie der oberste Steinforscher; er ist der Leiter des Felslabors und überwacht für die Institute die Versuche.
Sie alle wollen ins Felslabor im Mont Terri, denn sie alle stehen vor einer bedeutenden Frage für die Zukunft: Wohin mit dem strahlenden Abfall aus den Atomkraftwerken? Im Mont Terri unweit von Delémont hoffen sie eine Antwort zu finden. Eine Antwort, die alle Zweifel ausgeräumt, die es nach wie vor mit der Endlagerung des strahlenden Mülls gibt.
Wie soll das gehen, radioaktiven Abfall wegzuschließen für 200 000 Jahre? Wegzuschließen über einen Zeitraum, in dem es zu Kriegen und Erdbeben kommen könnte, zu einer neuen Eiszeit oder einer Völkerwanderung? Doch der Atommüll ist vorhanden, er liegt sozusagen vor der Tür, wie Markus Fritschi betont. Fritschi ist Direktor jener Gesellschaft namens Nagra, die mit der sicheren Lagerung des Atommülls beauftragt ist.
Markus Fritschi, Narga, im Felslabor Mont TerriMarkus Fritschi (rechts), Narga, und Paul Bossart im Felslabor Mont Terri Foto: Franz Schmider
Am Eingang des Tunnels steht ein großes Schild, darauf ist ein gelbes Fass mit dem Atomzeichen abgebildet. Das Fass ist durchgestrichen. Ohne die vertragliche Zusage, dass in diesem Tunnel im Mont Terri kein Atommüll gelagert werden darf, hätte der Kanton Jura nie die Genehmigung für den Betrieb des Felslabors gegeben.
Man wollte auf jeden Fall verhindern, dass Fakten geschaffen werden und durch die Hintertür ein Endlagerstandort geschaffen wird. In Gorleben ist erneut der Verdacht entstanden, dass aus dem genehmigten Probestollen im Salzstock de facto längst ein Endlagerplatz geworden ist.
Im ehemaligen Verwaltungsgebäude der Kalkfabrik zeigt Markus Fritschi ein paar Steine, die es in sich haben. Sie stammen aus diesem Berg und aus anderen Probebohrungen, aber man findet sie nicht gerade jeden Tag. Einiges kann man sehen, eingeschlossene Tintenfische zum Beispiel. Tiere, deren Mageninhalt sich bestimmen lässt, obwohl sie seit mehreren Millionen Jahren tot sind. Ein Fossil, dessen Perlmuttpanzer komplett erhalten ist, 180 Millionen Jahre alt. Und dann zeigt er etwas, was man mit bloßem Auge nicht sehen kann: Den Querschnitt durch einen Stein, wie man ihn im Stollen des Mont Terri findet, aufgenommen mit dem Elektronenmikroskop. Es sieht aus wie ein Papierstapel. Das ist das Besondere dieses Tongesteins.
Opalinuston ist entstanden aus den ganz dünnen Sedimentablagerungen am Boden des Meeres, das sich vor 150 Millionen Jahren vom Nordpol bis zur Afrikanischen Platte erstreckte. Dann faltete sich die Eurasische Platte, die Alpen türmten sich auf, verdrängten das Wasser. Über die vielen hauchdünnen Sedimentschichten schoben sich Gletscher, sie hinterließen Steine und Geröll, es wurde heiß und kalt, dann wuchs Gras drüber, an anderen Stellen gruben sich Flüsse tief in die Berge hinein. Die Landschaft wurde modelliert. "Wir haben in einer Gesteinsprobe Wasser gefunden. Salzwassermoleküle. Eingeschlossen seit 6,5 Millionen Jahren." Fritschi wartet einen Moment, ehe er weiterredet. Denn auf diesen Fund kommt es an. Seit 6,5 Millionen Jahren ist durch den Stein kein Wasser geflossen. Es hätte das Salzwasser ausgewaschen oder zumindest verdünnt. Nichts schließt so fest ein wie Opalinuston. Weil die dünnen Sedimentschichten aufquellen, sobald sie feucht werden. Dadurch werden die Zwischenräume abgedichtet, das Gestein verschießt sich vom Rand her selbst. Was einmal drin ist, kommt nicht mehr raus. Einen solchen Tresor hat die Nagra gesucht. Seine Eigenschaften werden nun im Mont Terri genauer untersucht.
Wer kann schon über 200 000 Jahren planen?
Drinnen im Berg wollen sie beweisen, dass der Opalinuston dicht ist. Und sie wollen genauer verstehen, wie es dazu kommt. Zum Beispiel wird ermittelt, in welcher Geschwindigkeit ein Molekül durch einen Stein wandert, sollte es doch einmal aus einem Tank entweichen. Dazu haben Wissenschaftler ein dünnes Loch in den Berg gebohrt. Über feine Kanäle lassen sie radioaktive Isotope austreten. Nach einem Jahr wird eine Scheibe von 40 Zentimetern Durchmesser um den dünnen Kanal herausgeschnitten. Dann lässt sich für jedes Isotop ablesen, wie schnell es durch den Stein wandert. Auch lässt sich ermitteln, wie gut der Ton die Wärme leitet, wie sich die Gesteinsstruktur bei welcher Temperatur verändert. "Auf mehr als 95 Grad sollte sich der Ton über einen längeren Zeitraum nicht erwärmen", sagt Bossart, "sonst verändern sich die Quellfähigkeit und damit Selbstabdichtungseigenschaften." Bossart ist überzeugt, dass Opalinuston besser als Granit oder jedes andere in der Schweiz anzutreffende Gestein geeignet ist, ein Endlager für Atommüll aufzunehmen.
Als der Schweizer Umweltminister Moritz Leuenberger unlängst in Berlin seinen Kollegen Sigmar Gabriel besuchte, bekam er viel Anerkennung. So, wie die Schweiz nach einem Endlager suche, so stelle er sich das auch für Deutschland vor, meinte Gabriel. Zuerst ermitteln, welches das beste Gestein ist, dann suchen, wo man es findet und erst dann festlegen, welches der ideale Standort ist.
Deutschland hat sich früh auf Salz festgelegt, die Schweiz hat drei Formationen in die engere Auswahl genommen und kam zum Ergebnis, dass Opalinuston die besten Eigenschaften mitbringt. "Generell ist Opalinuston von seinen Eigenschaften her sicher ein denkbares Wirtgestein", sagt auch Beate Kallenbach-Herbert vom Öko-Institut in Darmstadt. Noch vor einigen Jahren hatte das Öko-Institut das Schweizer Vorgehen kritisiert, diese Kritik nun jedoch zurückgezogen.
In einem zweiten Schritt hat die Nagra alle Opalinustonschichten ermittelt und dann jene ausgeschlossen, die in einer Erdbebenzone oder nicht tief genug liegen und die nicht groß genug sind. Denn die einzelnen Lagerstätten müssen weit genug voneinander entfernt liegen. Geblieben sind sechs Standorte, die in den kommenden Jahren genauer untersucht werden, drei davon (Bözberg, Nördlich Lägern, Zürcher Weinland) für den hochaktiven Atommüll.
Auch dieses Vorgehen ist aus Sicht des Öko-Instituts beispielhaft. "Das Verfahren ist sinnvoll und transparent", sagt Beate Kallenberg-Herbert. Vor allem sind von Anfang an klare Kriterien festgehalten, nach denen die Suche erfolgt, während es in Deutschland keine Verfahrensregeln gibt, um nach einem Atommüllendlager zu suchen. Stattdessen gibt es einen Vorschlag, einen Antrag und dann eine Genehmigung. Oder nicht.
Von einer Genehmigung für einen bestimmten Standort spricht Fritschi noch nicht, die ersten Müllbehälter sollen 2030 eingelagert werden. Bis dahin wird noch viel diskutiert. Und noch viele Fragen müssen geklärt werden, das weiß gerade Paul Bossart. Soll denn der Müll so vergraben werden, dass man nie mehr an ihn herankommt? Oder soll er zu einer späteren Zeit wieder entnommen werden können? Zum Beispiel, weil in 200 Jahren neue technische Möglichkeiten bestehen, aus dem strahlenden Müll neue Energie zu gewinnen? Eine Technologie zu finden, die beide Möglichkeiten eröffnet, gehört zu den Experimenten in den trockenen Röhren im Mont Terri.