Lichter, Atomkraftwerke und heiße Flüsse
Der frühere baden-württembergische Ministerpräsident Hans Filbinger, der dankenswerter Weise zu seinem bald
neunzig-jährigen Geburtstag1 wieder herumgeistert und jenseits der normierten Pfade staatlicher
Gedenk-Arbeit zu
erfrischender Geschichts-Erfahrung beiträgt, hat offenbar auch bei der EnBW alte Reminiszenzen und Luminiszenzen
wachgerufen.
1975 hatte unser Prophet Filbinger gemahnt, daß uns (und vielleicht hatte er sich dabei ans Lebenslicht des Matrosen
Walter Gröger erinnert) das Licht ausgehen werde, sollten sich der Widerstand gegen das geplante AKW Wyhl nicht
brechen lassen. Schon damals ging vielen ein Licht auf und dem folgte 1978 ein geradezu aufklärerisches Leuchten,
als einiges über Filbingers Wirken in der Nazizeit ans Licht kam und unserem "Landesfürsten" Beine gemacht wurden.
Nun hat das große Licht am Firmament uns einen heißen Sommer und Wasserknappheit beschert. Die Niedrigstände
von Neckar und Rhein erzwangen das Herunterfahren der AKWs und in Folge dessen eine Minderung der Profite. Und
um bei der Landesregierung Sondergenehmigungen zu ergattern, erklang in memoriam filbingensis und in alter
Verbundenheit von Seiten der EnBW (obwohl sie ja inzwischen zu einem Drittel der französischen EDF gehört) vor
wenigen Tagen die vertraute Weise von den ausgehenden Lichtern. Die Tatsache, daß genügend Kapazitäten
vorhanden wären, um sämtliche 19 AKWs abzuschalten, ohne daß irgendwelche Versorgungsknappheit - außer auf
dem Konto von EnBW - zustande käme, spielte bei solch reflexhaften, larmoyanten Äußerungen noch nie eine Rolle.
Immerhin widersprach die halbwegs seriöse VDEW, die übrigens alljährlich die gesamtdeutschen Stromkapazitäten,
Produktions- und Verbrauchszahlen akkurat auflistet, und bescheinigte eine stabile Versorgungslage. Dennoch wurde
heute - und offensichtlich einzig und allein zur ungeschmälerten Versorgung des EnBW-Kontos - eine
Ausnahmegenehmigung von Seiten der Landesregierung erteilt.
Während sich unser heutiger Ministerpräsident künstlich über Windkrafträder echauffiert, hat er offenbar
Gefallen an gekochtem Fisch. Die baden-württembergischen AKWs mußten bereits auf 80 Prozent ihrer
Leistung heruntergefahren werden, um die Flüsse nicht über die gesetzliche Höchsttemperatur hinaus aufzuheizen.
Um die AKWs jetzt nicht noch weiter herunterfahren oder gar abschalten zu müssen, werden flugs
Ausnahmegenehmigungen erteilt.
Nun ist es aber so, daß die Atom-Aufsicht beim Bund und daher bei Atom-Minister Trittin liegt. Das bringt diesen nun
wiederum arg in die Bredouille. Denn wenn bekannt würde, daß er nach Recht und Gesetz einschreiten müßte, würde
sein grünes Tarnmäntelchen noch fadenscheiniger werden als es schon ist. Denn da gibt es ein unschönes "rechtliches
Problem": Da die Vorschriften über die Wassertemperaturen Bestandteil der Genehmigungsverfahren und der
Betriebserlaubnis sind, dürfen sie nicht nach Belieben durch Ausnahmegenehmigungen außer Kraft gesetzt werden.
Zuvor müßte ein atomrechtliches Änderungsverfahrens mit den im Rechtsstaat üblichen Einspruchsmögichkeiten
eingeleitet werden. Und so etwas dauert seine Zeit und würde für diesen Sommer nichts mehr nützen.
Aber was machen schon ein paar Grad Celsius, meint da mein Nachbar, der Ingenieur. Er kenne einige Hausfrauen, die
auch mal einen explodierenden Dampfkochtopf überlebt hätten. Auf meine Frage, ob es denn nicht immer geheißen habe,
Dampfkochtöpfe könnten konstruktionsbedingt gar nicht explodieren, zuckte er nur verächtlich die Schultern...
Ich halte mich da eher an die Erkenntnis, daß alle Buchstaben auf dem Papier weicher als Wachs in der Sonne seien,
wenn - ja wenn Geld seine magische Anziehungskraft ausstrahlt. Und so mag mensch auch selbst eigene
Schlußfolgerungen über die ach so unvergleichliche Sicherheit deutscher AKWs ziehen. Von den Propheten absoluter
Versorgungssicherheit, die immer nur nach dem billigen Uran anderer Länder schielten, aber nie an Niedrigwasser dachten,
ganz zu schweigen.
Klaus Schramm
Anmerkung:
1 Siehe auch unseren Artikel:
'Ist Freiburgs "grüner" OB unerfahren ?'