10.08.2004

The final cut

Der Einbruch der deutschen Börse löst eine europäische Kettenreaktion aus

Bisher wurde noch spekuliert, ob ein Platzen der Immobilienblase in Spanien1 oder in Großbritannien zum Kollaps der europäischen Wirtschaft führen wird. Offenbar geht der Zusammenbruch jedoch wie am "Schwarzen Freitag", dem 25. Oktober 1929, von Deutschland aus. Panik hat die deutsche Börse ergriffen.

Sowohl der deutsche Leitindex DAX, der am Freitag, 6. August 2004, um knapp 3 Prozent absackte, als auch der TecDAX, der sogar um rund 5 Prozent einbrach, gingen am Montag in eine rasante Talfahrt über. Die Signale stehen laut Börsenkennern auf "Ausverkauf". Gestern rutschte der DAX bereits auf den tiefsten Stand seit November 2003. Wesentlich für den nun so abrupten Einbruch dürften zwei Faktoren sein: Erstens wurde allzu lange und mit auf die Dauer immer fadenscheinigeren Argumenten auf Optimismus gemacht. Monat für Monat wurde mit Hoffnung auf eine Gesetzmäßigkeit der self fulfilling prophecy der Konjunkturaufschwung angesagt. Und zweitens sind die Prognosen stetig steigender Erdölförderung2 durch die jetzt unaufhaltsam steigenden Ölpreise Lügen gestraft worden.

Nachdem das ehemalige Kartell der Opec-Staaten in den letzten drei Jahren als Propaganda-Instrument benutzt worden war, um immer wieder neu die Mär von der "Erhöhung der Förderquoten" bei gleichzeitigem Versprechen sinkender Ölpreise aufzutischen, war absehbar, daß auch dieses Lügengebäude irgendwann einmal in sich zusammen fällt. Der rasant steigenden Ölpreis hat zur Verbreitung der Erkenntnis beigetragen, daß der Peak der weltweiten Ölförderung längst überschritten ist. Mit Hilfe der Annexion des Irak durch die USA ließ sich die weltweite Statistik ein wenig manipulieren. Doch eines ist klar: Von den mindesten 6 bis 7 Millionen Barrel pro Tag (rund zwei Drittel der saudi-arabischen Fördermenge), die aus den irakischen Ölquellen sprudeln, werden die USA keinen einzigen Tropfen für die anderen Industrienationen erübrigen3. Für den eigenen "Bedarf" benötigen die USA rund 20 Millionen Barrel pro Tag. Und die Gesamtfördermenge der Erdölfelder auf dem Territorium der USA befindet sich spätestens seit den 80er Jahren auf dem absteigenden Ast.

Selbst nach den offiziellen Statistiken lag das Maximum der weltweiten Erdölförderung im Jahre 2000. In 2003 wurde zwar auf dem Papier wieder mehr gefördert als 2001 oder 2002, aber die Fördermenge des Jahres 2000 von 3,562 Milliarden Tonnen (26,1 Milliarden Barrel) konnte selbst in der Statistik nicht wieder erreicht werden. Auch die immer wiederkehrenden Erfolgsmeldungen über neu entdeckte Öl-Sande oder Öl-Schiefer ändern nichts am Gesamtbild, daß die Zeiten des Überflusses und des Prassens ein für allemal vorüber sind. Der Abbau der Sande und Schiefer ist wesentlich teurer als die Exploitation von Ölquellen. Und auch im Niedergang des Kapitalismus gilt unerbittlich dessen Gesetz von Angebot und Nachfrage. Sinkt das Angebot, steigt der Preis.

Das entscheidende an der gegenwärtigen Situation ist, daß nicht nur die USA - wie seit langem bekannt - sondern auch die europäische Wirtschaft auf einem Berg von Schulden steht. Nicht nur in Spanien, auch in Großbritannien sind die Immobilien um 20 bis 40 Prozent überbewertet und zugleich haben die britischen Haushalte insgesamt 1,5 Billionen Schulden aufgehäuft. Schon ein geringfügiger Anstieg des Zinsniveaus kann dazu führen, daß ein Großteil der Haushalte nicht mehr in der Lage ist, die Konsumenten-Kredite und die Hypotheken zu "bedienen". Wenn dann massenhaft Häuser zum Verkauf angeboten werden, fallen die Immobilienpreise ins Bodenlose und damit platzt die Blase. Es wäre nicht das erste Mal, aber es wäre mit Sicherheit heftiger als beim letzten Mal als 1989 in Großbritannien die Schuldenblase platzte.

1989 brachen die Immobilienpreise ein, fingen sich allerdings bei rund zwei Drittel des Ausgangswertes wieder. Das hatte zur Folge, daß die Wirtschaft Großbritanniens für einige Jahre in eine Rezession abglitt. Inzwischen aber ist der Schuldenstand der Privathaushalte bereits auf einem noch höheren Niveau als damals angelangt. Und rund 80 Prozent dieser Schulden sind Hypotheken-Schulden. Schon ein kleiner Nadelstich, der den instabilen Immobilienmarkt trifft, muß so notwendig zum Platzen der gesamten Schuldenblase führen. Und dies wird mit Sicherheit gravierendere Folgen Folgen zeitigen als 1989.

So kann der Einbruch auf den deutschen Aktienmärkten sehr schnell dazu führen, daß in Folge von Illiquidität verstärkt Immobilien zum Verkauf angeboten werden. Die europäischen Immobilienmärkte spielen sich zwar stärker als andere Märkte in einem nationalen Rahmen ab. Insbesondere jedoch der spanische Immobilienbesitz ist zu einem nicht unerheblichen Teil in der Hand einer neureichen deutschen und niederländischen Mittelschicht. Und ein Zweitwohnsitz in Spanien verspricht bei Liquiditätsproblemen schnelle Linderung, da die bisher hohe Nachfrage einen raschen Verkauf als unproblematisch erscheinen ließ. So kann schon ein leichtes Überangebot den instabilen spanischen Immobilienmarkt zum Einsturz bringen. In einer lawinenartig sich ausbreitenden Kettenreaktion werden dann die tönernen Füße, auf denen der europäischen Wirtschaft steht, zu Staub zerbröseln.

 

Harry Weber

 

Anmerkungen:

1 Siehe auch unseren Artikel
    Löst Spanien den europäischen Wirtschafts-Crash aus? (3.07.04)

2 Siehe auch unseren Artikel
    Benzinpreise, Ölförderung und Krieg (15.05.04)

3 Siehe auch unseren Artikel
    US-Besatzung bleibt im Irak (29.06.04)

 

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