Bush und Rumsfeld in Erklärungsnot
Immer deutlicher wird das unauflösliche Geflecht aus Krieg und Folter erkennbar. Niemals gab es Kriege ohne Folter oder gar saubere oder humanitäre Kriege. My Lai war kein Einzelfall, sondern die Spitze des Eisberges und ebenso sind die jetzt bekannt gewordenen Fälle im Irak und in Afghanistan symptomatisch.
Der Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte im Irak, General Ricardo Sanchez, ist jetzt nicht mehr lediglich im Verdacht, von den "Übergriffen" gewußt zu haben; es ist kaum mehr zu leugnen, daß er anwesend war. Dies geht aus einem Bericht der Washington Post hervor, die den Militäranwalt Robert Shuck, den Verteidiger eines angeklagten Soldaten, zitiert. Noch dementiert das US-Militär und behauptet, die "Einlassungen der Verteidiger" in solchen Prozessen seien "in der Regel wenig glaubwürdig". Dabei hatte Sanchez vor kurzem vor dem Untersuchungsausschuß des Kongresses zugeben müssen, daß er "erst im Januar" - also lange bevor Meldungen in den Massenmedien auftauchten - von den Folterungen erfahren habe.
In einem Bericht der New York Times wird aus einer offiziellen Antwort der US-Army ans Rote Kreuz zitiert, wonach es "militärische Notwendigkeiten" gäbe, in deren Folge die Einhaltung der Regeln der Genfer Konvention zum Schutz von Kriegsgefangenen nicht möglich sei. Diese Antwort bezieht sich explizit auf Paragraph 5 der Genfer Konvention, wonach die Schutz-Garantien der Genfer Konvention nicht von Personen geltend gemacht werden könnten, die "im Verdacht stünden, eine die Sicherheit des Staates abträgliche Funktion" auszuüben. Doch das Rote Kreuz betont, dieser Gummiparagraph sei bisher nur in Ausnahmefällen und ausschließlich auf einzelne Personen, nie zuvor jedoch auf Gruppen von Gefangenen angewandt worden.
Mit zunehmender Geschwindigkeit bricht die Verteidigungsstrategie des Militärs und der US-Administration in sich zusammen. Nahezu jeden Tag werden neue Einzelheiten über Folterpraktiken im Irak und in Afghanistan bekannt. Noch beim Prozeß gegen den Soldaten Jeremy Sivits war offensichtlich versucht worden, die Schuld auf einen relativ überschaubaren Kreis unterer Army-Dienstgrade zu begrenzen, hauptsächlich auf jene, die durch die mittlerweile über 1.500 Fotos bekannt geworden waren. Sie wurden als Sündenböcke der Öffentlichkeit präsentiert. Exemplarisch in doppeltem Sinne wurde dies im Falle der Soldatin Lynndie England, die in den Medien geradezu als Monster präsentiert wurde.
US-Militärbehörden haben inzwischen mit der Untersuchung einiger Todesfälle im Irak und in Afghanistan begonnen, die Gefangene in US-Gewahrsam betreffen. Es handelt sich dabei um 37 ungeklärte Todesfälle, 32 im Irak und 5 in Afghanistan. Dabei richten sich die Voruntersuchungen gegen Army-Angehörige, einen CIA-Mitarbeiter sowie einen Mitarbeiter einer "zivilen" Bewachungsfirma, der ebenfalls Gefangene "verhört" haben soll. Auch von Folterungen Angehöriger des alten Regimes wurde berichtet, unter anderem von sexuellen Übergriffen gegen den früheren stellvertretenden Staatspräsidenten Ramadan.
Und während bereits auf den Titelseiten nach der Mitwisserschaft von US-Kriegsminister Rumsfeld gefragt wird, verlegte sich dieser auf die Flucht nach vorn. Er kritisierte, wie viele Anstrengungen derzeit auf die Untersuchungen solcher "Einzelfälle" gerichtet seien. Besser sei es, diese Anstrengungen darauf zu richten, den Krieg zu gewinnen. Doch es wird zunehmend enger für Bush und Rumsfeld. So verlangt nun selbst einer der bisher treuesten Verbündeten, die australische Regierung, Auskunft über die Zustände auf Guantánamo.
Harry Weber
Anmerkung:
Siehe auch unseren Artikel
'Foltern muß gelehrt werden'
- Das Milgram-Experiment - v. 9.05.04