31.05.2007

Alpha-Mädchen
statt Alpha-Männchen?

Feministische Überlegungen zu einer 'spiegel'-Titelstory

Der Begriff des Alpha-Männchens entstammt der Biologie. Bei in Herden lebenden Säugetieren wird damit in der Regel ein männliches Exemplar bezeichnet, das in der Hierarchie an oberster Stelle steht und gewisse Führer-Funktionen ausübt. Erinnert sei an manch absurde Blüten, die biologistische Denkweisen in Teilen der Frauenbewegung schon vor zwei Jahrzenten hervorbrachten. Zu großer Freude verleiteten da vermeintliche wissenschaftliche Entdeckungen wie die, daß es in Herden freilebender Pferde nicht etwa einen Leithengst, sondern eine Leitstute gebe. Schlimmer noch als die Verwechslung zwischen Analogie und Logik - die allem biologistischem Denken zugrunde liegt - war dabei der unbemerkte Einbruch hierarchischer Denkmuster in den feministischen Diskurs.

Heute muß leider immer wieder an die Erkenntnis erinnert werden, daß Hierarchien in menschlichen Gemeinschaften künstlich erst zu Beginn des Patriarchats aufgerichtet wurden. Dies wurde durch anthropologische Untersuchungen immer wieder bestätigt. Nichts desto trotz wird in den Mainstream-Medien penetrant versucht, das Thema Feminismus - wenn es denn nicht zu vermeiden ist - in einen hierarchischen Kontext einzubetten. So auch in der aktuellen 'spiegel'-Titelstory "Die Alphamädchen - Wie Studentinnen die Männer überholen".

Seit rund 15 Jahren übersteigt die Zahl der deutschen Abiturientinnen die der Abiturienten und der Abstand wächst von Jahr zu Jahr. Daraus allerdings zu schließen, das weibliche Geschlecht sei "schneller, klüger, fleißiger", ist ebenso verkürzt wie sexistisch - und nicht besser als das spiegelbildliche Vorurteil aus ungebrochen patriarchalischen Zeiten.

Anteil der Geschlechter an den GymnasiastInnen

Es wäre interessant, zu untersuchen, welche Ursachen - beispielsweise aus immer noch tradierten "weiblichen" Verhaltensnormen wie Anpassung, Unterordnung, Stillsein, Defensive statt Aggression und so weiter - heute an Schulen den Mädchen zu einem Bonus statt einem Malus verhelfen. Solche Untersuchungen würden sicherlich zugleich die wenig schmeichelhafte Tatsache zu Tage fördern, daß Gymnasiastinnen heute weniger denn vor 15 oder 20 Jahren an feministischen Theorien interessiert sind - und: daß diese Theorien bislang nur einen äußerst geringen Einfluß auf die tradierten Rollen und Verhaltensnormen hatten.

Doch dazu ist im 'spiegel' nichts zu finden - das hätte frau auch gewundert. Stattdessen beginnt der ausschließlich von Frauen gezeichnete Artikel in typisch modischer Schreibe mit der Vorstellung einer Protagonistin. Wenn dieser Stil denn journalistischer Sorgfalt genügen soll, dürfte mensch erwarten, daß an diesem Beispiel etwas Typisches aufgezeigt werden soll. Typisch für die neue Ausrichtung des 'spiegel', die spätestens seit dem Erscheinen des Konkurrenz-Blättchens 'focus' allzu augenfällig wurde, ist allerdings, daß unsere Protagonistin im Masterstudiengang Entrepreneurship studiert und - was sonst? - Unternehmerin werden will.

Als Zweite wird eine Studentin vorgestellt, die Wirtschaftssinologie studierte, "beruflich aufsteigen" will und deshalb - konsequent - auf BWL umstieg. Die nächste hat - "70-Stunden-Wochen sind keine Ausnahmen" - ihren "Traumjob" gefunden. "Gut angepaßt, die Mädels!" kann mann da nur sagen.

Frech wird das 'spiegel'-Artikelchen dann gar mit Formulierungen wie "drei Jahrzehnte nach Frauenbewegung und Bildungsreform". Zugegeben: die Frauenbewegung ist öffentlich kaum mehr wahrnehmbar und ist auch tatsächlich zahlenmäßig stark eingebrochen. Doch das Zitat unterschiebt deren Ableben - alle Achtung vor so viel Chuzpe!

Wenn im selben Satz dann auch noch zu lesen ist, eine Kohorte von Alpha-Mädchen marschiere ehrgeizig und selbstbewußt durch die Institutionen, sorgt dieses schiefe Bild allerdings wiederum für geschwisterliche Heiterkeit. Ein Alpha-Tier duldet nun mal kein weiteres Alpha-Tier an seiner Seite! Und während Männer in patriarchalen Gesellschaftsstrukturen gelernt haben, während der Phase des Aufstiegs sich in Zweckgemeinschaften - sogenannten Seilschaften - zu organisieren, ist es typisch für weibliche Aufsteigerinnen, daß sie ausgesprochene Einzelkämpferinnen sind. Dies und die biologische Tatsache, daß die Geburt eines Kindes zumindest für einige Monate die Karriere bremst, dürften noch am ehesten die Gründe sein, daß die Frauendichte in den höheren Sphären der Firmenhierarchien auch noch in den kommenden Jahrzehnten je höher je dünner ist. Es sei denn, Kapitalismus und Patriarchat können endlich umgestürzt werden.

Wenn die 'spiegel'-Mädchen dagegen schreiben: "Wird diese Girlpower auch in der Arbeitswelt die Machtverhältnisse verändern?" darf mensch die Gegenfrage stellen: Was würde sich an der Macht ändern, sollte sie tatsächlich überwiegend oder ausschließlich von Frauen ausgeübt werden?

Wenn solche Artikel wie diese 'spiegel'-Titelstory en vogue sind, dann nicht deshalb, weil sich an den Machtverhältnissen etwas ändern soll, sondern weil das Kapital im verschärften Konkurrenzkampf, den die Globalisierung weiter befeuert, auf die letzten, bisher wenig beachteten Ressourcen zugreift. Und Frauen zählen dabei zu den "Humanressourcen". So verstanden ist ein Abschnitt aus der 'spiegel'-Titelstory exakt richtig: "In der globalisierten Wirtschaft wächst jedoch der Druck auf die Konzerne, das weibliche Potential auf allen Hierarchiestufen besser zu nutzen. (...) Und zwar nicht aus Nächstenliebe."

 

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Anmerkung

Siehe auch unsere Artikel:

    Mit Merkel für feministische
    Umweltzerstörung und feministischen Sozialabbau? (8.03.07)

    Kostenlose Impfung gegen Gebärmutterhals-Krebs
    Subventionierung der Pharma-Konzerne statt Prävention (27.03.07)

 

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