Nachdem der US-Konzern Amazon die Whistleblower-Plattform Wikileaks von seinen Servern ausgesperrt und damit insbesondere in den USA den Zugang zu den veröffentlichten geheimen US-Domumenten erheblich erschwert hat, können seit heute über den Online-Bezahlservice Paypal keinen Spenden mehr zur Unterstützung von Wikileaks aufgegeben werden. Zudem wurde das Konto gesperrt. Die Rede ist von einer dauerhaften Sperrung.
Paypal ist ein Tochter-Unternehmen der Auktions-Plattform eBay - und diese hat in ihrem hauseigenen Blog erklärt, Wikileaks habe die Nutzungsbedingungen verletzt. Dies sei der Grund für die Sperrung. Erneut ist wie im Falle von Amazon festzuhalten: Ob tatsächlich von Wikileaks Recht gebrochen wurde und Straftaten vorliegen, müßte zunächst ein Gericht entscheiden. Das Vorgehen von Amazon - und nun auch Paypal - ist daher als Form von Selbstjustiz zu werten. Die Vermutung liegt nahe, daß das Vorgehen der Konzerne auf den deutlich erkennbaren Druck der Obama-Regierung zurückzuführen ist.
Über Paypal floß bislang ein großer Teil der Spenden, durch die sich Wikileaks ausschließlich finanziert. Nach Angaben von Wikileaks-Gründer Julian Assange benötigt seine Organisation pro Jahr mindestens 200.000 US-Dollar an Spenden, um den Betrieb aufrechtzuerhalten - besser noch 600.000 Dollar. Eine wichtige Geldquelle für Wikileaks ist die Wau-Holland-Stiftung in Deutschland. Auch sie kann seit heute keine Paypal-Zahlungen empfangen. Gegenüber der Stiftung argumentierte Paypal laut deren Auskunft, die Unterstützung von Wikileaks stelle eine Verletzung der Nutzungsbedingungen dar. Auch dies trifft Wikileaks hart, denn laut einer Meldung des Magazins 'focus' waren in kurzer Zeit nach der Veröffentlichung der US-Diplomatendossiers am 27. November auf Wikileaks 15.000 Euro von SympathisantInnen aus aller Welt bei der Stiftung eingegangen.
Ein Zusammenhang zwischen dieser Veröffentlichung Ende November und den seitdem zu beobachtenden Repressionen ist unverkennbar. Noch vor der Reaktion von Amazon und Paypal war die Internet-Seite www.wikileaks.org wegen DDoS-Angriffen über längere Zeiträume nicht erreichbar. Seit dem Morgen des 3. Dezember (gestern) hat der US-Dienstleister EveryDNS die Verbindung zwischen www.wikileaks.org und der IP-Adresse gekappt. Auch in diesem Fall liegt der Verdacht nahe, daß politischer Druck entscheidend war. Allerdings funktioniert der Zugang über die deutsche Adresse www.wikileaks.de nach wie vor. Die französische Regierung versucht zur Zeit laut Information der Nachrichtenagentur Reuters, den Zugang zu Wikileaks zu blockieren. Eine Kopie der von Wikileaks veröffentlichten Dokumente liegt derzeit auch auf den Servern des französischen Unternehmens OVH. Der Zugang über die Schweizer Adresse www.wikileaks.ch wurde heute vom US-Dienstleister EveryDNS aus seiner Datenbank gelöscht. EveryDNS ist Domain-Namen-Provider und stellt die Verbindung zwischen der URL (beispielsweise www.wikileaks.org) und der IP-Adresse her. Über die IP-Adresse http://213.251.145.96 ist Wikileaks nach wie vor erreichbar - doch diese Adresse ist wenig bekannt.
Zugleich wird spekuliert, daß die strafrechtliche Verfolgung von Wikileaks-Gründer Julian Assange durch die schwedische Staatsanwaltschaft ebenfalls auf den Druck der Obama-Regierung zurückzuführen ist. Assange wurde von zwei Schwedinnen wegen angeblicher sexueller Vergehen - fälschlich war zeitweise von Vergewaltigung die Rede - angezeigt. Obwohl sich Assange nachweislich während seines Aufenthalts in Schweden bei der Staatsanwaltschaft meldete und seine Bereitschaft zur Aussage bekundete, wurde in Schweden ein Haftbefehl erst ausgestellt, nachdem er das Land verlassen hatte. Das Vorgehen der schwedischen Behörden ist zudem äußerst dubios (siehe hierzu unseren Artikel v. 18.11.10) Ein Haftbefehl der schwedischen Staatsanwaltschaft konnte zudem in Großbritannien zunächst wegen eines Formfehlers nicht berücksichtigt werden. Nach britischen Beschwerden ist nun offenbar ein neuer, diesmal vollständiger Haftbefehl ausgestellt worden. Nach wie vor geht es angeblich nur darum, daß Assange von der schwedischen Staatsanwaltschaft befragt werden soll. Allerdings besteht zwischen Schweden und den USA ein Auslieferungs-Abkommen, so daß Assange nach einer Befragung in Schweden direkt in die USA abgeschoben zu werden droht. Assanges Anwältin bestätigte mittlerweile, daß sich ihr Klient in Großbritannien aufhält, doch bisher sei ihr noch kein Haftbefehl zugestellt worden. Assange habe seinen Aufenthaltsort den britischen Behörden gegenüber von Anfang an mitgeteilt.
Während die Obama-Regierung durch die peinlichen Enthüllungen über US-Außenministerin Hillary Clinten und deren illegale Spitzel-Attacke gegen die UNO direkt betroffen ist, kündigte US-Justizminister Eric Holder an, "gesetzliche Lücken zu schließen", um Assange anklagen zu können. Offenbar hat Holder keinen blassen Schimmer vom grundlegenden rechtsstaatlichen Prinzip des Rückwirkungsverbots (nulla poena sine lege). Insbesondere ist es eine international anerkannte Grundbedingung freiheitlicher Verfassungen, daß im Strafrecht ein unbedingtes Rückwirkungsverbot gilt und rechtmäßiges Handeln nicht nachträglich inkriminiert werden kann. Diese ist im deutschen Grundgesetz in Artikel 103 Absatz 2 fixiert und in Paragraph 1 des Strafgesetzbuches wiederholt.
Die äußerste Rechte versucht derzeit, die Obama-Regierung auch in ihrer Haltung gegenüber Wikileaks zu übertrumpfen. So forderte die ehemalige Co-Präsidentschafts-Kandidatin Sarah Palin, Wikileaks müsse zur Terror-Organisation erklärt werden, und es ist in diesem Umfeld sogar von der Todesstrafe die Rede. Tom Flanagan, ehemaliger Berater des kanadischen Premierministers, forderte gar öffentlich, Assange sollte "ermordet" werden. Und entgegen der Zurückhaltung die ansonsten staatliche Stellungnahmen zu eigenen Staatsbürgern prägt, erklärte die australische Premierministerin Julia Gillard, Assanges Handlungen seien "illegal." Auch in Australien galt bislang die Pressefreiheit und Assange, der die australische Staatsbürgerschaft besitzt, ist bislang noch nicht einmal in seinem Heimatland angeklagt, geschweige denn verurteilt.
Eine Abhängigkeit des vor noch nicht allzu langer Zeit als neutral geltenden Schweden von den USA wird in den Mainstream-Medien vehement in Abrede gestellt. Doch gerade zu diesem Thema bieten die jüngsten Veröffentlichungen von Wikileaks Aufklärung: So ist ein Dokument aus der US-amerikanischen Botschaft in Schweden zu finden, worin die enge Bindung des schwedischen Militärs an die USA gelobt und womit zugleich die offizielle Doktrin von der militärischen Neutralität Schwedens widerlegt wird. Zudem wird in einem Telegramm des US-Außenministeriums davor gewarnt, daß die schwedische Regierung "innenpolitisch in die Kritik geraten" könnte, wenn die enge militärische Zusammenarbeit in der Öffentlichkeit bekannt würde.
Anmerkung
Siehe auch unsere Artikel:
Amazon gegen Wikileaks
Druck durch US-Regierung? (3.12.10)
Wikileaks-Enthüllung
Hillary Clintons illegale Aktionen (29.11.10)
Wikileaks-Gründer Assange
erneut mit Vergewaltigungsvorwurf verfolgt (18.11.10)
Verbrechen Krieg
Wikileaks veröffentlicht Dokumente zum Irak-Krieg (24.10.10)
Wikileaks deckt Hintergründe
des Afghanistan-Kriegs auf (28.07.10)
Irak-Krieg: Video zeigt Kriegsverbrechen
US-Hubschrauberbesatzung schießt auf Unbewaffnete (6.04.10)
wikileaks.de gesperrt
Beginn der Internet-Zensur in Deutschland? (11.04.09)
Hausdurchsuchung bei Inhaber der Domain wikileaks.de
Aktionismus gegen Kinderpornographie
als Vorwand für politische Zensur (25.03.09)
Barack Obama und das Nadelöhr
... anderes zu erwarten als von Bush? (6.10.08)