Condoleezza Rice, Sicherheitsberaterin des US-Präsidenten, sprach erst vor wenigen Tagen öffentlich die Mahnung
aus, wir dürften "die Massengräber nicht aus dem Blick verlieren, die dort gefunden wurden und die Zeugnis über den
Charakter dieser Regierung ablegen." Und der republikanische Senator John McCain fügte gegenüber ABC News
hinzu: "Am Tag als ich die geöffneten Massengräber sah, war dies ein klares Zeugnis der Brutalität und Repression
dieser Regierung."
Am 29.06.03 veröffentlichte T. Christian Miller in der 'Los Angeles Times' einen Artikel mit der Überschrift 'Endlich
wiederentdeckte Würde' / 'Dignity Recovered at Last', in dem er über das Auffinden von Massengräbern und das
Umbetten der aufgefundenen Toten berichtet:
"I.T. erhob sich, um die Geschichte der Toten zum ersten Mal zu erzählen. (...) zog ein weißes Blatt Papier heraus
und fing an, die Tage des Gemetzels nachzuerzählen. (...) Einige der Opfer waren getötet worden, als die Armee
Granaten in die Kleinstadtkirche abfeuerten. Andere wurden aus ihren Häusern gebracht und vor ihren Familien
erschossen. Andere verschwanden einfach - ihre Körper wurden später in flachen Gräbern gefunden. (... ) Jetzt
waren sie schließlich wieder zurück, 75 Männer, Frauen und Kinder. Ihre Knochen ruhten in einer langen Reihe
von Kiefernsärgen, die die selbe Kirche füllten, in der sie rund 20 Jahre zuvor gestorben waren. (...) >>In diesem
Moment erinnern wir uns an den Schmerz, den wir gehabt haben<<, sagte diesen Monat vor der Kirche I.T., 43,
noch von Narben ähnliche denen von Pocken übersät, die die Einschußlöcher der Gewehrkugeln in seinem Körper
hinterließen.. >>Es ist ein großer Tag, da wir ihnen jetzt die würdevolle Beerdigung geben können, die sie
verdienen.<< (...) Es ist eine Szene, die sich überall dieser Tage im abseits gelegenen Hochland Guatemalas
in Kleinstädten wie X S wiederholt, wo die Opfer von Hunderten von Massakern, die während des 35-jährigen
Bürgerkriegs zwischen guatemaltekischer Armee und linksgerichteten Rebellen stattfanden, wiederbestattet
werden. (...) Eine von der UN unterstützte Wahrheitskommission, die als Teil der Friedensvereinbarungen, die
den Konflikt 1996 beendeten, geschaffen wurde, beauftragte gerichtsmedizinische Teams, um die Tötungen
aufzuklären, obwohl die Übereinkunft für alle außer den schwersten Verbrechen wie Genozid oder Folter eine
Amnestie bewilligte. (...) Jetzt haben die Teams begonnen, die Körper wiederzubestatten, um einen Ausschluß
der überwiegend indigenen Gemeinden vermeiden zu helfen, der Gemeinden, die unter der Verbrannte-Erde-Strategie
der guatemaltekischen Armee und der paramilitärischen Kräfte Anfang der 80er Jahre zu leiden hatten als diese die
linksgerichteten Rebellen verfolgten. (...) Als eines der Ergebnisse wurden von Ermittlern von
Menschenrechtsorganisationen die Schwere der Gewalttätigkeit im guatemaltekischen Bürgerkrieg nachgerechnet,
die - mit einer Angabe von mehr als 200.000 Toten - mehr Leben gefordert hat als die Konflkte aus der Zeit des Kalten
Kriegs in Nicaragua, El Salvador, Chile und Argentinien zusammen genommen."
Guatemala ?
Heißt es nicht in der Überschrift "Amerika" ? Nun, Guatemala liegt in Mittelamerika. Und wenn Condoleezza Rice
und John McCain zitiert werden, steht dies durchaus in einem Zusammenhang zu Guatemala - und zur USA. Denn
wenn sie auch vom irakischen "Regime" sprachen (die Begriffe "Regime" und "Regierung" sind austauschbar), weisen
drei der Finger ihrer Hände, mit denen sie in Richtung Irak wiesen, auf die USA:
Nicht ohne Grund wurde mit wenigen Ausnahmen wie dem zitierten Artikel in der 'Los Angeles Times' in den
US-amerikanishen und europäischen Massenmedien über die grauenhaften Funde in Guatemala nicht berichtet,
während Funde im Irak oft unkritisch dargestellt und nachträglich zur Legitimierung des Irak-Krieges benutzt werden
wie beispielsweise in der 'New York Times'.
Viele der in Massengräbern im Irak gefundenen Leichen gehen sicherlich auf Verbrechen des Diktators Saddam
Hussein zurück. Ebenso ist allerdings auch bekannt, daß die US-Army wehrlose irakische Soldaten, die sich bereits
ergeben hatten, in den Schützengräben des Golfkriegs 1991 überrollt und getötet hatten. Schlimmer noch: Viele der
Massengräber, die im schiitischen Süden des Irak dieser Tage geöffnet und den Kameras präsentiert worden waren,
haben eine Geschichte, über die gerne der Schleier des Vergessens gezogen wird. Zum Ende des sogenannten
Zweiten Golfkriegs 1991 rief der damalige US-Präsident Bush sen., nachdem das UN-Mandat nur die Befreiung
Kuweits - und nicht den Sturz Saddam Husseins - gedeckt hatte, das irakische Volk zum Aufstand gegen den
Diktator auf. Als jedoch die Kurden im Norden und die Schiiten im Süden sich ermutigt fühlten, jedoch keineswegs
das irakische Militär, auf das die US-Regierung spekuliert hatte, wurden sie fallen gelassen.
Die US-Regierung befürchtete einen islamischen Aufstand wie dem 1979 im Iran (der auch den CIA-gestützten Aufstieg
Saddam Husseins als Gegengewicht zur Folge hatte) und ein Auseinanderbrechen des Irak, eine Revolution, die auf die
gesamte Golf-Region übergreifen könnte und Ärger mit dem instabilen Partner Türkei, der das kurdische Gebiet der
Turkei nur mit brachialer Gewalt unter Kontrolle halten kann. Weder Kurden noch Schiiten wurde die versprochene
Unterstützung gewährt. Im Gegenteil: Saddam Hussein wurde informiert, daß er ungehindert zuschlagen könne. Das
'Wall Street Journal' berichtete damals: "Es mußte eine Entscheidung fallen, um Saddam Hussein zu erlauben, die
Rebellion zu unterdrücken (...) je schneller desto besser. Nachdem die Regierung einmal zum Schluß gekommen
war, daß sie einen Sieg der Revolte im Irak nicht wünschte, blieb sie auch dabei, als das Blutbad weiterging..."
Ebenso hatte die damalige US-Regierung ihre blutigen Finger in Guatemala mit im Spiel und allein dies ist der Grund,
warum über die Ergebnisse der Untersuchungen in Guatemala so wenig berichtet wird. Die US-Intervention in
Guatemala1
begann
mit dem Jahr 1954 als der CIA beim Sturz des gewählten Präsidenten Jacobo Arbenz mithalf. Das Verbrechen der
Arbenz-Regierung, weshalb sie durch einen Militärputsch beseitigt wurde, hatte darin bestanden, eine begrenzte
Agrarreform durchzuführen, die die ausgedehnten Besitztümer der United Fruit Compagny anzutasten wagte. Nicht
erst seit dieser Zeit betrachteten die wechsenden US-Regierungen Mittel- und Südamerika als ihren "Hinterhof". Die
Massaker in Guatemala erreichten in den frühren 80er Jahren ihren Höhepunkt. Bis heute widersetzen sich CIA und
andere US-amerikanische Geheimdienste entgegen bestehender Gesetze weiterhin, einen Großteil der Domumente
freizugeben.
Um irgendwo auf der Welt für "Freiheit und Demokratie" zu kämpfen, sind das US-Militär und der CIA (nach dem
Verschwinden von "Roter Armee" und KGB) die denkbar schlechteste Wahl. Das US-amerikanische Volk müßte
zunächst einmal im eigenen Land für Freiheit und Demokratie sorgen. Wenn nicht weiterhin zwei Drittel der Erde
im Namen von "Freiheit und Demokratie" von installierten Despoten unterdrückt und ihrer Bodenschätze zum
Nutzen der Industriestaaten beraubt würde, könnte sich Freiheit und Demokratie sehr schnell entwickeln.
Harry Weber
Anmerkung:
1 Siehe auch unser Artikel:
'Die vergessenen Kriege' und die darin enthaltene grafische Darstellung der Kriege der USA