24.08.2003

Artikel

Tod durch Globalisierung

Indigene Völker werden immer mehr zurückgedrängt

Die fortschreitende Vernichtung des Regenwaldes im Amazonasgebiet1 hat nicht nur für die Menschen in den Industrieländern immer gravierendere Folgen. Auch die indigenen Völker, die dort leben und die einmal mehre Millionen Menschen zählten, sind inzwischen auf rund 350.000 dezimiert. Rund 5.000 Ureinwohnervölker mit insgesamt etwa 300 Millionen Angehörigen gibt es Schätzungen zufolge noch weltweit. Zu ihnen zählen die etwa 70 Millionen Adivasi in Indien, die Saami im Norden Europas, die Indianer in Nord-, Mittel- und Südamerika, die Aborigine in Australien, die San im südlichen Afrika und viele andere.

Was auf EuropäerInnen und NordamerikanerInnen allmählich immer stärker in Form der Klimakatastrophe zurückschlägt, haben diese Menschen in Form von Vertreibung, Ermordung und Ansteckung mit für sie oft tödlichen Krankheiten bereits seit Jahrzehnten zu erleiden. Für die nur noch 18 Indianerstämme, die auch heute noch fast völlig isoliert im Amazonasbecken leben, ist es mit Sicherheit die einzige mögliche Rettung, wenn Raubbau und Rodung für die Landwirtschaft endlich gestoppt werden. Versprechungen, sie zu schützen, sind schon zu viele gebrochen worden.

Weltweit werden indigene Völker zunehmend verdrängt. Ihre Kulturen und ihre Kenntnisse gehen unwiederbringlich verloren. Wie beispielsweise Majorie Shostak in ihrem bekannten Buch über die afrikanischen Kung zu berichten weiß, übertriftt das botanische Wissen mancher "primitiver" Völker das aller westlichen Botanik-Experten bei weitem. Die Lebens- und Wirtschaftsweise ist in hohem Maße den Bedingungen oft sensibler ökologischer Gebiete angepaßt, so auch beispielsweise bei den See-Nomaden in Südostasien oder den Pygmäen in den letzten großen Wäldern Afrikas.

Wie auch die durch Ölförderung bedrohten indianischen Völker Ecuadors, können all diese Völker schon in wenigen Jahren völlig verschwunden sein. "Die Ureinwohner sind die großen Verlierer der Globalisierung", erklärte kürzlich die GfbV (Gesellschaft für bedrohte Völker) bei einer Veranstaltung in Göttingen. Rund 300 Millionen (bei einer Erdbevölkerung von 6,2 Milliarden), die in rund 5.000 UreinwohnerInnengruppen zusammenleben, werden durch rücksichtslosen Abbau von Bodenschätzen durch internationale Konzerne, den Kahlschlag ihrer Urwälder oder das Aufstauen von Flüssen2 für Stromerzeugung und Bewässerungsprojekte in ihrer Existenz gefährdet.

1994 hatte die UNO das Jahrzehnt der indigenen Völker ausgerufen. Doch ihre Situation verschlechterte sich weiterhin dramatisch. "Vom so genannten Fortschritt überrollt sind schon heute viele Indigene entwurzelt und rutschen ins Elend ab", predigt die GfbV weltweit meist tauben Ohren. Auch Kofi Anan fühlt sich nicht zu mehr verpflichtet als dem üblichen Hinweis an "die Weltgemeinschaft", daß sie von den indigenen Völkern "viel lernen könne" und prinzipiell verpflichtet sei, deren "Rechte und Kulturen zu schützen und zu fördern".

Von dieser dramatischen Entwicklung sind kleinere Völker wie etwa die Ureinwohner Sibiriens im Hohen Norden Russlands, aber auch große Ureinwohnergemeinschaften betroffen. So sind die rund 1,3 Millionen Mapuche-Indianer in Chile, die immerhin rund zehn Prozent der Gesamtbevölkerung stellen, die ärmsten der Armen im Land. Vor allem diejenigen, die um ihre Rechte streiten, ihren Landbesitz mit juristischen Mitteln verteidigen oder Mißstände öffentlich anklagen, gehen ein hohes Risiko ein, Opfer der Willkür von Polizei und Behörden zu werden. Zur Zeit sind mehr als 100 Mapuche zum Teil schon seit Monaten ohne Gerichtsverfahren inhaftiert.

Zwar sei für die Mapuche nach dem Sturz des Diktators Augusto Pinochet 1990 ein Gesetz zum Schutz ihrer Rechte und der Förderung ihrer Kultur erlassen worden. Doch nichts habe sich verbessert. Deshalb unterstütze die GfbV jetzt einen hoffnungsvollen Ansatz führender Persönlichkeiten der Indianer: Sie erwarten rund 300 Delegierte zu dem ersten Mapuche-Kongress in Chile im Oktober. Ihr Ziel ist es, eine neue Interessensvertretung zu wählen, deren Stimme bei der Regierung Gewicht hat. Für diesen Kongress hat die GfbV die Schirmherrschaft übernommen.

 

Petra Willaredt

 

Anmerkungen:
1 Siehe beispielsweise unseren aktuellen Artikel:
'Brasilien setzt die Amazonas-Zerstörung fort' v. 15.08.2003
2 Siehe auch:
'Wasser und Weltbank' v. 13.07.2003

 

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