Diamanten, Uran, Gold, Kupfer und Kobalt? Das für die Handy-Produktion wichtige Coltan? An Diamanten und
Gold bietet der Kongo die bekannter Maßen größten Vorkommen weltweit. Kobalt stammte einst zu über 60
Prozent aus dem Kongo. Erst kürzlich entdeckt: Ölvorkommen. Aber all dies spielt gegenwärtig eine zweitrangige
Rolle.
Um zu verstehen, daß das plötzliche Interesse am Kongo weniger mit dem Kongo selbst und seinen
Bodenschätzen als mit der aktuellen Weltlage zu tun hat, bedarf es eines Blicks in die Geschichte:
Für Europa wurde Afrika erst in der Zeit des Kolonialismus interessant. Deshalb ist auch über die "Vorgeschichte"
wenig bekannt. Dies muß uns hier auch nicht interessieren, da es uns um das Verhältnis Europas zum Kongo geht.
Als die europäischen Mächte Afrika wie ein großes Stück Kuchen untereinander aufteilten, fiel der Kongo, das riesige
Land im Herzen Afrikas, an König Leopold von Belgien. Obwohl unter dem Deckmantel der Zivilisierung (heute heißt dies
"Verhinderung einer humanitären Katastrophe") war die belgische Herrschaft selbst im Vergleich zu den anderen
grausamen europäischen Herrschaften extrem barbarisch. Die Beute bestand damals in der Hauptsache in Elfenbein
und Gummi und bescherte Belgien unermeßlichen Reichtum. Dafür wurden allein in den ersten 30 Jahren belgischer
Herrschaft im Kongo 15 Millionen Menschen ermordet. Dem Kongo gelang es erst 1960 das belgische Kolonial-Regime
wenigstens dem Namen nach zu beenden.
Die "Zivilisation" zeigte sich nun darin, daß kaum noch eine Infrastruktur bestand. (Eine ähnliche Situation ist heute in
Afghanistan zu bewundern. Siehe auch unseren Artikel:
Afghanistan - eine Bilanz der "Befreiung")
Belgien hatte lediglich das zum Abtransport der Schätze unabdingbar
Minimum an Verkehrswegen aufgebaut. 1960 besaßen im Kongo weniger als 30 Einheimische einen College-Abschluß.
Es gab einen eizigen einheimischen Arzt, einen einzigen einheimischen Ingenieur. Doch das Ende der Kolonial-Herrschaft
bedeutete zunächst, daß große belgische Konzerne über Holdings die Kontrolle zu erhalten versuchten. Zusammen mit
der US-amerikanischen Regierung (zunächst Eisenhower, dann - nicht weniger engagiert - Kennedy) versuchte die
belgische Regierung ihren Einfluß im Hintergrund aufrechtzuhalten.
Trotzdem gewann zu ihrem Mißvergnügen ein unabhängiger Kopf, der sich weder vom Westen noch von der UdSSR
einspannen lassen wollte, die Wahl zum ersten Premierminister. Patrice Lumumba, ein junger Autodidakt, wurde am
30. Juni 1960 im Alter von 36 Jahren Regierungs-Chef des neuen unabhängigen Staates. Er wollte die Bodenschätze -
das Uran zum Bau der Atombomben auf Hiroshima und Nagaaki stammte aus dem Kongo - der Kontrolle der
ausländischen Mächte entziehen. Aber seine Amtszeit dauerte nur zwei Monate. Es ist inzwischen einiges Material zu
Tage gekommen, das belegt, daß Patrice Lumumba vom belgischen Geheimdienst und mit aktiver Unterstützung des
CIA ermordet wurde.
Nach Lumumbas Tod installierte der CIA 1965 den Diktator Mobutu Sese Seko, der 32 Jahre lang an der Macht bleiben
konnte. Mobutu, der USA stets zu treuen Diensten, taufte das Land in 'Zaire' um, ließ unzählige Menschen ermorden
und hortete ein Vermögen von zuletzt 5 Milliarden Dollar1. Dies war nicht zu einem geringen Teil der Lohn
der USA
für Mobutus Kampf gegen von der UdSSR unterstützte "Kommunisten" während der Zeit des Kalten Krieges. Denn
in Afrika war dieser Krieg keineswegs kalt; ein Adjektiv, das lediglich den fehlenden direkten militärischen Kampf im
Vergleich zum Zweiten Weltkrieg illustrieren sollte. USA und UdSSR lieferten sich überall in Afrika (und nicht nur dort)
Stellvetreter-Kriege - und verdienten gut daran.
Als Ende der 80er Jahre der Stern der UdSSR zu sinken begann und diese schließlich 1991 zusammenbrach, wendeten
sich die "sozialistischen", der UdSSR hörigen Regimes dem "freien Markt" und dem Neoliberalismus zu. Diese
Entwicklung wurde kräftig mit Hilfe des IWF (Internationaler Währungsfond) und anderer institutioneller Instrumente
gefördert. Das korrupte Mobutu-Regime hatte seinen Zweck erfüllt und war nunmehr zu teuer geworden. Dieses
Regime hatte für eine Führungsclique von rund tausend Familien das Land bis aufs Letzte ausgepreßt. In den letzten
10 Jahren des Mobutu-Regimes floß kaum noch Geld in die Infrastruktur. Der Urwald überwucherte die Straßen. Die
Kanalisation und Wasserversorgung der Städte brach genauso zusammen wie die Stromversorgung und das Telefonnetz.
Kliniken bekamen keine Medikamente mehr, Schulen keine Mittel. Starke Einbrüche erlitt die Wirtschaft des Kongo
durch zwei Plünderungswellen 1991 und 1993.
Nach dem Motto "Der Moor hat seine Schuldigkeit getan - der Moor kann gehn", wurde Mobutu 1997 einer von Ruanda
aus gestützten Rebellenbewegung unter Führung Laurent Kabilas zum Fraß vorgeworfen. Kabila war über illegale
Diamanten-Geschäfte zum regionalen War-Lord aufgestiegen. Über ihn waren Diamanten billiger zu haben und seine
Nachfrage auf dem internationalen Waffenmarkt stellte die Mobutus weit in den Schatten.
Als daraufhin der (später so genannte) "Erste Weltkrieg Afrikas" begonnen wurde und sich Armeen, Söldnerheere und
Milizen
aus Angola, Sambia, Namibia, Simbabwe, Uganda und Ruanda mit Kabilas Regime um die fette Beute stritten,
interessierte das die Weltöffentlichkeit wenig, da sich die großen Konzerne und Waffenhändler der Welt, denen
durch das Ende des Kalten Krieges eine globale Flaute gedroht hatte, um so mehr dafür interessierten. Die Zahl der
Getöteten lag allein bei den Kriegen im Kongo bei 3,3 Millionen innerhalb der letzten 6 Jahre2 und im
Sudan bei 2 Millionen.
Auch nachdem im Jahr 2001 Laurent Kabila einem Mordanschlag zum Opfer fiel und sein Sohn Joseph Kabila
seine Rolle übernahm, ging das Schlachten unvermindert weiter. Es setzte sich fort bis zu den Massakern in Ituri, von
denen nun plötzlich so viel berichtet wird.
1994 ereignete sich der Genozid in Ruanda, der rund eine Million Menschenleben forderte. Weder die USA (damaliger
Präsident: Clinton, der in Somalia im Jahr zuvor aus angeblich humanitären Gründen eingegriffen hatte), noch Frankreich
interessierten sich dafür. Zwei Monate dauerte das Guinessbuch-Rekord-verdächtige Massenmorden durch die Regierung
der Hutus (eine der Ethnien in Ruanda). Eine Regierung, die lange Zeit von Frankreich protegiert worden war. Die Opfer
gehörten weit überwiegend der Ethnie der Tutsi an. Dann kam eine Tutsi-geführte Regierung in Ruanda an die Macht.
Bei dieser nun hatte die bisherige Hegemonialmacht Nummer 1 in dieser Region, Frankreich, erwartungsgemäß keinen
Einfluß mehr. Diese Gelegenheit nutzte die USA und verstärkte ihren Einfluß - auf Kosten Frankreichs. Nebenbei
protegierten sie Ugandas "starken Mann", Präsident Yoweri Museveni. 1998 besuchte Clinton höchstperönlich
Museveni - als Zwischenstation einer Sechs-Länder-Tour durch Afrika. Clintons 'Africa Growth and Opportunity
Act' (Gesetz über Wachstum und Chancen für Afrika) wurde damals als neue Ära amerikanischer Hilfestellung für
den Kontinent gefeiert. Das Gesetz ist jedoch nichts anderes als ein Abkommen ganz im NAFTA-Stil, das
US-Konzernen zu mehr Dominanz in der Region verhelfen soll.
Doch zurück zu 1994. Die neue Tutsi-geführte ruandische Regierung fand schnell ein neues Ziel: sie marschierte in den
Ost-Kongo ein, um den Rebellen Kabila zu unterstützen. Angebliches Ziel war, eine Pufferzone zwischen
Hutu-Flüchtlingen und ruandischem Territorium einzurichten.
Uganda und Ruanda hatten zunächst gemeinsame strategische Interessen im Ost-Kongo. Dennoch konnten die
Regierungen der beiden Länder gegeneinander ausgespielt werden. Über Uganda - und entsprechende
Provisionen - lief die Bewaffnung der UPC der Hema. Über Ruanda - und entsprechende Provisionen - lief
die Bewaffnung der Milizen der Lendu. Dann verkehrten sich die Seiten, was sich jeweils nach dem
Meistbietenden richtet -- und Uganda unterstützte die Lendu-Truppen gegen die UPC. Anfang 2003 kam ein
Friedensabkommen zustande, Uganda zog sich aus der Ituri-Provinz zurück und die Folge war ein Ansteigen
der Gewalt. Uganda hatte die rohstoffreiche Provinz fünf Jahre lang besetzt gehalten.
Die neueste Entwicklung ist nun, daß in Ituri weiterhin bewaffneten Kämpfen zwischen mehreren rivalisierenden
Milizen toben. Nun plötzlich wurde weltweit darüber berichtet. Angeblich gab es Fälle von Kanibalismus. Über
Kindersoldaten und Massaker wurde berichtet als sei dies eine Neuigkeit und nicht seit Jahren alltägliche afrikanische
"Normalität". Wie bestellt sah sich nun plötzlich Ende Mai der Weltsicherheitsrat veranlaßt, "Friedens"-Truppen in die
Stadt Bunia zu entsenden. Angeblich war Bunia in den Wochen zuvor das "Epizentrum" des Mordens. Mit solchen
Metaphern soll an Erdbeben und damit Naturkatastrophen erinnert werden und die tatsächlichen Ursachen bleiben
im Dunkeln. Anfang Juni nun kamen ausgerechnet 1.400 Soldaten unter französischer Führung in den Kongo. Die
deutsche "rot-grüne" Regierung ziert sich zunächst, giert aber um so mehr nach einer Beteiligung.
Zur Rolle der UNO noch soviel: Bereits im Mai befanden sich 700 UN-Soldaten in Bunia. Sie blieben in ihrem
Gebäude und "beobachteten" die Morde an schätzungsweise einigen hundert Menschen ohne einzugreifen.
Für die UN-"Friedens"-Kräfte war dies sicher eine erschreckende Beobachtung - doch im Vergleich zu den
Greueln der letzten Jahre keineswegs spektakulär. Der Vorfall erinnert stark an Ruanda 1994 als sich
UN-"Friedens"-Kräfte während der gesamten Massaker in Kigali aufhielten und an Bosnien, an Srebreniza.
Jedesmal hatte es zuvor Warnungen an die UN gegeben, daß Massaker bevorstünden und jedesmal hatte die
UN die Warnungen ignoriert. Es hat den Anschein als ob UN-"Friedens"-Kräfte lediglich als Zeugen vorgeschickt
werden, um sie gleichzeitig als unfähig hinstellen und einen "robusten" Einsatz begründen zu können.
In der nun breiten internationalen Berichterstattung wird oft unterschwellig, meist jedoch ganz offen das Bild von
irrationalen Stammesfehden gezeichnet. Die geschichtliche Entwicklung und die klar zutage tretenden wirtschaftlichen
Interessen bleiben ausgeblendet. Wie die hier vorgenommene Analyse zeigt, wurden lediglich die Stellvertreter-Kriege
aus der Zeit der Konfrontation zwischen USA und UdSSR durch eine - ein wenig unübersichtlicher gewordene - andere
Konstellation aus Stellvertreterkriegen abgelöst. Die verschiedenen Ethnien und deren Streitigkeiten, die oft noch durch
die nach Kolonialinteressen zugeschnittenen Staatsgebilde bedingt sind, werden lediglich benutzt. Ähnlich wie zu
Beginn der Kolonialzeit finden nun zwischen verschiedenen Konzernen statt Staaten Stellvertreter-Kriege statt, die sich
wechselweise verschiedener "Großmacht"-Regierungen bedienen. Gemeinsames Interesse ist, daß die Rohstoffe Afrikas
billig zu haben sind, solange Krieg herrscht und zugleich die internationale Waffen-Industrie nicht zu darben braucht.
Es wäre also eine leichtfertige Illusion, zu erwarten, daß die französische oder deutsche Regierung in friedlicher Absicht
ein Auge auf den Kongo geworfen hätten. Leichtfertig weniger in den Folgen für die Menschen in den Industriestaaten als
vielmehr für die Menschen im Kongo.
Das neue an der gegenwärtigen Situation besteht nicht darin, daß die internationalen Konzerne und damit ihre
ausführenden Organe, die sich als französische oder deutsche Regierung bezeichnen, plötzlich friedliebend geworden
wären. Sie haben auch in den vergangenen Jahren weltweit Millionen und Abermillionen Menschenleben ihrer Profitgier
geopfert. Neu an der gegenwärtigen Situation sind drei Faktoren:
1. Wenn die Löwen gefressen haben, kommen die Hyänen
Die USA und die hinter ihr stehenden Konzerne sind noch mit dem Verdauen ihrer Beute Irak beschäftigt, die ihnen
mehr Probleme bereitet als vorgesehen. Auch die vorletzte Beute, Afghanistan, liegt noch schwer im Magen und
erbrachte (noch) nicht die Energie an Nährwert, die beim Jagen eingesetzt werden mußte. Die USA ist derzeit nicht
in der Lage, sich um den Kongo zu "kümmern".
2. Wehrlose fette Beute
Die Gelegenheit ist nicht nur mangels Konkurrenz recht günstig, sondern auch, weil sich die lokalen Mächte gegenseitig
so weit aufgerieben haben, daß der Kongo fast ohne Gegenwehr in die Fänge der EU-"Friedens"-Krieger fallen dürfte.
3. Mimikry als Friedensstifter
Frankreich und Deutschland (als die Zentralmächte der EU) konnten sich durch ihre angebliche Gegnerschaft zum
US-amerikanischen3 Krieg gegen den Irak in der europäischen Öffentlichkeit eine gewisse Glaubwürdigkeit als
Friedensstifter aufbauen. Kosovo- und Afghanistan-Krieg sind Dank gnädiger Unterstützung der Medien bereits
weitgehend in Vergessenheit geraten. Der Irak-Krieg scheint vorbei zu sein und die europäische Friedensbewegung
geht wieder nach Hause.
Europäische Konzerne müssen es als optimale Chance sehen, über den Einsatz französischer und deutscher
"Friedens"-Truppen den Kongo in ihre direkte Kontrolle bekommen zu können. Und wenn die USA sich im Irak als
Protektor festsetzt - wer will die EU dann je aus dem Kongo vertreiben?
Um die doch immer noch ein wenig empfindlichen Deutschen nicht allzu sehr zu erschrecken, wird äußerst behutsam
vorgegangen. Das pazifistische Mäntelchen wird nicht schlagartig fallengelassen. Eine "niederschwellige" und
"schrittweise Wiederannäherung" wird praktiziert wie sie bereits die Kohl-Regierung mit den "verteidigungspolitischen
Richtlinien" und der Salamischeibchen-artigen Umorientierung der Bundeswehr vorexerziert hatte. Zunächst wird
sich näckisch geziert und dementiert. Dann sollen es lediglich 350 deutsche SoldatInnen sein - aber nicht direkt im
Kongo, sondern im ugandischen Entebbe.
Und überhaupt: Es geht - diesmal ganz echt! - lediglich um einen
Friedenseinsatz.
Klaus Schramm
Anmerkungen:
1 Zugleich hatte Zaire / Kongo 1997 beim Sturz Mobutus
9 Milliarden Dollar Auslandsschulden.
2 laut einer Studie des 'International Rescue Committee'
3 Blair u.a. fallen nicht ins Gewicht