Zu Lafonaines Pro-Folter-Kolumne vom 3. März
Oskar Lafontaine benutzt Deutschlands meistverkauftes Toilettenpapier (oder wer benutzt
wen?) für seine wöchentliche Kolumne "Mein Herz schlägt links". Am Montag dieser Woche
tat Lafontaine nun auch seine vermeintlich wohlabgewogene Meinung zur bundesweiten
Folter-Diskussion kund, die sich am Fall des Frankfurter Polizeivizepräsidenten Daschner
entzündet hatte.
Daschner hatte die Gewaltandrohung gegenüber einem Verdächtigen gedeckt, um von diesem
eine Auskunft über ein entführtes Kind zu erpressen. Unbestritten ist, daß es für die
Bewertung der Entscheidung keine Rolle spielt, daß das entführte Kind zum Zeitpunkt der
Aussage-Erzwingung bereits tot war. Was aber in vielen Kommentaren auffällt: Es ist von
einem "Entführer", nicht von einem "Verdächtigen" die Rede. Bereits an dieser Stelle
ist ein Verlust von Zivilisation zu erkennen, denn nach einem - nicht einmal sehr
jungen - grundlegenden Rechtsprinzip hat jede Person als unschuldig zu gelten
("Unschuldsvermutung"), solange sie nicht vor Gericht verurteilt wurde.
Mehr noch: als die Sache publik wurde, meinte Daschner, sich - von einer mediengepuschten
Mehrheitsstimmung getragen - als Befürworter der Folter outen zu müssen.
Selbstverständlich berief er sich auf eine Notfallsituation, eine "Grauzone", in der
Folter erlaubt sei oder erlaubt werden müsse.
Unterstützung bekam er dann auch noch neben etlichen notorischen Hohes-C-Politikern und
Talk-Show-Plappermäulern vom Vorsitzende des Deutschen Richterbundes Mackenroth. Dieser
erklärte gegenüber dem Berliner "Tagesspiegel" am Mittwoch, 19.02.: "Es sind Fälle
vorstellbar, in denen auch Folter oder ihre Androhung erlaubt sein können, nämlich dann,
wenn dadurch ein Rechtsgut verletzt wird, um ein höherwertiges Rechtsgut
zu retten." (Mittlerweile ist er unter politischen Druck geraten, von verschiedenen
Seiten sind Rücktrittsforderungen laut geworden und alsbald hat er seine Aussage
zumindest teilweise revidiert.)
Diesen "hohen" Herren kann nur ein eklatanter Mangel an Zivilisation attestiert werden.
Daß in diesem unseren Lande wieder über Folter diskutiert wird, ist erschreckend und
offenbart, welch dünner Firnis die alt-abendländische Kultur noch ist und wie schnell
die Barbarei durch kleine Risse hervorbrechen kann. Es ist jedoch nicht die Diskussion,
die es zu kritisieren oder gar zu unterdrücken gilt - im Gegenteil: Die Diskussion
befördert nur bereits Vorhandenes zu Tage und nur sie kann den zivilisatorischen Prozess
befördern. Gerade als Linker kann ich mich da nur freuen, wenn
der baden-württembergische Innenminister Thomas Schäuble (CDU), der jüngere Bruder von
Wolfgang Schäuble unmißverständlich Stellung bezieht: "Für Folter gibt es keine
Rechtfertigung." Der Staat müsse zwar Zähne zeigen, aber Folter sei ein "Giftzahn" für
den Rechtsstaat.
Erst in zweiter Linie geht es hier um die Frage, ob es sich etwa um eine juristische
Grauzone handelt. Dies ist eindeutig nicht der Fall, wie eine hier zusammengestellte
Dokumentation zeigt.
Das jetzt ins öffentliche Bewußtsein eingebrochene Thema Folter hat zudem eine bislang
(wortwörtlich) unerhörte Aktualität. In der USA ist eine ganz andere Diskussion über
Folter bereits seit längerer Zeit zu Gange, in der es letztlich um die Legitimierung und
in deren Folge Legalisierung von Folterungen bei Verhör und Gefangenhaltung von des
Terrorismus Verdächtigen oder "irregulären Kombattanten" geht, denen der
Kriegsgefangenen-Status (nach der Genfer Konvention von 1949) verweigert wird. Da die
US- Administration genau weiß, daß sie damit gegen das Völkerrecht und US-Recht verstößt,
hat sie das
Gefangenen-Lager außerhalb des Bereichs des US-amerikanischen Rechts auf dem
US-Militärstützpunkt Guantanamo Bay auf Kuba eingerichtet und verweigert überhaupt
jede Auskunft über den Ort, an den der in den letzten Tagen gefangengenommende
Scheich Mohammed, der angebliche Stellvertreter Osama Bin Ladens, gebracht wurde. In
Deutschland fand bisher - wohl aus Angst, in den Verdacht des Terror-Symphatisanten
zu geraten - kaum eine Diskussion über diesen Rückschritt in die Barbarei statt.
Zurück zu Oskar Lafontaine.
Er stellt den Bezug zu Krieg auf ganz andere Weise her: "Seit einiger Zeit beteiligen wir
uns wieder an Kriegen. Wer Militäreinsätze bejaht, ist für Tod und Folter." Wer nun diese
Sätze so versteht, Lafontaine habe sich vom bedingten Kriegsgegner (und zugleich
bedingten Kriegsbefürworter) zum Pazifisten gewandelt, irrt. Mit diesen zwei Sätzen
werden von ihm die "moralisch Entrüsteten" abgebügelt. Sein Fazit lautet: "Daschner
mußte entscheiden, ob er untätig bleibt, wenn ein Verbrecher den Ort, an dem ein Kind mit
dem Tode ringt, nicht preisgibt, oder ob er Gewalt androht und notfalls antut, um das
Leben des Kindes zu retten. Seine Entscheidung war in diesem Ausnahmefall richtig. Ein
Freibrief für die Folter ist das nicht."
Ein Freibrief für die Folter wäre das nicht - aber es wäre die Zerstörung einer
unschätzbaren zivilisatorischen Errungenschaft: des Verbots der Folter.
Oskar Lafontaine benutzt Deutschlands meistverkauftes Toilettenpapier seit Anfang 2001
für seine wöchentliche Kolumne "Mein Herz schlägt links". Sein heroischer Selbstversuch
muß als gescheitert angesehen werden. Dieses Toilettenpapier färbt auf die Dauer doch ab.
Falls er selbst nicht mehr in der Lage ist, dies zu erkennen, sollten gute Freunde
ihm zureden, das Experiment zu beenden, bevor er sich noch mehr verfärbt. Wäre es
nicht tragisch, wenn er endet wie Muhammad Ali (alias Cassius Clay), der nicht
rechtzeitig sein Langzeitexperiment abbrach, wieviele Schläge an den Kopf er spurlos
verkraften könne, und der am Ende einen physischen Gehirnschaden davontrug?
Harry Weber