Entgegen der Medien-Kampagne geht es aufwärts
In Baden-Württemberg nahm die Beteiligung an den Montags-Demos tatsächlich entsprechend den schon zum letzten August-Montag nahezu einhellig demotivierenden Meldungen der Massenmedien ab. Diese berichten nun zum wiederholten Male wahrheitswidrig von bundesweit abnehmenden TeilnehmerInnen-Zahlen. Vielerorts war auch zu hören, die Teilnahme gehe wegen den trögen Redebeiträgen von GewerkschaftlerInnen zurück. Diese würden sich zwar in die Organisations-Komitees drängen, jedoch keinerlei Beitrag zur Mobilisierung leisten. Im Gegenteil wird in etlichen Organisations- Komitees die Erfahrung gemacht: Dringend benötigte Aufruf-Texte oder der Druck von Plakaten werden verschleppt, weil GewerkschaftlerInnen beispielsweise damit argumentieren, es könne noch bis zur nächsten Ver.di-Versammlung abgewartet werden, wo sicherlich zur Teilnahme an den Montags-Demos aufgerufen werde...
Hinzu kommt, daß in den Massenmedien Streitigkeiten wie in Berlin in den Mittelpunkt der Berichterstattung gerückt werden und die wenig überzeugenden und in keinerlei Hinsicht repräsentativen Meinungsäußerungen von Promis wie Oskar Lafontaine oder Gregor Gysi (dessen Comeback offensichtlich vorbereitet werden soll) breiten Platz einnehmen. In Zeiten wie diesen zeigt sich, welche Rolle die Massenmedien, die sich eine gewisse Glaubwürdigkeit bis in linke Kreise und ein liberales Image erhalten konnten, spielen. Es bewahrheitet sich die Analyse beispielsweise eines Eckart Spoo, der angesichts der Konzentration auf Deutschlands Medien-Markt von einer "Usurpation der Pressefreiheit durch die wirtschaftlich Mächtigen"1 schreibt.
Daß dies in kleineren Staaten noch nicht ganz so weit ist, beweist ein Blick in die heutige (7.09.) 'Basler Zeitung', in der zu lesen ist, die Teilnahme an den Montags-Demos in Deutschland sei "unvermindert". Und - mensch lese und staune - in Basler Redaktionsstuben liegen Quellen vor, die deutschen Redaktionen anscheinend unzugänglich sind: In Deutschland seien "nach Polizeiangaben insgesamt 75.000" auf die Staßen gegangen - "so viele wie etwa in der Vorwoche". Tatsächlich waren es bundesweit am 30. August rund 198.000 und nach unserer Hochrechnung am gestrigen Montag rund 208.500 Menschen2. Doch in den deutschen Massenmedien wird weiter behauptet, die Proteste seien "rückläufig".
In einigen größeren Städten wie Leipzig, wo Oskar Lafontaine am 30. August noch für enormen Zulauf gesorgt hatte, gab es erwartungsgemäß starke Einbrüche. In Leipzig von 60.000 auf 20.000. Dagegen nahm die Teilnahme in vielen mittleren Städten außerordentliche zu wie beispielsweise in Hoyerswerda von 300 (23. August) über 800 (30. August) auf 1.600 am gestrigen Montag. In viele Städte fanden gestern erstmal Montags-Demos statt, so in Celle (300), Genthin (300), Hamm (129), Hettstedt (900), Lemgo (500), Ludwigshafen (100), Marl (200), Naumburg (200) oder Wetzlar (90). Nun wird von attac und aus den Reihen der Gewerkschaften darauf gedrängt, auf eine zentrale Demonstration am Samstag, den 2. Oktober zu mobilisieren. Offenbar sind dabei Kräfte am Werk, die sich an den dezentralen Montags-Demos stören, weil sie diese nicht kontrollieren können. Dabei werden dann Scheingefechte wie der in Berlin um den Versammlungsort geführt und eine zahlenmäßig unbedeutende Kleinstpartei wie die MLPD an den Pranger gestellt, während diese sich schon geradezu rührend darum bemüht, in jeder Hinsicht nachzugeben und die demokratischen Spielregeln einzuhalten, die von attac- und Gewerkschafts-Seite allzu oft "vergessen" werden.
Dennoch ist der Trend bisher ungebrochen und mit dem Ende der Schulferien darf mit
einer weiteren Zunahme der Montags-Demos gerechnet werden. Und auch wenn noch viel
Diskussionsbedarf besteht, wohin es gehen soll - es wächst das Bewußtsein, daß eine
"grundsätzliche Wende" nötig ist.
Klaus Schramm
Anmerkungen:
1 Siehe den Artikel von Eckart Spoo
'Pressefreiheit: Mißbrauch publizistischer Macht' (5.04.04)
2 Siehe unsere Tabelle in
'Montags-Demos vom 6. September in Zahlen'