"Zerschlägt die Bundesregierung den Sozialstaat, macht sie das auch im Namen der »Nachhaltigkeit«", argumentiert
Franz Schandl in der 'jw' vom 22.12.1 und versucht so, gleich zu Beginn den Begriff »Nachhaltigkeit« in ein
"rot-grünes" Zwie-Licht zu rücken. Doch nicht alles was "Rot-Grün" in den Mund nimmt, ist deswegen schon faul. So
wird der Sozialabbau in Deutschland, der ja als "Reform" und als "Agenda 2010" verkauft wird, eben von "Rot-Grün" auch
mit dem Erhalt des Sozialstaats begründet. Müssen wir nun also auch den Begriff »Sozialstaat« als Kampfbegriff entlarven?
Leider erwähnt Franz Schandl nur kurz, daß der Begriff »Nachhaltigkeit« ursprünglich aus der Forstwirtschaft kommt, geht
nicht auf seinen Inhalt ein und versucht ihn statt dessen dadurch zu diskreditieren, daß er darauf hinweist, welche Kreise
ein offensichtliches Interesse daran hatten, ihn in der öffentlichen Debatte zu pushen. Ganz zurecht schließt er daraus,
daß »Nachhaltigkeit« im Kampf der Begriffe und damit ums öffentliche Bewußtsein, benutzt wurde, um unterschwellig den
Erhalt des Systems positiv zu konnotieren. Gemeint ist von dieser Seite selbstverständlich das Wirtschaftssystem, der
Kapitalismus.
Nebenbei kritisiert Franz Schandl - ebenfalls durchaus zu recht - wie diffus der Begriff »Nachhaltigkeit« in der Regel benutzt
wird. Was er dabei übersieht, ist allerdings, daß diese "Verwaschenheit" gerade dazu nötig ist, den Begriff entgegen seiner
ursprünglichen Stoßrichtung einzusetzen. Dabei läßt sich »Nachhaltigkeit« kurz und prägnant definieren: Es darf nur soviel
Rohstoff (Holz) einem System (Wald) entnommen werden, wie im selben Zeitraum wieder nachwächst und dieser
Gleichgewichtszustand muß aktiv aufrechterhalten werden. Daß dieses Wirtschaftsprinzip nicht in den Kapitalismus paßt,
zeigt sich allein schon daran, daß Waldbewirtschaftung hierzulande noch weit überwiegend in feudaler oder bäuerlicher
Hand ist. Einerseits interessiert sich kein kapitalistisches Unternehmen für Waldbewirtschaftung, andererseits sind die
Wälder - soweit in privatem Besitz - in der Hand von Leuten, die sich zumindest in diesem Bereich immer noch von
Traditionen statt vom Wirtschaftsprinzip der Gewinnmaximierung leiten lassen.
Betrachen wir dies einmal genauer: Das entscheidende Kriterium für eine Anlage - ob Geldanlage oder Investition in eine
Produktionsanlage oder sonstwas - ist der Amortisationszeitraum. Niemand investiert heute Geld, wenn die
Amortisationszeit länger als 7 Jahre ist. Je nach Risiko muß sie erheblich darunter liegen. Orientierungspunkt ist dabei
eine Geldanlage mit 10 Prozent Jahreszins, die sich zwischen dem siebten und achten Jahr verdoppelt. Wer hingegen für
sein Geld Baumsamen kauft und einen Wald anpflanzt, muß aus kapitalistischer Sicht verrückt sein. Die Fichte, die
hierzulande schnellwüchsigste Bauart, benötigt bis zur Ernte 80 bis 100 Jahre. Die Eiche 180 bis 300. Auch Investitionen
in alternative Energiegewinnung kommen bei Amortisationszeiträumen von 20 Jahren und mehr nur mit Hilfe von Zuschüssen
oder Subventionen zustande. Idealisten sind, wenns ums Geld geht, in dieser Gesellschaft nur im Promillebereich zu finden.
So klar es also auf der Hand liegt, daß Nachhaltigkeit und Kapitalismus niemals zusammen passen, so seltsam erscheint
es, daß sich die Linke bisher so wenig für dieses Thema interessiert hat. Hier rächt sich, daß zumindest ein Teil der
Linken nach dem Zusammenbruch des "realexistierenden Sozialismus" keine Notwendigkeit für einen
wirtschaftstheoretischen Diskurs erkennen wollte. Und die Linke in der Ökologiebewegung, die einmal Ansätze für eine
Weiterentwicklung linker Wirtschaftstheorie geleistet hatte, wurde über die Jahre in alle Winde zerstreut und marginalisiert.
Und so ist die Linke heute gerade auf ihrem ureigensten Terrain, dem der Wirtschaftstheorie, völlig konfus und schwankt in
ihrer Mehrzahl zwischen einem kapitalismus- konformen Keynesianismus à la Lafontaine und nostaligischen Visionen von
einer Wiederauferstehung der bürokratisch gelenkten Staatswirtschaft.
Beiden Richtungen gemeinsam ist ein unerschütterlicher Glaube ans Dogma des unendlichen Wirtschaftswachstums.
Gerade der Begriff »Nachhaltigkeit« bietet dagegen einen Ansatzpunkt zur Entwicklung eines zukunftsfähigen
Wirtschaftssystems, das auf dem Grundprinzip des Gleichgewichts basiert. Auch ohne ökologische Katastrophen
kann das Ende des Kapitalismus schneller kommen als wir ahnen oder hoffen. Auch der Zusammenbruch des Ostblocks
kam praktisch über Nacht. Selbstverständlich ist es nicht sinnvoll, im Elfenbeinturm wirtschaftstheoretische Utopien bis
ins Kleinste auszutüfteln. Zumindest aber solch grundlegende Fragen wie denn ein Wirtschaftssystem gestaltet werden
müßte, das mit dem Prinzip »Nachhaltigkeit« vereinbar wäre, und einige tragfähigen Konstruktionen müßten entwickelt
werden. Denn die Wirtschaft wird auch das Fundament jeder kommenden Gesellschaftsordnung sein und diese bestimmen.
Klaus Schramm
Anmerkung:
1 Hier der Text von Franz Schandl
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»Nachhaltigkeit« und zukunftsfähiges Wirtschaftssystem