Der Bundesvorstand der SPD - in den letzten sieben Jahren nicht gerade durch Widerworte gegen Schröders neoliberalen Regierungskurs aufgefallen - läßt urplötzlich den Großen Vorsitzenden mit dem Roten Schal1 über die Klinge springen. Mehrheitlich wählte er entgegen der ausdrücklichen Präferenz Mün-Te-Ferings eine sogenannte Linke, eine gewisse Andrea Nahles, zur Generalsekretärin. Eine Palastrevolution? Oder doch nur eine neue Inszenierung der Peking-Oper?
Zunächst jedoch: Wer ist eigentlich Andrea Nahles?
Oskar Lafontaine soll sie - damals noch SPD-Vorsitzender - einmal als "Gottesgeschenk" für die Partei bezeichnet haben. Also eine Linke? Oder eine Jungfrauengeburt? Und wie sie selbst vor nicht allzu langer Zeit bekannte, habe ausgerechnet Franz Müntefering sie "all die Jahre gefördert". Als Andrea Nahles 2002 den Wiedereinzug in den Bundestag verpaßte, machte Müntefering sie zur Leiterin einer Projektgruppe beim Parteivorstand. Dies könnte allerdings ein Versehen gewesen sein. Vielleicht war ihm entgangen, daß es sich bei Nahles um eine Linke handelte? In den ersten vier Jahren "Rot-Grün" hatte sie sich jedenfalls brav die Hände blutig gemacht und den Kriegen im Kosovo und Afghanistan zugestimmt. So erklärte sie selbst, daß sie alles mit Schröder mitgemacht habe, weil sie "den Bruch der Regierung nicht organisieren" wollte.
Andrea Nahles war wie einst Gerhard Schröder, Otmar Schreiner oder Klaus Uwe Benneter2 Juso-VorsitzendEr. Sie ist inzwischen 35 Jahre alt und ihr Lebenspartner ist Manager bei Audi. Im Jahr 2000 war sie Mitbegründerin eines 'Forums demokratische Linke 21', von dem selbst innerhalb der SPD die wenigsten je gehört haben. "Keiner von ihnen hat in den letzten Monaten je über Rot-Grün hinaus reflektiert, keiner hat neue Bündnisse gedanklich vorbereitet, keiner hat eine kraftvolle und kohärente Orientierung diesseits der technokratischen Sanierungsagenda entwickelt", schreibt Parteienforscher Franz Walter über Nahles "Netzwerker"-Gruppe wie über die "parlamentarische Linke" der SPD-Fraktion. Und noch kurz vor der vermeintlichen Palastrevolution bescheinigte die 'Financial Times Deutschland' (31.08.05) Frau Nahles, "handzahm" zu sein.
Mit 23 gegen 14 Stimmen wählte der SPD-Parteivorstand Andrea Nahles gegen Münteferings Kandidaten KaJo Wasserhövel zur Generalsekretärin. Gab es also plötzlich 24 Linke im Bundesvorstand? Oder eine Mitte-Links-Koalition gegen Müntefering? Bereits 1997 orakelte Andrea Nahles: "Ob ihr es glaubt oder nicht: In der SPD gibt es mehr Linke als in jeder anderen Partei." Doch wie paßt das zusammen mit folgendem Detail: Ausgerechnet Otmar Schreiner, die Personifizierung der "SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmer-Fragen", der Vorzeige-Linke, der lange Jahre als treuer Gefolgsmann Oskar Lafontaines gegolten hatte, trommelte vor der Wahl mit dem Hinweis auf eine mögliche "Beschädigung" Münterferings für dessen Ziehkind KaJo Wasserhövel. Hatten sie vergessen, ihn rechtzeitig Einblick ins Drehbuch nehmen zu lassen? Die einfachste Erklärung dürfte darin liegen, daß Schreiner in der SPD als "inkontinent" gilt und ihm deshalb keine Drehbücher anvertraut werden können, die geheim bleiben sollen.
Klar war auch bereits vor Ende Oktober, daß Müntefering mit seinen 65 Jahren nicht weiterhin Parteivorsitzender bleiben und zugleich ein Ministeramt unter Merkel übernehmen könne. Immerhin war er im Wahlkampf einmal zusammengebrochen und selbst Gerhard Schröder hatte nach einer gewissen Zeit einsehen müssen, daß der SPD-Vorsitz nicht nebenbei zu erledigen ist (, was ja bekanntlich zur Übergabe an Müntefering geführt hatte).
So jedenfalls wurde Müntefering nun ein opernhaft "starker" Abgang verschafft und Nahles kann sich in Zukunft mit dem Ruhmesblatt schmücken, eine ganz gefährliche Linke zu sein. Damit empfiehlt sie sich - ähnlich wie Schröder vor rund 30 Jahren - für zukünftige Aufgaben. Und ohne daß irgendeine reale Wirkung einer Linken innerhalb der SPD sichtbar würde, ist einmal mehr deren Existenz für alle Welt unzweifelhaft beglaubigt.
Harry Weber
Anmerkungen
1 Siehe auch unseren Artikel:
'Mao-Te-Fering
ist Liebling der Partei' (23.06.04)
2 Siehe auch unseren Artikel:
'Klaus Uwe Benneter
Das Auftauchen eines realexistierenden Linken in der SPD' (29.02.04)