26.12.2004

Schmerzmittel
vom Markt genommen

Herbe Rückschläge für Pharma-Konzerne nach 'Vioxx'-Skandal

Nach dem Skandal um 'Vioxx' gerät nun ein Schmerzmittel nach dem anderen in Verdacht, ebenso mit Risiken und Nebenwirkungen behaftet zu sein - nach dem Motto: "Bei Risiken und Nebenwirkungen essen Sie die Packungsbeilage oder schlagen Sie Ihren Arzt oder Apotheker!"

Immerhin fallen derzeit auch die Aktienkurse des US-amerikanischen Pharma-Konzerns Merck, Sharp & Dome, MSD, der für 'Vioxx' verantwortlich ist, des Pfizer-Konzerns ('Celebrex' und 'Bextra') und des deutschen Bayer-Konzerns ('Naproxen' alias 'Aleven').

Bereits Ende September hatte MSD seinen million seller 'Vioxx' wegen erhöhter Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiken vom Markt nehmen müssen. Nach diesem Skandal ist das Image dauerhaft beschädigt. Schon damals wurden Verdachtsmomente gegenüber den Konkurrenz-Produkten des Pfizer- und des Bayer-Konzerns geäußert und eine ganze Klasse von Schmerzmitteln ist wahrscheinlich mit denselben Risiken und Nebenwirkungen behaftet wie 'Vioxx'.

Erst vor sechs Jahren begann der Siegeszug der Cox-2-Hemmer 'Vioxx' und 'Celebrex', die damals als "Super-Aspirin" gefeiert wurden. Auf der einen Seite sollten sie ebenso zuverlässig Schmerzen lindern und Entzündungen unterdrücken wie Acetylsalicysäureester, der Wirkstoff von 'Aspirin' - auf der anderen Seite sollten sie mit weniger Nebenwirkungen behaftet sein. Mittel wie 'Aspirin', 'Diclofenac' und 'Ibuprofen' können die Magenschleimhaut angreifen und Geschwüre hervorrufen. Cox-2-Hemmer wirken laut Hersteller-Angaben selektiver und sind magenschonender. Die Tabletten verkauften sich bislang äußerst gut und eroberten sich einen Marktanteil von 15 Prozent.

Seit einer Woche haben sich die Hinweise auf die zu 'Vioxx' wirkstoffgleichen Schmerzmittel 'Celebrex' und 'Bextra' in Hinblick auf Nebenwirkungen verdichtet. Am Montag warnte nun das US-Gesundheitsamt FDA vor dem Schmerzmittel 'Naproxen' alias 'Aleven' des Bayer-Konzerns. Eine Langzeitstudie habe den Verdacht bestätigt. Das Medikament wird auch unter dem Markennamen 'Naprosyn' vom Roche-Konzern vertrieben. Patienten sollten das rezeptfreie 'Naproxen' nicht länger als zehn Tage ohne ärztlichen Rat einnehmen, teilte die FDA mit.

Nach guter alter Firmentradition1 jedoch wollen weder der Pfizer-Konzern noch der Bayer-Konzern ihre Cox-2-Hemmer vom Markt nehmen. Laut Pfizer erhalten in Deutschland rund 320.000 Menschen das Rheumamittel 'Celebrex'. Rund 600.000 nähmen 'Bextra', das als Nachfolgepräparat von 'Celebrex' gilt.

Das deutsche Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte warnt dennoch Patienten mit erhöhtem Risiko für Herzkreislauferkrankungen vor 'Celebrex', sieht aber zugleich noch keinen Anlaß, eine Marktrücknahme anzuordnen. Im Falle von 'Naproxen' vermeidet das Bundesinstitut auch eine Warnung und begründet dies damit, daß der Wirkstoff schon seit 1974 auf dem Markt sei und bislang kein Hinweis auf Probleme vorliege.

"Alle Cox-2-Hemmer müssen sofort vom Markt genommen werden", fordert dagegen Wolfgang Becker-Brüser, Mitherausgeber des pharma-kritischen Arznei-Telegramms. Die Pharma-Konzerne hätten die Ärzte gedrängt, verstärkt Cox-2-Hemmer zu verordnen, obwohl für die meisten Rheumapatienten bewährte Schmerzmitteln wie 'Diclophenac' und 'Ibuprofen' zur Verfügung stehen. Hinsichtlich des Risikos für das Herz-Kreislauf-System sei mit vergleichbaren Nebenwirkungen bei allen Cox-2-Hemmern zu rechnen. "Weitere Verzögerungen sind aus Sicht des vorbeugenden Verbraucherschutzes nicht mehr akzeptabel", so Becker-Brüser. SchmerzexpertInnen gehen ebenfalls auf Distanz: "Seit dem Vioxx-Skandal verschreibe ich gar keine Cox-2-Hemmer mehr", erklärt Professor Heinz-Jürgen Lakomek, Chefarzt der Klinik für Rheumatologie in Minden, auf Nachfrage.

Doch weder auf Bundes- noch auf EU-Ebene wurden bisher durchgreifende Konsequenzen aus dem 'Vioxx'-Skandal gezogen. Die europäische Zulassungsbehörde arbeitet zwar derzeit an einem "Risikomanagement-Plan". Mehr als "weitere Beobachtungsstudien", die zudem erst nach Markteinführung durchgeführt werden sollen, sind allerdings nicht geplant. Im Gespräch sind allenfalls gesetzliche Auslagen in Hinblick auf konzernunabhängige Studien. Bisher testen die Pharma-Konzerne ihre Medikamente meist gegen ein Konkurrenzprodukt, um die bessere Wirksamkeit zu beweisen.

Auch mit bereits lange angekündigten neuen Wirkstoffen ist noch nicht in nächster Zukunft zu rechnen. Experten bezweifeln, daß Novartis seinen in der Entwicklung befindlichen Cox-2-Hemmer mit der internen Bezeichnung 'Prexige' überhaupt noch auf den Markt bringt.

 

Ute Daniels

 

Anmerkung

1 Siehe hierzu auch unseren Artikel
      Die schmutzigen Tricks der Chemie-Industrie (22.07.04)

 

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